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Klaus has left the building

Im Kapuzinerpark ließ Klaus Widmann bei der Eröffnung des 40. Jazzfestival auf Distanz die Bombe platzen, Covid-bedingt als Audio-Botschaft. Es ist sein letztes Festival.
Europa
Foto: GPichler
Es geht ihm gut, hieß es gleich nach Bekanntgabe seines Krankenstands. Klaus Widmann, der ein Jahr nach der Gründung 1982 anfing beim Jazzfestival zu arbeiten und das Festival Anfang der 2000er von Nicola Ciardi übernahm, reicht nun seinerseits das Zepter weiter. Als auf die Bühne statt Widmann Luigi Loddi kam und ihn als in häuslicher Isolation befindlich entschuldigte, war bereits ein erstes Raunen zu hören. Als dann aber Klaus Widmanns Stimme aus den Boxen bekannt gab, dass dies sein letztes Festival sei, war die Reaktion noch deutlicher, sowohl seitens des Publikums und als auch seitens der anwesenden Jazz-Journalisten.
Widmann übergibt das Festival an die „Jungen“, gemeint sind drei Männer Stefan Festini Cucco (Vize-Präsident des Vereins Jazz Music Promotion), Max von Pretz (Head of Office JMP) und Roberto Tubaro (Vorstandsmitglied JMP). Vielleicht ist seine Abwesenheit damit ein gutes, scherzt Widmann aus dem Off, so würden Sie schon einmal ins kalte Wasser geworfen. Dass das 40. Jazzfestival ein überaus schlüßiges ist, um den Schlussstrich zu ziehen, hängt auch mit dem diesjährigen Thema zusammen. „Europa“ ist als Best-Off der 2012 von Widmann in die Festival-DNA aufgenommenen Länderschwerpunkte gedacht und bringt viele der Akteure der letzten Jahre zurück nach Südtirol. Exemplarisch dafür das Eröffnungskonzert, um welches es in Folge gehen soll.
 

Europa

 
Reinier Baas aus den Niederlanden an der Gitarre, Lauren Kinsella aus Irland als stimmliche Vertretung für Leïla Martial aus Frankreich, Soweto Kinch aus Großbritannien steuerte ein Saxophon und (Freestyle-)Rap Passagen bei, Italien vertrat Österreich am Schlagzeug - Stefano Tamborrino statt Judith Schwarz, der Slowene Kristijan Krajncan am Cello und für den Abschluss-Track am zweiten Schlagzeug, Ruth Goller am Bass, die man nicht vorzustellen braucht und den in Italien lebenden Amerikaner Dan Kinzelman und Finnen Pauli Lyytinen an den Tenor-Saxophonen.
Das in zwei Probetagen ausgearbeitete Programm war ein bunter, ausgesprochen heterogener Mix verschiedener Jazzspielarten, zu welchem die Musiker je ein, zwei Stücke beisteuerten. Besondere Highlights dabei ein triumphal-melancholisches „Deserted Paradise“ (Pauli Lyytinen), der Hiphop-Crossover Beitrag „Savages“ von Soweto Kinch, ein dreifach gesungener Teaser zu „Skylla“ (Ruth Goller, Lauren Kinsella und nur für diesen Song Alice Grant), sowie die lyrisch-poetische Seite Lauren Kinsellas und eine entfesselte „Smooth Jazz Apocalypse“ (Rainier Baas) am Ende.
 
 
Der Track „Deserted Paradise“ des finnischen Saxophonisten mit sensibel in eine trostlose Instrumentenlandschaft gesetzten Saxophon-Stimmen als Kontrapunkt kam gleich nach dem etwas verkopften Anfangstrack und holte das Publikum ab. Bemerkenswert dabei die Glissandi, die Tamborrino einem Windspiel entlockte und die Atemkontrolle der drei Saxophonisten, denen ein eindrucksvolles Crescendo von einem halb gesäuselten Atem zu drei vollen, kräftigen Stimmen gelang. Akzentuiert noch durch einen Freestyle Gruß, der auch noch das vor Konzertbeginn niedergegangenen Regen mit aufnahm.
„Savages“ thematisierte das Phänomen des Othering und war rhythmisch mitreisend, inhaltlich beschämend und gleichzeitig eine Ermächtigung von Kinch, die auch durch Rassismus Erfahrungen in Südtirol inspiriert wurde. Die zornige Kraft und unantastbare Würde, entgegen der Anfeindungen von außen den eigenen Weg zu gehen und sich nicht als Wilder oder Sklave abstempeln zu lassen waren greifbar und mehr noch fühlbar.
 
 
Goller, die schon vorher am Bass eine starke Stimme dem großen europäischen Dialog auf der Bühne beisteuerte war gemeinsam mit Kinsella und Grant nicht wieder zu erkennen und gemeinsam gelang ihnen eine stimmliche Performance, die archaisch, rau und unerwartet. Während die sonst predominant männliche Bühne schwieg, setzten die drei Frauen ein Ausrufezeichen, das eher nach Dark Folk als nach Jazz klang, sich aber wohl im Terminplan einiger Festivalbesucher wiederfinden dürfte, auch ohne die zur Formation „Skylla“ gehörenden Kostüme. Empfehlenswert.
Lauren Kinsellas Stimmperformance changierte von Song zu Song zwischen präzisem Scat-Gesang und mantrenhaft in der Wiederholung die eigene poetische Bedeutung steigernden Sentenzen, die träumerisch stimmten.
Am Ende noch ein Feuerwerk mit energischen Gitarrenpassagen, doppeltem, sich gegenseitig aufpeitschendem Schlagzeug, dass selbst dem den ganzen Abend über versteinert konzentriert blickendem Tamborrino das eine oder andere Lächeln über die Lippen tanzen ließ und am Ende mittels Freestyle Raumschiff noch rechtzeitig den der „Smooth Jazz Apocalypse“ zum Opfer fallenden Planeten Erde verließ.
Klaus Widmann hat ein vielstimmiges Konzert verpasst in dem die Widersprüchlichkeiten der Stile Spannung aufgebaut haben. Aber er hätte es wohl nicht anders gewollt, wenn er der Eröffnung schon fernbleiben muss.