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Zwischen den Schichten der Zwiebel

In der Fortsetzung des Netflix-Hits „Knives Out“ präsentiert Regisseur Rian Johnson einen neuen Fall „seines“ Hercule Poirot.
Glass Onion
Foto: Netflix

Auf dem 1968 veröffentlichten „White Album“ der Beatles findet sich das Lied „Glass Onion“. Darin macht sich John Lennon über die vielen Interpretationen lustig, die Fans und Fachwelt in den Jahren zuvor über die Songs der Band äußerten. Etwa wer das Walross in „I am the Walrus“ ist, oder was es mit den „Strawberry Fields“ auf sich hat. Die vermeintliche Tiefe der Beatles-Texte zu begreifen, war Ziel zahlreicher Bemühungen, und die Lyrics von „Glass Onion“, die sich mit diesen Bemühungen auseinandersetzen, bilden im selben Moment nur ein weiteres Puzzlestück, bleibt ähnlich kryptisch. Eben wie eine Zwiebel, die mehrere Schichten aufweist, doch gläsern und durchlässig scheint. Auch das ist nur der eigene, kümmerliche Versuch, den Titel des Liedes zu deuten. Der US-Filmemacher Rian Johnson sah sich jedenfalls inspiriert und nahm die Idee des Songs zum Vorbild für seine „Knives Out“-Fortsetzung. Der erste Teil erschien 2019, und führte die Figur des Detektivs Benoit Blanc, gespielt von Daniel Craig, ein. Johnsons Bestreben ist es nicht nur, altmodisch anmutende Kriminalgeschichten Marke Agatha Christie zu erzählen, es scheint ihm auch wichtig, eine ikonische Figur zu etablieren. Das ist ein Anspruch, der sicherlich hoch und kaum planbar ist, Johnson gibt sich aber einige Mühe, und möchte allein durch die Masse von Benoit Blancs Auftritten, für Gewohnheit sorgen. Gewohnheit, dass der moderne, etwas schrullige Meisterdetektiv immer wieder auf unseren Bildschirmen und den Kinoleinwänden auftritt, nur eben stets in neuen Fällen, die sich außer dem Protagonisten, und der „Whodunit?“-Prämisse nichts teilen.
 

Eine Art Krimi-Dinner soll es sein, ein fiktiver Mordfall soll aufgeklärt werden. Dass es bei dem fiktiven nicht bleibt, liegt auf der Hand.


Es geht Rian Johnson also darum, einen klassischen Kriminalfall zu präsentieren. Einen, bei dem gemordet, geraubt und betrogen wird. Einen, bei dem nach und nach Details ans Licht kommen, sodass das Publikum stets auf demselben Stand ist, wie der Detektiv. Dass das natürlich vermessen ist, sollte jedem klar sein, der sich einmal in eine Geschichte von Christie verirrte. Denn selbst wenn man denkt, der Lösung auf der Spur zu sein, sind Hercule Poirot oder Miss Marple der Leserschaft schon meilenweit voraus, mehr noch, sie erahnen bereits die überraschende Wendung, die dem scheinbar Schuldigen die Schuld von den Schultern nimmt, und sie einem anderen aufbürdet.

 


Während die Geschichte des ersten Teils, oder sagen wir, des ersten Falls, ganz klassisch in und um ein altes Herrenhaus stattfand, folgt nun ein radikaler Kulissenwechsel hin auf die griechische Insel. Benoit Blanc erhält eine Einladung, einen Auftrag sozusagen. Er soll auf die Insel eines Tech-Milliardärs, der einige alte Freunde eingeladen hat, um mit ihnen ein Spiel zu spielen. Eine Art Krimi-Dinner soll es sein, ein fiktiver Mordfall soll aufgeklärt werden. Dass es bei dem fiktiven nicht bleibt, liegt auf der Hand. Es wahrer Mord geschieht, wer davon betroffen ist, soll aber nicht verraten werden. Das Unvorhersehbare des Films macht seinen Reiz aus, überhaupt scheint es Rian Johnson weniger darum zu gehen, WER am Ende als Täter enthüllt wird, sondern WIE der Täter vorgegangen ist. Und nicht nur der Täter, sondern das gesamte Figurenpersonal. Auch das eint Johnson mit Christie, deren verschachtelte, oftmals an der Grenze zur Unlösbarkeit wandelnde Fälle vor allem aufgrund der Abfolge ihrer Ereignissen interessant sind. Wie wurde etwas gemacht, vertuscht, geplant, ausgeführt.

 


„Glass Onion“ arbeitet sich an exemplarischen Figuren ab. Die sind mehr Klischees bekannter Stereotype, denn wahrhaftige Menschen. Der Milliardär etwa ist eine recht unverhüllte Persiflage von Elon Musk, genauso werden Macho-Influencer oder Beauty-Queens durch den Kakao gezogen. Das Ensemble unterhält gut, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Charaktere flach und uninteressant bleiben. Immerhin bekommt Musk sein Fett weg, und das ist in jedem Fall lobenswert.
 

In Bezug auf seinen Detektiv zeigt der Film, dass es zur Ikone mehr braucht, als zwei gut konstruierte Kriminalfälle.


Johnson schafft es, bis zum Finale zu unterhalten, falsche Fährten zu legen und das Publikum geschickt zu täuschen. Das Ende selbst ist allzu gefällig und der Regisseur macht es sich und seinen Figuren in der Auflösung zu leicht. Etwas mehr Mut zur Konsequenz wäre hier wünschenswert gewesen. Der Blick durch die verschiedenen Schichten der Zwiebel unterhält und ist zeitweise originell, doch allzu gläsern und deshalb durchsichtig, und mit dem der Zwiebel typischen Nachgeschmack verbunden, der nach verschwendetem Potenzial riecht. In Bezug auf seinen Detektiv zeigt der Film, dass es zur Ikone mehr braucht, als zwei gut konstruierte Kriminalfälle. Die Zukunft wird weitere Fortsetzungen, und Klarheit bringen.

 

The Beatles - Glass Onion (2018 Mix), / Quelle: TheBeatlesVEVO