Politica | Porträt

Das schlechte Gewissen

Hans Benedikter wird heute 80 Jahre alt. Es gibt kaum jemand, der in diesem Land in- und außerhalb der SVP so viel bewegt hat wie dieser unbequeme politische Vordenker.
Benedikter, Hans
Foto: salto
Sieht man Hans Benedikter das erste Mal, dann fällt einem eines sofort auf. 
Dieser Mann hat im Vergleich zu seinem schmächtigen Körper einen viel zu großen Kopf. Es ist genau diese Physiognomie, die den Menschen Hans Benedikter am besten beschreibt.
Denn in diesem Kopf ist die politische Geschichte dieses Landes gespeichert und es sind Begebenheiten, Sachverhalte und Geheimnisse lebendig, die viele längst vergraben glaubten. Vor allem findet sich aber in diesem Kopf ein reicher Erfahrungsschatz, wie man sich auf dem aalglatten Parkett der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtinteressen bewegt, ohne offenkundig Spuren zu hinterlassen, aber dennoch Entscheidendes bewegen kann.
Hans Benedikter, ein „zoon politicon“ in Reinkultur, ein Strippenzieher, ein unbequemer Kritiker, ein Kreuzzügler, der seine Überzeugungen mit dem Intellekt verteidigt, aber auch ein Förderer, ein Türöffner, ein Vordenker, der Dutzenden aufstrebenden, groß gewordenen, aber auch abgestürzten Politikhoffnungen – inzwischen aus drei Generationen - als spiritus rector beigestanden ist. Es gibt kaum jemand in Südtirol, der in- und außerhalb der SVP soviel in diesem Land bewegt hat, wie dieser auf den ersten Blick so unscheinbare Mann.
Hans Benedikter ist ein „zoon politikon“ in Reinkultur, ein Strippenzieher, eine unbequemer Kritiker, ein Kreuzzügler, der seine Überzeugungen mit dem Intellekt verteidigt, aber auch ein Förderer, ein Türöffner, ein Vordenker, der Dutzenden aufstrebenden Politikern und Politikerinnen als spiritus rector beigestanden ist.
Das will ich noch machen, dann gebe ich endgültig Ruhe“, sagt er in den letzten Jahren immer öfters. Wer ihn kennt, weiß, dass er es ernst meint. Doch dann kommt wieder ein Kampf, den er durchstehen, wieder eine Kampagne, die er organisatorisch und intellektuell begleiten und wieder eine Analyse, die er unbedingt noch abliefern muss. Der Mann kann keine Ruhe geben. 
Dabei hat Hans Benedikter, der am heutigen Montag seinen 80. Geburtstag feiert, bereits drei Leben gelebt.
 
 

Bauernbub in Wien

 
Hans Benedikter wird am 27. Jänner 1940 in ärmlichen Verhältnissen in Prettau im hintersten Ahrntal geboren. Als jüngstes von acht Kindern verliert er mit sieben Monaten seinen Vater. Dieser verunglückt tödlich in der Prettauer „Klamm“. Er erleidet einen Herzschlag und stürzt in den Wildbach. 
Seine Eltern sind  „Dableiber.“ Die Mutter ist so antinationalsozialistisch eingestellt, dass sie wegen einer abfälligen Bemerkung über das „Goldene Kalb Hitler“ nur mit viel Glück und Hilfe eines hochrangigen Geistlichen nicht in das KZ Dachau kommt. Während des Krieges beherbergt die Familie den von den Nazis gesuchten Saliesanerpater Wilhelm Schmidt (1868 – 1954) in Prettau. Schmidt, der wenig später in der Schweiz einer der wichtigsten Verbindungsleute zwischen dem Vatikan, dem katholischen Widerstand und den alliierten Nachrichtendiensten wird, ermöglicht es, dass Hans Benedikter in das Benediktiner Gymnasium Seitenstetten in Niederösterreich kommt. „Das war für mich die Hölle und der Himmel zugleich“, erinnert sich Hans Benedikter heute. Einer seiner Schulkameraden ist dort der spätere österreichische Außenminister Alois Mock.
 
 
Nach der Matura studiert der junge Benedikter in Wien politische Geschichte. Er promoviert 1962 in Rekordzeit. Nebenbei beginnt er für die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ als Journalist zu arbeiten. Vom Chronikreporter arbeitet sich Benedikter schnell hoch, sodass er schon bald auch politische und kulturpolitische Interviews führen darf. 
In dieser Rolle lernt er auch Bruno Kreisky kennen. Der österreichische Außenminister entwickelt für den jungen, ehrgeizigen Südtiroler Bauernbuben eine Sympathie. Mehrmals lädt er ihn zum Essen ein und informiert sich dabei auch über Südtirol. Die gegenseitige Wertschätzung und Freundschaft bleibt bis zu Kreiskys Tod bestehen. 
 

Die rote Katze

 
Nach dem Studium kehrt Hans Benedikter nach Südtirol zurück. Er übernimmt das Presseamt der Landesregierung und rückt damit als Presseattaché Magnagos in den Vorhof der Macht auf. Mit 27 Jahren wird er zum Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Prettau gewählt und damit zum jüngsten Bürgermeister des Landes.
Silvius Magnago, der Hans Benedikter auch für das Presseamt ausgewählt hatte, ersucht den jungen Journalisten, bei den Parlamentswahlen 1968 für die SVP anzutreten. Benedikter nimmt die Kandidatur an und tut etwas, was er nicht nur in seiner aktiven politischen Laufbahn bei jedem Wahlgang für sich wiederholte, sondern später auch für Dutzende aufstrebende Politiker und Politikerinnen verschiedener Couleur erfolgreich einsetzt.
Er sicherte sich durch persönliche (Telefon)Gespräche im ganzen Land wichtige Wählerstimmen. Im Laufe der Jahrzehnte gelingt es Hans Benedikter so, südtirolweit ein Netzwerk von Vertrauenspersonen aufzubauen, das einige Tausend Wählerstimmen bewegen und das auch heute noch durch Empfehlungen für gewisse Parteien und Kandidaten bei Wahlen entscheidend sein kann.
 
 
Dabei wird der erste Versuch Hans Benedikters, in die Parlamentspolitik einzusteigen, von ganz oben vereitelt. Weil der sozialdemokratisch angehauchte junge SVP-Kandidat im Wahlkampf loslegt wie kaum jemand zuvor und bewusst eine betont kritische und soziale Haltung herausstreicht, treten seine parteiinternen Gegner auf den Plan. In einer konzertierten Gegenpropagandaaktion streuen sie in der Nacht vor dem Wahltag südtirolweit Flugblätter gegen den „Kommunisten“. Auf dem Flugblatt ist eine rote Katze zu sehen, die aus einem schwarzen Sack springt. Einige Pfarrer predigen am Wahlsonntag sogar gegen Benedikter und seine Überzeugungen von der Kanzel.
Trotzdem schaffte es Hans Benedikter 1968, in Südtirol mehr Stimmen als sein SVP-interner Gegner Hans Dietl zu bekommen. Dank der Stimmen des Trentiner PATT erringt am Ende aber Dietl knapp das Mandat (Dietl: 28.213, Benedikter: 26.652 Stimmen).
Vier Jahre später schafft Hans Benedikter dann die Wahl als SVP-Abgeordneter in die Abgeordnetenkammer, wo er 20 Jahre lang ununterbrochen sitzt. 1992 zieht er sich mit 52 Jahren dann freiwillig aus der aktiven Politik zurück. Ein Schritt, der weder damals noch heute in der Politik üblich ist.
 

Kritische Distanz

 
Hans Benedikter war 1970 bei der Gründung der „Jungen Generation in der SVP“ die treibende Kraft gewesen. Bereits damals nahm er einige junge JGler, wie Oskar Peterlini, Franz Pahl, Bruno Hosp oder Siegfried Brugger unter seine Fittiche. 
1990 ist er dann auch der Vordenker einer neuen SVP-internen Gruppierung: „Die Neue Mitte.“ Die Bewegung sollte alle Kräfte ansprechen, die nach dem sich abzeichnenden Paketabschluss eine neue politische Zukunftsperspektive suchten. Am 1. April 1991 stellt die Neue Mitte das Konzept einer „Vollautonomie“ vor. Unter der Federführung von Benedikter arbeiteten Ferdinand Willeit, Siegfried Brugger, Bruno Hosp, Franz Pahl und Oswald Ellecosta ein politisches Zukunftsmodell aus, das seiner Zeit damals weit voraus war. Jahrzehnte später bedient man sich innerhalb der SVP auch heute noch einiger Ideen und Vorschläge, die in diesem Konzept enthalten sind.
Die Neue Mitte zerbricht. Auch weil vielen ihrer Mitglieder der eigene politische Aufstieg weit wichtiger ist als der politische Inhalt. Hans Benedikters Blick auf die SVP und die Politik seiner Partei wird dabei immer kritischer und distanzierter.
 
 
Die Raumordnungspolitik, die Zersiedelung, der Ausverkauf der Heimat und die Demokratiedefizite in der SVP und im Land lassen Hans Benedikter offen von seiner Partei abrücken. Als die SVP im Mai 1996 die verdienten Mandatare ehrt, verzichtet der Alt-Parlamentarier auf die Ehrung. In einem langen Brief an den damaligen Parteiobmann Siegfried Brugger watscht er argumentativ die SVP-Führung und ihre Politik ab.
Hans Benedikter und Luis Durnwalder verbindet eine langjährige politische und private Freundschaft. Es dürfte aber nur wenige unterm Edelweiß geben, die viele politische Entscheidungen und die persönliche Machtfülle Durnwalders noch während seiner Amtszeit so vehement und offen kritisiert haben. Hans Benedikter tut das zumeist im Gespräch mit dem Betroffenen persönlich. Dabei ärgerte sich Durnwalder ordentlich. Dennoch geht Luis Durnwalder auch heute noch im Hause Benedikters aus und ein.
 

St. Pauls, Feldweg 11

 
St. Pauls, Feldweg 11“ ist die Adresse, an der die Familie Benedikter seit gut 5 Jahrzehnten wohnt und lebt. Der Ort ist ein Synonym einer politischen Denk- und Ideenwerkstatt.
Hans Benedikter lädt seit über 30 Jahren Politiker und Politikerinnen verschiedenster Richtungen, Parteien und Überzeugungen in sein Haus ein. Es sind keine Kaffeekränzchen, sondern zumeist ergebnisorientierte Arbeitstreffen, bei denen es um langfristige Zielsetzungen und Strategien geht. Dabei spielen Parteigrenzen keine Rolle. So gehen Regierungspolitiker genauso im Hause Benedikter aus und ein wie Vertreter aller deutschsprachigen Oppositionsparteien.
Wenn der hellwache 80jährige Ex-Parlamentarier seine Argumente vorlegt, sprachlich und logisch wie mit einem Seziermesser die Situation analysiert und dann mit fast jugendlichem Elan Lösungsvorschläge diktiert, kann man sich kaum dem intellektuellen Engagement des Hausherrn entziehen. 
 
 
So wurden und werden im „Feldweg 11“ schon mal aus Gegnern politische Verbündete. Es entstehen Seilschaften, die man kaum für möglich halten würde. Vor allem aber werden hier politische Entscheidungen geboren, begleitet und auch maßgeblich beeinflusst. Bei manchen Wahlerfolgen der letzte Jahre aber auch bei wichtigen Entscheidungen (wie zum Beispiel dem Flughafenreferendum), dürften die Diskussionen und Argumentarien entscheidender gewesen sein als die spröde Arbeit im Landtag.
Hans Benedikters Stärke ist es, dass er die Freiheit und Unabhängigkeit besitzt, seinen Gegenübern schonungslos den Spiegel vor die Augen zu halten. Besonders gern tut er das bei einer Partei, die er am besten kennt: der SVP.
In der Brennerstraße und im Palais Widmann goutiert man das gar nicht.
Hans Benedikters Stärke ist es, dass er die Freiheit und Unabhängigkeit besitzt, seinen Gegenübern schonungslos den Spiegel vor die Augen zu halten.
 „Ich hänge mit schmerzlicher Liebe an unserem Land“, sagt Hans Benedikter kurz vor seiner Abreise an seinen Zweitwohnsitz auf Rügen. Um dann einen seiner typisch bissigen Sätze anzufügen: „Es hätte in vieler Hinsicht etwas Besseres verdient. Vor allem eine Führung mit Rückgrat und einer Identität bewahrenden Haltung.
Hans Benedikters ist ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert. In seiner Art, seinen Umgangsformen, seiner Sprache. Er ist für viele Mächtige in diesem Land ein Art schlechtes Gewissen. 
Wirklich gefährlich wird es erst, wenn es einmal nicht mehr da ist. 
Hans Benedikter ist zum Glück aber noch da.