Politica | Parlament

Die zwei Gesichter

Während die SVP alles tut, um im Landtag den Masken-Untersuchungsausschuss zu versenken, fordern die SVP-Abgeordneten in Rom die Einsetzung einer Parlamentsskommission.
Abgeordnetenkammer
Foto: Camera dei Deputati
Dass in der Brust der SVP gleich mehrere Seelen wohnen, ist eigentlich keine Neuigkeit mehr.
Dennoch beeindruckt die politische Doppelzüngigkeit, mit der die Südtiroler Regierungspartei in diesen Wochen ihre Agenda abarbeitet.
So kann man in Rom eines tun und in Bozen genau das Gegenteil davon. Auch das gehört anscheinend zur DNA einer Sammelpartei.
 

Aktion Versenkung

 
Angeführt von Landeshauptmann Arno Kompatscher versucht man die Untersuchungskommission des Südtiroler Landtages zur sogenannten Maskenaffäre lahmzulegen. So hat der Landeshauptmann dem Landtag und der Kommission ein Rechtsgutachten übermitteln lassen, in dem rechtliche Bedenken zur Anhörung der öffentlichen Bediensteten geäußert werden. Vor allem aber gibt man mit dem Gutachten eine klare Empfehlung ab: Die Arbeiten des Untersuchungsausschusses sollen so lange ausgesetzt werden, bis die Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft beendet sind.
Wer die biblischen Zeiten des italienischen Gerichtswesens kennt, dem ist klar, dass dieser Vorschlag den Todesstoß für das Kontrollgremium des Landtages bedeutet. Damit würde der Ausschuss sein Arbeiten kaum mehr in dieser Legislatur abschließen können. Das heißt, dass die gesamte Untersuchung hinfällig wird.
 
 
Dass genau das die Taktik und das Ziel der Volkspartei ist, zeigte sich am vergangenen Freitag, als die gesamte Landesregierung ohne Erklärung die Zeugenvorladung im Untersuchungsausschuss einfach ignoriert hat.
Eine augenscheinlichere Geringschätzung einer parlamentarisch verbürgten Kontrollfunktion kann es wohl kaum geben.
 

Schullians Gesetzesvorschlag

 
Gleichzeitig zeigt die SVP in Rom aber, dass es genau gegenteilig auch geht.
Die SVP-Abgeordneten Manfred Schullian, Renate Gebhard und Albrecht Plangger haben am 11. Juni in der Kammer einen Gesetzesvorschlag mit dem Titel „Istituzione di una Commissione parlamentare di indirizzo per la gestione dell'emergenza economico-sociale nazionale“ hinterlegt.
Der Vorschlag zielt darauf ab, die Krisenbewältigung der Regierung, der Ministerien und der Regionen in diesem Frühjahr in Sachen Covid-19-Pandemie genau zu analysieren und zu bewerten.
 
 
 
Dabei ist die Situation in Rom völlig deckungsgleich mit jener in Südtirol. Denn auch dort laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bergamo, die der Frage nachgehen, ob man die roten Zonen in der Lombardei und in der Emilia Romagna zu spät geschlossen und isoliert habe. Ministerpräsident Giuseppe Conte wurde von den Staatsanwälten bereits angehört. Demnächst werden andere Regierungsmitglieder folgen.
Diese Vorgangsweise zeigt, wie zynisch man unterm Edelweiß mit grundlegenden Fragen der parlamentarischen Demokratie umgeht.
Trotz dieser Parallelen gelten in Rom aber völlig andere Naturgesetze. In der Kammer fordern die SVP-Parlamentarier die Einsetzung einer "commissione di indirizzo". Es ist ein Ausschuss, der sich mit einem aktuellen Problemfeld beschäftigt. So gib es derzeit solche Auschüsse zur RAI, zu den Hilfsmaßnahmen in Süditalien, zum Wiederaufbau der Industrie, zur öffentlichen Verschuldung oder zum Phänomen der Mafia. Formal sind sie durchaus ein politisches Kontrollorgan.
"Es geht hier nicht um eine Untersuchungskommission", widerspricht Einbringer und Anwalt Manfred Schullian dieser Sicht der Dinge, "sondern um eine Kommission, die die Arbeit der Regierung begleiten soll".
Im Begleitbericht zum Gesetzesvorschlag heißt es:
 
"È dunque possibile, in un momento delicato come quello attuale, fare un passo in più sulla strada della condivisione delle politiche pubbliche nel tempo dell’emergenza, utilizzando lo strumento di una Commissione parlamentare d’indirizzo, con un presidente di garanzia, da strutturare secondo una tipologia già sperimentata nel nostro ordinamento. L’istituenda Commissione potrebbe rappresentare un «luogo» per elaborare una politica condivisa, con le necessarie aperture, attraverso le risorse tipiche delle Commissioni parlamentari d’indirizzo, che sono quelle dell’acquisizione di documenti, programmi e progetti, dello svolgimento di audizioni del mondo sindacale, produttivo e finanziario nazionale e della facoltà di proporre indirizzi capaci di assicurare un consenso ampio nel Parlamento e nel Paese."
 
In Rom wertet die SVP damit das Parlament auf und in Südtirol den Landtag ab.
Vor allem aber macht diese Vorgangsweise deutlich, wie zynisch man unterm Edelweiß mit grundlegenden Fragen der parlamentarischen Demokratie umgeht.

Update 29.6.2020 - 13.20 Uhr: Dieser Artikel wurde durch eine Klarstellung  von Manfred Schullian ergänzt. 
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Renate.Holzeisen Lun, 06/29/2020 - 12:56

Das Schlimme ist, dass einem beträchtlichen Teil der Südtiroler Bevölkerung die Niedertracht der Vorgehensweise der SVP nicht einmal bewusst ist, weil sie seit jeher in der Südtirol-spezifischen Demokratie-Farce nicht das notwendige Grundverständnis und die daraus entstehende Sensibilität entwickelt hat.

Lun, 06/29/2020 - 12:56 Collegamento permanente