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„In einer Grauzone lassen wir niemand“

Der Osttiroler Mediziner Gernot Walder über die Fehlerquote, dass es in Österreich das Resultat „zweifelhaft“ nicht gibt und die Güte der Testverfahren in Südtirol.
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Foto: Dolomitenstadt.at
Salto.bz: Herr Doktor Walder, wie kann bei einem Covid-19-Test eine Ergebnis herauskommen, das „zweifelhaft“ ist?
 
Gernot Walder: Jeder medizinische Test kann ein zweifelhaftes Resultat liefern. Deshalb verwendet man in der Medizin in Situationen, wo es wirklich um weitreichende Entscheidungen geht, meistens zweistufige Testverfahren. Ein erstes Testverfahren mit einer hohen Sensitivität und ein zweites Testverfahren mit einer hohen Spezifität.* Auf diese Weise kommt man zu einem sicheren Ergebnis. Wobei auch gesagt werden muss: Ein 100prozentige Sicherheit gibt es nicht, denn irgendwas, was daneben geht, kann es immer geben. Aber in den meisten Fällen kommt man so zu einer klaren Entscheidung.
 
Das heißt in Österreich gibt es nur zwei amtliche Testergebnisse: Positiv oder Negativ?
 
Wir bemühen uns nur Positiv und Negativ auszugeben. Da bei uns aber immer auch ein Facharzt involviert ist, gibt es bei den wenigen problematischen Befunden eine Erklärung dazu. Dort wird die Situation aus ärztlicher Sicht geschildert. So werden ein Krankenhaus, ein Altersheim oder eine Privatperson zum Beispiel benachrichtigt, dass von dem Patienten derzeit kein Infektionsrisiko ausgeht, sich diese Diagnose in den kommenden Tagen aber noch ändern könnte. Deshalb wollen wir noch einen zweiten Test machen.
Es gibt dann auf jeden Fall ein Ergebnis, das klar positiv oder klar negativ ist.
Ist für Sie nachvollziehbar, dass man in Südtirol das Testergebnis „zweifelhaft“ (dubbio) ausgibt und für diese Menschen umgehend alle Quarantänemaßnahmen gelten, die auch für positiv getestete Personen gelten?
 
Nein. Denn das ist eine Behördenentscheidung. Das ist auch einer der Gründe, warum ich in diesen Fällen meine Befunde ausgiebig kommentiere. Ich versuche der Behörde eine Art Wegweisung zu geben, wie ich das gesamte Risiko einschätze. Man muss bedenken: Eine Coronavirus-Quarantäne ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, die nicht nur den Patienten betrifft, sondern auch sein ummittelbares Umfeld. Eine solche Entscheidung muss deshalb sehr sorgfältig getroffen werden.
 
Es ist eine Frage, die über die medizinische Sicht hinausgeht?
 
Natürlich. Wir befinden uns hier an einer kritischen Schnittstelle zwischen Juristen und Ärzten. Hier muss man in einen Dialog treten und versuchen den Juristen, der den Bescheid ausstellt, möglichst gut zu beraten. Vor allem im Sinne des Patienten. Wir sagen: Stellt den Bescheid jetzt einmal für zwei Tage aus und in 24 oder 48 Stunden haben wir ein neues Testergebnis und dann entscheiden wir endgültig, was wir machen. Aber es gibt dann auf jeden Fall ein Ergebnis das klar positiv oder klar negativ ist. In einer Grauzone lassen wir niemand.
 
Kann man Menschen wie in Südtirol üblich eine Woche oder 11 Tage auf den zweiten Test in der Quarantäne warten lassen?
 
Ich weiß nicht welche organisatorischen Probleme es in Südtirol gibt. Aber gut ist das sicher nicht und wenn man das vermeiden kann, dann sollte man das vermeiden. Wir haben gerade deshalb vehement dazu geraten, dass man den Zugang zum Test möglichst niederschwellig gestaltet. Das wurde in Osttirol dann auch so umgesetzt. So dass auch ein Hausarzt Test abnehmen und einmelden kann. Mit diesem System haben wir es geschafft, dass 98 Prozent der Tests auch wirklich innerhalb von 24 Stunden ausgewertet werden.
Eine Coronavirus-Quarantäne ist eine freiheitsbeschränkende Maßnahme, die nicht nur den Patienten betrifft, sondern auch sein ummittelbares Umfeld. Eine solche Entscheidung muss deshalb sehr sorgfältig getroffen werden.
Gibt es eine medizinische Indikation, einen zweifelhaften Test als positiven Test zu werten?
 
Nein. Ein zweifelhafter Test ist und bleibt zweifelhaft. Der ist weder positiv noch negativ. Wenn das Ergebnis nicht klar ist, muss man schauen mit dem zweiten Test zu einer Entscheidung zu kommen. Dazu muss man gegebenenfalls die Testsysteme anpassen. Bei uns wird ein Test gemacht. Ist der Test negativ, ist fertig. Ist der Test positiv wird ein unabhängiger Bestätigungstest durchgeführt und wenn der dasselbe Ergebnis ergibt, ist der definitiv positiv. Da gibt’s nichts zu rütteln. Stellen wir beim zweiten Test fest, dass das Resultat vom ersten Test unspezifisch ist, dann erklären wir alles, als negativ gewertet. Wir schreiben dann zum Beispiel dazu: Im Augenblick sehen wir kein Infektionsrisiko, weil sich hier aber noch etwas entwickeln könnte, ersuchen wir die Person innerhalb 24 oder 48 Stunden noch einmal zu testen.
 
 
 
Passiert das in der Praxis?
 
Ja. Manchmal finden wir nur eine geringe Menge von RSA-Material des Virus. Zwei Tage später kann der Test dann durchaus negativ sein.
 
Stimmt es, dass die Fehlerquote bei diesen Tests bei bis zu 30 Prozent liegt?
 
Das hängt davon ab, welchen Test ich mache. Wenn ich ein ordentlich standardisiertes Protokoll anwende, dann darf das nicht passieren. Dann sind wir bei einer Fehlerquote von unter einem Prozent. Wenn ich hingegen einen Antiköperschnelltest auf Blut hernehme, dann haben wir wahrscheinlich eine Fehlerquote von 30 Prozent. Zum einen weil Patienten erst später positiv werden und der Test damit drei vier Tage nachhängt und zum anderen besteht bei diesen IGM-Tests immer die Gefahr unspezifischer Reaktionen. Es hängt also wirklich vom Testsystem ab und solange ich nicht weiß, was die Kollegen in Südtirol einsetzen, kann ich das auch nicht seriös beurteilen.
 
Ihr Labor hat einen Vertrag mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb. Sie machen seit über einem Monat für Südtirol 300 molekulare Sars-CoV-2 PCR Nachweistests pro Tag und Sie wissen nicht was man in Bozen für die Test verwendet?
 
Das ist uns nicht bekannt. Wobei ich sagen muss, wir haben auch nicht nachgefragt. Wir haben unsere Testsysteme im Jänner ausgebaut und wir haben darauf geachtet alles gut abzusichern. Wir sind in der österreichischen Krisengruppe mit dabei. Zudem überprüfen wir das gesamte Testsystem immer wieder durch Kontrollen mit den klinischen Daten und im Austausch mit dem Referenzzentrum. Was aber die Südtiroler und die italienischen Kollegen tun und verwenden, ist uns im Detail nicht bekannt.
Man kann das so interpretieren, dass das am Testsystem liegen muss.
Wie viele von den 300 Tests, die Sie täglich in Ihrem Labor für den Südtiroler Sanitätsbetrieb machen, sind am Ende weder positiv noch negativ?
 
Dass ein Test so ausfällt, also unbeurteilbar ist, dürfte eine absolute Seltenheit sein. Ich würde sagen weit unter 1 Prozent.
 
Das heißt, solche zweifelhaften Ergebnisse sind auf das italienische und Südtiroler Testverfahren oder Testprotokoll zurückzuführen?
 
Ja man kann das so interpretiere, dass das am Testsystem liegen muss. Deshalb wird man die eingesetzte Methode einmal genauer wissenschaftlich evaluieren müssen. Wobei eines hier dazukommt: Wenn ein Probe zum Beispiel sehr lang im Transport liegt oder unsachgemäß gelagert wird, also nicht richtig abgekühlt wird, dann erhöht sich die Fehlerquote deutlich. Ab zwei Tagen wird das ganze sicher problematisch. Deshalb würde ich darauf tippen, dass die Tests, die unzuordenbar sind, im Allgemeinem am Testsystem liegen, das man verwendet.
 
 
* Die Sensitivität eines diagnostischen Testverfahrens gibt an, bei welchem Prozentsatz erkrankter Patienten die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird, d.h. ein positives Testresultat auftritt. Sie wird definiert als der Quotient aus richtig positiven Testergebnissen und der Summe aus richtig positiven und falsch negativen Testergebnissen. Je höher die Sensitivität eines Tests ist, desto sicherer erfasst er die Erkrankung.
Die Spezifität eines diagnostischen Testverfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betreffenden Erkrankung leiden, im Test auch als gesund erkannt werden. Sie wird definiert als der Quotient aus richtig negativen Testergebnissen und der Summe aus falsch positiven und richtig negativen Testergebnissen – also allen Testergebnissen, denen tatsächlich keine Erkrankung zugrunde lag.
 
 
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Christoph Wallnöfer Gio, 04/30/2020 - 13:23

Zitat Gernot Waldner oben: "Was aber die Südtiroler und die italienischen Kollegen tun und verwenden, ist uns im Detail nicht bekannt."

Das würde ich auch gerne wissen. Ich hatte bereits vor circa 10 Tagen beim Labor für Mikrobiologie und Virologie in Bozen verschiedene Informationen über die verwendeten Tests, die Testprotokolle usw. angefragt. Bisher ohne Antwort.

Gio, 04/30/2020 - 13:23 Collegamento permanente
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Sepp.Bacher Gio, 04/30/2020 - 14:02

Das klingt so, als würde in Südtirol mit verschieden Methoden getestet, welche eine unterschiedliche Aussagekraft haben. Und dann werden sie aber statistisch zusammengezählt und dieses Ergebnis wird uns als seriös präsentiert.

Gio, 04/30/2020 - 14:02 Collegamento permanente
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Sebastian Felderer Gio, 04/30/2020 - 15:48

In risposta a di Sepp.Bacher

Sepp Bacher, ist dir nicht klar, dass in Südtirol nach Parteiausweis und Einkommen getestet wird. Und wenn du Pech hast, wird auch noch der Proporz angewandt. Also klar ist in dieser Angelegenheit nur eines: Wenn Politik und Sanität mit dem Normalzustand nicht fertig werden, wie sollen sie dann so eine Krise schüsseln? Respekt und Verbeugung vor allen, die in solche Situationen trotz Chaos nicht die Nerven verlieren. Sonst hätten wir wahrscheinlich noch mehr Tote, aber ohne corona-Diagnose. Calabrien macht die Betriebe auf und unsere müssen Schaum schlagen und das Kriegsbeil ausgraben, weil sie sich vor den Verbänden, also den eigenen SVP-Leuten nicht mehr erwehren. Ich kann nur noch lachen. Bravo corona !!!

Gio, 04/30/2020 - 15:48 Collegamento permanente
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Frei Erfunden Gio, 04/30/2020 - 16:37

Auch in der Medizin spiegeln sich in weiterem Sinne Weltanschauungen.
Die Südtiroler Sanität (und vor allem die italienische) verfolgt tendentiell oder traditionell ein defensives Verhaltensmuster: es gibt pros und contras hierfür.
Meine persönliche Überzeugung ist : defensiv ist destruktiv; offensiv und pragmatisch mit verantwortungsvollem Abwägen wäre meine Devise.
In diesem speziellen Fall würde offensiv bedeuten: Testergebnis unschlüssig - Test wiederholen - Test nicht durchführbar - 2 Wochen Quarantäne und Schluss (vorausgesetzt natürlich Patient symptomfrei und weiterhin social distancing).
Die defensive und paternalistische Variante führt derzeit zu Chaos, Missverständnissen, Kosten- und Ressourcenexplosion, zum Teil -zigwöchigen Quarantänesituationen.

Literaturempfehlung: Prinzip Verantwortung, Hans Jonas.

Gio, 04/30/2020 - 16:37 Collegamento permanente