Società | Entwicklungsökonomie

"Am Ende ist es ein Geschäft"

Prof. Alexander Moradi spricht über Afrika: Den Klimawandel, die chinesischen Investitionen und die fragwürdige Entwicklungshilfe Europas.
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Alexander Moradi
Foto: Alexander Erlacher | unibz

Das Bild von Afrika als verlorenen Kontinent ist längst nicht mehr zeitgemäß. Dieser Meinung ist auch Prof. Alexander Moradi, der an der Freien Universität Bozen lehrt und forscht. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Volkswirtschaftslehre, der Wirtschaftsgeschichte und der Entwicklungsökonomie. Im Zuge seiner Forschungen hat er die afrikanischen Länder über einen langen Zeitraum beobachtet und erkennt sehr vielversprechende Entwicklungen. 

Herr Prof. Moradi, Sie forschen unter anderem im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Mit welchem Thema beschäftigen Sie sich derzeit?

Prof. Alexander Moradi: Wir haben in jüngster Vergangenheit an mehreren Forschungsprojekten gearbeitet und sind zu interessanten, teils überraschenden, Schlussfolgerungen gekommen. Wir sind zum Beispiel der Frage nachgegangen, ob Elektrizität den Lebensstandard der Menschen wirklich verbessert. Mangelnde Elektrizität galt immer als ein Schlüsselproblem der produzierenden Betriebe. Denn ohne Elektrizität ist die Produktion sehr teuer. In Burkina Faso haben wir die Auswirkungen eines Elektrifizierungsprogramms über einen Zeitraum von 15 Jahre beobachtet. Im ganzen Prozess wurde ein großes Problem übersehen: Nämlich, dass zwar viele Menschen theoretisch Zugang zu Elektrizität bekommen, praktisch aber den Zugang nicht bezahlen konnten. Vor allem reiche Haushalte profitierten von dem, von Steuergeldern finanzierten, Elektrifizierungsprogramm.

Die zentrale Schwierigkeit ist die Unberechenbarkeit des Wetters.

Sie führen vor allem Forschungen in Afrika durch. Wie geht es den afrikanischen Ländern mit Corona?

Die Auswirkungen von Corona sind in den afrikanischen Ländern nicht so stark spürbar wie bei uns. Das liegt auch daran, dass die Bevölkerung jünger und daher die Risikogruppe viel kleiner ist. Es gibt keinen Wirtschaftseinbruch wie in Europa. Die Ebola Epidemie von 2014 war im Vergleich ein viel größeres Problem.

Der Klimawandel wird sicher vieles verändern, die Lage wird sich aber nicht überall verschlechtern.

Ein anderes tiefgreifendes Thema ist der Klimawandel.

Ja, die westlichen Länder produzieren zu viele Treibhausgase und die afrikanischen Länder tragen die Kosten. Die zentrale Schwierigkeit ist nicht der Anstieg der Temperaturen, sondern die Unberechenbarkeit des Wetters. Da sehr viele Menschen in der Landwirtschaft tätig sind, sind sie direkt davon betroffen. Die Menschen werden in Folge migrieren und sich Richtung Meer bewegen. An sich ist das nicht schlecht. Dort, wo sich Menschen konzentrieren, steigt automatisch das Einkommen. Beispielsweise geht es den Menschen in den Städten im Durchschnitt deutlich besser. Der Klimawandel wird sicher vieles verändern, die Lage wird sich aber nicht überall verschlechtern.

 

 

Sie sprechen von Veränderungen. Trifft der Satz „Früher war alles besser“ auf die afrikanischen Länder zu?

Es gibt einige vielversprechende Entwicklungen und vielen Ländern geht es bedeutend besser als früher. Die Vorurteile von Afrika als verlorenen Kontinent, die noch viele Menschen haben, treffen nicht mehr zu. Aber es gibt immer noch zu viele Konflikte. Länder entwickeln sich gut, dann folgt ein Krieg, Menschen werden vertrieben, Kapital wird zerstört und alles verschlechtert sich wieder. Generell muss für ein langfristiges wirtschaftliches Wachstum die Nachfrage an Produkten, die in Afrika produziert werden, steigen. Seit den 1990er Jahren existiert diese Entwicklung, die vor allem auf China zurückzuführen ist. Durch die erhöhte Nachfrage sind die Preise der Primärgüter, die von afrikanischen Ländern exportiert werden, gestiegen. Gleichzeitig sind die Preise der Importgüter in Afrika gesunken. Für Handys und Motorräder müssen die Menschen deutlich weniger zahlen als noch vor 10 Jahren. Das ist alles sehr positiv.

Die Vorurteile von Afrika als verlorenen Kontinent treffen nicht mehr zu.

Sie haben gerade China erwähnt. Chinas Investitionen in Afrika werden in Europa mit einem kritischen Blick betrachtet.

Es ist eurozentrisch, zu denken, dass die Europäer eine bessere Entwicklungsarbeit leisten. Denn auch diese ist meist alles andere als unvoreingenommen. Den europäischen Ländern geht es um Einflussnahme und darum, Märkte für die eigenen Exportprodukte zu erschließen. Oft werden Hilfsgelder auch an Bedingungen geknüpft, das sind dann versteckte Subventionen für die heimische Industrie. Chinas Hilfe ist sicher nicht selbstlos, aber die chinesischen Investitionen sorgen wenigstens für Wirtschaftswachstum, was bei vielen europäischen Entwicklungsprojekten nicht so klar ist.

Ich persönlich sehe die derzeitige Entwicklungsarbeit sehr skeptisch.

Was halten Sie persönlich von Entwicklungshilfe?

Viele Studien sind zum Schluss gekommen, dass die Auswirkungen von Entwicklungshilfe langfristig nicht positiv sind. Entwicklungshilfe gibt es seit den 1970ern und dennoch sind viele Staaten nach wie vor bettelarm. Ein Beispiel: Eine NGO kommt in ein Land, bietet Gesundheitsdienste an und zahlt den heimischen Ärzt*innen höhere Gehälter als der Staat. Das Gesundheitspersonal arbeitet also lieber bei NGOs als beim Staat. Ohne qualifiziertes und motiviertes Gesundheitspersonal kann aber ein Staat schlecht Gesundheitspolitik betreiben. Ich persönlich sehe die derzeitige Entwicklungsarbeit sehr skeptisch. Am Ende ist es ein Geschäft, bei dem viel Geld im Spiel ist.

 

 

Wie sehen Sie Afrikas Zukunft?

Ich bin, was die Zukunft der afrikanischen Länder angeht, sehr optimistisch. Da bin ich im Bezug auf das Wirtschaftswachstum in Italien pessimistischer. Im Gegenzug zu Afrika stagnierte das durchschnittliche Einkommen in Italien in den vergangenen 10 bis 20 Jahren.

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Karl Trojer Gio, 05/06/2021 - 10:41

Möge der Optimismus des Professors recht bekommen ! Dass Chinas Afrika-Politik zukunftsfähiger als unsere europäische ist, scheint leider zuzutreffen. Afrika wurde von unseren Kolonialmächten jahrhundertelang ausgebeutet und verdient sich nun ehrliche Wiedergutmachung ! Wir sind so sehr vom Neoliberalismus geprägt, dass wir auf langfristige Zielsetzungen zu leicht verzichten und nur kurzfristige Erfolg zusammenraffen; das müsste sich durch markante EU-Direktiven ehestens ändern, wenn wir als EU nicht in die Bedeutungslosigkeit absacken wollen.

Gio, 05/06/2021 - 10:41 Collegamento permanente