Cultura | Salto Afternoon

Teilhabe erwünscht

Kunst Meran hat vor Kurzem seine Ausstellung für den Sommer eröffnet. Das Besondere: „Together. Interact - Interplay - Interfere“ braucht das Publikum um zu leben.
TOGETHER
Foto: Ivo Corrà
Was eingangs politisch wirkt, entpuppt sich größtenteils als eine vielschichtige Feelgood-Schau. Direkt am Eingang befindet sich ein Wandbild von Tania Bruguera mit einem europäischen Sternenkreis der Stacheldraht umfasst, der der Satz „The poor treatment of migrants today will be our dishonour tomorrow“ anhängt. Der Großteil der Ausstellung vermeidet es zu moralisieren, löst lieber Emotionen aus. Die meisten der Werke unterhalten und viele laden dazu ein, Teil eines Gesamtkunstwerks zu werden.
Erinnern Sie sich an das Spiel Twister? Jivan Fensters Arbeit „studies of an opportunity“ funktioniert an der Oberfläche wie das Partyspiel, eine Stimme aus den Lautsprechern gibt Anweisungen auf welchen Farbpunkt des großen Spielfelds welcher Arm oder welches Bein bewegt werden soll; Scannt man allerdings den QR-Code an der Wand, so tun sich einem zwei Möglichkeiten auf, denn man wird gebeten entweder am Spiel teilzunehmen, oder ein Foto des (vielleicht auch leeren) Spielfeldes zu machen. Durch die Aufteilung in Akteure und Betrachter wird aus dem Spiel eine Studie, eine Datenbank von Bildern entsteht und wir als Betrachter/Akteure werden uns unbewusst fortlaufend propagierter Verhaltensmuster bewusst, die unseren Alltag prägen.
 
 
Vom Spielfeld aus einsehbar eine Wandmalerei von Hannes Egger, der mit einfachen, schwarzmonochromen, comichaften  Figuren verschiedene Formen von Zusammen abbildet: Funktionale und disfunktionale, bzw. problematische. Faschismus und Mobbing, Tanzen und Zweisamkeit. Auf der anderen Seite ein Mobile von Handskulpturen Isabell Kamps mit dem sprechenden Titel „Every time I reach for you I grab space instead“, welches sich dreht, seine Bestandteile jedoch in konstantem Abstand zueinander hält.
Vorbei an Hannes „Different Forms of Togetherness“ geht es in einen gestalterisch sehr aufgeregten Raum, der mittig von weiteren Skulpturen Kamps, an den Wänden von vier verschiedenen Fotoarbeiten und  von einer Videodokumentation einer Performance von Marina Abramović und ihrem damaligen Partner Ulay, epochengerecht im Röhrenfernseher, welche die beiden erst aneinander vorbeigehen, einander nach und nach streifen und mit zunehmender Heftigkeit zusammenstoßen; mit Blick auf ihre Trennung ’88 eine prophetische Geste. In den Bildern an den Wänden stehen einander  Fotographien gegenüber das Thema Familie, thematisieren. Auf der einen Seite die leicht kitschigen Bilder von Karin Schmuck, welche drei Mutter-Kind Konstellationen dem Publikum so präsentiert, dass der Hinterkopf des Kindes das Gesicht der Mutter verdeckt, auf der anderen Seite ein viel zitiertes und bemühtes Fotokunstwerk von der italienisch brasilianischen Künstlerin Anna Maria Maiolino „Por um fio“, auf  dem sie drei Generationen durch den „Faden“ Pasta verbindet. An den übrigen beiden Wänden ebenfalls Fotographien, durch die sich die Ausstellung LGBTQ-freundlich zeigt: Ein großer Videostill mit einem Gruppenbild und auf der Gegenseite intimere Aufnahmen schwuler Paare unter der Bettdecke, beide sehr harmonisch. Im Stockwerk darüber Tischtennis-Tische mit dem adaptierten Schriftzug: Einer auf deutsch, der andere auf italienisch übersetzt. Rirkrit Tiravanija will von den Spielern eines wissen: „Tomorrow is the Question“ Eine Einladung zum gemeinsamen Spiel, oder aber zum Wettkampf in Konkurrenz.
 
 
In den Verbindungs-Räumen ein Parcour aus zwei Videoarbeiten und zwei räumlichen Installationen, jede in einem kleinen Raum für sich. Man interessiert sich dabei für Gesten mit hohem metaphorischem Gehalt: Da sind die Videoarbeiten in welchen einmal, bei Francis Alÿs der Versuch eine Düne von 500 Freiwilligen um einige Zentimeter verschieben zu lassen („When Faith Moves Mountains“, 2002), und zweitens mehrheitlich weißen Studenten der Funk als Tanz und dessen kulturelle Bedeutung für die African American Community beigebracht wird („Funk Lessons“, 1983). In beiden Fällen entsteht ein starkes, verbindendes Gemeinschaftsgefühl. Räumlich ausgearbeitet die Arbeit von Norma Jane einem oder einer Künstler:innen Kollektiv oder Einzelperson, welche anonym unter dem bürgerlichen Namen von Marilyn Monroe arbeiten. Beim Kunstwerk handelt es sich um einen großen Kubus aus Knetmasse in den Farben der Pride Fahne, in dessen Inneren eine Hetero Flagge (horizontal schwarz-weiß gestreift) umhüllt ist. Dem Publikum steht es frei die Knetmasse zu formen, zu beschreiben oder auf ihr zu zeichnen. Die letzte Arbeit der Vierergruppe ist ein Verweis auf vergangene Aktionskunst, welche im Zuge der Ausstellung reaktiviert werden soll: Manche erinnern sich vielleicht noch an die in den 80er Jahren auf der Brunnenburg umgesetzte Eat-Art Aktion mit „Zehn Suppenrezepten“ von Daniel Spoerri. Drei Zeitzeugen können dazu gehört werden, Geschirr und Tischdecken, sowie die Rezepte verweisen ebenfalls auf den Abend.
Es folgen auf dem Weg in die oberste Etage zwei Arbeiten, die nachdenklich stimmen: Das Künstlerkollektiv SPIT hat Beschimpfungen für die LGBTQ Szene gesammelt und das vielleicht direkteste Medium gewählt, diese dem Publikum begreifbar zu machen: Ein Blick in die Kamera und die Aufzählung. Eine sehr direkte Arbeit, die über Kopfhörer spielt. Im Zwischenstock eine Videoprojektion an die Dachschräge in welcher fünf Personen eine schwere Decke aufrecht erhalten müssen. Von unten gefilmt wird „Die kollektive Last“ spürbar, denn eine Gemeinschaftserfahrung kann auch in Form von Kollektivschuld spürbar werden. Christian Nicolli fängt diesen Druck in bedrückendem, dunklem Schwarz-Weiß ein, der in starkem Kontrast zur Sonnen- und hitzedurchfluteten obersten Etage steht.
 
 
Hier Hannes Eggers zweite Intervention in der Ausstellung: Ein Fragebogen an den Wänden, der naturgemäß vom Publikum beantwortet wird. Vorab zu verraten, welche Fragen gestellt werden, wäre ein Frevel, Stifte und Antworten finden sich vor Ort. Die Ausstellung „endet“ mit Yoko Ono und zwei Kollektivarbeiten deren Verbindungsglied Pflanzen sind. Die OfficinaDiDue macht mit „Seed bombing“ einen ökologischen Vorschlag: Pappel-Samen zum mitnehmen, welche das Publikum selbst ausbringen kann, da sich die friedliche Aktion mit kriegerischem Namen in besonderer Weise eignet um CO2 zu binden. Ebenso dem Frieden verpflichtet die Daueraktion Yoko Onos: „Wish Tree“ besteht aus Olivenbaum, Wunschzetteln und Bleistiften. Mehr als eine Million Menschen ist seit 1996 der Einladung Onos gefolgt, die zustande gekommenen Wünsche werden im Imagine Peace Tower in Island gesammelt, einem John Lenon gewidmeten Memorial. Der letzte Ausstellungsort ist die Terrassen welche von einem Superkollektiv von mehr als 40 Künstlern zu einem Begegnungsort mit Pflanzen und Sitzgelegenheiten gestaltet wurde. Der „Orto volante“ nimmt dabei in der Ausstellung nur seinen Ausgang und wird nach der Finissage  am 25. September weiterziehen.
 
 
Kunst Meran schlägt in diesem Sommer auf vielen Ebenen vor, Teilhabe an der Kunst zu praktizieren. Bei einem Besuch vorab lässt sich das nur erahnen. Es dürfte spannend sein, die Ausstellung noch einmal kurz vor Ende zu besuchen, um auf Spurensuche zu gehen, wie dieses Angebot angenommen wird.