Cultura | Salto Gespräch

Jugendarbeit im ländlichen Raum

Der Jugendarbeiter Tobias Burdukat hat im Osten Deutschlands das "Dorf der Jugend" entstehen lassen. In Meran wird er darüber sprechen. Mit Salto hat er das bereits getan
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Foto: Martin Neuhof

salto.bz: Über Ihre Erfahrungen als innovativer Jugendarbeiter in Deutschland sprechen Sie demnächst in Meran. Kommt es häufiger vor, dass Sie ihr sächsisches Refugium und die Kreisstadt Grimma verlassen, um über Ihr Projekt „Dorf der Jugend“ im Ausland zu sprechen?

Tobias Burdukat: Ich war noch nie in Südtirol und hatte dorthin bisher auch keine Kontakte. Ich wurde einfach angeschrieben und eingeladen. Es kommen auch immer wieder Anfragen aus der Schweiz, aber leider hat es dorthin bisher noch nicht geklappt. Mich verwundert es selbst, dass da ein Interesse daran besteht. Aber wahrscheinlich sind es die ähnlichen Problemlagen, wie wir sie hier im ländlichen Raum Sachsens haben.

Was sind denn die Probleme des ländlichen Raums?

Alle jungen Menschen die etwas offener oder alternativer denken – aufgrund des Elternhauses oder was auch immer –, ziehen sofort nach der Schule weg und dann kann es in ländlichen Räumen dazu kommen, dass sich eine irgendwie eindimensionale Gesellschaft entwickelt und wo es dann kaum noch einen gesellschaftlichen Diskurs gibt. In vielen ländlichen Regionen gibt es keine attraktiven Angebote für junge Leute und es passiert dass Menschen die aktiv sein wollen und unter Umständen ihre Vorhaben im ländlichen Raum umsetzen möchten, dies nicht können und dann wegziehen. Weil sie eben die Freiräume nicht haben oder ständig schikaniert werden, wenn sie ein alternatives Kulturangebot voranbringen möchten. Krasser wird es dann noch, wenn sich solche Leute politisch engagieren möchten.

Warum sind Sie aus Grimma nicht weggezogen?

Da spielt natürlich meine private Historie eine entscheidende Rolle. Ich bin in den 1990er Jahren und in den frühen Nuller-Jahren in Ostdeutschland aufgewachsen bzw Jugendlicher gewesen. Wir waren ein recht großer Freundeskreis und haben versucht unser Ding zu machen. Ich hab mich wohlgefühlt, weil wir trotz Widerstand, Konzerte, Festivals und andere Veranstaltungen durchgeführt haben. Ich konnte eigentlich das machen, was ich wollte. Trotz vieler Anstrengungen.

 

Wie schwierig war die Aufbauarbeit dieses Projekts im ländlichen Raum?

Das war sehr schwierig und es haben auch viele glückliche Zufälle mitgespielt. Die Idee war ja eine Konzeption zu erarbeiten, für eine offene Kinder- und Jugendarbeit, die im ländlichen Raum greifen kann. Der Aufwand war immens. Ich habe die vergangenen sieben Jahre nichts anderes gemacht, als diesen Job ausgeübt.

Wie wurde das Projekt von der Politik finanziell mitgetragen?

Gar nicht. Wenn die Politik und die Kommunen vor Ort das finanziell mitgetragen hätten, vor allem was eine personelle Ausstattung mit Sozialarbeiter*innen betrifft, dann hätte ich nicht 16 oder manchmal 20 Stunden pro Tag arbeiten müssen, sondern hätte auch ein normales Leben führen können. Man kann das natürlich von niemandem erwarten, denn da gehört ja schon etwas Wahnsinn dazu. Im Nachhinein betrachtet war das für mich als Person auch nicht von Vorteil, weil am Ende die Arbeit das einzige geblieben ist, womit ich mich umgeben habe.

Beschreiben Sie den Ursprungsgedanken zur Projektidee „Dorf der Jugend“…

Der Grundgedanke war Jugendarbeit im ländlichen Raum wieder möglich zu machen. Je mehr man sich konzeptionell damit auseinandersetzt, desto konkreter wird es mit der Zeit. Man muss im Kleinen damit beginnen. Eine kleine Form des Zusammenlebens ist halt ein Dorf, und deshalb auch „Dorf der Jugend“. Jugendliche sind Teil der Gesellschaft, auch wenn sie meistens nur als Störenfriede wahrgenommen werden oder als nicht kompetenter Teil der Gemeinschaft. Dem gilt es entgegenzuwirken. Die Konzeption basiert auf den Ursprungsgedanken einer aufklärerischen Jugendarbeit, die nicht neu ist, sondern in den 1960/70ern entstanden ist. Zudem habe ich viel aus meinem Leben in der Hardcore/Punk DIY Szene und meiner Beschäftigung mit Jugendkulturen mit in die Arbeit miteingebracht. Es ist ein Mix aus allem, inklusive meinen Gedanken.


Warum entstand das „Dorf der Jugend“ auf einem alten Fabriksgelände?

Zum Gebäude kamen wir durch Zufall. Es gibt da einen sehr coolen Besitzer, mit dem wir ins Gespräch kamen. Am Anfang habe ich das erstmal privat gepachtet, mittlerweile wird alles über unseren Verein abgewickelt. Die Fabrik stellt aber nur das Medium dar, sie wird benutzt um Freiräume zu haben. Das „Dorf der Jugend“ funktioniert als Konzeption auch unabhängig von dieser Fabrik. Das ganze Projekt ist im Endeffekt so ausgestattet, dass wir alles zusammenpacken könnten und es an einem anderen verlassenen Ort ebenso durchführen könnten. Da lege ich auch großen Wert darauf, dass das so bleibt, weil ein Gebäude meistens nur von einer Generation von Jugendlichen besetzt werden kann. Über einen längeren Zeitraum betrachtet kann es passieren, dass keine neuen Jugendlichen mehr hinzukommen, um weiterhin gute Jugendarbeit zu machen. Das ist ein häufiges Problem von Jugendhäusern, dass die Jugendlichen im Haus älter werden – es kommen keine Jugendlichen nach und die Häuser bleiben leer oder werden geschlossen.

Früher wurden in der Fabrik Gardinen und Unterwäsche produziert. Was wird heute produziert?

Wir produzieren Freiräume für eigenständig denkende und handelnde Jugendliche. Wobei ich unsere Arbeit im Zusammenhang mit dem Begriff produzieren nicht besonders glücklich finde, das klingt nach Humankapital und entstammt einer neoliberalen Denke. Das sehe ich dann doch etwas anders.

Vielleicht mach ich auch mal länger Urlaub. Ist doch auch mal schön.

Es ist eine Tatsache, dass volkstreue und rechtskonservative Rockmusik aus Südtirol in den ländlichen Räumen im Osten Deutschlands einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Wie lässt sich das erklären?

Wenn ich wüsste, warum das so ist, dann hätte ich sicher eine Idee was man dagegen machen könnte. Es ist tatsächlich so, also dass die eine bestimmte Band, oder besser gesagt die zwei bestimmten Bands aus Südtirol, hier jeder kennt. Die füllen riesige Konzertsäle. Sie orientieren sich an der Mentalität der Band Böhse Onkelz. Die Bands geben – warum auch immer – den Leuten Halt, den sie sonst in ihrem Leben nicht haben. Sie identifizieren sich mit diesen Bands, auch wenn die Ursachen sicher individuell sind.

Wie verlief Ihre Jugend mit volksdeutschem Rechtsruck im ländlichen Raum?

Wir hatten hier ein riesiges Nazi-Problem. Und ich möchte einfach nicht, dass junge Menschen so aufwachsen müssen wie wir damals, dass wenn ein Jugendlicher nachts nach Hause will, er die Hauptstraße nicht entlang gehen kann, weil da Nazis Patrouille fahren und nach Leuten suchen, die sie verprügeln können.

Wie ist die Situation heute?

Die ist nicht besser als damals. Sie hat sich verschlimmert und sie hat sich verschoben. Die Nazis, die damals jung waren, sind jetzt Erwachsene und haben Kinder. Diese Kinder formieren sich gerade mit der Rückendeckung ihrer Eltern zu neuen Gruppen. Die Eltern sind nun die, die in der breiten Masse AFD wählen und im Grunde alles verschlimmern. Es wurde in dieser Sache über Jahre weggesehen und nichts gemacht. Und deshalb hat sich das alles auch so verfestigt.


Wie seid ihr mit dem Problem im „Dorf der Jugend“ umgegangen?
Wenn es um Jugendliche geht, bin ich natürlich offen, denn ich geh jetzt nicht davon aus, dass ein 14jähriger mit dem ich zusammen arbeite, schon ein geschlossenes nationalsozialistisches Weltbild hat und per se schon ein Rassist ist. Er gibt im Endeffekt nur das wieder, was die Leute um ihn herum erzählen. Man kann das aufbrechen. Bei einem 18 oder 19jährigen schon eher nicht mehr. Es gibt also dieses kleine Zeitfenster. Hier im ländlichen Raum gibt es etablierte Nazistrukturen seit vielen Jahrzehnten und wenn sich den Jugendlichen keine Alternative bietet, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in Nazi-Strukturen reinrutschen. Es geht darum den Jugendlichen ein Alternativangebot zur Verfügung zu stellen.

Wie ist das soziale Gefüge der rechten Szene in Sachsen. Aus welchem Milieu kommen die jungen Menschen. Ist es bäuerlich geprägt, sind es Arbeiterkinder?

Da ist alles dabei. Durch die Identitäre Bewegung ist sogar das intellektuelle Spektrum hinzugekommen. Es ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Und wenn man sich die Wahlergebnisse bei uns in der Gegend anschaut und über 30% AfD wählen, dann ist das ein breiter Mix aus allen gesellschaftlichen Schichten.

Das „Dorf der Jugend“ ist seit kurzem Teil ihrer eigenen Vergangenheit geworden. Warum wollen Sie nicht mehr weitermachen?

Ich war ja auch Stadtrat, Kreisrat, habe Festivals veranstaltet und Sporttourniere. Ich habe hier die letzten 20 Jahre immer etwas gemacht. Es ging bei verschiedenen Dingen zudem auch manchmal nicht mehr um das Projekt und um den Mehrwert, den es für die Stadt und für die Gegend gebracht hat und bringt, sondern es wird häufig nur darüber geredet was ich irgendwo oder irgendwann gesagt habe, beispielsweise als ich sagte, dass wir hier ein großes Problem mit den Leuten haben, die AfD wählen. Dann werde ich von Bürgermeistern, Fußballvereinen oder der Feuerwehr angerufen und gefragt, weshalb ich so etwas sagen würde und weshalb das denn ein Problem der Vereine ist und dort nicht genügend aufgearbeitet werden würde. Ich finde es deshalb unfair gegenüber denjenigen, die was machen wollen und dann immer mit meiner Person in Verbindung gebracht werden. Sie müssen dann ständig das ausbaden, was die Zivilbevölkerung von mir denkt. Weil ich vielleicht nicht in ihr kleinstädtisches Weltbild passe.

Was werden Sie in Zukunft machen?

Ich weiß es nicht, vielleicht studiere ich nochmal, um dann vielleicht in eine Position zu kommen, wo ich anderen, neu lernenden Sozialarbeiter*innen, etwas weitergeben darf, die ähnliche Projekte im ländlichen Raum umsetzten möchten. Vielleicht mach ich auch mal länger Urlaub. Ist doch auch mal schön.

 

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Thomas Kobler Dom, 07/28/2019 - 12:42

Danke Martin Hanni, danke salto.bz! Wir freuen uns sehr auf diese besondere Veranstaltung und laden alle Menschen, die sich für Jugend-, Sozial-, und Kulturarbeit interessieren wärmstens ein, am Donnerstag bei der Veranstaltung in der Sommerresidenz des ost west clubs mit dabei zu sein. Es zahlt sich wirklich aus. Hier gibt es weitere Infos: http://ostwest.it/kulturallianz-den-teufel-beim-namen-nennen-weniger-ku…

Dom, 07/28/2019 - 12:42 Collegamento permanente