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Im Kampf gegen die Mafia

Die langjährige ORF-Italienkorrespondentin Mathilde Schwabeneder-Hain porträtiert Frauen im Kampf gegen die Mafia. Ein Gespräch über ihr Buch und die Protagonistinnen.
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Foto: Harald Eisenberger

salto.bz: „Sie packen aus“ nennt sich ihr neues Buch. Sie beschreiben darin vergessene Heldinnen, Frauen im Kampf gegen die Mafia. Wie gefährlich gestaltet sich das Leben einer Mafia-Buchautorin?  

Mathilde Schwabeneder-Hain: Es ist das Leben einer Journalistin mit bestimmten Schwerpunkten. Die Berichterstattung über die Mafien hat mich in Radio und TV über viele Jahre beschäftigt. Bei den zahlreichen Recherchen habe ich mir ein Netz an möglichen Quellen und Informanten aufgebaut und gleichzeitig bestimmte Themen ins Visier genommen. Wie eben die Rolle der Frauen in der Mafia als auch außerhalb. Dass man vorsichtig sein muss, ist selbstredend.

Die Camorra-Jägerin Nunzia Brancati zieht es vor – wie viele andere Frauen in Ihrem Buch – im Verborgenen zu agieren. Andere Frauen leben im Versteck, andere unter neuem Namen, an einem anderen Ort… Unter welchen Bedingungen wurden die Gespräche zum Buch geführt?

So unterschiedlich wie die Frauen, die ich porträtiert habe, waren auch die Umstände, unter denen ich die Interviews geführt habe. In Neapel z.B. hat mich Nunzia Brancati in ein Viertel geführt, das jahrelang von „Baby-Gangs“ terrorisiert worden ist. Dieser Lokalaugenschein erfolgte unter Begleitung einer Spezialeinheit. Alle in Zivil, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, denn die Camorra kontrolliert die Gassen lückenlos. Laura Garavini hingegen traf ich im römischen Senat. Sie hatte vor 13 Jahren in Deutschland eine Anti-Mafia-Organisation gegründet und setzt ihre Erfahrung nun in der Politik um.

Italien hat zweifelsohne die besten Anti-Mafia-Gesetze. Aber das allein reicht offensichtlich nicht.

Über Jahrzehnte war die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Italien von Männern dominiert. Wie und seit wann bekämpfen auch Frauen die Mafia?

Tatsächlich waren sowohl die Mafia als auch die Anti-Mafia-Bewegung lange Zeit männlich dominiert. Das hat sich spätestens seit der Ermordung der beiden Anti-Mafia-Jäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino geändert. Da haben einerseits Frauen in den Clans eine Führungsposition eingenommen und andererseits haben sich immer mehr Frauen für den Beruf der Staatsanwältin, der Anwältin oder Polizistin entschieden. Enza Rando, Italiens Anti-Mafia-Anwältin schlechthin, hat mir z.B. erzählt, dass sie mit Begeisterung zu sämtlichen Vorlesungen Falcones und Borsellinos gegangen ist. International bekannt wurde sie, weil sie den Fall „Lea Garofalo“, als Anwältin begleitete. Wenn man jedoch von der Bekämpfung der Mafia – oder besser der Mafien, denn es sind ja verschiedenen Organisationen – spricht, geht es ja nicht nur um Polizei und Justiz. Da ist die Politik genau so gefordert wie auch die Zivilbevölkerung. Das gilt für Männer und Frauen. Und so finden sich in meinem Buch z.B. auch eine Bürgermeisterin und eine Investigativ-Journalistin. Aber auch zwei junge Nigerianerinnen, die Opfer des Menschenhandels geworden sind.

Piera Aiello war mit einem Mafioso zwangsverheiratet worden, später war sie 27 Jahre verschwunden... Ihre Geschichte haben Sie an den Buchanfang gestellt. Warum?

Die Geschichte Piera Aiellos ist exemplarisch für einen Ausstieg aus der Mafia. Sie ist die erste Frau, die sich zu einer Zusammenarbeit mit der Justiz entschlossen hat. So lernte sie Paolo Borsellino kennen, der für sie zur unverzichtbaren Bezugsperson wurde. Ihr Beispiel hat auch ihre junge Schwägerin Rita Atria ermutigt, der eigenen Familie den Rücken zu kehren. Die Ermordung Borsellinos war für beide ein schwerer Schlag. Rita Atria war so verzweifelt, dass sie sich das Leben nahm. Piera Aiello hingegen lebte 27 Jahre als Kronzeugin im Untergrund. Dann ging sie in die Politik.  

Die Senatorin, die Bürgermeisterin, die Staatsanwältin, die Anonymen... Welche Geschichte lag Ihnen beim Schreiben am nächsten?

Das ist ganz schwer zu sagen, die poträtierten Frauen sind ja bereits eine Auswahl, denn es gibt noch sehr, sehr viel mehr mutige Frauen, die sich gegen die Mafien engagieren. Aber letztlich aus Gründen des Berufs ist mir Alessia Candito sehr nahe. Die junge kalabresische Journalistin leistet großartige Arbeit. Und sie tut das mit großem, persönlichen Einsatz, der auch ihr privates Leben stark einschränkt. So ist sie immer wieder bedroht worden, weil sie auch die Zusammenhänge von Politik, Mafia und Wirtschaft benennt. Und wenn nötig auch vor der Kirche oder der Freimaurerei nicht Halt macht. Damit schafft sie sich viele Feinde.

„Sich gegen die Mafia aufzulehnen, verlangt großen Mut“, schreiben Sie im Vorwort. Woher nehmen die von Ihnen beschriebenen Frauen ihre furchtlose Entschlossenheit? Und wie gehen sie mit Angst um? 

Die Gründe warum sich diese Frauen engagieren sind unterschiedlich. Alessia Candito tut dies, weil sie überzeugt ist, dass die Mafien in einer Demokratie einfach keinen Platz haben können. Die ehemalige Bürgermeisterin Carolina Girasole hat hingegen in ihrer Heimat Kalabrien erlebt, wie der eigene Vater immer wieder unter Druck gesetzt worden ist. Alle Frauen beeindrucken mich übrigens durch ihren mutigen und sehr uneitlen Einsatz. Keine hält sich für besonders mutig oder heldenhaft. Sie tun ihre Arbeit einfach aus tiefster Überzeugung. 

Die Realität ist jedoch ganz anders. Romantisch ist da gar nichts. Nur gefährlich und kriminell.

Letizia Battaglia wird als die Mafia-Fotografin serviert. Wie hat sie sich bildhaft in das große Mafia-Geschichtsbuch einschreiben können? Wer ist die Frau, die hinter den Fotos steckt?

Letizia Battaglia ist eine faszinierende Frau, die eigentlich fast widerwillen zur „Chronistin der Cosa Nostra“ wurde. Sie war Siziliens erste Fotoreporterin und kam so automatisch ständig mit den Gräueltaten der Mafia in Berührung. So entstanden – inzwischen sehr bekannte – Aufnahmen, für die sie im Laufe ihres Lebens mehrfach ausgezeichnet worden ist, denn sie versuchte immer wieder auch die Ursachen für diesen Wahnsinn einzufangen, sprich: die sozialen und wirtschaflichen Umstände ihrer Insel, die den Humus für das organisierte Verbrechen bildeten. Letizia Battaglia ist auch heute, mit 85 Jahren, immer noch kämpferisch. Mit der Politik geht sie hart ins Gericht. Der Staat habe bei der Bekämpfung der Mafien versagt, meint sie. „Nicht alle Sizilianer sind mafiös“, sagt sie, „ und man hat uns nicht geholfen.“

„Für mich ist es eine Form der Pflicht, gegen diesen Wahnsinn zu kämpfen“ zitieren Sie die Investigativ-Journalistin Alessia Candito. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach der Mafia-Wahnsinn sinnvoll bekämpfen?

Italien hat zweifelsohne die besten Anti-Mafia-Gesetze. Aber das allein reicht offensichtlich nicht. Denn da ist dieser unsägliche Filz von Politik,Wirtschaft und organisiertem Verbrechen und da fehlt außerdem eine effektive Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Die italienischen Ermittler beklagen immer wieder „Gesetzeslücken“ in anderen Ländern, die eine gemeinsame Vorgehensweise oft sehr erschweren. Da müßte noch viel getan werden, denn die italienischen Mafien sind ja rund um den Globus tätig. Außerdem ist auch die Zivilgesellschaft gefragt. Es braucht sehr viel Bewußstseinsarbeit.

In „Die Stunde der Patinnen: Frauen an der Spitze der Mafia-Clans“ haben Sie sich bereits 2014 intensiv mit der Geschichte der Mafia in Italien auseinandergesetzt. Woher kommt die Passion für Verbrechergeschichten?

Das hängt wohl damit zusammen, dass ich de facto 25 Jahre in Italien gelebt habe und lange Zeit in Rom als Journalistin tätig war. Da kommt man um das Phänomen „Mafia“ gar nicht herum. Außerdem hat mich der außerhalb Italiens oft romantisierte Umgang mit dem organisierten Verbrechen immer mehr gestört. Da haben Filme, wie „Der Pate“ wesentlich dazu beigetragen. Die Realität ist jedoch ganz anders. Romantisch ist da gar nichts. Nur gefährlich und kriminell.

Böse Zungen behaupten: Der ORF ist eine Mafia. Können Sie dazu – nachdem Sie nicht mehr im Dienst sind – Stellung beziehen? 

Natürlich nicht. (lacht) Der ORF ist eine öffentliche-rechtliche Rundfunkanstalt. Genau solche Vergleiche im täglichen Sprachgebrauch verharmlosen leider die Wirklichkeit. Also die Präsenz und die Aktivitäten der Mafien.