Cultura | Salto Gespräch

„Mit Humor geht man gut durchs Leben.“

Das Atelier von Elisabeth Frei hat Wohnzimmercharakter und ist ein guter Ort um mit ihr über den Zugang zur Kunst, Menschen, Fliegen und Gesellschaftsthemen zu sprechen.
Elisabeth Frei
Foto: Peter Enrich
Vorbei an einem Vogelbeerbaum und einer Buche, die beide noch klein waren, als Frei das Atelier  im Lajener Gewerbegebiet bezog, geht es in einen großzügig von Tageslicht erfüllten Raum. Zur Begrüßung gibt es Pfefferminztee und ganz viele Fingerzeige auf die in der Gallerie überall anzutreffenden Details. Man stolpert förmlich über die sich überall eingenisteten Geschichten, die Frei mir erzählt. Von den Lajenern und Lajenerinnen, von durchscheinenden Erinnerungen bei der Wahl ihres Grundmaterials, bis zu Auftragsarbeiten, die im Atelier Spuren hinterlassen. Ein gelebtes Atelier mit viel Grün im Außenbereich und vielen Zeitungsausschnitten, die da und dort einen ironischen Kommentar abgeben.
In einem kleinen Zwischenraum zwischen Atelier, Freiraum und Bad sind sie zu Jahreschroniken verdichtet. Kaum ein Zimmer - Bad und Freiraum ausgenommen - das nicht von einem kreativen Chaos und dem schöpferischen Drang der Künstlerin erfasst wäre, überall Kunstwerke, gestellt, gehängt oder direkt mit Bleistift auf die Wand gemalt. Auffällig auch, wieviele der Werke im Wandel sind: Aus einer Rauminstallation aus zahlreichen blauen Schürzen in der Franzensfeste bei „50x50x50“ werden Handtaschen, alte und ausrangierte Zeitungen zu Figürlichem aus Pappmaché. In den Regalen diverse Bücher, einiges gesucht, anderes der Künstlerin zugetragen; wie auch beim Mobiliar. Auch die alten Stühle der Kunstschule in Gröden, die Frei besucht hat und die mit dem Abriss des alten Gebäudes entsorgt werden hätten sollen.
Im Garten gedeiht allerhand, zum Teil als Versuch in Töpfe mit Blumenerde geworfen, um etwa zu sehen, wie Hafer aufgeht. Neben zwei Sesselliften, die einmal in 25 Minuten nach Raschötz tingelten und nun zu Gartenmöbeln umgewandelt wurden, findet sich ein in Pandemie-Zeiten angefangener, noch nicht zu Ende gebrachter Faust-Zyklus als Mini-Murales. Wir gehen zurück ins Atelier, der Garten gehört zu dieser Tageszeit ganz den vielen Bienen. Ich nehme Platz auf den Stühlen, denen Frei alte, zerrissenen und geschredderte Werke beigemischt hat und wir sprechen von Zeichnungen, der Ehrlichkeit von Bleistift und davon, so die Künstlerin, dass sie diese alten alten Arbeiten noch „besitze“. Elisabeth Frei schenkt uns noch einmal Tee nach und wir beginnen mit dem eigentlichen Interview.
 
 
Salto.bz: Frau Frei, wenn man Ihre ausstellerische Tätigkeit online zurückverfolgt kommt man auf sehr viele Personen, die von hinten dargestellt sind. Wie kam es dazu, wer war die erste?
 
Elisabeth Frei: Zuvor hatte ich an einer Serie von Bäumen gearbeitet. In den Bäumen sah man eigentlich schon die Menschen, fast als wäre es eine Metamorphose. Da habe ich ein Foto einer Frau von hinten gefunden, und sah eine Ähnlichkeit zu den Bäumen. Ich fing an, diese erste, gebeugte Frau aus Lajen, die Eimer trug und bei der man sah, dass das ganze Leben in diesem Körper drin war, zu zeichnen. So war das eigentlich ein fließender Übergang, von den Bäumen zu den Menschen. So ging das los mit den 67 Lajenern in Rückansicht. Dabei geht es ums Thema Zeit, das mich immer schon fasziniert hat und daraus ist es entstanden, dieses „Gian“. Sie sind alle in Bewegung, sie stehen nicht. Die Bewegung war mir wichtig und wenn man jemanden von hinten zeigt, bekommt man automatisch viel mehr Bewegung ins Bild, als wenn man die selbe Person von vorne zeigt; Auch wenn derjenige im Gehen ist, hat man dann doch viel weniger Bewegung. Zeigt man die Menschen von hinten, kann man mit ihnen mitgehen. Da sieht man dann die Zeit, die jemand vor und hinter sich hat, wie auch die Gegenwart, in der man die Person zeichnet.
 
Versuchen Sie die Zeit auch mit anderen Mitteln als der Malerei festzuhalten?
 
Wie ich meine Stühle gemacht habe, war da auch die Zeit drin: Erstens braucht der Prozess schon sehr lange, oft länger als ein halbes Jahr, bis ein Stuhl entsteht. Und zweitens sind darin Zeitungen verarbeitet, in denen ja auch wieder die Zeit steckt. Das ist das andere Medium, vielleicht.
 
 
Viele Künstler, die mit Collage-Elementen arbeiten, haben einen starken Sammeltrieb. Suchen Sie auch aktiv nach neuen Materialien, oder ist das bei Ihnen mehr eine Form von Recycling?
 
Ich sammle schon und dadurch, dass viele wissen, dass ich sammle, kommen diese Dinge auch automatisch zu mir. Wenn jemand alte Bücher zu Hause hat, heißt es immer, ob ich diese brauche. Ich sage immer, dass ich sie brauche. Ich schaue sie mir an und dann sehe ich ja, ob ich sie brauche. Sonst gehe ich viel auf Flohmärkte und in Antiquariate. Aber mehr als ich zu den Materialien gehe, kommen die Sachen zu mir.
 
Was ist dabei zuerst da, eine Idee für die es gilt das passende Element zu suchen, oder ein Element zu dem eine Idee entsteht?
 
Das ist ganz verschieden. Nehmen wir an es geht um ein Thema wie den Bettenstopp. Ich denke mir, ich möchte etwas darüber machen und dadurch, dass ich mir meine Bücher immer wieder ansehe, weiß ich, wo was drinnen ist und irgendwie entsteht dann die Verbindung. Aber oft ist es auch so, dass ich durch ein Buch blättere, ein Bild sehe und der Gedanke kommt von selbst.
 
 
Als Social-Media-Nutzerin sind Sie noch recht jung. Könnten Sie sich vorstellen vom Analogen, Haptischen ganz ins Digitale zu wechseln?
 
Das Haptische ist für mich schon sehr wichtig. Das Digitale ist für mich erst durch den Lockdown aufgetaucht. Für mich war es nie relevant mir zu überlegen, ein Bild abzufotografieren und auf Instagram zu stellen: Ich war nicht auf Instagram oder auf Facebook. Aber dann fing ich an, diese Arbeiten zu machen und konnte sie niemand zeigen. Da habe ich meine Tochter gebeten mir damit zu helfen. So ist das entstanden. Wenn ich eine Ausstellung mache, ist das ganz etwas anderes.
 
Irgendwie kam mir vor, das brauchte es auch manchmal: Nichts. Oft ist alles schon zu viel.
 
Wie stehen Sie zum weißen Blatt und der weißen Leinwand? Reizen sie diese, oder brauchen Sie immer ein Element, das schon bespielt wurde?
 
Das weiße Blatt auf dem nichts steht, ist schon auch interessant. In der Ausstellung am Ritten habe ich ein Bild, auf dem nichts mehr oben ist. Das war das letzte Bild. Irgendwie kam mir vor, das braucht es auch manchmal: Nichts. Oft ist alles schon zu viel. In meinen Arbeiten ist im Grunde viel verarbeitet. Dann denke ich mir, mit weniger kann man auch schon viel aussagen und da ist es so, dass ein weißes Blatt auf dem nichts oben ist, alles beinhaltet.
 
Wie ist der Ablauf am Ende eines Zyklus für Sie? Wie suchen Sie Neue Themen, wenn sie Ausstellungen hinter sich und keine neuen Projekte vor sich haben?
 
Meistens merke ich, wenn ich auf eine Ausstellung hinarbeite, wann der Zeitpunkt kommt, zu dem man ausstellen muss, wo wenig Zeit bleibt um noch weiter zu machen. Dann ist es so, dass die letzten Bilder einen leichten Übergang zur nächsten Idee bilden. Oft ist es dann auch nicht so, dass diese Idee weitergeführt wird, aber manchmal ist es so, dass man sieht, dass dort etwas neues entstanden ist. Das war meistens so, dass der neue Zyklus schon am Ende des letzten enthalten war. Natürlich gilt es das zu finden und etwas daraus zu machen. Manchmal findet man ihn, ist aber aktuell nicht in der Lage daraus etwas zu machen. Dann kann es sein, dass ich das in zwei Jahren wieder aufgreife.
 
 
Finden Sie eine Künstlerin oder ein Künstler sollte gesellschaftlich und politisch Stellung beziehen, oder die Haltung der Betrachterin oder des Betrachters hinterfragen? Was ist wichtiger?
 
Da ist jeder Künstler anders. Ich kann auch nicht sagen, jeder soll auch Stellung beziehen. Für mich ist das wichtig, kritische Themen aufzugreifen und mit meinen Mitteln zu verarbeiten und Stellung zu beziehen. Es gibt andere Künstler, die tun das nicht und mir kommt vor, sie haben genau so eine Berechtigung auf ihre Arbeit. Es ist nicht so, dass man sagen könnte, die Kunst muss Stellung beziehen. Jeder hat einen anderen Charakter.
 
Für viele Künstler ist es, wenn man etwas humorvolles macht, gleich schon trivial.
 
In ihren neue Arbeiten findet sich auch gern Humor. Nehmen sich Künstler heute zu ernst, braucht Humor in der Kunst mehr Platz?
 
Mir scheint das schon so, denn mit Humor geht man gut durchs Leben. Man muss es nicht ins Lächerliche ziehen, das möchte ich nicht, aber wenn man auch etwas Böses mit einem leichten Lächeln sagt, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn man es gerade heraus sagt. Mit Humor kann man viel mehr erreichen. Wenn es einem schlecht geht, man aber Lachen kann, dann geht es einem gleich schon etwas besser. Für viele Künstler ist es, wenn man etwas humorvolles macht, gleich schon trivial. Aber das finde ich nicht und stehe zu meinen Werken, so wie ich sie mache. So erreicht man bei den Leuten viel mehr.
 
 
Wie ging es Ihnen mit der Kunst im digitalen Raum? Wie anders war der Kontakt zum Publikum, als wenn Sie in der Gallerie ausgestellt haben?
 
Im digitalen Raum trauen sich die Menschen viel eher etwas zu sagen. Viele kennen meine Arbeiten von dem her und dann denke ich mir: „Die haben deine Werke jetzt immer gelikt“ und schaue, ob sie dann auch kommen wenn ich analog ausstelle. Das muss für diese Personen ja auch interessant sein, mit der Künstlerin zu reden und die Arbeiten analog zu sehen. Da sind einige gekommen, aber doch viele auch nicht, wo ich mir gedacht habe, mich würde es an ihrer Stelle interessieren.
 
Es gibt eine andere Hemmschwelle zwischen einem Kommentar und der Auseinandersetzung mit einer physischen Person...
 
Auch eine Gallerie zu betreten ist für viele noch mit einer Hemmschwelle verbunden. Mir kommt immer vor, es fehlt vielfach der soziale Aspekt. Das gefiel mir an der Ausstellung mit den Portraits der Lajener und Lajenerinnen: Diese Menschen, die sonst sicher nie in eine Gallerie gekommen wären, kamen um sich das anzusehen.
 
 
Möchten Sie das weiterhin versuchen, Menschen in die Gallerie zu bringen, die sonst nicht dort hin kämen?
 
Ja, das war bei der Ausstellung in Völs, bei den Lockdown-Variationen auch so gedacht. Das sind Arbeiten, mit denen schnell mal jemand etwas anfangen kann. Das ist auch ein Aspekt, der zu Kunst und Kultur langsam eine Beziehung aufbaut. Bei einer ganz zeitgenössischen Ausstellung die vielen nichts sagt, wird es schwieriger.
 
Irgendwie muss man wieder Luft schaffen.
 
Sie haben mir gezeigt, dass Sie Kunstwerke auch nach einiger Zeit noch ergänzen. Denken Sie da ein Werk wäre vollständig, oder hatten Sie bloß aktuell nicht den Zugang es zu vollenden?
 
Oft ist es so, dass man an einem Bild arbeitet und merkt, man kommt nicht weiter, würde es eher zerstören. Da ist es besser, man legt es zur Seite und nimmt es in einem Monat oder Jahr wieder zur Hand und sieht dann ob  das Bild noch etwas braucht oder nicht? Ich habe zum Beispiel erst die Werkstatt aufgeräumt und einen Berg von Zeichnungen weggeworfen. Wenn man sie nach einem Jahr ansieht, merkt man einfach: Nein, das wirft man weg. Irgendwie muss man wieder Luft schaffen.
 
 
Wie ist das mit Ihren Recyclingprojekten? Wie gelangen Sie an den Punkt, wo Sie sagen können, Sie trennen sich von einem Kunstwerk und betrachten es als Material?
 
Das ist auch ein wenig die Art, wie ich lebe. Gut, „nachhaltig“ ist so ein abgedroschenes Wort, aber ich versuche auch mein Leben nachhaltig zu leben. Ich bin schon seit 20 Jahren Vegetarierin und versuche so zu leben, wie ich mit mir selber im Reinen sein kann. So kommt es vor, dass ich oft Sachen habe, die ich nicht wegwerfen kann und versuche, weiterhin ein Leben zu geben. Ich habe ja auch ein Projekt um die Fliege gemacht, „Ecce musca“ - Sieh, die Fliege. Die Fliege hat genauso eine Berechtigung zu existieren. Ich tue mich schwer, eine Fliege oder Mücke zu erschlagen, auch wenn ich zur Fliegenklatsche greife, wenn sie mich nerven würde. Irgendwo ist doch noch der Gedanke im Hintergrund, ob ich das Recht habe, sie totzuschlagen. Natürlich habe ich da auch eine Fliege recycelt, aber sie war schon tot, als ich sie vergoldet habe. Sie ist gestorben, lag auf der Waschmaschine und war wie getrocknet, hat sich nicht zersetzt. Da habe ich sie vergoldet und ihr einen Rahmen gegeben. Daraus ist der Zyklus von der Fliege und dem Mensch entstanden. Da hinterfragt man, wer hat eigentlich mehr Recht? So geht es auch mit den Dingen, mit denen man sich im Laufe der Zeit umgibt. Da weiß man oft nicht mehr, ob man sie noch braucht oder nicht.
 
Ist da Achtsamkeit vielleicht der bessere Begriff?
 
Ja, stimmt, Achtsamkeit ist da das schönere Wort als Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit, das ist wie ein Werbewort. Achtsamkeit sollten wir leben.