Cultura | Städtebau

Otto Wagners Wien

Wien wäre nicht Wien ohne das architektonische und städtebauliche Werk Otto Wagner, der den Übergang der Donaustadt in die Moderne einläutete.
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Foto: Michael Demanega

Selbst aus der Gründerzeit-Architektur stammend, entfernte sich Wagner im Laufe seiner architektonischen und städtebaulichen Tätigkeit zunehmend von der Stilistik des Historismus mit der ständigen Wiederholung des Gleichen und seiner überladenden Ornamentik, die zwar auch heute noch charakteristisch für Wien steht, die jedoch beim Spaziergang auf Dauer durch die Stadt auch erdrückend wirkt. Der Übergang erfolgte durch eine ungezwungenere Formensprache am Übergangspunkt zum Jugendstil.

Am Anfang stand ein neues architektonisches Selbstverständnis mit einer Reduktion der Baukonstruktion auf das Wesentliche, wenn Wagner etwa schreibt: „Jede Bauform ist aus der Konstruktion entstanden und sukzessive zur Kunstform geworden“ – nachzulesen in „Otto Wagner 1841 – 1918: Unbegrenzte Großstadt – Beginn der modernen Architektur“ (Heinz Geretsegger / Max Peintner, München 1980). Dieses Verständnis äußerte sich in einer vergleichsweise einfachen Formensprache und in einem technologischen Fortschritt, der auf die neuesten Erkenntnisse der Ingenieurskunst zurückzugriff und neue Materialien wie Stahlbeton einzusetzen wusste.

Das Meisterwerk schlechthin war der Bau der Wiener Stadtbahn. Wien verfügte zu jener Zeit über mehrere Bahnhöfe, die nicht als Durchfahrts-, sondern als Kopfbahnhöfe konzipiert waren. Der Wiener Westbahnhof besteht bis heute als Kopfbahnhof, wird allerdings verkehrstechnisch zunehmend durch den neuen Hauptbahnhof ersetzt, der den Südbahnhof, seinerseits ebenso einen Kopfbahnhof, ersetzte. Mit dem Hauptbahnhof ist gleichzeitig ein innereuropäischer Meilenstein in der Verkehrspolitik gesetzt, ermöglicht seine Konzeption doch Bahnverbindungen von Zürich bis nach Budapest – und vielleicht demnächst auch von Bozen (oder Norditalien) bis nach Wien und weiter.

Mit der Stadtbahn in Wien sollten die verschiedenen Bahnhöfe Wiens innerstädtisch verbunden werden, was aus damaliger Sicht zwar vorrangig militärisch-strategische Gründe hatte, jedoch auch die wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklung wesentlich förderte, indem die Stadt fortschreitend vernetzt wurde. Das Wesentliche am Entwurf der Stadtbahn: Wagners ästhetisch-architektonisches Werk beeindruckt bis heute hin. Der Bau innerstädtischer Hochleistungsverbindungen wirkte zudem über die Donaumonarchie hinaus als Vorbild einer modernen Stadtentwicklung. Die Vorbildfunktion wirkt bis heute hin: Wenn man über Wien klagen will (und der Wiener klagt gerne), dann kaum über den öffentlichen Personennahverkehr in Wien, der seinesgleichen sucht.

Otto Wagner wirkte mit seiner Architektur und besonders durch seine Schüler weit über Wien hinaus. Meran, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine ganz besondere Stellung in der Habsburgermonarchie einnehmen sollte und sich als Kurstadt etablierte, sollte sich ganz nach dem Vorbild Wiens architektonisch, städtebaulich und verkehrstechnisch entwickeln. Der Übergang zur Moderne wurde in Südtirol städtebaulich und architektonisch allerdings unterbrochen. Dass der Übergang unter dem italienischen Faschismus und folglich unter den denkbar ungünstigsten Umständen und mit mangelndem Bezug zur Südtiroler Kultur erfolgte, bleibt bis heute hin als Belastung, wobei besonders in den letzten Jahren ein deutlicher Aufbruch in Sachen moderner Architektur in Südtirol zu spüren ist. Und auch die Akzente für eine zukunftsweisende Verkehrspolitik sind zumindest auf dem Papier vorhanden. Lektüreempfehlung: Arunda 8 + 9: "Architektur in Südtirol ab 1900", Paul Preims, Meran Juni 1979.