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Klein ist beautiful

Wie ein Brüderpaar Landwirtschaft inmitten Salzburgs betreibt und die Spitzengastronomie der Mozartstadt mit Grünzeug und Gemüse versorgt.
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Foto: Urban Roots

Wer an gehobene Küche, hochwertige Lebensmittel und nachhaltiges Landwirtschaften denkt, hat zumeist nicht die USA auf dem Zettel. Doch für ein Salzburger Brüderpaar keimte gerade jenseits des großen Teiches, im Mutterland des Fast Foods, eine Geschäftsidee: frisches Gemüse aus eigenem städtischem Anbau.

Die beiden Brüder, das sind Robin (36) und Ronny Regensburger (40), fristeten die meiste Zeit ihrer beruflichen Laufbahnen im Gastgewerbe. Letzterer war es auch, der sich als Feinschmecker auf der Suche nach gutem Essen, gemeinsam mit seiner Frau auf eine Nordamerika-Reise aufmachte und spätestens am Ufer des Mississippi in New Orleans merkte, dass das Gesündeste dort wohl beim Frittierten beginne. Just im Süden der Staaten kamen sie aber erstmals in Berührung mit einer organischen Farm auf den Dächern der Stadt und somit auch mit dem Konzept des urban farming, der städtischen Landwirtschaft. 

 

Der Amerikaner als menschliche Form hat mir extrem viel Input gebracht. Ich kann nur Danke sagen an die lauten Enthusiasten. 

 

Zurück in Österreich, wurde 2016 das Unternehmen Urban Roots offiziell aus der Taufe gehoben. „In einer touristisch versauten Region“, wie Ronny zugibt. Genau das Gastgewerbe Salzburgs aber bot und bietet den idealen Nährboden dafür. Durch ihre Kontakte in der Gastronomie, konnten sie die Wünsche der Küchenchefs und Gourmets in Erfahrung bringen und so eine Nische finden: „Unser Zugang war von Anfang an das bereitzustellen, das der Großhändler in für die gehobene Gastronomie unzureichender Qualität abliefert.“

 

Der Preis spielt dabei für die ausschließlich gastronomische Kundschaft von Urban Roots keine große Rolle. Die Qualität stehe im Vordergrund, aber auch ein Hauch des Unvergleichbaren. Wenn Robin und Ronny mit neuer Ware aufwarten, dann greift man selten auf Handelsübliches zurück. Ob rosa Wassermelonenrettich, Red Giant-Salat oder Red Vulcano Radieschen. Es dürfen gerne Ausreiser sein, obschon Saatgutkosten höher und auch die Lernkurve enorm sei, erklärt Ronny.

Lehrgeld bezahlten die Gebrüder besonders anfangs, als man vor allem am Hang zur Perfektion scheiterte: „Wir haben ein Jahr lang verpfeffert für nix und viel Geld investiert,“ gesteht er. Etwa für kostspielige, sich selbstbewässernde Beete. „Das Jahr war rum und wir waren leer, auch finanziell.“ So zehrte man eine Zeitlang von anderen Einkünften und Erspartem.

 

Du musst es nicht perfekt machen, sondern nur gut genug. Wenn du versuchst, etwas von Anfang an perfekt zu machen, dann wirst zwangsläufig scheitern, am Idealismus und Enthusiasmus.

 

Hohe Ansprüche stellte man zunächst auch an die eigenen Produkte, deren Verzehr Ronny zwei ganze Jahre vermied: „Ich hatte die Überzeugung, dass du bei eigenem Anbau so viel falsch machen kannst. Die Produkte schmeckten nicht so, wie ich es mir vorstellte.“ Erst durch das Feedback der Abnehmer, Spitzenköche aus aller Welt, war für Robin und Ronny klar: das sollte so schmecken. Zur Qualitätssicherung und Überprüfung von Nährstoffgehalt und Schädlingsresistenz bedient man sich mittlerweile auch eines Refraktometers.

Richtig los ging es für die Gebrüder jedoch erst im Jahr 2019, als sie vollumfänglich und hauptberuflich in das Landwirtschaftsbusiness einstiegen. Heute hat Urban Roots zwei Standbeine: zum einen das sogenannte „Market Gardening“, also der ressourcenschonende und nachhaltige Gemüseanbau auf möglichst kleiner Fläche. Im Falle von Urban Roots sind dies 300 Quadratmeter, auf denen in erster Linie der „Dauerbrenner“ Salat wächst. Laut Ronny sind es 5000 bis 7000 Köpfe pro Jahr, für die sich alle Abnehmer fänden, bevor sie überhaupt geerntet würden. Neben Blattgemüse gedeihen auf der kleinen Farm im Nonntal aber unter anderen auch Tomaten, Rettich oder Kohlrabi. „Wir haben angefangen mit 16 Sorten, mittlerweile sind wir bei 4-5 Gattungen, haben uns auf das fokussiert, was in einer bestimmten Saisonphase am besten funktioniert“, so Ronny. Dieses Jahr noch wolle man mit dem Anbau essbarer Blüten beginnen. 

 

Wenn du was selbst anbaust, erntest und isst, hast du die maximale Erfahrung. Das haben wir erst lernen müssen.

 

Der weitaus ertragreichere Geschäftszweig ist allerdings der Anbau und Vertrieb von Microgreens oder Pflanzenkeimlingen. Diese erlauben eine höhere Rotation bei geringerem Input und Arbeitsaufwand, ohne jegliche Düngerzugabe, wie Ronny betont. Konkret geht es um Erbsen, Radieschen, Sonnenblumen, rote Rüben oder Senfsorten; man lasse sich aber immer wieder überraschen von den Saathändlern. Angebaut wird auf 40 Quadratmetern Innenraum.

Hört sich nach nicht gerade viel an. Tatsächlich verstehen sich die beiden als Nanofarm, denn für eine Mikrofarm seien sie zu klein. Ronny ist jedoch überzeugt, dass die geringe Größe durchaus einen Vorteil darstellt: „Klein heißt für einen Abnehmer zwar eine gewisse Volatilität, denn wenn was schiefgeht, dann hat er einen Ausfall, den er nicht kompensieren. Auf der anderen Seite sind aber die kleinen Sachen jene, die die kleinen gehobenen Gastronomen wollen. Kurzum. Klein ist beautiful.“ Ein großer Bauer müsse zudem anders denken und mit der Gießkanne über den Markt fahren, während ein Kleiner die Nische bediene und kaum Ausschuss habe.

 

Der Erfolg scheint Urban Roots recht zu geben. Trotz der Pandemie konnte der jährliche Umsatz seit 2019 um mindestens 30% gesteigert werden. Mittlerweile beliefert das junge Unternehmen mehr als 74 Gastrostätten mit frischem Gemüse und fast wöchentlich werden es mehr. Das liege aber weniger am genialen Marketing, wie Ronny gesteht, sondern viel mehr an Mundpropaganda und der hohen Fluktuation an Küchenchefs: „Die Köche wechseln im Schnitt alle paar Monate den Betrieb, und sie wollen das Konzept, für das sie bekannt sind, im neuen Betrieb etablieren, nehmen uns also mit.“ Fehlende Sichtbarkeit im städtischen Umfeld kennen Robin und Ron also nicht, genauso wenig gewohnte Kundenaqkuise; man habe bisweilen sogar den Luxus, Kunden abzulehnen.

Urban Roots vermag zwar ein Stückweit die klassische Trennlinie zwischen Stadt und Land zu überwinden, kompatibel sei rurale und urbane Landwirtschaften aber nicht wirklich, findet Ronny und erzählt von US-amerikanischen Farmern, die vom Dogma der großen Anbaufläche abrückten und im kleineren Maßstab unter dem Strich höhere Nettoerträge erzielten. „Vielleicht sollte öfter der ländliche Kosmos verlassen und über den Tellerrand hinausgeschaut werden. Wir können viel voneinander lernen“, gibt sich Ronny überzeugt.

Ernstgenommen werde man aber kaum, was sich auch rechtlich und versicherungstechnisch niederschlage, so Ronny: „Der Zugang zum landwirtschaftlichen Sektor im kleinen Rahmen ist extrem schwierig. Du bist als Landwirt in Österreich akzeptiert ab einer Fläche von 2,5 Hektar. Alles darunter ist ein Spaß und eine Gaudi.“ Heißt aber auch, dass eine Mitgliedschaft in der Landwirtschaftskammer und der Erhalt einer Sozialversicherung für das Brüdergespann erst nach zwei Jahren über Umwege möglich wurde. Subventionen seien ob der geringen Größe nie eine Option gewesen: „Sich für ein paar Euro knechten lassen, nach dem Motto: wessen Brot ich iss, dessen Lied ich sing?“, fragt sich Ronny. Er singe schlicht nicht gerne, lautet seine Antwort. 

 

Wir sind nicht nur Verkäufer und Zulieferer, sondern wir pflegen eine Entwicklungsbeziehung zu unseren Kunden.

 

Aus demselben Grund lehnen die Brüder Regensburger auch eine Bio-Zertifizierung ab: „Das ist auch nur ein Kübel, der über dich gestülpt wird und dann wirst du in einen Pott geschmissen mit Menschen, die den konventionellen Weg mit biologischen Mitteln machen, aber eigentlich nichts geändert haben“, so Ronny, der unterstreicht, dass bei Urban Roots nichtsdestoweniger großer Wert auf Nachhaltigkeit und ökologischen Anbau gelegt wird. Dies manifestiere sich konkret in wiederverwertbaren Trays für die Microgreens, eigenem Kompost, ausschließlicher Verwendung biologischen bzw. Demeter Saatguts, sowie in wenig invasiven Bearbeitungsmethoden unter Zuhilfenahme heimischer Mikroorganismen. Anstelle von Pestiziden kommen zudem Schutznetze gegen gefräßige Vögel zum Einsatz.

Steigende Preise und Knappheit, Kriege und Krisen: Für Ronny ist klar, dass die Menschheit notgedrungen wieder mehr auf Eigenanbau setzen wird müssen: „Urban Gardening wurde nicht von einem Wahnsinnigen erfunden, sondern das ist ein Überlebensinstinkt. Und die Methoden sind easy. Es ist nicht schwierig, irgendwo Länge mal Breite Holz aufzustellen, mit Kompost anzufüllen und den ersten Schritt zu machen.“ Dabei könne die öffentliche Hand vor allem Raum schaffen, damit sich ähnliche Initativen breitmachen können, findet Ronny. Neue Projekte auf Knopfdruck könne aber keine Stadt und Regierung hervorbringen: „Das hat nie funktioniert, das muss immer grassroots entstehen, durch die Bedürfnisse der Menschen, resilienter und unabhängiger zu sein.“

Dass urban gardening auch in Zukunft ein Trend bleiben wird, glaubt Ronny nicht.: „Jeder Trend, auch unserer, wird irgendwann zur Normalität, durch neue Projekte, Konkurrenz und Mitbewerber. Ich wünsche mir sogar eine Relativierung unseres Hypes, weil dann weiß ich, dass er verstanden und Teil des Lebens wurde. Das wird aber noch fünf bis zehn Jahre dauern. So lange werde ich das Surfbrett noch reiten, bis die Welle weg ist und dann werde ich hoffentlich einer von vielen sein.“