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Das Ei aus Rungg

Die TC-Rungg-Affäre hat nachhaltige Auswirkungen. Die Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller erinnert in einem Rechtsgutachten die Zuständigen an die Gesetzeslage.
Daniela Höller
Foto: LPA/Michele Bolognini
Das Schreiben hat eine sperrigen Betreff: „Rechtsgutachten über die Anwendung des GvD Nr. 39 vom 04.03.2014 und der EU-Richtlinie Nr. 93/2011/Parere giuridico sull'applicazione del decreto legislativo n. 39 del 04/03/2014 e della direttiva UE n. 93/2011“.
Hinter dieser Bezeichnung steht eine Lawine. Losgetreten vom Tennisclub Rungg und der Affäre um den Tennislehrer Massimo Bertolini, die Salto.bz vor drei Wochen enthüllt hat. Die Gemeinde Eppan, Besitzerin der Rungger Tennisanlage, hat umgehend reagiert und persönliche Konsequenten eingefordert. Diese wurden vom Verein schweren Herzens – wie aus den internen Rundschreiben hervorgeht – auch umgesetzt. Massimo Bertolini musste den Verein verlassen und der Kopf und Macher Manuel Gasbarri musste die Leitung der Tennisschule abgeben.  
Dass der Skandal aber dennoch nachhaltige Auswirkungen auf die gesamte Südtiroler Sportwelt hat, geht aus dem Schreiben mit dem sperrigen Titel hervor.

Das Gutachten

 
Adressiert ist das Schreiben, das Ende vergangener Woche zugestellt wurde, an den Präsidenten des Verbandes der Sportvereine Südtirols (VSS) Günther Andergassen, an den Präsidenten der Unione Società Sportive Altoatesine (USSA) Carlo Bosin, sowie an den Präsidenten des Comitato Olimpico Nazionale Italiano (CONI) Südtirol Heinz Gutweniger.
Zudem ging die Mail zur Kenntnisnahme an den Landeshauptmann und Landesrat für Sport Arno Kompatscher, an den Direktor des Ressorts Europa, Sport, Innovation und Forschung Ulrich Stofner, an den Direktor des Amtes für Sport Armin Hölzl, an den Bürgermeister der Gemeinde Eppan Wilfried Trettl, an den Vizebürgermeister und Sportassessor der Gemeinde Eppan Massimo Cleva, und an den Präsidenten des TC Rungg Karl Stuefer.
 
 
Der Absender ist jene Institution, die von Amts wegen für den Schutz und die Verteidigung der Kinder- und Jugendrechte zuständig ist: Daniela Höller, die Südtiroler Kinder- und Jugendanwältin.
Der jüngste Vorfall rund um einen Sportverein in Eppan ist der Anlass für das vorliegende Rechtsgutachten, welches ich zwecks Präventionsarbeit von Amts wegen verfasst habe“, schreibt Daniela Höller gleich zu Beginn des Briefes. Was dann in dem dreiseitigen Schreiben folgt, ist eine juridische Bestandsaufnahme der Bestimmungen, die zum Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht nur im Bereich des Sports gelten.
Dann, wenn Kinder und Jugendliche in Bedrängnis sind, zeigt sich, ob sich eine Gesellschaft ihrer wirklich würdig erweist“, schreibt Daniela Höller am Ende des Gutachtens durchaus sinnig.
 

Die Gesetzeslage

 
Die Kinder- und Jugendanwältin legt in dem Rechtsgutachten die geltende Gesetzeslage noch einmal detailliert da.
2011 wurde die EU-Richtlinie Nr. 93 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie erlassen. Diese Richtlinie besagt, dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass Arbeitgeber bei der Einstellung einer Person für berufliche oder organisierte freiwillige Tätigkeiten, bei denen es zu direkten und regelmäßigen Kontakten mit Kindern und Jugendlichen kommt, das Recht haben, gemäß dem nationalen Recht, Informationen über im Strafregister eingetragene bestehende Verurteilungen wegen Sexualstraftaten oder über - aufgrund solcher Verurteilungen - bestehende Verbote der Ausübung bestimmter Berufe und von Tätigkeiten, bei denen es zu direkten und regelmäßigen Kontakten mit Minderjährigen kommt, anzufordern. 
 
 
Der Begriff Arbeitgeber schließt dabei auch Personen ein, die eine Organisation betreiben, die mit Freiwilligentätigkeit im Zusammenhang mit der Betreuung und/oder Pflege von Kindern und Jugendlichen betraut ist, bei der es zu direkten und regelmäßigen Kontakten mit Minderjährigen kommt. Damit gilt die EU-Richtlinie auch für Vereine.
Italien hat diese Vorgaben drei Jahre später in einem Gesetzesdekret (GvD Nr. 39 vom 04.03.2014) umgesetzt. Dort wird festgelegt, dass der Arbeitgeber immer dann einen Strafregisterauszug einholen muss, wenn er eine Person für eine Berufstätigkeit oder eine organisierte freiwillige Tätigkeit einsetzt, die direkte und regelmäßige Kontakte mit Minderjährigen mit sich bringt („attività professionali o attivitá volontarie organizzate che comportino contatti diretti e regolari con minori“). 
Dabei geht es vor allem darum, abzuklären ob jemand in Vergangenheit für Straftaten nach den Art. 600-bis („prostituzione minorile“), 600-ter („pornografia minorile“), 600-quater („detenzione di materiale pornografico“), 600-quinquies („iniziative turistiche volte allo sfruttamento della prostituzione minorile“) und 609-undecies („adescamento di minorenni“) des Strafgesetzbuches, oder zur Nebenstrafe des Verbotes der Ausübung von Tätigkeiten, die einen direkten und regelmäßigen Kontakt zu Minderjährigen mit sich bringen, verurteilt worden ist. 
Ein derartiges Verhalten ist auch gesellschaftlich inakzeptabel. Auch wer wegschaut und schweigt, ist Teil des Systems.
Daniela Höller
Jugendanwältin Daniela Höller kommt im Gutachten zu einem eindeutigen Schluss: „Alle Sportvereine, deren Mitarbeiter in direkten Kontakt mit Minderjährigen treten, müssen also vor Einstellung eines Mitarbeiters dessen Strafregisterauszug einholen und sichten.
Bei Nichtbeachtung dieser  Verpflichtung sind Verwaltungsstrafen in Höhe von 10.000 bis 15.000 Euro vorgesehen. 
Daniele Höller nimmt sich in ihrem Scheiben an die obersten Sportverantwortlichen Südtirols dabei kein Blatt vor den Mund: „Ein derartiges Verhalten ist auch gesellschaftlich inakzeptabel. Auch wer wegschaut und schweigt, ist Teil des Systems.“

Die Praxis

 
Dieser Wink der Jugendanwältin mit dem Zaunpfahl wird nicht nur den Verantwortlichen des TC Rungg bitter aufstoßen. Denn die Theorie und die gesetzlichen Bestimmungen sind eines, die Südtiroler Praxis aber etwas anderes.
 
 
Der jetzt zurückgetretene Manuel Gasbarri wurde im Jahr 2018 vom VSS zum Trainer des Jahres gewählt. Dabei waren bereits damals in der Südtirol Tennis- und Sportwelt die Gerüchte und Spekulationen um die Vorstrafen von Massimo Bertolini weit verbreitet. Auch beim Verband der Sportvereine hat sich aber niemand die Mühe gemacht, hier genauer nachzuschauen. Dabei hätte eine einfache Internetrecherche genügt, um Bertolinis Vergangenheit und Vorgeschichte zu erfahren.
Vor allem aber werden auch in Südtirol die Bestimmungen viel laxer angewandt, als es das Gesetz eigentlich vorschreibt. 2014/15 mussten alle Vereine die neuen Bestimmungen umsetzen. Viele klagten bereits damals über die Kosten und die Mehrarbeit. Im Laufe der Jahre ist man deshalb bei vielen Sportvereinen dazu übergegangen diese Bestimmungen einfach zu „vergessen“. Weil die Verbände – auch die gesamtstaatlichen - hier wegschauen und nicht kontrollieren, hat sich in diesem Bereich eine Art geduldeter Schlendrian eingeschlichen.
Nur so war es möglich, dass der Veroneser Tennislehrer trotz rechtkräftiger Verurteilung seelenruhig drei Jahre lang in Rungg trainieren und als offizieller Kapitän der U-16-Mädchenmannschaft in der Öffentlichkeit auftreten konnte.
Nach diesem Rechtsgutachten von Daniela Höller wird sich in Südtirols Sportwelt jetzt einiges ändern müssen.