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Verpackung zum Vernaschen

Ab 2021 gilt das Plastikverbot der EU. Weniger Plastikmüll will auch das Münchner Startup Wisefood und ersetzt Einweggeschirr und Trinkhalme mit essbaren Alternativen.
Essbare Trinkhalme aus Apfelfasern
Foto: Wisefood

Die Welt steht vor einer Herausforderung: Fast das gesamte Plastik, das je auf dem Planeten hergestellt wurde, existiert heute noch. Das entspricht 7,8 Trillionen Tonnen Plastikmüll. Damit könnte man 23 Mal alle Hochhäuser von New York füllen. Mit diesen Müllbergen verschmutzen wir unsere Umwelt, setzen Tierarten in Gefahr und kontaminieren unsere eigenen Körper mit Mikroplastik, dessen potentielle Schäden noch kaum erforscht sind.

Immer mehr Länder führen daher Plastikverbote ein: In Italien dürfen seit 2011 nur mehr Taschen aus biologisch abbaubaren Materialien hergestellt werden. In Kenia, Bangladesch, und Ruanda gelten ähnliche Verbote von Plastiktüten. Das weitreichendste Verbot gibt es in Bali – dort sind seit 2019 Einwegtüten, Geschirr und Strohalme aus Plastik nicht mehr erlaubt. In der Europäischen Union sind ab dem 3. Juli 2021 bestimmte Plastikprodukte verboten, darunter Einwegbesteck- und geschirr, Strohhalme, Wattestäbchen und Behälter für Getränke und Lebensmittel aus Polystyrol (z.B. in Joghurtbechern enthalten). Zudem vereinbarten die EU-Mitglieder das Ziel, 90 Prozent aller Plastikflaschen bis 2029 zu recyceln.

 

 

Als Alternative sollen Materialien eingesetzt werden, die wiederverwendbar sind und somit eine nachhaltigere Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Dazu gehören Apfelfasern, also jene Reste der Frucht, die bei der Herstellung von Apfelsaft entstehen und normalerweise weggeworfen werden. Die Apfelfasern als Plastikersatz entdeckte eine Gruppe Studierender, die hobbymäßig begann, mit Apfelresten herumzuexperimentieren. Aus dem Zusammenschluss mit dem Karlsruher Institut für Technologie ergab sich die Entdeckung:Organische Abfallprodukte bergen ein Riesenpotential, um Plastik zu ersetzen.

 

Plastik-Alternativen zum Vernaschen

 

Auf dieser Entdeckung basierend gründeten die Jungunternehmer Patrizia Titz, Philipp Silbernagel und Maximilian Lemke das Startup Wisefood in München. Das Food-Tech Unternehmen stellt neben Strohhalmen aus Apfelfasern auch Teller aus Weizenkleie, Becher, Kaffeerührer und Löffel her – alles essbar und wiederverwendbar. Über 100 Millionen Einweg-Plastikartikel ersetzte Wisefood bisher mit nachhaltigen Alternativen. Das Ziel des Unternehmens: bis 2022 eine Milliarde Einwegartikel mit essbaren Produkten ersetzen.

 

 

Doch es geht dem jungen Unternehmen um mehr als nur um den Umsatz: „Wir stehen ganz klar hinter dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft, und machen die Nachhaltigkeit zu einem zentralen Kriterium bei unseren wirtschaftlichen Entscheidungen“, erklärt PR-Managerin Lilli von Stengel. Auch über das Unternehmen hinaus wollen sie den Nachhaltigkeitsgedanken verbreiten: „Wir möchten gerne ein Umdenken in der gesamten Verpackungsbranche generieren und ein neues Bewusstsein schaffen.“ Potential dafür gebe es zur Genüge, so von Stengel, nur würden Alternativen häufig übersehen, weil wir Plastik gewohnt seien und das Material eine einfache Lösung darstelle.

Eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung der Materialien ist es, ein Rezept zu finden, das eine gewisse Haltbarkeit der Artikel ermöglicht. Die Haltbarkeit der Apfelfaser-Trinkhalme beträgt, laut eigenen Angaben, bei Raumtemperatur circa eine Stunde. Doch je nach Form muss auch die Rezeptur angepasst werden, um die Haltbarkeit zu garantieren; und Formen gibt es bei Wisefood zunehmend mehr: Das Food-Tech Unternehmen will im nächsten Jahr ihr Produktangebot um einiges erweitern. „Wir wollen ein komplettes Portfolio an Alternativen schaffen für alles, was ein Gastronomie- oder Einzelhandelsbetrieb braucht“, erklärt von Stengel. Dazu gehören neben Halmen und Bechern auch Besteck und Verpackungen.

 


 

Europa als Vorreiter?

 

Das Tüfteln an neuen Rezepturen zahlt sich aus- Wisefood wurde von der Cleantech Group, einem internationalen Unternehmen zur Förderung nachhaltiger und innovativer Wirtschaft, als eines der Top 50 Startups weltweit ausgezeichnet. Die Auszeichnung wird jährlich an vielversprechende Startups mit hohem Impact vergeben. Vielversprechend wohl auch deshalb, weil Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt: Immer mehr Gastronomie- und Hotelleriekonzerne werden sich ihrer sozialen- und ökologischen Verantwortung bewusst. Auch Verbraucher achten heute stärker darauf, wie und wo Produkte hergestellt werden und wie groß ihr CO2-Fußabdruck ist.

„Europaweit ist der Nachhaltigkeitsgedanke in der Verpackungsbranche stark vertreten“, ist PR-Managerin von Stengel überzeugt,vor allem im Vergleich mit anderen Ländern“. Das Plastikverbot der EU ist ein Anfang, um europäische Unternehmen zu Vorreitern im Kampf gegen den Plastikmüll zu machen. Und es wirkt sich positiv auf die Nachfrage bei Wisefood aus, wie von Stengel erzählt.Je näher der Eintritt des Verbots rückt, desto wichtiger und spannender werden unsere Alternativen gerade für die Gastronomie- und Hotellerie.“ Das seien notwendige und erfreuliche Entwicklungen, die allerdings schon vor der EU-Entscheidung ins Rollen gekommen waren: „Ein Umdenken ist schon länger da. Das Gesetz beschleunigt nun aber diesen positiven Veränderungsprozess.“