Politica | Wohnbau

„Richtige Mittelstandsförderung“

Der Blick nach Wien macht die Schwächen der vergangenen Wohnbaupolitik in Südtirol einmal mehr deutlich. Achillesferse seien die niederen Einkommensobergrenzen.
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Foto: upi

Wohnen in Wien – das ist ein weltbekanntes Vorzeigemodell. Da in Südtirol die Debatte rund um das leistbare Wohnen durch die Gesetzesvorlage der Landesrätin Waltraud Deeg zum sozialen Wohnbau wieder Fahrt aufgenommen hat, ist der vierte Gesetzgebungsschuss nach Wien gefahren, um sich dort umzusehen und umzuhören.

Erstes Fazit der Studienreise: In Südtirol gehe Einiges in die falsche Richtung. „Die ‚neuen‘ Ansätze von Landesrätin Deeg im Speziellen stehen in totalem Gegensatz zu dem, was in Wien seit Jahrzehnten erfolgreich ist“, sind die Grünen Abgeordneten Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba, die mit der Südtiroler Delegation in Wien waren, überzeugt.

Auch SVP-Abgeordneter Helmuth Renzler war bei der Reise dabei und findet einige Punkte am Vorzeigemodell Wien sinnvoll: „Solche Informationsreisen dienen dazu, über den Tellerrand zu schauen. Das eine oder andere, nicht alles, kann an die Südtiroler Verhältnisse angepasst werden“, sagt er im Gespräch mit salto.bz.

 

In Wien kann man von einer richtigen Mittelstandsförderung sprechen - Helmuth Renzler

 

Stadtplanung mit Vision

 

Während in Wien seit jeher auf den öffentlichen Wohnbau und das Wohnen in Miete gesetzt wird, hat die Politik in Südtirol immer schon die Förderung des Eigenheims favorisiert. Der Mietmarkt in Südtirol ist, auch dadurch, gestresst und unter Druck, die Mieten zum Teil unbezahlbar. Um die von Deeg gewünschte Durchmischung in Wohnvierteln zu erreichen, müssten die Einkommensobergrenzen für den sozialen Wohnbau, also für die Wobi-Wohnungen, weitaus höher sein als heute, so Renzler.

 

 

In Wien sei die Einkommensobergrenze bei einem Single für geförderte Mietwohnungen 47.740 Euro netto im Jahr, das sind knapp 4.000 Euro netto im Monat. Auch Einkommensobergrenzen für Mehrpersonenhaushalte sind großzügiger als in Südtirol. „In Wien kann man von einer richtigen Mittelstandsförderung sprechen“, sagt Renzler.

 

Beispiel Bozen

 

Vor allem in der Hauptstadt Südtirols ist der Druck im Wohnungsmarkt groß. „In Wien haben wir neben dem Hauptbahnhof das Sonnwendviertel besichtigt, das einen fantastischen Lebensraum bietet“, sagt Foppa im Gespräch mit salto.bz. Ein solches Viertel wäre in Bozen auch im Bahnhofsareal umsetzbar. Sie fordert deshalb, dass neben dem Kaufhausprojekt des Tiroler Investors Rene Benko auch das städtebauliche Projekt ARBO (Areal Bozen) weiter umgesetzt wird. Auch Renzler war von dem durchmischten Neubauviertel beeindruckt: „Hier leben alle Altersklassen, Einheimische und Zugewanderte.“

In Wien lebt ein Großteil der Menschen in Gemeindewohnungen oder im öffentlich geförderten Wohnbau. „Über die niedrigen Mietpreise konnten wir nur staunen“, berichten Foppa und Dello Sbarba. „Diese Preise wären bei uns unvorstellbar. Das Mietdeckelungsprinzip gibt es in Österreich schon seit über 100 Jahren und es zeigt gute Wirkung“. Durch die günstigen Mietpreise wäre in Wien der Drang nach einem Eigenheim auch nicht so groß wie in Südtirol, so Foppa.

 

Andere Regelwerke

 

Sowohl Renzler als auch Foppa und Dello Sbarba kritisieren nach der Reise, das Südtiroler Prinzip der niederen Einkommensgrenze für den Zugang zum öffentlichen Wohnbau. In Wien haben alle, die unter 3.400 Euro netto im Monat verdienen, Zugang zum öffentlichen Wohnen (Gemeindewohnungen), bei geförderten Wohnungen liegt die Einkommensgrenze bei knapp 4.000 Euro netto. Dadurch entstehen sehr gut durchmischte Wohnviertel. In Südtirol ist das soziale Wohnen fast nur auf die sozial Bedürftigen zugeschnitten. „Aber der Sozialstaat sollte für alle da sein – auch das haben wir in Wien gelernt“, so Foppa und Dello Sbarba.

 

Eine langfristige öffentliche Bodenankaufpolitik, nachhaltige Stadtplanung, visionäre Vorstellungen und wirtschaftliches Verwalten des öffentlichen Gutes haben Wien zu dem gemacht, was es heute ist - Brigitte Foppa, Riccardo Dello Sbarba

 

Was die Grünen Abgeordneten besonders betroffen gemacht hat, sei das Vorhaben der Landesrätin Deeg, die Wobi-Wohnungen künftig nur mehr befristet zu vergeben. „In Wien hat man uns gesagt, dass im unbefristeten Mietverhältnis das Geheimnis des guten sozialen Zusammenhalts und der Achtsamkeit der Mieter:innen für die „eigene“ (ja, eigentlich Nichteigene!) Wohnung ist“. Wer weiß, dass er oder sie das ganze Leben in einer Wohnung bleiben kann, wird viel eher auf die Wohnung Acht geben. Die Mietdauer befristen, wie Frau Deeg es plant, würde also neue Unsicherheiten schaffen. Übrigens bleiben die Mieter:innen in Wien auch dann in der Wohnung, wenn ihr Einkommen steigt. So entsteht Wohlstand im Viertel, der dann auch wieder der Wirtschaft gut tut – und den Familien sowieso.

 

 

Wohnbaupolitik im Vergleich

 

Die Grünen Abgeordneten resümieren: „Eine langfristige öffentliche Bodenankaufpolitik, nachhaltige Stadtplanung, visionäre Vorstellungen und wirtschaftliches Verwalten des öffentlichen Gutes haben Wien zu dem gemacht, was es heute ist. All das täte auch Südtirol gut.“

Der vierte Gesetzgebungsausschuss wird am 16. Mai über die Überarbeitung des Wobi-Gesetz beraten. Laut Renzler soll es bis dahin informelle Gespräche mit Landesrätin Deeg geben, die bei der Dienstreise nicht dabei war.  

 

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Klemens Riegler Sab, 05/07/2022 - 20:25

Wien steht für Sozial-Demokratie! In Sachen Wohnbaupolitik ist die Stadt, wie hier beschrieben, Nr. 1. Wer Zukunft für Südtirol und seine Einwohner*innen will, muss zumindest in den Städten (nicht Glurns) von der diesbezüglichen Nr. 1 abkupfern. > = Deeg ist hier anscheinend buchstäblich auf dem Südtiroler Holzweg ... oder zumindest auf der falschen Spur.

Sab, 05/07/2022 - 20:25 Collegamento permanente