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Weltumseglung als Nebenprodukt

Vor 500 Jahren starb Magellan, als er bereits drei Viertel der Erde umrundet hatte. Tragisch für den Kapitän, für seine Auftraggeber kaum mehr als ein Kollateralschaden.
Abraham Ortelius
Foto: Abraham Ortelius

Es ging längst nicht mehr darum, ob die Erde eine Kugel war oder eine Scheibe. Letzteres hatte selbst im angeblich so finsteren und fortschrittsfeindlichen Mittelalter niemand mehr so recht geglaubt. Dass die Erde nicht flach war, war für alle Seefahrer bereits früh eine ausgemachte Sache. Wie auch für diejenigen, die ihnen vom Land aus zuschauten: Die Betrachter verloren beim Auslaufen zunächst den Schiffsrumpf aus den Augen, während die Segel noch gut zu erkennen waren. Als letztes verschwand die Mastspitze. Kehrte ein Schiff heim, erspähten Hafenbehörden oder Beobachter von Land aus zuerst die Mastspitze, dann tauchten die Segel auf, zuletzt war der Rumpf zu sehen. Wie sonst ließe sich dieses Phänomen erklären, wenn nicht mit der Kugelgestalt der Erde? Zumal es für das Erscheinungsbild keine Rolle spielte, in welche Richtung die Schiffe davonsegelten und aus welcher Richtung sie zurückkamen. 

 

Nur der praktische Beweis für die Kugelform ließ noch auf sich warten. Selbst nachdem er dann endlich erbracht wurde, war die Ableitung eher dem Zufall denn einem wissenschaftlichen Prinzip zu verdanken. Am 10. August 1519 war Fernão de Magalhães keineswegs losgesegelt, um gefälligst die Welt zu umrunden. Mit fünf Schiffen und 250 Mann Besatzung stach der portugiesische Kapitän in spanischen Diensten – weshalb er meist Magellan genannt wurde – vom andalusischen Sanlúcar de Barrameda aus in See. Magellan hatte primär den Auftrag, einen westlichen Weg zu den Molukken zu erkunden. Auf der Inselgruppe im Pazifik gediehen seltene, dafür umso gefragtere Gewürze wie etwa Nelken, mit denen sich auf Europas Märkten märchenhafte Gewinne erzielen ließen. 
Wäre da nicht ein Handelshemmnis gewesen: Im Vertrag von Tordesillas 1494 hatten Spanier und Portugiesen gemeinsam die Welt unter sich aufgeteilt. Die Demarkationslinie war damals noch eine imaginäre: zunächst die Fortsetzung jenes Meridians westlich der Kapverdischen Inseln, vor der Küste Afrikas, zum Nord- und zum Südpol und weiter bis zum sogenannten Antimeridian auf der anderen Hälfte der Erdkugel. Alles, was sich westlich dieser Linie befand (bekanntes und noch zu entdeckendes Land), sollte an Spanien, alles östlich gelegene an Portugal fallen. Im Idealfall würde Magellan also den Beweis erbringen, dass die Molukken zur spanischen Westhälfte gehörten. Nur dies und die daraus abzuleitenden ökonomischen Ansprüche interessierte die casa de contratación, eine königliche Behörde, die sämtliche Expeditionen zusammenstellte und dafür sorgte, dass zwanzig Prozent aller in Übersee erwirtschafteten Einnahmen ins Staatssäckel wanderten.

Dass die Erde nicht flach war, war für alle Seefahrer bereits früh eine ausgemachte Sache.

Bereits im Dezember hatte Magellans Flotte Rio de Janeiro und einen Monat später die Mündung des Río de la Plata erreicht. Im patagonischen Winter verließ die Entdecker das Glück. Zu lange, fast ein dreiviertel Jahr, dauerte die Suche nach der Passage um Südamerika herum. Teile der Mannschaft meuterten, die Rädelsführer wurden exekutiert. Das unbekannte Meer, in das die Spanier schließlich einfuhren, wurde mar pacífico getauft - das friedliche. Ruhig war es. Doch gab es auch keine Inseln, auf denen sich die Vorräte auffrischen ließen. Die Verluste stiegen. Wenigstens stimmte nach der monatelangen Irrfahrt die Richtung: Es ging immer nach Westen.
Nur achtzehn Seeleute, nicht einmal ein Zehntel der ursprünglichen Mannschaft, waren es schließlich, die drei Jahre später auf dem letzten verbliebenen Schiff in den Heimathafen Sanlúcar einliefen. Der Kapitän befand sich nicht mehr unter ihnen. Auf der Philippineninsel Mactan war er einer Lanze zum Opfer gefallen, die ein in seiner Ruhe gestörter Einheimischer treffsicher im ungeschützten Bereich zwischen gepanzertem Rumpf und behelmtem Kopf des Kapitäns platziert hatte. Dennoch ging Magellan, als erster Weltumsegler in die Geschichtsbücher ein, hatte er doch beinahe drei Viertel des Globus umrundet.
Vollendet hat das von ihm begonnene Werk ein Untergebener. Nach dem tragischen Ende des Befehlshabers, am 27. April vor fünfhundert Jahren, übernahm Juan Sebastián Elcano, ein gebürtiger Baske, das Kommando. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Flottenverband noch aus zwei Schiffen. Zur Sicherheit trennten sich die Fahrzeuge. Während die Trinidád unterwegs gekapert wurde - ausgerechnet von Portugiesen, die den Spaniern den Triumph nicht gönnten - schaffte die Victoria die erfolgreiche Rückkehr. Elcano gelang es sogar, von den Molukkeninseln eine Ladung der in Europa so begehrten Gewürze mitzunehmen. 

In Palos de la Frontera eingetroffen, muss er sich vorgekommen sein wie Odysseus in der griechischen Sage...

Der Verlust von vier Schiffen war durch die wertvolle Gewürzladung halbwegs gedeckt. Ein dankbarer Kaiser Karl V. erhob Elcano in den Adelsstand und vermachte ihm ein Wappen mit der Inschrift primus circumdedisti me, auf Deutsch: "Als erster hast du mich umfahren." Das las sich gut, mehrte das Prestige von Kapitän und Monarch und lenkte von den vielen auch unnötigen Opfern ab, die das Unternehmen gekostet hatte. Für die spanische Krone waren die auf der Weltumseglung gemachten Entdeckungen vor allem ein Wechsel auf die Zukunft (der nicht eingelöst wurde, da Briten und Niederländer, mit besserer Organisation und weniger verschwenderisch veranlagten Herrschern gesegnet, den Spaniern nicht nur im Gewürzhandel bald den Rang abliefen).  
Außer Elcanos Mannschaft auf der Victoria hatten noch einmal so viele ursprünglich in See Gestochene das Abenteuer überstanden. Auf verschiedenen Wegen trafen sie in Spanien ein: nach einem Gefangenenaustausch mit Portugal, als blinde Passagiere oder indem sie auf weiteren Schiffen anheuerten. Der letzte aus ihrer Schar war Ginés de Mafra. Nach acht Jahren Abwesenheit kehrte der als einfacher Matrose Angeheuerte Anfang 1527 in sein andalusisches Dorf zurück. In Palos de la Frontera eingetroffen, muss er sich vorgekommen sein wie Odysseus in der griechischen Sage: Seine Frau hatte in der Überzeugung, ihr Ginés sei tot, das gemeinsame Haus verkauft und sich einen neuen Gatten zugelegt. Der gehörnte Ehemann zog vor Gericht. Wie das Verfahren ausging, ist nicht bekannt. Doch stach Ginés de Mafra bald wieder in See, erreichte Mexiko, später die Philippinen und brachte seine Abenteuer zu Papier. Der Uruguayer Napoleón Baccino verarbeitete sie in seinem 1990 verfassten und zwei Jahre später auch auf Deutsch verlegten Seefahrerroman Die traurige Freiheit der Meere

 

Bei Ginés deprimierender Heimkehr war Elcano bereits tot. Die nächste große Fahrt - es ging zu den Molukken, diesmal auf direktem Weg ums Kap der Guten Hoffnung herum - bedeutete seine letzte. Elcano, der als erster Schiffsführer eine Weltumseglung überlebte, starb am 4. August 1526. Die Strapazen in den Tropen und die körperliche Auszehrung durch die Vitaminmangelkrankheit Skorbut waren zu viel für ihn gewesen. 
Lange vor Baccino hatte Stefan Zweig den ersten Erdumrundlern ein literarisches Denkmal gesetzt. Magellan und seine Tat, eine Mischung aus Roman und Tatsachenbericht, erschien 1938 in Wien und ist heute noch lesbar. Wer sich an die Fakten halten will und dennoch nicht auf eine spannende Lektüre verzichten will, ist bei Jostmann (der auch schon mal ein Südtirolbuch verfasst hat, über seine Wanderung von München nach Rom übers Rittner Horn) bestens aufgehoben. Sein Magellan oder die erste Umsegelung der Erde (C. H. Beck, München 2019) muss sich, was das Erzählerische betrifft, kaum hinter Zweig verstecken. Vor allem aber hat Jostmann sich an die Quellen gehalten – nicht nur, wie Zweig, an den historischen Bericht des in Vicenza geborenen Antonio Pigafetta, der zu den ersten achtzehn Rückkehren zählte – und diese kritisch hinterfragt. Indem er die seefahrerische Leistung würdigt, aber auch ihre Motive und Hintergründe ins rechte Licht rückt, ist dem Autor eines der besten Sachbücher gelungen, die über die heranbrechende Neuzeit verfasst wurden.