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“Wir brauchten kein Gardaland”

Die Historikerin Wally Kössler weiß, was Urlauber vor 150 Jahren nach Eppan zog. Warum vor allem Deutsche kommen – und warum es ohne Frauen keinen Tourismus gäbe.
Montiggler Lido in den 1960er Jahren
Foto: Fotoarchiv St. Pauls/Heimatpflegeverein Eppan/v. Call Martha

Vom “Jedermann”-Schriftsteller Hugo von Hofmannstal bis zum Bond-Girl Karin Dor. In Eppan haben sich im Laufe der Zeit eine Reihe honoriger Gäste die Klinke in die Hand gegeben. Im Jahre 1872 begannen im Überetsch rührige Gastwirte, die Gegend touristisch anzupreisen. Was hat sich seither verändert? Und was zieht Touristen aus nah und fern ins Überetsch? Kaum jemand weiß das so gut wie Wally Kössler. Die Kunsthistorikerin, langjährige Pädagogin und ehemalige Eppaner Gemeinderätin für Kultur und Bauwesen in Eppan hat sich durch Nachlässe, Archive, Gästelisten und Werbematerialien gewühlt. Daraus ist eine Festschrift entstanden, die der Tourismusverein Eppan anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums heuer herausgegeben hat.

salto.bz: Frau Kössler, wer kam vor 150 Jahren als Gast nach Eppan?

Wally Kössler: In Eppan gibt es seit eh und je zwei Arten von Touristen. Immer schon pilgerten Tagesausflügler von Bozen nach Eppan in die alten Gasthäuser Stroblhof und Eggerhof, dem späteren Gasthof Steinegger. Zum anderen hat man anfangs versucht, noblere und damit wohlhabendere internationale Gäste anzusprechen. Solange Eppan noch unter Österreich war, kamen viele Wiener. Deshalb hat man in Eppan die Wiener Küche angepriesen. Mit der Überetscher Bahn wurde dann ab 1898 versucht, Zugreisende anzusprechen. Man organisierte so genannte Landpartien, zu Fuß oder mit dem Zug. Als die Mendelbahn 1903 in Betrieb ging, hat man Mendel und Penegal angepriesen. Später den Montiggler See. Als touristische Attraktionen wichtig waren und sind nach wie vor die Eppaner Burgen und Ansitze. Insofern hat sich im Laufe der letzten 150 Jahre eigentlich kaum etwas geändert: Die Ausflugsziele sind dieselben, die Landschaft gefällt nach wie vor, es kommen weiterhin viele Tagestouristen – und inzwischen auch viele Radfahrer.

“Großstadttypen, Repräsentanten der Hochfinanz, stramme Militärs, Meister der Feder, des Pinsels und des Meißels, Bühnensterne, Modedamen, schlichte Schriftstellerinnen, Bürgerfrauen, Hochtouristen und Bergfexe.” Das waren laut Martin Hanni die Gäste, die in Eppan damals flanierten, dinierten und sinnierten. Am 5. August erscheint das Werk “Auf dem Weg zum Paradies – Klimatischer Kurort Eppan” des Eppaner Autors und Publizisten.


Angefangen hat alles mit dem Kurverein, der 1872 in Eppan gegründet wurde – nach dem Vorbild von Meran und Gries, das damals noch eine eigene Gemeinde war und nicht zu Bozen gehörte.

Ursprünglich wurde ein “Curverein für ganz Überetsch” gegründet. Allerdings sprangen die Kalterer ab. Diese Konkurrenz zwischen Eppan und Kaltern schwelt bis heute: Die Kalterer punkten mit dem See, Eppan mit den Burgen und Ansitzen. Gemeinsam aber setzen die beiden Gemeinden auf den Wein. Jedenfalls hat man schon versucht, Eppan und Umgebung als Ziel für Kuraufenthalte bekannt zu machen. Am Bahnhof entstand ein hervorragendes Sanatorium, das 1918 leider Gottes geschlossen wurde.

Mit welcher Strategie wurde der Kurtourismus vermarktet?

Man hat immer versucht, mit den klimatischen Bedingungen zu punkten. Bereits in den ersten Prospekten des Grand Hotel Hocheppan, das später in das Sanatorium umgewandelt wurde, ist die Rede von den Sonnentagen in Eppan und davon, dass es staub- und nebelfrei ist. Auch in späteren Prospekten werden stets das sonnige Klima und die Reblandschaften erwähnt. Das hat immer schon gewirkt.

 

Heute ist Eppan die größte Weinbaugemeinde Südtirols. Einst landeten die Trauben aber nicht nur in den Kellereien.

Ab den 1920er Jahren wurde die Traubenkur sehr angepriesen. Sie sollte “wahre Wunder bewirken”. Es gibt einen sehr interessanten historischen Prospekt, in dem man erfährt, wer sich von der Traubenkur alles angesprochen fühlen soll. Darunter Beamte, die lange sitzen müssen – in dem Fall soll die Traubenkur gegen Hämorrhoiden helfen.

 

Wer in Eppan und Umgebung unterwegs ist, bekommt den Eindruck, dass es vor allem als Urlaubsdestination von Gästen aus dem deutschen Sprachraum beliebt ist. Täuscht das?

Nein, keineswegs. Auch heute kommen insbesondere Gäste aus dem süddeutschen Raum. Bei uns merkt man immer, wenn dort die Ferien beginnen. Wenn Bayern oder Schwaben frei haben, füllt sich Eppan. Bei Schwaben und Bayern ist Eppan nach wie vor attraktiv, genauso bei Österreichern und Schweizern – auch wegen der leichten und raschen Erreichbarkeit. Den italienischen Gast hat man hingegen schon in den 1950er Jahren, als nach dem Krieg die ersten Gäste kamen, weniger angesprochen. Der italienische Gast will nicht unbedingt Eppan mit seinen lieblichen Landschaften und dem Wein – das ist ihm zu wenig “montagna”. Der Italiener will Berge – und Berge heißt für ihn Dolomiten.

Hat sich der Tourismus in Eppan entsprechend anders entwickelt als in anderen Südtiroler Landesteilen?

Den Großraum Überetsch mit Eppan, Kaltern und Tramin – die Weinstraße also – würde ich von der Gästestruktur her mit dem Burggrafenamt vergleichen. Der Meraner Raum hat ähnliche Gäste wie wir sie bei uns sehen, samt Tagesgästen. Was bei uns fehlt, sind Tourismus-Hochburgen wie Dorf Tirol und Schenna mit einem großen Hotel neben dem anderen. Aber das vermissen wir jetzt auch nicht unbedingt… Eine Eppaner Eigenart ist, dass in Ansitzen zum Teil auch Zimmer vermietet wurden. Für viele adelige Familien war das aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage vor allem in den 1930er Jahren notwendig, um sich über Wasser zu halten.

 

Eine Ganzjahresdestination ist Eppan aber bis heute nicht geworden?

Meist beginnt die Saison mit Ostern und endet nach dem Sommer. Ich kann mich erinnern, als ich jünger war, da war im Oktober schon nicht mehr viel los. Zur Weinernte im September waren die einzigen “Fremden”, die noch da waren, die Wimmerinnen und Wimmer aus dem Sarntal oder aus dem Pustertal. Die gibt es ja heute auch nicht mehr. Wobei sich die Saison inzwischen doch verschoben hat: Mittlerweile geht sie bis in den November hinein.

 

Für Ihre Arbeit an der Festschrift haben sie viel in Archiven und Nachlässen gestöbert. Was war der kurioseste Fund, den Sie dabei gemacht haben?

Wir haben in den Archiven wirklich ganz tolle Sachen gefunden. Fasziniert hat mich zum Beispiel die Liebenburg, die Pension des Ubald von Lutz. Von Lutz war einer der Pioniere in den 1920er Jahren. Er war Lehrer, der seinen Beruf aufgegeben und mit seiner Frau Notburga Kössler im Ansitz Liebenburg eine Pension eröffnet hat.

Was beeindruckt Sie daran?

Ubald von Lutz hat Anfang des 20. Jahrhundert schon sehr professionell gearbeitet. Er verschickte dreisprachige Prospekte, pflegte Connections nach München und hat den Tourismus in Eppan nachhaltig geprägt. Genauso Konrad Dissertori. Der ehemalige Direktor des Tourismusvereins hat sich ab den 1950er Jahren für fast 40 Jahre dem Tourismus gewidmet und selbst viel gesammelt und aufbewahrt. In seinem Nachlass habe ich silberne und goldene Anstecknadeln gefunden, die als Ehrungen für die Gäste gedacht waren, Plakate, Gadgets für die Gäste, Kinderrucksäcke.

 

Das Überetsch hat zahlreiche Tourismuspioniere erlebt. Welche Rolle spielten Frauen für den Fremdenverkehr? Gab es eine Eppaner Emma Hellenstainer?

Eine richtige Emma Hellenstainer hatten wir nicht. Aber die Frauen haben maßgeblich zum touristischen Aufschwung und Erfolg beigetragen. Notburga Kössler hat genauso im Betrieb mitgewirkt wie ihre Töchter. In den 1950er Jahren gab es die Frau Moser in Montiggl. Das Imperium, das heute ihre drei Söhne führen, hat sie aufgebaut. Dazu kommen all die Gastwirtinnen, die gekocht haben, während die Männer die Gäste unterhielten. Die Frauen sind nie wirklich in Erscheinung getreten, aber haben das Geschäft mit vorangebracht, auch abseits der Küche. Von Frau Schrott hat mir ihr Sohn erzählt, dass sie sich in den 1950ern um alles gekümmert hat: Bis Mitternacht stand sie in der Küche und ging dann in die Nähstube, wo sie aus weißen, verschleißten Tischtüchern “Küchenhangerlen” nähte – um zu sparen. Und in der Privatzimmervermietung, die auch in den 1950ern begann, waren hauptsächlich Frauen am Werk, die oft klein mit der Pension und den Fremdenzimmern anfingen und den Betrieb nach und nach ausbauten. In diesen Jahren hatten viele Frauen zum ersten Mal eigenes Geld in der Hand. Ich weiß von einer Frau, die gesagt hat, “endlich habe ich mir einmal etwas kaufen können ohne den Mann zu fragen”. Das waren doch kleine Meilensteine in der Emanzipation.

 

Wie hat der Tourismus das Orts- und Landschaftsbild von Eppan und Umgebung verändert?

Es ist nicht so ausgeartet wie anderswo. Aber man merkt den Einfluss des Tourismus natürlich. Die Hotels haben nach und nach Sterne dazubekommen und sich entsprechend vergrößert. In den 1980er Jahren hat man noch versucht, den Stil der Hotels in Seefeld zu kopieren, mit Türmchen und Kitsch. Mittlerweile geht der Trend bei den Bauten wieder zurück ins Lineare, Gerade. Die Ansprüche der Gäste ändern sich und mit ihnen die Architektur. Davon abgesehen wurden mit Beginn von Urlaub auf dem Bauernhof und dem entsprechenden Gesetz sehr viele Höfe ausgesiedelt, um Ferienwohnungen und UaB-Wohnungen anzubieten. Diese Entwicklung hat das Landschaftsbild nicht immer zum Positiven beeinflusst.

Große Polemiken wie in anderen Orten oder Tälern, wo angesichts ausufernder Tourismusbauten und -ströme viele inzwischen sagen “Es ist genug” – denken wir an das Passeiertal oder das Pustertal –, hat es in Eppan dennoch nie gegeben?

Nein, eigentlich nicht. So große Probleme hat es nie gegeben. Auch haben wir das Problem mit den Zweitwohnungen nicht. In Eppan geht der Trend eher in die andere Richtung. Ab den 1990er Jahren wurden viele Privatzimmervermietungen aufgelassen. Deshalb ging die Bettenzahl drastisch zurück – sie hat sich fast halbiert.

Weshalb?

Die nachfolgende Generation hatte genug vom Gast, der gerade in den Privatvermietungen fast zum Familienmitglied geworden war – die “Fremmen” saßen teilweise in der privaten Stube, in der Küche und das wollten die Jungen nicht mehr. Dazu kam die Notwendigkeit, den Nachkommen den Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Heute gibt es in Eppan kaum mehr Privatzimmervermietung.

 

Eine Frage auch an Sie als Vorsitzende des Eppaner Heimatpflegevereins: Halten sich die positiven Effekte und die negativen Begleiterscheinungen des Tourismus im Gleichgewicht? Oder überwiegt das Gute oder das weniger Gute?

Rein aus wirtschaftlicher Sicht hat er Gutes gebracht. Ich denke an das Dorfbild: Viele Häuser wurden saniert, die Ortskerne hergerichtet, verschönert und gepflegt. Und ich denke an den Wohlstand, der mit dem Tourismus gekommen ist. Vom Landschaftlichen her kann man die Zersiedelung bemängeln. Diesen negativen Aspekt hätte man anders in den Griff kriegen können. Auch aus architektonischer Sicht haben wir wohl nicht unbedingt immer das Beste daraus gemacht. Zum Glück stehen viele Häuser und Gebäude unter Denkmalschutz und die Ansitze wurden so schonend wie möglich saniert und restauriert. Schließlich sind sie immer noch unser Kapital und wir machen weiter damit Werbung.

 

Damit schließen Sie, wo Sie begonnen haben: In den 150 Jahren seit Gründung des ersten Kurvereins nicht wirklich etwas verändert in Eppan?

Vom Image her sicherlich nicht allzu viel: Wir haben den Montiggler See, wir haben die Burgen, die Ansitze, wir haben die Trauben, den Wein. Diese Attraktionen wurden damals schon angepriesen und sind bis heute eigentlich mehr oder weniger dieselben geblieben. Die heutigen Touristiker haben nichts neu erfinden müssen, keine Attraktion, kein Event, kein Gardaland. Die Gäste, die kommen, sind nicht nur zufrieden, sondern schwärmen regelrecht. Sie sind immer wieder fasziniert von dem Klima und der üppigen, vielfältigen Vegetation. Eine Urlaubsdestination nicht weit weg von daheim, aber mit völlig anderen klimatischen Bedingungen.