Cultura | Salto Afternoon

Ritter von der schillernden Gestalt

Irgendwo zwischen Wahn und Sinn, Deutsch und Litauisch, Platons Höhlengleichnis und Don Quijote ist die neue VBB-Koproduktion zu finden. Es gilt: reduce, reuse, recycle.
Don Quijote VBB, Menas, Landestheater Niederösterreich
Foto: Luiza Puiu
In Zusammenarbeit mit dem Landestheater Niederösterreich und dem Panevėžio teatras „Menas“ Litauen bringt man aktuell einen bunten Fiebertraum auf die Studio-Bühne, der in 90 Minuten um den Kanon-Koloss aus Miguel de Cervantes Feder herum mäandriert. Dabei dauert es rund zehn Minuten, bis der Name Don Quijote überhaupt fällt, zwanzig bis Sancho Panza eine Rolle spielt. Man inszeniert also (sehr lange) nach Cervantes.
Die „Rollen“ spielt man dabei zu sechst (Auf der Bühne: Radvilė Bronušaitė, Christoph Kail, Bettina Kerl, Sarah Merler, Agnė Muralytė und Lennart Preining) gemeinschaftlich, im fernöstlich inspirierten Schauspiel-, Kostüm- und Maskenstil (Kostüme und Bühne: Daniela Zorrozua), der angelehnt an Nicolas Cage vielleicht „Western Kabuki“ genannt werden könnte. Die Brüder Nikolas Darnstädt (Inszenierung) und Lukas Darnstädt (Musik und Sounddesign) arbeiten dabei wie aus einem Guss, sodass die Soundlandschaft um das Geschehen, dessen traumhaften Charakter verstärkt, es aber auch in emotionalen Momenten, trotz durchgehend entrücktem Spiel, zu erden vermag.
Es beginnt das Spiel, wie gesagt, fernab von Spanien mit einem im Kreis am Rücken liegender Schauspieler deren Hände, Leerlauf beiseite räumend, die Luft über ihren Körpern durchforsten. Das abstrakte Gestikulieren zieht sich dabei durch den Abend, wird zu einer Manier des Stücks. Wir befinden uns in einer (recycelten) Höhle, mit Tropfstein-Formationen in blauer Plastikplane, die von Boden und Decke wachsen, sowie einer an der Rückwand aufgemalten Höhle mit Tür, durch welche Licht eindringt. Sie soll im Laufe des Abends für verschiedene Auslegung des Begriffes „außen“ als Metapher dienen. Den Rahmen der Bühne zieren wiederverwendete Elemente aus alten Produktionen, Charakter-Köpfe des eigentlichen Stücks als vertikale Plakate, alle leicht zerknittert und mit Do-It-Yourself-Charme, wie auch der übergroße, ebenfalls blau verhüllte Esel im halbdunklen Eck. Was nicht wiederverwendet wurde, soll nach der letzten Vorstellung recycelt werden.
Wir hören dem Höhlengleichnis zu, aus der Tür mit „Höhlenmalerei“ dringt Licht nach innen und die Allegorie, welche im Laufe des Abends wieder aufgegriffen werden soll, ist klar: Einer bricht aus dem gesellschaftlich vorgegebenen Rahmen aus, sieht das Außen und die Sonne und wird von den anderen auf Grund seines Berichts für verrückt erklärt. Dieses Verrücktsein interessiert das Stück in der Hauptsache und so greift man schlaglichtartig Episoden aus den zwei dicken Bänden des „Don Quijote“.
Zuvor eine weitere Präambel. In jener werden, vor Inbetriebnahme der Übertitel, fünf der sechs Schauspieler mit einer litauischen Kollegin konfrontiert, die Sprachgrenze wird humoristisch genutzt, doch nicht weggeräumt: „Können Sie langsamer sprechen?“, oder „Vielleicht können Sie es buchstabieren?“ führen alle zu keinem Ergebnis, so dass ihr anfänglicher, über die Sprache hinweg verständlicher Enthusiasmus kippt. Als aus diesem Resignation und Verzweiflung werden, beginnen wir, dank besagter Übertitel, zu verstehen. Das Stück spielt über den Abend das Verständnis seitens des Publikums und das Unverständnis auf der Bühne immer wieder als Mittel dramatischer Ironie aus. Es lässt die Schauspielerinnen allerdings auch auf der Bühne Gehör finden, oder in den sechsstimmigen Chor, mit gleicher Aussage in eigener Sprache, einfließen. Oder aber sie sprechen ein sehr gutes, aber nicht akzentfreies Deutsch in Momenten der Anbiederung. Sprache dient, neben ihrem eigentlichen Zweck, im Stück auch als Metapher.
 
 
Die Episoden, welche man aufgreift, sind eine Art „Greatest Hits“ des Buches, neu aufbereitet: Ein gender-gerechtes und damit Richtung Gegenwart geholtes Treffen mit Prinz/Prinzessin oder anderer Person der Begierde für den Ritter (was natürlich ein Kunstgriff ad-absurdum ist, von welchen sich auch dem Gendern ablehnend gegenüberstehende Theaterbesucher:innen nicht abschrecken lassen sollten), die Suche Quijotes und Panzas nach dem Esel im Wald, der Kampf mit den Windmühlen (kreativ gelöst und überraschend), der gespielte Wahn des Ritters um eine Herzensdame zu erreichen und Alonso, im Leben Quijote, welcher auf das Ende seines Lebens zu geht und seinen „Wahn“ abzulegen sucht, um nicht alle Handlungsmomente zu nennen.
Der Charakter des Stückes schwankt dabei zwischen übertriebenem Schauspiel in der Rolle und einem gemeinschaftlichen Nacherzählen. Bedrückende Momente werden immer wieder mit absurdem Humor gebrochen. Es geht nicht um die Sprache der Romanvorlage, sondern um einen Teil von deren Substanz. In der recycelten Bühne damit auch ein inhaltliches Recycling. Das Stück bleibt dadurch ganz klar Stück, ist befremdlich und nicht ganz durchsichtig, konfrontiert uns mit sechs äußerlich schillernden Paradiesvögeln auf der Bühne - von welchen zwei später in weniger bunte, aber ebenso ausgefallene Kostüme wechseln sollen. Es sind Menschen, die sich auf verschiedenen Ebenen der Verrücktheit annähern, von der ihnen vorgeschriebenen Norm abrücken.
Dabei verläuft sich, in all dem bunten Zauber, mit einigen scheinbar wahllos eingefügten Ausbrüchen, ein wenig die Botschaft des Buches im Spektakel. Die Sympathie mit dem eindeutig geistig abweichenden Ritter und seinem Knappen wird hinterfragt. Statt einem ausladenden Plädoyer für seine abenteuerliche Verrücktheit, präsentiert man bühnentaugliche Ambivalenz, verbunden mit der Frage, wer hier nun Anpassung oder Rücksicht an den Tag legen sollte: der Einzelne oder die Gesellschaft.