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Was ist schon normal?

Vom Aufwachsen in der Psychiatrie, basierend auf den Memoiren des Schauspielers und Tumler-Preis-Trägers Joachim Meyerhoffs erzählt Sonja Heiss nostalgie- und gefühlvoll.
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Foto: Warner Bros. DE
Sieht man genauer hin, so ist „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ein Werk das aus einem größeren Kontext greift und mehr autofiktionale als biografische Züge aufweist. Der Titel, ohne Fragezeichen, beantwortet sich im linear fortschreitenden Film mit einem melancholischen „wohl nie“ oder „nur ganz kurz“. In einer sechsteiligen Reihe von Theaterstücken unter dem Übertitel „Alle Toten fliegen hoch“ näherte sich Meyerhoff dem eigenen Leben bereits 2007 bis 2009 an, ab 2011 in Buchform. Für „Amerika“,  den ersten der bislang fünf Teile des im KiWi-Verlag erschienen Literaturprojekts erhielt der Autor dann auch den Franz-Tumler-Literaturpreis, seine erste Nominierung und Prämierung im neuen Feld (siehe Verlinkung am Ende des Artikels).
Nun also eine weitere Adaption des Stoffes von Regisseurin Sonja Heiss, in Form einer Tragikomödie in drei Kapiteln: Kindheit („Josse“ spielt hier Camille Loup Moltzen), Teenager (Arsseni Bultmann) und Erwachsen (Merlin Rose). Es entsteht ein Werk aus einem Guss, was für das Genre selbst schon keine Selbstverständlichkeit ist, die Stimmungsschwankungen des Films sind Teil des Konzepts und gut aufeinander abgestimmt, das Tragische wird mit dem Komischen aufgewogen und umgekehrt. Wir beginnen im Jahr ’74, mit Bildern einer unbeschwerten Kindheit, mit Kind und Hund, die für „einen Bauchnabel voll“ lang (gemeint ist jener des Psychiatriedirektors Richard Meyerhoff, Joachims Vater, gespielt von Devid Striesow) im Schleswig-Holsteinschen Meer tauchen dürfen. Bereits hier zeigt sich, dass neben den schauspielerischen Leistungen auch stark auf Musik als emotionales Trägermedium gesetzt wird, mit Erfolg. Ein weiteres Hilfsmittel sind Lichtwechsel, die mal augenscheinlich und ironisiert, mal subtil auf die Stimmung der Figuren zurückstrahlen.
Dem Idyll des Strandurlaubs wird gleich eine Familienstruktur entgegengesetzt, die von Beginn an Risse aufweist, der Stress der Eltern wird unter anderem im Rauchen thematisiert, die kindlichen Versuche Josses das angespannte Verhältnis zu kitten im Zusammenschieben der Betten. Die Mutter (Laura Tonke) ist unglücklich, träumt von Italien und seiner „Felicità“, hält aber mit. großem Kraftaufwand die Familie zusammen. Eine gewisse dramatische Ironie ist zwischen den intelligenten, wenn auch nicht immer lebensnahen Dialogen auch zu finden, wir ahnen früher als der kindliche Protagonist am Verhalten der Eltern, was ihm später klar wird.
Die beiden jungen Hauptdarsteller werden von der Regie nicht überfordert, es gelingt ihnen aber gerade in den stillen Szenen Emotion zu projizieren, und auch, dass das Leben für sie in einer Anstalt mit 1200 Patienten für sie normal ist. Diese sind weniger Protagonisten und mehr Selbstverständlichkeit, was die Schauspieler gut vermitteln. Sie sind Teil des Umfelds, die sich etwa nachts mit ihren Rufen in das Klangbild der zirpenden Grillen einfügen, oder fast unbeachtet im Batman-Kostüm Marke Eigenbau im Hintergrund einer Geburtstagsfeier. Sicher ist auch hier der Film eine gute Spur mehr Fiktion, die Großanlage wirkt kleiner und familiärer als sie es sein kann.
Nur wenige der Patienten werden als Figuren ausgearbeitet, etwa „der Glöckner“, ein sanfter Riese mit zwei Handglocken, der Josse ebenso Huckepack nimmt wie der Vater des Jungen, welcher als Vaterfigur entzaubert wird. Der Glöckner wird immer wieder emotionaler Vaterersatz und zeigt eine Durchlässigkeit der strikten Trennung zwischen Patienten und Personal. Darin ist der Film sensibel, auch wenn psychische Erkrankungen nicht die Hauptsache sind, es besteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit statt einem der Trennung, wir befinden uns an einem Wendepunkt weg von der Verwahr-Psychiatrie und hin zu mehr Individualität und Freiheit. Das mit der Zusammengehörigkeit geht bis zur ersten Liebe zur depressiv-suizidalen Marlene (Pola Geiger), die intensiv und aus kurzer Distanz ihren Platz im Film findet.
Verlust ist dabei ein wichtiges Thema des Films, anders als die Dichterin Edna St. Vincent Millay meinte ist Kindheit eben nicht immer das „Königreich in dem keiner stirbt“ und wir begegnen dem Tod durch Kinderaugen, als etwas, das wir nicht verstehen und das, lange nicht ganz zu uns - und zu Josse - durchdringt.
Auch nähert man die Familie Meyerhoff, in Momenten der Verletzlichkeit an den Wahn an. Josse hat immer wieder, besonders wenn ihn seine beiden älteren Brüder piesacken, Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle und unkontrollierte Wutanfälle. Es wird in der Handlung immer wieder verrückt gespielt, mit einer fein ausgearbeiteten Distanz: Etwa im Schlussdrittel des Films, wenn sich Vater und Sohn trotz eines zeitweise schwierigen Verhältnisses auf einem Parkplatz mit offenen Mänteln und ausgebreiteten Armen gegen den Wind stellen und „fliegen“. Eine starke Szene, in der man auf Subtext statt Text setzt, auf Ungesagtes und Blicke. Das ist der größte Verdienst des Films, dieses „ver-rückt“ Sein, also das Abweichen von gesellschaftlichen Normen und das klinische verrückt Sein nebeneinander zu stellen, aber nicht gleich zu setzen. Es ist eine Nuance, die von Respekt zeugt.