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NO CREDIT

„Genussland“ bei gleichzeitigen Motorradrallys über die Pässe geht irgendwie gar nicht. Dabei bringt der Motorradtourismus einen entscheidenden Mehrwert mit.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Motorrad-Stunt
Foto: Pixabay

Ich brauche Ihre Hilfe. Ich brauche die Zahl der Motorradtoten der letzten 14 Tage. Warum? Ist eine längere Geschichte. In der Preisklasse: Von hinten durch die Brust ins Auge. Sie kennen mich ja: Nie auf den Punkt; mäandert um das Kernthema; mit einer möglichst barocken Schreibe. Sie wollen es tatsächlich hören? Va bene.

Als waschechter Walscher war ich eine Woche vor und eine Woche nach dem Hochunserfrauentag in Urlaub. Mondpreise, Stau, Casino - es hilft nichts: Auf Ferragosto verzichten, ist für den Italiener wie auf Weinnachten verzichten. War wie immer Urlaub in Vollpension in der „Villa Oasis“ der Caritas in Caorle - zu mehr reicht mein Sackgeld leider nicht. Wegen dem Scheiß Covid musste ich den Urlaub vorzeitig abbrechen. Haben Sie sicher gelesen. Unser Küchenpersonal hat auch für den Hotspot bei den Kiddies nebenan gekocht und ist jetzt in Quarantäne. Merda!

Ich weiß nicht, in welchen asozialen Netzen Sie so unterwegs sind, aber im Telegram-Kanal „Znicht und zwidr“ wo ich socialmedian tue, hält sich hartnäckig das Gerücht, dass bei diesem Ans-Meer-Turnus zwar die Kinder alle nasenflügelgetestet waren, für Betreuer, Fliegen und Schnuppies dies - weil nicht mehr kostenlos - von der Caritas aber nicht eingefordert wurde. „Schnuppie“ hat übrigens nichts damit zu tun, dass den Betreuern in spe, die Betreuten „schnuppe“ sind, sondern kommt von „schnuppern“ und bezeichnet die niedrigste Daseinsform des Aufpasserwesens. Für all jene Jugendlichen gedacht, die jenseits der Altersgrenze sind, um als Urlauber nach Duna Verde zu fahren und gleichzeitig herausfinden wollen, was nach der Bettruhe so abgeht. Klar hat man im Pickelalter nicht die acht Euro, die so ein Antigen-Test heutzutage kostet. Bei den Gitschen gehen sie für Hygieneartikel drauf, bei den Laggl für ein Packtl Marlboro. Moment! Gab's da nicht im Juni den parteiübergreifenden Begehrensantrag Nr. 20/21 zu Tamponsteuer und „Periodenarmut“? Wieder mal typisch. Diskriminierung von Männern wo man hinschaut oder gab es parallel einen Antrag zu Tabaksteuer und „Tschiggarmut“? Ich vergaß: Nirgends lässt sich die augenblickliche Deflation besser festmachen, als bei den Preisen für Corona-Tests. Von den vorweinnachtlichen 50 Euro in neun Monaten runter auf acht - von wegen „Früher war alles billiger“. Ich schweife ab.

Boah, war ich wegen der vorzeitigen Abreise angefressen! Vor lauter Zorn habe ich mein Handy an die Wand geschmissen. Passiert mir sonst nie. Gibt keinen friedfertigeren, ausgewogeneren, in sich ruhenden, mit sich und der Welt im Reinen lebenden Menschen wie mich. Gegen mich ist ein mit stoischer Gelassenheit, Mantras murmelnder tibetanischer Gebetsmühlentreiber ein Berserker. Langer Worte kurzer Sinn: Mit einem Mal war ich von jeglichem Informationsfluss abgeschnitten. Für eine Woche! Versuche mal an Ferragosto ein Trappele zu kaufen. Ich meine im Laden, weil online geht ja nicht. Da bist du eine moderne Form des Hauptmann von Köpenick: Ohne Handy kein Onlineshopping, ohne Onlineshopping kein Handy. Schlimmer, kein Wotzäpp, keine Nachrichten - seriöse meine ich. Habe in diesem Sars-CoV-2-Jahr der Lügenpresse gänzlich den Rücken gekehrt und informiere mich nun ausschließlich aus vertrauenswürdigen Quellen wie Facebook, Youtube oder eben Telegram. Als Reminiszenz am meinen alten Medienkonsum habe ich nur die Push-Nachrichten für das Blutrauschgenre beibehalten. Nein, ich rede nicht von den MIT oder AN Corona Verstorbenen dieser Plandemie, ich rede von der Cronaca nera; von Traktor- und Bergunfällen, von mit Motorsägen abgetrennten Gliedmaßen, von LKW-Stoßstangen am Stauende, die Familienväter enthaupten. Ersoffen, verbrannt, stranguliert, gevierteilt. Gibt es Schöneres als beim Frühstück darüber zu lesen, auf welch grausame Weise seine Mitmenschen über den Jordan gegangen sind? Eine Gruppe Unglücklich-zu-Tode-gekommener fehlt mir besonders: Die Motorradfahrer. Seit zwei Wochen weiß ich nicht mehr, wie viele Asphaltritter das Zeitliche gesegnet haben. Darum helfen Sie mir, bitte!

Piaggio Vespa 50

Ich habe eine große Affinität zu Bikern. Schon immer. Jahrelang habe ich auf Geburtstags- und Weinnachtsgeschenke verzichtet, damit ich mit 14 eine Veps bekam. Der frisierte 19er-Vergaser war übrigens die Belohnung dafür, dass ich nach mehreren Anläufen, dann tatsächlich die Abschlussprüfung der fünften Volksschule drpackt habe. Unglaublich aber wahr, zu meiner Schulzeit gab's in der Volksschule Prüfungen: In der zweiten und fünften Klasse. Und du konntest Sitzenbleiben, ohne dass deine Alten sofort prozessiert hätten. Die Evelyn hat's sogar in der Ersten erwischt; mich etwas später - gehäuft. Das mit der Mittelschule habe ich bald gelassen, weil ich ja Vespa fahren musste. Hätte mich auch gerne am Wettrüsten meiner Kumpels beteiligt: Piaggio P 125 X, Yamaha Tènèrè, Honda Africa Twin bis zum Godfather aller Zweiräder: Harley-Davidson. Allein, auch wenn ich alles Hiatergeld zur Seite gelegt habe - es reichte nie. Genau deshalb bin ich jetzt so neidzerfressen und frustig, wenn einer mit einem Monsterbike knatternd durchs Dorf rockt.
So ein Vierzylindermotor auf zwei Rädern hat den Hubraum eines Kleinwagens, die Geschwindigkeit eines Sportwagens, die Beschleunigung eines F1-Boliden, kostet allerdings auch einen Mittelklassewagen. Und das trifft es genau. Der Touri, der bei uns im Land die Straße unsicher macht, hat zu wenig Kohle, um sich gegen die Midlifecrisis einen Porsche zu kaufen, aber für eine Ducati reicht's immer. Und das ist das Problem. Mit Mitte Fünfzig hast du keine Reflexe mehr für Null auf Hundert in drei Sekunden. Und sechs Tage im Jahr über Dolomitenpässe heizen, sind eindeutig zu wenig Fahrpraxis. Kein Wunder, dass in den Spitzkehren der Timmelsjochstraße oberhalb vom Gasthof Hochfirst öfter mal ein Fahrer im Stand umfällt, weil er kein Feeling hat, wie man eine viertel Tonne Technik inklusive seiner Wampe im Schritttempo um eine Haarnadelkurve wuchtet. Trotzdem, der Motorradfahrer ist ein willkommener Gast: „Bikers Welcome“ prangt es allerorten. Haben Sie eine Ahnung wie viel man bei der ADAC-Tagestour um „Burgen und Gebirgspanoramen, romantische Seitentäler und Bergstraßen mit traumhafter Aussicht“ bei 36 Grad in seine Lederkluft schwitzt? So ein Flüssigkeitsverlust muss am Abend mit Bier und Korn aufgefüllt werden, damit man am nächsten Morgen fit ist, für die anderen Empfehlungen auf Kurvenkoenig.de oder Timetoride.de über „Die schönsten Motorrad Alpenpässe in Südtirol“. Gibt keine umsatzstärkere Gästeschicht als bechernde „Zentauren“, wie sie von den walschen Zeitungen lyrisch genannt werden. Lyrisch ist in den Bergen schon lange nichts mehr. Muss es auch nicht. Der Motorradfahrer ist sich selbst genug. Auf der Passhöhe interessiert nicht der Gipfel gegenüber, sondern das Chrompaket an der Maschine des Gegenüber. Nicht zu vergessen die Bettenauslastung in Vor- und Nachsaison - fährt sich einfach angenehmer bei milden Temperaturen. Sie meinen die 1000 km Autobahn bei der Anreise? Gott bewahre! Mit 50+ ist man kein Masochist mehr. Da reist die Männerclique im Kleinbus an und die Maschine parkt hinten auf dem Anhänger mit den anderen sechs Boliden. Masochisten sind nur die Doigen, die ohne viel Murren Lärm und Gestank ertragen, damit unsere Tourismusindustrie ihre Kredite bedienen kann. Und unsere Verkehrslandesräte (deren Job rein gar nichts mit Mobilität zu tun hat) sorgen dafür, dass alles so bleibt. Von dem, dessen Name ich niemals nenne, habe ich mir auch nichts anderes erwartet: Ist selbst Motocrossrowdie. Beim Flori zuerst und dem Daniel jetzt, hätte ich mehr Sensibilität erwartet, schließlich kommen sie aus dem Hotspot um den Sellastock. Aber wie heißt es bei der Hatz um die Berge: Pecunia non olet.  Im Gegenteil: Stickoxide oder Kohlenwasserstoffe, vermischt mit Feinstaub aus Gummiabrieb sind bei uns der Geruch des Geldes. Und statt einem runden, weißen Aluschild, 60 cm im Durchmesser, mit einem roten Rand und einer schwarzen Motorradfahrersilhouette in der Mitte, wird fleißig Unterfahrschutz montiert, der die Leitplanke bis zum Boden verlängert. Damit bei einem Sturz von den messerscharfen Pfosten keine Arme und Beine amputiert werden.
Ist euch klar, dass unsere Organspenderquote so auf Dauer nicht zu halten ist? Die ist eh unterirdisch. Im Jahr 2019 standen laut der Vereinigung für die freiwillige Organ-, Gewebe- und Zellenspende - AIDO „80 unserer Mitbürger auf der Warteliste für Organspenden, aber nur 20 konnten das lang ersehnte Transplantat erhalten“. (Kurioserweise rechnet die europäische Vermittlungsstelle für Organspenden Eurotransplant mit Sitz in Leiden (NL) Südtirol und Trentino wie zu Zeiten der alten Habsburger Österreich zu. - Sven?) Die Rechnung ist schnell gemacht. Laut Landesinstitut für Statistik ASTAT verunglückten in den letzten zehn Jahren durchschnittlich 500 Motorradfahrer. Im Jahr 2020 fuhren davon 10 nicht nur über die Straße hinaus, sondern stante pede in den Hades, 2018 waren es auch 10, 2019 war mit 16 Toten besonders ergiebig. Dazu bemerkt das ASTAT in seiner Publikation „Verkehrsunfälle und eingezogene Führerscheine - 2020“: „Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Verunglückten mit PKW deutlich zurückgegangen. Bei den Motorradfahrern ist kein eindeutiger Trend festzustellen, sieht man von der wohl coronabedingt niedrigen Zahl [343 Verletze, Anm. des Verf.] im Berichtsjahr ab“. 20 Transplantierten stehen also durchschnittlich 10 Motorradtote gegenüber. „Organspender Welcome“, fällt mir dazu nur ein. Für ein Mehr an Verkehrssicherheit können deshalb nur die von orgaNOs sein: „Ein stetig wachsendes Team bestehend aus Freiwilligen, denen es ein dringendes Bedürfnis ist und die auch ihre persönliche Verpflichtung darin sehen, andere Menschen über die Unwahrheiten, die rund um das Thema Organspende verbreitet werden, aufzuklären, davor zu warnen und für den notwendigen Schutz vor dubiosen gesetzlichen Regelungen zu sorgen“. Kommt ihnen was bekannt vor?

Honda RC213V-S

Heftige Bedenken wie orgaNOs hätte ich nur, wenn von verunfallten Mittfünfzigern die Leber transplantiert würde ... oder die Lunge, die ständig den Auspuffgasen des Vordermanns ausgeliefert war, wenn sie im Rudel über das Grödnerjoch jagen. Aber Herz und Bauchspeicheldrüse machen bestimmt was her. Hirn? Na, wenn du siehst, an welchen Stellen die Easy Rider überholen, muss man davon ausgehen, dass sie schlicht keines haben. Dafür dass die Zahl der Toten stabil bleiben dürfte, sorgt auch der Gruppenzwang. Sie müssen mal acht geben. Bei einer Gang Zweiradhelden aus der Piefkei fahren die schlechtesten Fahrer immer am Ende - da wiegen sie sich in Sicherheit. Dann setzt der sprichwörtlich todesmutige Leithengst zum Überholen an und sukzessive alle anderen. Ist der Unerfahrenste an der Reihe, sind die Bedingungen für sicheres Überholen nicht mehr gegeben, aber er muss ja nach, um den Anschluss nicht zu verpassen. Wenn er trödelt, sind die oben mit den Selfies am Passschild schon fertig, wenn er angezuckelt kommt. Ach ja, es kümmert die jährlich rund 80.000 Motorradfahrer am Passo Rombo, vulgo Timmelsjoch, einen feuchten Kehricht, ob aus Marketinggründen die Passhöhe gefakt wurde, damit sie um 5 Meter höher als die Großglockner Hochalpenstraße ist und damit die höchstgelegenste Passstraße von Felix Austria. Noch weniger scheren sich Biker nur noch um die Plakate dieser grenzdebilen „NO CREDIT“ Sensibilisierungskampagne. Die einzigen die jeden Kredit verspielt haben, sind unsere Politiker. Die glauben seit 2006 tatsächlich, ein Fahrer ist im Stande die kryptischen Botschaften zu entschlüsseln, die ein Werbefuzzi im Koksrausch ersonnen hat? Bei 180 km/h nimmst du im Tunnelblick nicht einmal das Schild wahr, geschweige den Inhalt.

Allerdings muss ich für das 2021er Plakat eine Lanze brechen. Hat sich jemand mit dem gephotoshopten Blumenkübel echt Mühe gegeben: Astern frisch aus dem Blumenladen! Genau so rausgeputzt, stehen unsere Marterlen in der Gegend rum. Wie wär's mal mit zerfetzten Gliedmaßen, gespaltenen Helmen in denen noch der Kopf samt Wirbelsäuleansatz steckt; tranchierten Oberkörpern? Weg mit dieser Vernichtung von Steuergeldern, die verschwendet werden, um irgendwelche Werbeagenturen zu mästen!
Hundert pro müssen auch die alibihaften Verkehrskontrollen weg: Pegelmessungen sind Nonsens, weil die akustischen Grenzwerte so hoch sind, dass der Sounddesigner der Auspuffanlage darauf keine Rücksicht nehmen muss. Was glotzete Reifenprofile angeht, gilt das obige: Kontraproduktiv, weil: Slick-Reifen + Gewitter = Spenderniere! Noch besser wäre eine Maratona dles Dolomites für Motorräder - ohne Straßensperre. Mehr Genussland ginge nicht, wenn du bei Kehre 3 hinterm Campolongo genüsslich zuschauen kannst, wie ein um den anderen Feuerstuhl am Gegenverkehr zerbröselt. Organspender Welcome!

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Christian I Mer, 08/25/2021 - 17:34

Einfach genial und leider die traurige Wahrheit! Hat die Politik es noch nicht verstanden, dass wir stuff sind von dieser Lärmbelästigung auf Südtirols Moto-GP Streck..., pardon, auf Südtirols Strassen!!!!

Mer, 08/25/2021 - 17:34 Collegamento permanente
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Thomas B. Ven, 08/27/2021 - 15:55

Erneutes - wie gewohntes - Rundumpöbeln unter dem Dach der Satire. Die passenden Kommentare... Ach, dabei war's so schön letzten Sommer: (Ziemlich) einsam auf Jöchen, Pässen und Almen. Fast wie im Apennin oder auf dem Balkan, wo man noch in abgestellte Panzerrohre schauen darf ohne dabei gleich zu krepieren.
Kommende Fünfziger+ werden klimaneutral elektrisch (als Ideal, mit grünem Pass versteht sich, Ordnung muss sein!) über die heiß beworbenen Straßen summen, weiterhin höchstens 20cm abseits des Straßenrandes ihre Stangen Wasser abstellen, so wie bereits jetzt die zweirädrigen elektrisierten Sportgratler auf Südtirols so vereinsamten Radwegen heute; was für ein Paradies. Und das ist gar nicht satirisch gemeint; aber verdient ist allemal!

Ven, 08/27/2021 - 15:55 Collegamento permanente