Mussolinis Kolonialtraum
Asmara
Ein trockener Wüstenwind fegte durch die Altstadtgassen von Asmara. Er wirbelte Sand in den ungeteerten Hinterhöfen auf, feine rötliche Körner, welche die Kellnerinnen an der Harriet Avenue mit feuchten Lappen von den auf die Bürgersteige gestellten Tischen wischten. Nur wenige Gäste saßen dort. Die allermeisten Bewohner Asmaras hatten sich wegen der Hitze in ihre Häuser verkrochen, hinter deren dicken steinernen Mauern angenehmere Temperaturen herrschten. Sie saßen auch in der Commercial Bank of Eritrea. Offenbar keine Kunden, sondern Nachbarn aus den umliegenden Häusern, die auf hölzernen Stühlen oder Bänken entlang der Mauern Platz genommen hatten. Einige hielten bauchige Teegläser in der Hand, während sie sich mit übereinandergeschlagenen Beinen, den Oberkörper leicht vornübergebeugt, mit einem Bekannten in gedämpftem Ton unterhielten. Andere wirkten erschöpft und stierten auf die mageren Katzen, die ausgetreckt zu ihren Füßen lagen. Menschen und Tiere genossen den Hauch Kühle, den die Mauern und Bodenfliesen verströmten.
Die Commercial Bank war vielleicht das zehnte Geldinstitut, das ich an meinem ersten Tag in Eritrea aufgesucht hatte, anfangs genervt, dann in aufkommender Panik. Nicht wegen der Kühle der Schalterhallen, sondern um mit meiner Karte Geld abzuheben. Ich hatte mir diese Reise etwas einfacher vorgestellt. Oder war ich nicht richtig vorbereitet? Asmara, die Hauptstadt Eritreas, dieses kargen gebirgigen und ungefähr axtförmigen Landes am Horn von Afrika, gleicht eher einem großen Dorf. Bei der Passkontrolle am Flughafen verrichteten ein paar blau Uniformierte lustlos ihren Dienst. Offiziell ist Asmaras bescheidener Flughafen einer von mehreren im Land, inoffiziell der einzige. Die breite, palmengesäumte Hauptarterie der Stadt, die einst Corso Mussolini hieß und heute Harriet Avenue, kann man zu jeder Tages- und Nachtzeit in aller Ruhe überqueren. Abgesehen von den gebleichten orangefarbenen Autobussen, aus deren geöffneten Türen Menschentrauben quellen und die, Rußfahnen hinter sich herziehend, mit der Aufschrift ATM (Azienda Trasporti Milanesi) durch die Hauptstadtstraßen rumpeln, gibt es wenig Verkehr in Asmara. Die Autobusse bilden ein Geschenk Italiens an die ehemalige Kolonie und sollten helfen, die darbende Wirtschaft im Land ankurbeln. Doch viele, heißt es, habe das Militär beschlagnahmt.
Eritrea ist keine Demokratie. Hier wird gefoltert und getötet, Oppositionelle verschwinden spurlos. Monatlich fliehen Tausende aus dem Land — ein gewaltiger Aderlass bei einer Gesamtbevölkerung von zirka sechs Millionen. Natürlich hatte ich bei der Beantragung meines Visums — wozu ich persönlich nach Mailand fahren musste — und gestern bei der Einreise am Flughafen erklärt, Tourist zu sein. Vorhersehbaren Schwierigkeiten gehe ich gerne aus dem Weg. Seit heute Morgen jedoch klapperte ich zuerst die Banken und dann einen Eritel-Laden (so heißen die Zweigstellen der staatlichen Telefongesellschaft) nach dem anderen ab. Ich wollte mir eine eritreische Sim-Karte besorgen, um nach Hause telefonieren zu können, so hatte man es mir vor der Reise empfohlen. Mittlerweile weiß ich, dass ich dazu Bürger des Landes sein oder zumindest hier meinen Wohnsitz haben müsste. Die Telefonwertkarte, die ich mir schließlich an einem Kiosk besorgt hatte, wo hinter einer verglasten Theke Obst, Brot und Mineralwasserflaschen auslagen, erwies sich als nutzlos, weil die öffentlichen Telefonzellen nicht funktionieren. Ich müsste jedoch dringend zu Hause anrufen. In Eritrea gibt es keine Bankautomaten, mit Kreditkarte kann man auch nirgends bezahlen. Dumm ist, dass ich nur 250 Euro Bargeld mitgenommen habe.
Jetzt sitze ich in meinem Hotelzimmer und hoffe, dass Gino Wort halten wird. Den Italiener hatte ich zufällig in der Bar Impero direkt neben dem gleichnamigen Kino getroffen, einem im Originalzustand erhaltenen Art-deco-Bau aus dem Jahr 1937, wo die Einheimischen manchmal hinter schweren, mit samtenen Troddeln versehenen Vorhängen internationale Fußballspiele verfolgen. Gino unterrichtete einige Jahre an der italienischen Schule in Asmara, er ist mit den Gepflogenheiten des Landes bestens vertraut. Der Lehrer aus Bellagio am Comer See versprach, mir ausreichend Euro-Scheine zu leihen, die er für mich am Schwarzmarkt vorteilhaft gegen die nationale Währung umtauschen würde. Zurück in Italien, könnte ich ihm das Geld dann auf sein Konto überweisen. „Du siehst nicht wie ein Betrüger aus", sagte Gino und half mir, einem wildfremden Menschen, aus der Patsche.