Società | Justiz

Sackgasse Gerstburg

Am Bozner Verwaltungsgericht werden grundlegende Rechtsprinzipien missachtet. Ein aktueller Gerichtsfall macht deutlich, wie skandalös die Zustände sind.
Verwaltungsgericht
Foto: Othmar Seehauser
Es ist unzweifelhaft eine Errungenschaft der Autonomie.
Am 20. März 1989 nahm das Verwaltungsgericht Bozen seine Tätigkeit auf. Damit hat Südtirol einen eigenen Gerichtshof für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erhalten; acht Richterinnen und Richter arbeiten jährlich rund 300 Rekurse ab.
Die Tätigkeit in der Bozner Gerstburg ist eine Erfolgsgeschichte, die aber auch einige Schattenseiten hat. Vor allem die Ernennung der Richter - vier Richter werden vom Staat, vier vom Landtag ernannt - steht seit langem im Fokus der Kritik. Die Wahl der Richter durch den Landtag wird von vielen als „Politjustiz“ gebrandmarkt.
Nach dem Super-GAU um die Nichternennung des Sparkassen-Anwaltes Karl Reinstadler hat man zwar die Ernennungsprozedur überarbeitet, die grundsätzlichen Unzulänglichkeiten und Missstände in der Südtiroler Verwaltungsgerichtsbarkeit hat man damit aber kaum behoben.
Die Südtiroler Verwaltungsgerichtsbarkeit ist eine Sackgasse, aus der man kaum mehr herauskommen wird“, beschreibt die fatale Situation einer, der fast täglich in der Bozner Gerstburg ein und aus geht. Tatsache ist, dass in einem Netz aus politischen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten und dem Kleinstadtcharakter Südtirols grundlegende Rechtsprinzipen am Südtiroler Verwaltungsgericht außer Kraft gesetzt werden.
So kommt es immer wieder zu Befangenheiten und eklatanten Interessenkonflikten, die man einfach unter den Richtertisch kehrt.
Ein harter Vorwurf, der sich aber anhand von zwei konkreten Fällen belegen lässt.
 

Der Fall Rosskopf

 
Am 21. November 2017 hat der Dachverband für Natur- und Umweltschutz über seinen Anwalt Alex Telser am Bozner Verwaltungsgericht einen Rekurs gegen einen Landesregierungsbeschluss und gegen die Baukonzession der Gemeinde Sterzing zum Bau einer Talabfahrt am Rosskopf eingereicht und eine einstweilige Einstellung der Baumschlägerungsarbeiten erwirkt. Der Rekurs richtet sich gegen das Land, die Gemeinde Sterzing und die Skipisten- und Seilbahngesellschaft „Neue Rosskopf GmbH“.
Als Argumente führte der Dachverband im Rekurs unter anderem an, dass die Landesregierung im August dem Bau trotz eines negativen UVP-Gutachtens zugestimmt hätte, die Grundverfügbarkeit bisher nicht in allen Teilen gegeben sei und auch die Autobahngesellschaft bisher keine Genehmigung zur Unterquerung der Autobahn erteilt habe.  
 
Als am 12. Dezember 2017 vor dem Verwaltungsgericht die Verhandlung über die einstweilige Verfügung und die Aussetzung der Bauarbeiten stattfindet, kommt es in der Bozner Gerstburg zu einer fast surrealen Situation.
Die „Neue Rosskopf GmbH“ wird im Verfahren von Rechtsanwalt Alexander Bauer verteidigt. Bauer ist Sozius in der vor allem auf das Verwaltungsrecht spezialisierten Kanzlei „PMBA“. Heute heißt die Kanzlei Platter, Bauer, Ausserer. Das M stand ursprünglich für Michele Menestrina.
Michele Menestrina war jahrelang Partner in der Rechtsanwaltskanzlei von Peter Platter, Alexander Bauer und Alexander Ausserer, bevor er im Frühjahr 2017 zum Richter am Bozner Verwaltungsgericht ernannt wurde. Damit sitzt ein Mann am Richtertisch, der noch wenige Monate zuvor Partner einer am Verfahren beteiligten Anwaltskanzlei war.
Dass in dieser Situation ein Richter kaum als neutrale Instanz wahrgenommen werden kann und ein eklatanter Interessenkonflikt vorliegt, ist allen im Verhandlungssaal klar. Völlig peinlich wird es, als der Vertreter der ebenfalls am Verfahren beteiligten Staatsadvokatur diskret darauf aufmerksam macht, dass auf dem Briefkopf der Schriftsätze der Verteidigung immer noch Richter Michele Menestrina als Partner aufscheint.
Angesichts dieser absurden Situation setzt die „Neue Rosskopf GmbH“ die Arbeiten bis zur Hauptverhandlung freiwillig aus.
 

Vom Regen in die Traufe

 
Es ist klar, dass Richter Michele Menestrina in diesem Verfahren als befangen gelten muss. Deshalb findet das Hauptverfahren auch vor einem vierköpfigen Richtersenat statt, dem Menestrina nicht mehr angehört.
Als am 7. März 2018 die Hauptverhandlung am Bozner Verwaltungsgericht über die Bühne geht, sitzt Richterin Margit Falk-Ebner dem Senat vor. Falk-Ebner ist die Berichterstatterin und auch die Urteilsverfasserin, die mit Urteil Nr. 112/2018 den Rekurs des Dachverbandes ablehnt. Der Bau der Skipiste sei rechtens. Inzwischen behängt ein Rekurs des Dachverbandes gegen das Urteil beim Staatsrat in Rom.
Was aber anscheinend in der Bozner Gerstburg bisher niemand bemerkt hat: Margit Falk-Ebner ist als Richterin in diesem Fall nicht nur befangen, sondern es besteht ein eklatanter Interessenkonflikt, laut dem die Richterin nie mit diesem Fall befasst werden dürfte.
Margit Falk-Ebner ist die Ehefrau von Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner. Toni Ebner ist einer der größten Aktionäre der „Athesia AG“. Auch Margit Falk-Ebner persönlich sowie die gemeinsamen Kinder sind Gesellschafter des Multi-Unternehmens. Die Richterin hält direkt 1.212 Stammaktien des Medienkolosses.
Im Frühjahr 2016 gründet die Großfamilie Ebner in Bozen die „E & E Holding & Consulting GmbH“. E&E steht für Michl und Toni Ebner. Im Verwaltungsrat der Holding sitzen neben Michl und Toni Ebner auch deren Kinder.  Die „E & E Holding“ hält heute 50,25 Prozent und damit die Kontrollmehrheit in der Athesia AG.
 
Die Athesia ist über ihre Tochterfirma „Athesia Buch GmbH“ aber auch an der „Neuen Rosskopf GmbH“ beteiligt. Das Sterzinger Unternehmen hat insgesamt 122 Gesellschafter. Bis auf ein Dutzend sind es vor allem Kleinaktionäre.
Die Athesia Buch hält zwar nur eine kleine Beteiligung doch Tatsache ist, dass Richterin Margit Falk-Ebner damit zugunsten eines Unternehmens entschieden hat, an dem sie indirekt beteiligt ist.
Formal ein eklatanter Interessenkonflikt und mit größter Wahrscheinlichkeit ein Grund, das Urteil und das Verfahren für nichtig zu erklären.
 

Eingeschränkte Klageberechtigung

 
Liest sich das ganze bis hierher wie eine kaum glaubhafte Justizposse, hat der Fall aber noch eine andere, brisantere Ebene.
Im Urteil, mit dem Margit Falk Ebner den Rekurs des Dachverbandes gegen den Bau der Talabfahrt am Rosskopf abweist, beschäftigt sich die Richterin auch auf mehreren Seiten mit der Klageberechtigung des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz.
Ein Staatsgesetz sieht vor, dass die repräsentativsten Umweltschutzorganisationen wie Legambiente oder WWF in Sachen Umweltschutz eine allgemeine Sonderklageberechtigung haben. Diese Berechtigung wurde jahrzehntelang dem Dachverband in Südtirol verwehrt. Deshalb musste man sich bei Rekursen immer an die staatlichen Verbände anhängen. 2015 erstritt sich der Dachverband vor Gericht diese Sonderklageberechtigung in Umwelt- und Naturschutzfragen.
 
In ihrem Urteil schränkt Margit Falk Ebner jetzt aber diese Sonderklageberechtigung des Dachverbandes deutlich ein. Im Rekurs gegen die „Neue Rosskopf GmbH“ hatte der Dachverband unter anderem eine ganze Reihe von Verfahrensfehlern im Genehmigungsverfahren vonseiten der Gemeinde Sterzing und des Landes geltend machen wollen. Die Richterin schmettert in ihrem Urteil diese Rügen als unzulässig ab, „weil die formellen Fehler ...(...)... offensichtlich keinen unmittelbaren und direkten Bezug zum Umwelt- und Landschaftsschutz haben“.
Falk-Ebners Interpretation ist eine Rechtsmeinung, die durchaus vertretbar sein kann.
Doch es gibt einen Hintergrund, der diese Einschränkung der Klageberechtigung für Südtirols repräsentativste und größte Umweltschutzorganisation in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
2016 reichte der Dachverband, ebenfalls über seinen Anwalt Alex Telser, einen ähnlichen Rekurs gegen eine Talabfahrt ein. Damals richtete sich der Rekurs gegen die „Schnalstaler Gletscherbahnen AG“. Das betroffene Unternehmen und Skigebiet gehört bekanntlich zu 50 Prozent der Athesia AG.
Auch damals hatte der Dachverband formrechtliche Fehler im Genehmigungsverfahren geltend gemacht, und das Verwaltungsgericht war dieser Argumentation gefolgt. Im Frühjahr 2017 nahm das Verwaltungsgericht den Rekurs des Dachverbandes an, und der entsprechende Landesregierungsbeschluss wurde annulliert. Das Urteil war für das Athesia-Unternehmen auch ein wirtschaftlicher Schlag.
Inzwischen hat die Landesregierung das Genehmigungsverfahren wieder neu aufgerollt. Vieles spricht dafür, dass der Dachverband auch diesmal wieder gegen die Genehmigung der Schnalser Skipiste rekurrieren wird.
Es mag ein Zufall sein, dass ausgerechnet die Athesia-Aktionärin Margit Falk Ebner jetzt in einem ähnlichen Gerichtsfall, in dem es um einen Rekurs gegen eine Talabfahrt geht, die Klageberechtigung des Umweltschutzverbandes in Frage stellt und einschränkt. Ist es aber auch opportun oder zumindest vertretbar?
Diese Frage muss erlaubt sein und gestellt werden.
 

Das Korsett

 
Sicher ist: Auch in der Gerstburg ist man sich der schiefen Optik dieser absurden Situation bewusst.
Dass man das Ganze aber so zugelassen hat, liegt daran, dass man nicht anders kann.
Laut Gesetz müssen jedem Richtersenat zwei deutsche und zwei italienische Verwaltungsrichter angehören. Derzeit gibt es aber nur drei deutsche Richter: Edith Engl, Margit Falk-Ebner und Michele Menestrina.
Mit der eindeutigen Befangenheit im Rosskopf-Fall von Menestrina blieben damit nur mehr die beiden Richterinnen übrig. Deshalb dürfte man auch Falk Ebner eingesetzt haben. Sonst hätte man über den Fall am Bozner Verwaltungsgericht nicht entscheiden können.
 
Denn auch die jetzt erfolgte Nachbesetzung des vierten deutschen Richters ändert an dieser absurden Situation nichts. Außer, dass man das Ganze noch schlimmer gemacht hat.
Am vergangenen Freitag hat der Landtag mit 18 Stimmen den stellvertretenden Direktor der Anwaltschaft des Landes, Stefan Beikircher, zum neuen Verwaltungsrichter ernannt. Mit dieser Ernennung ist eine neue mannigfaltige Befangenheit vorprogrammiert.
Auch Stefan Beikircher könnte im Fall Rosskopf nicht dem Richtersenat angehören. Denn der Rekurs des Dachverbandes richtet sich auch gegen das Land, und in allen Prozessvollmachten des Landes ist Beikircher als Verteidiger angegeben.
Was aber noch bedenklicher ist: Fast zwei Drittel der Rekurse vor dem Landesgericht schließen das Land als Prozesspartei ein. Beikircher wird also all diese Fälle vorerst nicht behandeln können.
Danach wird der neue Verwaltungsrichter über Fälle zu urteilen haben, in denen sein langjähriger Arbeitgeber die beklagte Partei ist und in denen seine früheren Vorgesetzten, Kollegen und Untergebenen als Verteidiger auftreten werden.
Das Ende der Sackgasse scheint damit noch nicht erreicht.
 
 
 
 
Bild
Profile picture for user Renate Holzeisen
Renate Holzeisen Mar, 07/31/2018 - 05:50

Die Situation am Bozener Verwaltungsgerichtshof ist beschämend und Ausdruck eines über Jahrzehnte hinweg gewachsenen und von den politisch Verantwortlichen entweder so gewollten oder zumindest mehrheitlich zugelassenen Supergaus an Interessenskonflikten. Er ist DAS Paradebeispiel dafür was passiert, wenn grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien ständig verletzt werden ... kurzum: ein äußerst skandalöser nicht haltbarer Zustand, der einer zukunftsorientierten demokratischen Entwicklung Südtirols exakt entgegenwirkt.

Mar, 07/31/2018 - 05:50 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Mar, 07/31/2018 - 08:42

Zitat:

Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921 (LV; LGBl. 1921 Nr. 15; LR. 101)

Gesetz vom 21. April 1922 über die allgemeine Landesverwaltungspflege (LVG, LGBl. 1922 Nr. 24, LR. 172.020)

Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus fünf Richtern und fünf Ersatzrichtern. Die Mehrheit der Richter muss das liechtensteinische Landesbürgerrecht besitzen und rechtskundig sein. Die Amtsdauer der Richter und der Ersatzrichter des Verwaltungsgerichtshofes beträgt fünf Jahre. Die Amtsdauer ist so zu gestalten, dass jedes Jahr ein anderer Richter beziehungsweise Ersatzrichter ausscheidet. Die fünf Richter wählen aus ihrer Reihe jährlich einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden.

Die Richter sind in der Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig (Art. 95 Abs. 2 LV).

Mar, 07/31/2018 - 08:42 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user King Arthur
King Arthur Mar, 07/31/2018 - 09:23

Interessant ist auch ein Vergleich mit Tirol: Anders als die acht Richter in Bozen, die zudem jeweils zu viert entscheiden (das heißt im Klartext: zwei Senate), sind am dortigen Landesverwaltungsgericht (LVwG) 36 (!) RichterInnen tätig, die zudem bis auf wenige Ausnahmen, in denen ein Dreiersenat zuständig ist, als Einzelrichter entscheiden.
Das heißt mit anderen Worten: Das Tiroler LVwG hat wohl ungefähr die 18-fache (!) "Kraft" bei der Überprüfung der Verwaltungstätigkeit - und das bei einer 1,4-fachen Einwohnerzahl (von 750.000 gegenüber den 525.000 in Südtirol), und obwohl das Tiroler LVwG nur für die Landesverwaltung zuständig ist; für die Tätigkeit der Behörden der Bundesverwaltung gibt es in Innsbruck auch noch eine Außenstelle des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) - mit weiteren 18 (!) RichterInnen...

Mar, 07/31/2018 - 09:23 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user kurt duschek
kurt duschek Gio, 08/02/2018 - 17:04

...eine eigene Meinung haben ist normal, diese Meinung laut zu äußern oder in Kommentaren nieder zuschreiben, dies auch noch ohne Repressalien zu befürchten, darüber sollte man in Südtirol doch vorher nachdenken. Zivilcourage ist auf jeden Fall gefragt !

Gio, 08/02/2018 - 17:04 Collegamento permanente