Conte e Juncker
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Politica | Versöhnung mit EU?

Italiens sanfte Töne in Brüssel

Rom hat seine Attacken auf die EU offenbar beendet. Und sich für einen versöhnlichen Kurs in Brüssel entschieden.

Ist es eine unerwartete Wende? Oder nur ein strategischer Schachzug? Matteo Salvini und Luigi Di Maio haben die Begegnung des italienischen Regierungschefs Giuseppe Conte mit dem Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker zu einer überraschenden Öffnung gegenüber der EU genutzt: "Nessuno si attacca al 2,4 %, non è un problema di decimali... può essere anche il 2,2 per cento". Conte, der gepflegten Umgang schätzt, hatte darauf bestanden, ohne seine streitbaren Stellvertreter nach Brüssel zu reisen.

War die tiefe Abneigung und harte Haltung gegenüber Europa bisher der wichtigste Kitt im Verhältnis zwischen Lega und M5S, so scheint sich nun mehr Pragmatismus durchzusetzen. Das Ergebnis: die Börse stieg um drei Prozent an und der spread sank mit 280 Punkten auf den tiefsten Stand seit zwei Monaten. Der Waffenstillstand mit Brüssel verschafft den beiden Regierungsparteien etwas Luft, nachdem sie sich zunehmend ins Abseits manövriert hatten. Italiens politische Beobachter beurteilen die Situation der Regierung unterschiedlich, sind sich aber in einem Punkt einig: mit ihrem harten Kurs und ihren täglichen Attacken gegen die EU und die politischen Gegner geht der Regierung bereits vor dem Ende der Legislatur die Luft aus.
 
Denn Italiens wirtschaftliche Eckdaten sind bedrohlich: das Land verzeichnet ein Null-Wachstum, der Konsum geht zurück und die Exporte sinken, die Wachstumsprognose von 1.5 Prozent für das kommende Jahr muss revidiert werden. Nach Überzeugung vieler Ökonomen dürfte es kaum mehr als 0.4 Prozent betragen. Italien ist damit nur noch einen Schritt von der Rezession entfernt.
 
Die Kredite an Unternehmen sind in diesem Jahr um 18 Milliarden gesunken, 20.000 Geschäfte haben geschlossen. Zehntausende junger Akademiker sind gezwungen, ihrem Land auf der Suche nach qualifizierten Arbeitsplätzen den Rücken zu kehren.
Die beiden Regierungsparteien sehen sich nunmehr gezwungen, ihre grosspurigen Ankündigungen zu revidieren. Die flat-tax musste ebenso verschoben werden wie das bedingungslose Grundeinkommen und die Reform der Fornero-Pensionsregelung.
 
Beide sind mit dem Staatshaushalt kaum vereinbar. Ausländische Investitoren haben seit Jahresbeginn 44 Milliarden an Kapital aus Italien abgezogen. Das Vertrauen der Italiener in die Schatzscheine sinkt ebenso wie Handelsbilanz. Statt der erhofften 7,7  beschänkte sich die Nachfrage auf 2,2 Milliarden. Unternehmer und Handwerkerverband wollen ihrer Irritation nun mit drei Kundgebungen in Mailand, Turin und Verona Ausdruck verleihen. Der Präsident des Südtiroler Industriellenverbandes, Federico Giudceandrea, im Corriere della sera: "Gli imprenditori dopo aver pazientato si rendono conto che non c'è alternativa alla mobilitazione. L'unico modo per farci sentire."
 
Besonders in der Fünf-Sterne-Bewegung brodelt es. Die Dissidenten gefährden die ohnedies knappe Mehrheit im Senat, der permanente Stimmenschwund sorgt für Besorgnis. Am Wochenende verlor die Bewegung die Gemeindewahl in der sizilianischen Mafia-Hochburg Corleone. In der Provinzhauptstadt Avellino dagegen wurde ihr Bürgermeister nach nur fünf Monaten mit einem Misstrauensvotum abgewählt. Nun will die Bewegung alles unternehmen, um die Regionalwahl in Sardinien zu gewinnen. Dieselbe Absicht verfolgt freilich auch Lega-Chef Salvini, der am Wochenende bereits Wahlkundgebungen in Olbia, Nuoro, Tortolí und Cagliari abgehalten hat. Am Montag war er freilich in Rom rechtzeitig zur Stelle, um jenen Bagger zu besteigen, der die letzte illegale Villa des Casamonica-Clans in einen Schutthaufen verwandelte. The show must go on.