Società | Architektur

Einswerdung von Architektur und Diktatur

Nur wenig hat Italien mehr verändert als der Städtebau und die Architektur des Faschismus. Der Umgang Italiens mit seinem baulichen Erbe ist bemerkenswert unbekümmert.
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Via dei Fori Imperiali, erbaut während des Faschismus als Paradestraße für Mussolini
Foto: Cezar Suceveanu – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

Text: Lorenz Brugger

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

 

Wer hätte gedacht, dass die Via dei Fori Imperiali in Rom, die sich kerzengerade von der Piazza Venezia bis zum Kolosseum erstreckt, nur durch massive Eingriffe in die gewachsene Stadtstruktur des vorfaschistischen Roms durchsetzen ließ? Weiß man jedoch von den radikalen Umwälzungen durch den Faschismus, dann ist es kaum verwunderlich, dass Mussolini im Handstreich 11 Straßen und 5.500 Wohnungen niederreißen lies, um eine 30 Meter breite und 900 Meter lange Prachtstraße anzulegen, an der sich die von seinen Archäologen ausgegrabenen Relikte des römischen Forums und des Augustus-Forum aufreihen. Kaum eine Stadt wurde so grundlegend umgestaltet wie Rom, sodass wir heute ganz selbstverständlich zwischen den Ausgrabungsstätten schlendern können, so als hätte man dies dem Volk in einem Akt der Barmherzigkeit zur Verfügung gestellt. Weit gefehlt, denn einzig und allein dem totalitären und hegemonialen Anspruch des „Duce“, der hoch zu Ross zwischen den großen Vorbildern des Faschismus hindurchmarschieren wollte, ist dies zu verdanken.

Der Futurismus ist der Vorläufer und das Vorbild für eine neue Ausrichtung von Kunst, Musik, Literatur und Architektur mit starken politischen Zielen.

Doch wie gehen wir um mit diesen Hinterlassenschaften? Ist die Architektur zum Erfüller einer Ideologie geworden oder hat sie sich von einem charismatischen und machtbesessenen Diktator verführen lassen und sie trifft keine bzw. wenig Schuld? Sind die architektonischen Erben dieser Zeit, die zahlreichen Wohnhäuser, öffentlichen Gebäude, Denkmäler, die teils drastischen städtebaulichen Umgestaltungen und die Stadtneugründungen zumindest formal und typologisch, räumlich und gestalterisch ein Mehrwert für die Architektur im Gesamten ohne sie im Kontext zu betrachten?

Springen wir also zurück zu den Ursprüngen des Razionalismo, die sich, kaum verwunderlich, in der futuristischen Bewegung um den Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti finden, der im Jahre 1909 das futuristische Manifest veröffentlichte. Zusammen mit dem begabten Künstler Umberto Boccioni, dem visionären Architekten und Zeichner Antonio Sant’Elia und vielen anderen entstand eine Bewegung, die sich in den Dienst des Krieges und des Nationalismus in Italien stellte. Die gewalttätigen Aktionen der sogenannten „fasci futuristi“ (futuristische Bünde) bilden die direkten Vorläufer zu den Schwarzhemden, die ihrerseits schlägernd und wütend durch die Städte Italiens marschierten und Angst und Terror verbreiteten: „Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“ („Manifeste du Futurisme“, Le Figaro, Paris, 1909). Der Futurismus ist der Vorläufer und das Vorbild für eine neue Ausrichtung von Kunst, Musik, Literatur und Architektur mit starken politischen Zielen. Marinettis futuristische Partei ging dann auch 1919 in der faschistischen Partei von Benito Mussolini auf, der bereits 1922 die Macht in Italien ergreifen würde.

 

Fünf Jahre später, in den Jahren 1926 und 1927, veröffentlichte eine Gruppe von frustrierten Architekturstudenten vier Schriften. Der Gruppo 7 bestand aus sieben Architekten unter der Leitfigur von Giuseppe Terragni, einem der bekanntesten Vertreter des Razionalismo. Ihr Programm bestand in der Ablehnung der Geisteshaltung des 19. Jahrhunderts, des herrschenden Neoklassizismus, des Eklektizismus und des Jugendstils, in Italien unter dem Namen „Stile Liberty“ bekannt. Zentrale Vorbilder waren die großen Epochen der italienischen Vergangenheit, die Antike und die Renaissance. Sie leiten daraus eine Notwendigkeit ab, wieder zu alter Größe und altem Glanz zu gelangen und zielen auf eine eigenständige, national orientierte dabei aber universal gültige Programmatik im Faschismus ab. Individualität wurde abgelehnt und ein Anspruch auf Absolutismus wurde propagiert, was exakt den Vorstellungen Mussolinis, der den Staat bereits massiv zu einem auf seine Person zugeschnittenen Apparat umgeformt hatte, entsprach. Er hofierte die Vertreter des Razionalismo von nun an, aber nicht nur sie.

 

 

Zwar waren die Rationalisten laut und radikal, aber sie waren nicht die einzigen, die für den neuen italienischen Führer die kommende Staatsbaukunst bestimmen sollten. Überaus einflussreich erwies sich die „Scuola Romana“, angeführt von dem wohl mächtigsten Architekten des Faschismus, Marcello Piacentini. Der Architekt und Herausgeber der erfolgreichsten Architekturzeitschrift Italiens wurde in den 1930er Jahren quasi zu einem Kulturhüter des Faschismus in der gesamten Architekturszene, war Planungs- und Baubeauftragter des Regimes und gewann zahlreiche Wettbewerbe. Er entwickelte einen Architekturstil, der sowohl modern als auch italienisch sein sollte und einen monumentalistische Dimension aufwies, die vor allem im Foro Mussolini (dem heutigen Foro Italico) sichtbar wurde. ein Stadion für 20.000 Zuschauer, gerahmt von übergroßen Statuen inklusive eines 18 m hoher Obelisk aus weißem Marmor spannte formal und programmatisch den Bogen zur Antike.

Ähnlich der „Scuola Romana“ war auch der sogenannte „Novecento“ ein Architekturstil, der sich von der Vergangenheit abheben wollte aber auch anknüpfen sollte. Der vorwiegend in Mailand und im Norden Italiens ausgeführte Stil wirkt wie ein von Ornamentik bereinigter Klassizismus, der die darunter liegenden Formen und Figuren zeigen wollte, während die Konturen und Profilierungen der Tradition verpflichtet waren. Der Novecento fokussierte sich auf harte Voluminas und wirkungsvolle Fassaden, ohne räumliche Qualitäten und Beziehungen herzustellen.

 

Allen Strömungen gemein war ihre Beziehung zum Staat, zur Nation und zu Mussolini: „Da die Haltung der diversen Architekturgruppen auf denselben Boden der „italianitá“ fußte, die in der Autorität Mussolinis verkörpert war, glichen sich die Stile mehr und mehr an.“(Ueli Pfannmatter: „Moderne und Macht, „Razionalismo“: Italienische Architekten 1927-1942, Bauwelt Fundamente 85, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1990, S. 33). Die sich am Anfang in Konkurrenz stehenden Strömungen wurden von Mussolini so lange gleichzeitig hofiert und mit Aufmerksamkeit überhäuft, bis sie aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten sowohl formal als auch programmatisch zueinanderfanden und alle ihre Prinzipien über Bord warfen, nur um dem einen Ziel zu dienen, den Faschismus und somit Mussolini durch Architektur räumlich und baulich Ausdruck zu verleihen.  

Zahlreiche Stadtumbauten, Stadtneugründungen, öffentliche Gebäude und Denkmäler wurden in den Städten von Bozen bis Palermo geplant und umgesetzt. Dabei konnten die Rationalisten zwar einige Einzelbauwerke für den Staat realisieren und waren maßgeblich an den Planungen der neu gegründeten, pontinischen Städte südöstlich von Rom beteiligt, den Großteil der öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerbe allerdings wurde unter den Vertretern der Scuola Romana verteilt. So sind fast alle Stadtumbauten und Parteihäuser von der römischen Schule realisiert worden. Nur im Norden Italiens, vor allem in Como konnten sich die Rationalisten durchsetzen, die berühmte „Casa del Fascio“ von Giuseppe Terragni war ebenfalls Teil einer Umstrukturierung des Stadtkerns. Mussolini brauchte die visuelle Manifestierung seines Regimes im Stadtbild und ließ die italienischen Städte „säubern“, indem er in den Zentren städtebaulich teils massiv eingriff und neue Plätze und Straßen für seine Aufmärsche erschaffen ließ. Dabei wurden immer die neuen Paläste für den Bürgermeister und der Partei räumlich in Bezug zu den Kirchen gestellt: Der Liktorienturm der Parteihäuser stehen sich in vielen Fällen noch heute gegenüber.

 

Ausnahme und vorläufiger Endpunkt des Razionalismo war der Wettbewerb und die Umsetzung des neuen Bahnhof in Florenz. Zum Erstaunen vieler und zum Entsetzen aller Traditionalisten in Italien gewann 1933 eine Gruppe von jungen, italienischen Architekten, die einen funktionalen, ornamentlosen, ja eindeutig modernen Neubau vorschlugen, der in kaum veränderter Weise auch tatsächlich gebaut wurde. Doch statt Anerkennung wurde der Bau öffentlich so verschmäht, dass man sich schnell darauf einigte: „Einmal und nie wieder“. Der Bahnhof wurde zum abschreckenden Beispiel für die Staatsbaukunst und sollte das Ende der modernen Ideen im Razionalismo markieren.

Junge Architekten nahmen an den Ausführungswettbewerben für die einzelnen Gebäude teil und verpflichteten sich dabei gleichzeitig für den Kriegsdienst

Es bleibt Spekulation ob Piacentini, der natürlich in der Jury saß, nicht genau dies wollte und versuchte, eine Konkurrenz-Strömung auf Linie zu seiner eigenen Schule zu bringen. Sein medialer und auch fachlicher Einfluss auf die Szene und das Regime dürften das Risiko dieses Coupes auf ein akzeptables Minimum reduziert haben. Tatsächlich holte sich der römische Architekt für die letzte große Bauaufgabe des Regimes die Rationalisten ganz gezielt ins Boot. Für den Neubau einer neuen Ausstellungsstadt als Zeichen der wiederbelebten italienischen Seele scharte er vier Rationalisten um sich. Die Idee des Duce, ein nationales Monument als Symbol von Macht und den kommenden Siegen auf der Verbindungsstraße zwischen dem antiken Rom und dem antiken Hafen Ostia am Meer zu realisieren, stieß auf reges Interesse unter den Architekten. Dies war auch einem Auftritt Le Corbusiers zu verdanken, der 1934 in Rom zu Gast war und alle Architekten aufforderte, ihre großen Pläne und Vorstellungen zusammen mit dem Führer zu verwirklichen: „Rom ist noch heute, inmitten des allgemeinen Aufruhrs, auf dem Posten, den eine Autorität erobert hat, eine Autorität, die imstande ist, ihr Wort vor aller Welt zu verkünden.” (Ueli Pfannmatter: „Moderne und Macht, „Razionalismo“: Italienische Architekten 1927-1942, Bauwelt Fundamente 85, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1990, S. 107).

 

Zwischen 1937 und 1942 wurde das Areal des E’42, dem heutigen EUR, ausgeschrieben. Junge Architekten nahmen an den Ausführungswettbewerben für die einzelnen Gebäude teil und verpflichteten sich dabei gleichzeitig für den Kriegsdienst. Giuseppe Terragni wurde Opfer dieser Verpflichtung und starb an der Front. Die vielen jungen Architekten lieferten die Ergebnisse ab, die von Mussolini gewünscht waren: Axialsymmetrien, Monumentalismus und Marmor prägten die Entwürfe, Eisenbeton war verpönt, zumindest wenn er sichtbar verwendet wurde. Es war die endgültige Angleichung der Stile, Italien hatte seine Staatsbaukunst gefunden und war zugleich bereits dem Ende des Regimes nahe.

Das Areal wurde trotz des schwer wiegenden Erbes der Diktatur bis in die 1950er Jahre fertig gestellt. Alle Architekten des Faschismus durften nach dem Krieg weiterbauen, an den maßgeblichen Stellen im öffentlichen Apparat und in den Bildungshäusern aktiv werden und somit den Razionalismo in die Demokratie hinüber retten. Sie wechselten sozusagen einfach die Kleider und stellten sich in den Dienst der neuen italienischen Regierungen, denen es kaum verwerflich vorkam, jene im Faschismus beschlossenen Projekte ohne große Veränderungen tatsächlich zu bauen.

Das Beispiel des Palazzo Littorio, was einmal als neue Machtzentrale der faschistischen Partei 1934 als Wettbewerb ausgelobt wurde und direkt an der Via die Fori Imperiali in Rom liegen sollte, wurde 1956-1959 auf dem heutigen Foro Italico-Areal fast unverändert realisiert. Was in Deutschland bis heute als nicht einmal denkbar gilt, war in Italien lange Zeit Realität. Eine unvorstellbare Unbekümmertheit und gefährliche Verharmlosung des Faschismus seitens der italienischen Nachkriegsregierungen, die Auswirkungen bis in die heutige Zeit nach sich zieht. Oder wie soll man es bewerten, dass der Urenkel Mussolinis mit dem bezeichnenden Namen Caio Giulio Cesare Mussolini für eine rechtsextreme Partei in den Europawahlkampf 2019 zog und stolz mit dem Namen Mussolini warb?

 

Wie lautete die einleitende Frage: Können wir Architektur, in diesem Fall den Razionalismo, unabhängig von seinem historischen Kontext betrachten? Und wenn ja, dürfen wir das überhaupt? Man kann sowohl dem Razionalismo wie auch der Scuola Romana und dem Novecento attestieren, dass Gestaltung, Materialien, Wirkung von Fassaden, Proportionen von Gebäuden und den Bauteilen zueinander genauso wie manch stadträumliche Ausprägungen Qualität besitzen. Viele städtebaulichen Neugestaltungen werden heute rege besucht und genutzt, ehemalige Paradestraßen bieten viel Platz für öffentliche Räume. Die zahlreichen öffentlichen Gebäude des Faschismus sind zwar innenräumlich nicht modern über Raumverschränkungen oder Beziehungen von Innen und Außen geprägt, bilden aber eine robuste Struktur, die seit über 80 Jahren genutzt wird. Allein das ist ein Beweis für den Nutzen von Architektur über die reine Ideologie hinaus.

Trotzdem oder vor allem deswegen darf man im Falle Italiens den historischen und gesellschaftlichen Kontext nicht außer Acht lassen. Zu schnell vergisst man die Umstände der Entstehung. Nicht nur stehen zahlreiche Denkmäler weithin sichtbar und weiterhin versehen mit den Symbolen der Faschisten in ganz Italien verstreut und wurden teilweise zu Wahrzeichen der Städte, wie zum Beispiel in Ancona. Die nachfolgenden Regierungen Italiens beendeten nicht nur die im Faschismus begonnen Bauprojekte, sie ließen auch Denkmäler und Gebäude mit all ihren rassistischen, totalitären Propagandainschriften und Symbolen unangetastet und bis heute unkommentiert.

Hinzu kommt die Tatsache, dass die italienischen Architekten nie auch nur einen Funken Zweifel an der Richtigkeit des Regimes aufkommen ließen. Es gab kein italienischen Architekten-Exil, die Vernetzung mit der europäischen Moderne mit einem Verständnis von Gemeinschaft über nationale Grenzen hinaus, wurde im Keim erstickt. Sie alle, von Antonio Sant’Elia über Giuseppe Terragni bis zu Marcello Piacentini und Pier Luigi Nervi arrangierten sich nicht nur mit dem Regime, sie sahen es als zentrale Aufgabe, eine auf den Staat zugeschnittene Architektur zu entwickeln, ohne jemals ihre Tätigkeit und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu hinterfragen. Es ist dies die große Schande der italienischen Architektur des 20. Jahrhunderts und sie ist bis heute kaum aufgearbeitet. Und deshalb darf Architektur niemals ohne Kontext gelesen werden, Städtebau niemals ohne gesellschaftliche Einordnung beurteilt werden und Stadtplanung niemals ohne die politische Komponente gesehen werden.

 

Astra Opening

 

Am Samstag, 12.09.2020 gibt es im Zuge der Eröffnung von "ASTRA - NEW OPENING" im Ex-GIL-Gelände in Brixen eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses (von Lisa Frei und Martin Kerschbaumer), welches 1933 von den Architekten Francesco Mansutti und Gino Miozzo als Casa Balilla (für die faschistische Jugendorganisation „Gioventù italiana del littorio“ kurz GIL), projektiert wurde und seit 1993 als Kulturzentrum genutzt wird.

 

 

Quellen:

Weiterführende Informationen: