Società | Masken-Skandal

Das Nullsummen-Spiel

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bestätigen jetzt eine völlig absurde Geschichte: Dass eine falsche Null Millionen kosten kann.
Mascherine
Foto: upi
Am 20. Mai 2020 veröffentlichte Salto.bz eine Geschichte, die so absurd klingt, dass sie kaum glaubhaft erscheint. In dem Artikel geht es um die Hintergründe der zweiten Bestellung von Schutzmaterial über die Firma Oberalp in China vom März 2020.
Dabei wird eine Reihe von Details genannt. Darunter auch die Geschichte eines folgenschweren „Schreibfehlers“. Vor eineinhalb Jahren erregte diese Darstellung kaum Aufsehen. Auch weil das Ganze so skandalös und unvorstellbar ist, dass der Großteil der Leserinnen und Leser von eine (Zeitungs-)Ente ausgehen mussten.
Doch jetzt erhält die Geschichte amtliche Bestätigung. In den Durchsuchungsbefehlen zur breitangelegten Aktion der Carabinierisondereinheit NAS vom 23. Dezember 2021 wird neben zahlreiche anderen möglichen Anklagepunkten auch diese Episode angeführt.
Sie ist ein anschauliches Beispiel welchen Nullen zuweilen an der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes herumgeistern.
 

Die zweite Bestellung

 
Die Geschichte der ersten Bestellung von Schutzmaterialen beim Südtiroler Sportartikelhersteller Oberalp ist inzwischen bekannt. Weniger ausgeleuchtet aber wurde die zweite Bestellung bei der es um weit mehr geht. Der offizielle Preis der Lieferung: 25.085.000 Euro. 
Am 23. März 2020 traf aus Wien kommend die erste Lieferung der in China angekauften Schutzmaterialien ein. Der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes Florian Zerzer, Oberalp CEO Christoph Engl und die gesamte Sanitätsspitze posierten mit den Schutzmaterialien für die Fotografen. Es war eine bewusste Inszenierung, damals noch im guten Glauben.
 
 
 
In der damaligen Euphorie ging man aber einen Schritt weiter. Weil klar war, dass diese Lieferung kaum ausreichen wird, aber auch angetrieben durch den allgemeinen Run und den daraus resultierenden weltweiten Engpass an Schutzmasken, macht man sich umgehend daran über Oberalp weitere persönliche Schutzausrüstung in China anzukaufen. Und diesmal in einer ganz anderen Größenordnung.
Noch am selben Abend des 23. März 2020 schickte Taskforce-Leiter Marc Kaufmann ein offizielles Schreiben an die Oberalp, in dem es heißt, „das ist die Liste für die nächste Bestellung“. Die Liste in der Mail: 3 Millionen chirurgische Masken, eine Million KN95-Atemschutzmasken, 800.000 Einweganzüge und 400.000 Schutzanzüge für den aseptischen Gebrauch. Weil dieselben Preise wie bei der ersten Lieferung berechnet werden, ist auch der Gesamtpreis dieser Bestellung klar: 28.490.000 Euro.
Die Firma Oberalp leitet die Bestellung noch in derselben Nacht an ihren Partner, das Unternehmen Tutwo in China weiter. Am 26. März überweist Oberalp für diese Bestellung dann über die Raiffeisenlandesbank 29,6 Millionen US-Dollar an den chinesischen Partner.
 

Der Schreibfehler

 
Wenig später aber scheint leichte Panik an der Sanitätsspitze auszubrechen. Denn plötzlich wird klar, dass sich in die Millionenbestellung anscheinend ein folgenschwerer Fehler eingeschlichen hat.
Der zuständige Primar Marc Kaufmann wollte 40.000 aseptische Schutzanzüge bestellen, hat in der Mail aber eine Null zu viel geschrieben: 400.000.
 
 
 
Weil dieser Fehler ausgerechnet beim teuersten Produkt (Stückpreis 27,90 Euro) passiert, hat diese zusätzliche Null einschneidende finanzielle Folgen. Der Unterschied beträgt mehr als 10 Millionen Euro.
So jedenfalls hat es der CEO der Oberalp Group, Christoph Engl in seiner ersten Aussage vor den Carabinieri bereits im April 2020 dargestellt. Auch Oberalp-Präsident und Besitzer Heiner Oberrauch hat diesen Fehler bestätigt. In seiner zweiten Anhörung vor dem Masken-Untersuchungsausschuss im Landtag erklärte Oberrauch:
 
Dr. Kaufmann hatte in dieser Situation eine Null, ich glaube, anstatt 40.000 aseptische Anzüge 400.000 bestellt. Wir haben gesagt, das wird wohl etwas zu viel sein, und dann ist nach unten korrigiert worden. Die Summe, die wir vorgestreckt haben, ist mit anderem Material aufgewogen worden.
 
Interessant ist, dass bis heute alle Beteiligten so tun, als würde es um Peanuts gehen und nicht um Millionen-Beträge aus Steuergeldern.
 

Die Korrektur

 
Vor allem vor diesem Hintergrund kommt es am 31. März zu einem Treffen zwischen der Sanitätsspitze und den Vertretern der Oberrauch Group. Dabei ersucht der Sanitätsbetrieb das Unternehmen im Nachhinein die Bestellung noch einmal zu korrigieren.
Man einigt sich bei diesem Treffen schließlich auf einen Kompromiss. Die Anzahl der aseptischen Schutzanzüge wird auf 100.000 Stück reduziert, während die chirurgischen Masken auf 4,5 Millionen, die KN95-Atemschutzmasken auf 1,5 Millionen und die Einweganzüge auf eine Million Stück aufgestockt werden. Damit reduziert sich der Gesamtpreis der Bestellung um 3,4 Millionen Euro auf insgesamt 25.085.000 Euro.
 Es gibt von diesem Treffen nicht nur eine Präsentation der Oberalp-Gruppe, sondern auch ein Protokoll. Auch dieses Treffen bestätigt Heiner Oberrauch dem Untersuchungsausschuss des Landtages: „Da war ein großer Tisch mit 10 Leuten, wo das alles im Detail besprochen worden ist.“
Auch in diesem Fall fällt auf, dass sich mancher der Teilnehmer vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages an diese Aussprache nicht mehr erinnern kann.
 

Aufgeblähter Bedarf?

 
Die ermittelnden Staatsanwälte Igor Secco und Andrea Sacchetti gehen davon aus, dass dieser Kuhhandel zwischen Oberalp und der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes, wo man Bestellungen nach eigenen Gutdünken im Nachhinein korrigiert, so nicht rechtens ist.
Die Ermittler werfen Florian Zerzer, Christoph Engl & Co vor, den angeblichen Bedarf des Südtiroler Sanitätsbetriebes künstlich aufgebläht zu haben, um diesen Bestellfehler irgendwie auszuwetzen.
 
 
Was aus der Sicht der Ermittler aber noch erschwerend dazukommt, ist der gezahlte Preis für die sogenannten „aseptischen Schutzanzüge“. Laut einem Gutachten der staatlichen Antikorruptionsbehörde ANAC liegt der niedrigste Preis für solche Schutzanzüge bei 6,60 Euro. Der Mittelwert im Preisvergleich 2020: 13,69.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat für von Oberalp in China organisierten Schutzanzüge aber 27,90 Euro gezahlt. 30.000 solcher Anzüge wurden mit der ersten Lieferung bezahlt. 100.000 sollten mit der zweiten Lieferung dann angekauft werden.
Die Staatsanwaltschaft will jetzt nachweisen, dass der Ankauf deutlich über den Marktwert erfolgt. Auch dann, wenn man im März 2020 mitten in einer Krisensituation stand.
 
 
Bild
Profile picture for user △rtim post
△rtim post Mar, 12/28/2021 - 09:22

Sehr gut, wie hier die Dynamik nachgezeichnet wird. Apropos überteuerte Preise. Ich erinnere mich. In dieser Phase verlangte manche Apotheke noch für drei FFP1 bzw. eine FFP2 knapp 10€.
Echt fies, wie da das Land Südtirol in dieser Notlage über den Tisch gezogen wurde. Eigene Fehler kamen hinzu.

Mar, 12/28/2021 - 09:22 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Stefan S
Stefan S Mar, 12/28/2021 - 15:44

In risposta a di Elisabeth Garber

"Und wer glaubt, dass nur das Nabelland Südtirol über den Tisch gezogen wurde" Wenn man keine Ahnung von der Materie hat mag man das so lapidar sehen, aus fachlicher Sicht beurteilt sind nur die über den Tisch gezogen worden welche Ihre Beschaffungsprozesse nicht eingehalten haben und mit nicht dokumentierten und vertraglich festgehalten Nebenabreden agiert haben. Alle anderen haben keine Verlustgeschäft gemacht. Die Pandemie ist in allen Bereichen ein Verstärker und fördert so manche fehlerhafte Strukturen zu Tage.

Mar, 12/28/2021 - 15:44 Collegamento permanente