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“Ein ganz normaler Dienst”

Abtreibungen sind noch immer ein Tabu und strukturell schwer zugänglich. Ein zusätzliches Problem für Betroffene, weiß Cinzia Cappelletti von der Beratungsstelle Lilith.
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Foto: Foto: Salto.bz

Seit Jahrzehnten wird über den Umgang mit Abtreibungen diskutiert und gestritten. In Deutschland kocht das Thema gerade wieder hoch. Vergangene Woche wurde eine deutsche Ärztin zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Internetseite Informationen über Schwangerschaftsabbrüche veröffentlichte und darauf hinwies, den Dienst durchzuführen. Laut Paragraph 219a des deutschen Strafgesetzbuches ist es strafbar, Werbung für Abtreibungen zu machen. Ein Paragraph – wiedereingeführt im Nazi-Deutschland, zur Sicherstellung des Nachwuchses im deutschen Reich –, um den schon seit 40 Jahren gekämpft wird.

Auch aktuell gehen Frauen wieder auf die Straße und demonstrieren für ihre Selbstbestimmung und Sicherheit. In Italien gibt es solch ein Gesetz zwar nicht, jedoch viele Ärzte, auch in Südtirol, die aus ethischen Gründen keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Was bedeutet dies für die Frauen und die Menschen, die ihnen beratend zur Seite stehen? Cinzia Cappelletti, Psychologin, Psycho- und Sexualtherapeutin in der Familienberatungsstelle Lilith in Meran, kennt die Ängste und Bedürfnisse der Frauen und das System in Südtirol.

 

salto.bz.: Frau Cappelletti, stellt es für Frauen in Südtirol ein Problem dar, dass sich viele Ärzte verweigern eine Abtreibung durchzuführen?

Cinzia Cappelletti: Ja, es ist nicht ganz leicht, aber grundsätzlich läuft es in den letzten 10 Jahren, im Vergleich zu früher, relativ gut. Es gab eine Zeit, in der hier in Meran überhaupt keine Schwangerschaftsabbrüche gemacht wurden. Wir haben als Beratungsstelle mittlerweile einen guten Kontakt zum Krankenhaus, wo wir die Frauen hinschicken. Oder der Arzt fragt wegen eines psychologischen Gesprächs bei uns nach, wenn er unsicher ist, ob die Frau wirklich abtreiben will.

Das Gesetz sieht kein psychologisches Beratungsgespräch vor?

Nein, nicht unbedingt. Volljährige Frauen gehen zum Arzt, um die Situation zu besprechen. Dann muss der Arzt ein Zeugnis ausstellen. Danach müssen die Frauen sieben Tage warten, um wirklich gut zu überlegen, ob sie die Abtreibung durchführen wollen oder nicht. Es gibt für erwachsene Frauen in Italien keine Pflicht psychologische Gespräche zu machen. Ich weiß, dass in Bozen ein Gespräch mit einer Sozialassistentin oder Psychologin notwendig ist, in Meran nicht.

Wie sieht es bei Minderjährigen aus?

Bei Minderjährigen ist es anders. Vor allem wenn die Eltern nicht einverstanden sind oder nicht informiert werden können. Da gibt es die Möglichkeit, dass eine Psychologin oder eine Familienberatungsstelle einen Bericht für das Gericht ausstellt. Dieses entscheidet, ob das Mädchen für sich selbst entscheiden darf, also mündig ist die Entscheidung selber zu treffen, ohne dass die Eltern informiert werden. Rein gesetzlich entscheidet das Gericht nicht wirklich, ob das Mädchen abtreiben soll oder darf, sondern nur, ob es selbst entscheiden darf.

Was passiert wenn das Gericht entscheidet, dass die Minderjährige nicht mündig ist?

Dann versuche ich immer, wenn es geht, auch die Eltern einzubeziehen. Zumindest einen Elternteil, damit das Mädchen auch nicht alleine da steht. Wo dies nicht möglich ist, weil das Mädchen riskiert aus dem Haus geworfen oder gar verprügelt zu werden, muss man einen anderen Weg finden.

Vor 20-30 Jahren wurden Ärzte im Meraner Krankenhaus, die sich bereit erklärt hatten Abtreibungen durchzuführen, aus ihren Urlauben zurück geholt und schikaniert.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der siebentägigen Frist bis zur Abtreibung gemacht? Brauchen die Frauen diese Zeit oder kann es für sie sogar eine zusätzliche Belastung sein?

Grundsätzlich ist es so, dass es Frauen gibt, die schon sehr klar entschieden haben, die Schwangerschaft abzubrechen. Für diese Frauen hat der Wartezeitraum von sieben Tagen im Grunde keinen Nutzen. Es ist eher ein bisschen auch die Zeit, die sie brauchen, um die ganzen Unterlagen vorzubereiten. Im Grunde ist es auch keine ewige Zeit. Bei den Frauen, die sich wirklich sehr sicher sind, ändert sich meistens nichts an ihrer Entscheidung.

Was ist mit den Frauen, die zweifeln?

Es gibt Frauen, die unsicher sind und sagen, eigentlich möchte ich kein Kind mehr, aber ich möchte auch nicht abtreiben. Oder sie möchten ein Kind, aber es geht nicht, weil ihr Mann nicht will oder kein Geld da ist. Dann muss man nach anderen Lösungen suchen. Es geht darum, wie es objektiv möglich ist, ohne falsche Versprechungen zu machen, die Frau zu unterstützen. Danach muss die Frau sowieso entscheiden. Wir hatten auch Situationen, wo die Frauen von ihren Männern mit der Hoffnung hierher geschickt wurden, dass wir sie überzeugen, abzutreiben. Das machen wir natürlich nicht. Jede Frau muss für sich entscheiden, das geht nicht anders.

Und das sollte gestärkt werden…

Ja absolut. Bei den Frauen, die unsicher sind und in ihrer Situation und in diesem Moment zwar kein Kind, aber auch nicht abtreiben möchten, ist es schwieriger. Oft fragen sie mich, was ich machen würde.

Wie gehen Sie mit solchen Fragen um?

Es geht logisch nicht um mich. Das Kind bekomme nicht ich und die Abtreibung habe auch nicht ich. Es geht darum, sich mit den Frauen gemeinsam die ganz verschiedenen und unterschiedlichen Szenarien vorzustellen, bis sie dann zu einer Entscheidung kommen. Manche Frauen, die unsicher sind, brauchen auch länger als sieben Tage. Schwierig wird es, wenn sie in der allerletzten möglichen Woche kommen, in der ein Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Gesetzlich ist nach der 12. Schwangerschaftswoche ein Abbruch nur dann möglich, wenn die Gesundheit des Kindes oder der Mutter stark gefährdet sind. Wenn ein Kind behindert ist, darf die Frau zum Beispiel noch abtreiben. Ich hatte auch einen Fall, wo die Frau krebskrank war. Es ist keine leichte Entscheidung und auch die Durchführung der Abtreibung ist nicht ohne. Ich empfehle jeder Frau sich in so einer Situation auch eine psychologische Unterstützung dazu zu holen.

Es ist ein ganz normaler Dienst, der auf jeden Fall in jedem Krankenhaus garantiert werden sollte.

Ein Problem für die Frauen, die sich klar dazu entschieden haben, bleibt: Ärzte in Italien können aus ethischen und moralischen Gründen die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs ablehnen.

Es sollte Menschen freistehen zu sagen, ich möchte nicht bei einer Abtreibung mitwirken. Meine Haltung ist: Es ist auf jeden Fall ein Dienst, der gewährleistet werden sollte. Ich weiß auch, dass diese Freiheit sehr oft missbraucht wird. Es geht den Ärzten nicht objektiv um die Entscheidung, ob sie bei einer Abtreibung mitwirken oder nicht.

Sondern?

Es geht um Arbeitsverhältnisse oder darum, dass ich als Arzt, der Abtreibungen macht, öfters im Dienst sein muss. Das sind auch Aspekte, die berücksichtigt werden müssen. Ich weiß auch, dass vor 20-30 Jahren Ärzte im Meraner Krankenhaus, die sich bereit erklärt hatten Abtreibungen durchzuführen, aus ihren Urlauben zurück geholt und schikaniert wurden. Bis sie schließlich gesagt haben, sie machen keine Abtreibungen mehr und die “obiezione di coscienza” unterschrieben haben. Aber nicht, weil sie überzeugt waren, keine Abtreibungen zu machen, sondern weil die Arbeitsverhältnisse so schlecht geworden sind. Manchmal hört man auch von Ärzten, wenn sie sich entscheiden Abtreibungen zu machen, dass sie dann nur noch das machen dürfen, was sie auch nicht möchten. In Südtirol wird der Dienst im Moment nur in den Krankenhäusern von Meran und Bozen garantiert.

Nicht nur, dass sich Ärzte verweigern, auch sind Abtreibungen generell immer noch ein großes Tabuthhema und in den öffentlichen Diskussionen negativ stigmatisiert. Eine zusätzliche Belastung für die betroffenen Frauen?

Ja klar, das macht es den Frauen nicht leichter. Aber wenn man das sagt, dann heißt es auch, dass man manipuliert. Weil eine Abtreibung soll nicht leicht sein, man soll nicht leichtsinnig abtreiben. Da bin ich auch mit einverstanden. Wir haben auch schon Situationen gehabt, wo Frauen mehrmals abgetrieben haben. Dann geht es darum, wie man diese Frauen unterstützen kann, damit sie vorsorgen. Aber es sind eben ganz spezielle Situationen, oder auch soziale Fälle. Die meisten Frauen sorgen vor, aber wenn es eben passiert und sie schwanger werden, dann muss auch eine Möglichkeit da sein.

Gerne werden Abtreibungen in Zusammenhang mit prekären Verhältnissen gesehen oder als Zeichen unzulänglicher Aufklärung und Bildung. Laut Statistik kommen sie aber in jeder Altersklasse, jeder Bildungsschicht und unabhängig von ökonomischen Faktoren und Beziehungsstatus der Frauen vor.

Genau, es passiert zum Beispiel nicht nur jungen Mädchen, sondern es passiert auch verheirateten Frauen, die schon drei Kinder haben und nicht noch eins möchten. Verhüten ist klarerweise eine bewusste Entscheidung und Menschen sollten in diese Richtung unterstützt werden. Aber eine ungewollte Schwangerschaft kann immer passierten. Ich weiß auch von Fachärztinnen und Frauenärztinnen, die ungewollt schwanger wurden.

Am Ende ist es alleine die Frau, die die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft trifft und danach auch mit dieser ganz persönlichen Entscheidung lebt. Wenn man sich jedoch die Strukturen und Diskussionen anschaut, ist es eine persönliche Entscheidung, die immer noch stark fremdbestimmt ist?

Gesetzlich ist in Italien ganz klar geregelt, dass die Frau für sich entscheidet. Trotzdem gibt es viele Einflüsse und nicht zuletzt auch den Einfluss der Strukturen. Wenn es schwierig und ein großer Aufwand für die Frauen ist, Zugang zu einer Abtreibung zu bekommen, bedeutet es für diese Frauen, dass sie nicht frei sein können. Dann kommen noch Fragen und Ängste dazu, zum Beispiel ob es Leute mitbekommen könnten. Oder die Frauen müssen sich von der Arbeit frei nehmen, was für manche recht schwierig ist. In Italien ist es auch so, dass die Durchführung eines Abbruchs und die Verschreibung der Abtreibungspille nur in einem Krankenhaus gemacht werden dürfen. Wobei letzteres selten passiert, weil die Pille immer noch nicht genehmigt wird.

Es gibt also immer noch viel zu tun?

Ich war vor 40 Jahren selbst dabei, als die Frauen dafür gekämpft haben, selbst über eine Abtreibung zu entscheiden. Was ich schlimm finde ist, dass heute wie damals als Vorwand die Gesundheit der Frau genommen wird. Die Pille darf nicht verwendet werden, weil sie nicht sicher ist; man darf nicht abtreiben, weil die Frau dann körperlich und psychisch krank wird. Das stimmt nicht. Je schwieriger die Verhältnisse, desto schwieriger ist es auch für die Frau, danach die Abtreibung zu verarbeiten. Hat die Frau jedoch die Möglichkeit, darüber zu reden, auch über ihre Zweifel oder ihre ganz spezielle Situation, sich dann entscheidet und diese Entscheidung auch respektiert wird, ihr keine Schuldgefühle gemacht werden und sie nachher eventuell auch die Trauer aussprechen kann, dann hat die Abtreibung keine Folgen. Die Folgen entstehen durch die Unterdrückung oder dadurch, dass die Frauen alleine gelassen werden. Denn dann reden die Frauen mit niemanden, weil sie sich schämen und sie Angst haben, beschuldigt zu werden. So können Folgen entstehen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass das Thema nicht mehr so ein Tabu ist. Dass Frauen wirklich leichter zu allen Diensten, auch Familienberatungsstellen oder auch zu Privaten gehen und darüber reden können. Vor der Abtreibung und auch nach der Abtreibung. Und nicht nur die Frauen, auch Paare. Manchmal ist es so, dass das Paar vor einer Abtreibung nicht offen darüber geredet hat. Dadurch kann eine Paarkrise entstehen. Auch Paare brauchen Unterstützung und Gespräche. Es muss nicht eine jahrelange Therapie sein, sondern die Möglichkeit über das Geschehen, die Situation und die Gefühle zu reden.

Es gab eine Zeit, in der hier in Meran überhaupt keine Schwangerschaftsabbrüche gemacht wurden.

Wie erleben die Männer einen Schwangerschaftsabbruch?

Die betroffenen Männer stecken es meist viel schneller weg als die Frauen – so als ob sie diese Möglichkeit des Vater-Werdens nicht betreffen würde. Das ist auch ein wichtiger Aspekt: dass Männer nicht darüber reden. Ansonsten muss ich sagen, dass im Krankenhaus Meran, mit dem wir viel Kontakt haben, diese Sachen und die ganze Prozedur gut laufen. Ich weiß, dass es anderswo nicht so gut funktioniert und ich würde mir wünschen, dass jede Frau die Möglichkeit hat, in der Nähe ihres Wohnortes eine Abtreibung durchführen zu können. Oder auch anderswo.

Wie meinen Sie das?

Es ist nämlich auch so, dass Krankenhäuser nur Frauen aus ihrem Gebiet aufnehmen. Das ist dann schwierig, wenn ich zum Beispiel als Frau aus Meran in Meran nicht abtreiben möchte, weil ich das Personal kenne. Manchmal gehen die Frauen auch nach Trient, weil sie anderswo in Südtirol nicht abtreiben dürfen. Jede Frau sollte frei sein zu entscheiden, wo sie abtreiben will.

Dazu braucht es aber auch wieder genügend Ärzte. Abtreibung als Dienstleistung, die zum Berufsbild Frauenarzt obligatorisch dazu gehören sollte…

Auf jeden Fall was die Beratung und die Ausstellung vom ärztlichen Zeugnis betrifft. Und was die Durchführung betrifft: Ich kann zum Beispiel als Chirurg auch nicht sagen, Mandeln operiere ich nicht. Es ist ein ganz normaler Dienst, der auf jeden Fall in jedem Krankenhaus garantiert werden sollte. Wie, das entscheidet die Krankenhausleitung. Aber er sollte gewährleistet werden.

So wie es eigentlich laut Gesetz schon seit 40 Jahren vorgesehen ist…

Absolut.                                                     

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Michael Bockhorni Dom, 12/03/2017 - 06:33

Also nur weil Männer (mit / vor einer Frau) nicht darüber reden, heisst das noch lange nicht, dass sie "die Sache" schneller wegstecken (Männer sind eben irgendwie ander - siehe auch das salto-Interview mit Armin Bernhard). Ich kenne auch Männer, denen das Vater werden sehr wichtig war und zum Kind gestanden wären, die Frau aber gesagt hat "der Bauch gehört mir" und abgetrieben hat. Wie überall sollten wir daher mit pauschalisierenden Geschlechterzuschreibungen vorsichtig sein. Sonst stimme ich mit der Autorin vollkommen über ein, dass im 21. Jahrhundert das Thema in Südtirol kein Tabu mehr sein darf und verschiedene Angebote zur Verfügung stehen müssen, über die in verantwortungsvoller Weise beraten wird.

Dom, 12/03/2017 - 06:33 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Dom, 12/03/2017 - 11:56

Ich glaube genau die Meinung des männlichen Partners ist heute das größte Tabuthema überhaupt. Dem Mann ist es sowieso nur erlaubt der Frau bei ihrer Entscheidung beizustehen, was würde man über einen Mann sagen der die Weiterführung der Schwangerschaft einfordern würde? Wahrscheinlich das gleiche was man über dem Mann sagen würde, der gegen der Meinung der Frau, auf die Abtreibung pochen würde.

Dom, 12/03/2017 - 11:56 Collegamento permanente