Società | Eiertreter*in

Mandr 's isch Zeit!

Die Einschläge kommen näher. Wenn Europa nicht mehr am Hindukusch, sondern im Donbass verteidigt werden muss, sollten wir unsere Besten hinschicken.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Foto: Goggel Totsch

Mitten im größten Kampfgetümmel reicht die Marketenderin - ein Weinfassl unterm Arm - dem dahingesunkenen, weißbärtigen Standschützen ein Glasl Leps. Natürlich hat mich das beeindruckt. Ich war vielleicht Acht oder Neun. Die Schwarzmander-Kirche mit den ganzen Rüstungen hatte mich schon gepackt - vor allem weil ich damals mit Nscho-tschi und Winnetou schon durch war und gerade auf Burgfräuleins und ihre Ritter abfuhr - aber im Riesenrundgemälde habe ich mich dann echt weggeschmissen. Also damals hing es noch in der Rotunde neben der Talstation der Hungerburgbahn und nicht im Tirol Panorama am Bergisel. Damals wusste ich auch nicht, dass zwischen der Schlacht und ihrer künstlerischen Darstellung fast 90 Jahre lagen. Oder dass, man vermutet um den Tourismus anzukurbeln, bereits damals die Landschaft arg geschönt wurde. Anders ist der ganze Schnee auf den Bergspitzen nicht erklärlich am 13. August 1809, an dem die dargestellte dritte Bergisel-Schlacht stattfand. In etwa so, wenn heute die Werbefuzzies aus den Südtiroler Heile-Welt-Bildern Strommasten und Telefonstangen raus photoshoppen.
Ich hatte Augen für anderes. Das Schlachtengetümmel sah aus wie meine Wimmelbücher von Mordillo; nur das hier war größer! 1000x größer. Da wurde auf über 1000 Quadratmetern gestorben was das Zeug hielt und mittendrin: Eine Frau!
Gut, damals hatte ich noch nicht Bert Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ gelesen, war für mich das Wort Marketenderin mit Gitschen in Tracht, mit Blumensträußen in Ochsenhörnern oder umgeschnallten Schnapspanzelen konnotiert. Wusste nicht, dass seit der Antike der Marketender im Tross eines Heeres, die Soldaten als Händler mit Lebensmitteln versorgte, während sein weibliches Pendant vor allem eines war: Nutte.
Heute zaubert es mir ein Schmunzeln über die Lippen, wenn die Amelie, die Tochter meiner Nachbarin, zusammen mit den drei anderen Marketenderinnen, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit der Musi durchs Dorf marschiert. Ich frage mich dann, ob sie um ihre historischen Schwestern als Vereinsmatraze weiß und ob sie von der Sorte hochtöniges Quietschen oder doch guturales Stöhnen ist?

Kompanie

Ich frage mich auch, ob die Trachtenträgerinnen beim Alpenregionstreffen der Schützen in St. Martin in Passeier in einem unbedachten Augenblick der Selbstreflexion zu solchen Einsichten kommen? Kann ja heutzutage vorkommen. Heute wo „Bewusstseinserweiterung für Souveränität, Selbstermächtigung, Selbstbestimmung und Menschwerdung“ in den Telegram-Kanälen so en vogue sind. Total spannend wohin die Schwurbler in dieser Phase der ausklingenden Pandemie so abdriften. Die einen machen weiter, als wären Notstand und Green-Pass weiterhin Thema, bedauern aber, dass ihre „Spaziergänge“ wegen ständig schrumpfender Teilnehmerzahlen obsolet wurden. Dann gibt es eine Gemengelage aus Putinauten, LGBTQ+, Vollgeldfeteschisten, NEIN-beim-Direkte-Demokratie-Referendum-Stimmer und solche wie mich, die schlicht gegen alles sind - aus Prinzip! Und die Freunde von Esoterik und Hokuspokus machen dort weiter, wohin sie schon vor Corona unterwegs waren: Vom Schlafschaf Richtung MenschSEIN. Ich schweife ab.

Bataillon

Übrigens schon aufgefallen: Der „Neanderlan“ ist in der Versenkung verschwunden - werkelt im Untergrund sicher an seinem „Spaziergang“ in den Landtag 2023-2028. Drei mal habe ich mir auf dem „Boazner“ den Bericht vom Schützenaufmarsch in Psair reingezogen - immer auf der Suche nach dem Andre-Hofer-Bart unseres Alpentaliban. Nisba! Doch mit jeder Wiederholung kam ein Brösel Erinnerung an jenen Ausflug nach Innsbruck und seinem Riesenrundgemälde zurück: Der Pulverdampf der Stopselgewehre, die Formationen am Wiesenhang, die „hohe Geistlichkeit“ wie sie bei solchen Anlässen für gewöhnlich begrüßt wird. (Diesmal kein schnöder Militärkaplan, sondern der Oberpfaff der Diözese himself - vermutlich um die Waffen mit einer Extraportion Durchschlagskraft und Zielgenauigkeit zu segnen). Und dann war es da, das Bild, das mich stante pede in meine Kindheit katapultierte: Ein Helfer, der eine Schubkarre mit zwei Kisten Mineralwasser durch die Mandr buxierte! Der Link zur Marketenderin Anno 1809.
Lass ihn nur kommen den Russ, habe ich mir gedacht. Wenn unsere Schützen die Grobgenagelten auspacken, könnt ihr einpacken - eure Hyperschallraketen, Laserwaffen und Vakuumbomben. Dann gibt's mit Dreschflegeln und Hellebarden eins auf die Mütze - den Stahlhelm, meine ich …

Mah … vielleicht sollte man doch das roten Leibl und die Joppm von so mancher „altbairischen“ Männertracht gegen Flecktarn in NATO-Grün austauschen? Würde den strammen Recken gefallen. „Flecktarn“,  schreibt Wikipedia „ist ein heute international gebräuchliches Tarnmuster, bei dem farbige unregelmäßige Flecken oder Punkte auf einem Grundton angeordnet werden. Das Prinzip wurde ab 1935 von Johann Georg Schick im Auftrag der Waffen-SS in verschiedenen Varianten entwickelt.“ Johann Georg Schick, was für eine Steilvorlage für ein Wortspiel: Was die Waffen-SS „schick“ fand, wird unseren Haudegen modisch sicher auch passen! Apropos, es geht weiter mit Wortspielen. Im Haudegen ist welches Wort versteckt? Genau! Was haben sich die Schützen aus der Piefkei in St. Martin beschwert, dass sie ihre Säbel und Schießprügel nicht über die Grenze bringen durften. Wie sich die Dinge gleichen. Der Selenskyj mault auch ständig, dass er nicht genug Waffen über die Grenze kriegt. Kleiner Tipp meinerseits: Vielleicht mal mit den bereits erwähnten Dreschflegeln versuchen? Gibt's in der Kornkammer Ukraine sicher noch hinter jeder Stadeltür.
Der Sven (Sven ist kein Südtiroler Name) fühlte sich gleich bemüßigt zu deponieren, dass man seinen Stammwählern, doch endlich ihre historischen Waffen zurückgeben soll. Dann meinte er noch Italien müsse endlich im 21. Jahrhundert ankommen - oder so. Komisch, bin nur ich es oder kommt es Ihnen auch so vor, dass wennschon der Sven (Sven ist kein Südtiroler Name) noch im Jahr 1809, sicher aber 1918 fest steckt? Egal.

Regiment

Da fährt mir ein Gedanke quer durch den Neocortex: Im weitesten Sinne muss man die Südtiroler Schützen als Freikorps, also Frei-Regimenter aus Freiwilligen, gegnerischen Überläufern, Deserteuren und Straffälligen (der eine oder andere Entpatentierte, der sich weiterhin jeden Samstag besoffen hinters Lenkrad fallen lässt, ist sicher dabei) bezeichnen. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte unsere Schützen sind nicht nur folkloristisch, sondern eine verkappte Soldateska: Freude am Marschieren, Schießen, Massaker, Zivilistinnen vergewaltigen … Was Männer eben so machen mit ihrem Testosteronüberschuss. Also in Luhansk, Charkiw, in Mariupol könnten die gebraucht werden. Sollten wir neben Schweren Waffen nicht auch Menschenmaterial in die Ukraine schicken? Die ganzen Militaristen und Kriegstreiber, die in ihrem Vorderlader eine phallische Verlängerung ihrer 13 Zentimeter sehen? Ich sage: Alle mit diesem historisch verklärten Blick Richtung dem „Stahlgewitter das Männer schmiedet“ - ab in den Donbass. Wenn die Russen diese erste Welle dann in einem Phosphorbombenteppich aufgeraucht haben, kommt sicher eine Generalmobilmachung. Idealerweise bringt so ein Volkssturm seine Waffen selbst mit und weiß damit umzugehen. Sie ahnen es. Wer, wenn nicht unsere hochsubventionierten Bauern haben noch Dreschflegel und Heugabeln?
Bauern kann man nicht einziehen? Produzieren Lebensmittel und sind deshalb systemrelevant für die Wehrkraft? Durften deshalb im Lockdown ihr Stangenobst spritzen und trotzdem den 600-Euro-Bonus kassieren? Ja, ja: Lebensmittel! Wir lassen uns doch nicht in einem Stahlwerk umzingeln, um dann ohne zu Murren bei jeder Mahlzeit Äpfel, Jogurt und Vinschgr Marillen zu fressen (nein, es gibt keinen Speck, weil die Versorgungsketten für Notscher und schwere Waffen aus Deutschland unterbrochen sind). Muss noch mal Brecht zitieren: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ ... die Kampfmoral meine ich. Ohne Sushi und Tex Mex und Sonntags eine Fiorentina, wird's nix mit der Verteidigung des Hoametl. Das sage ich euch gleich. Außerdem wurden die vergifteten Schneewittchenäpfel bereits alle exportiert. Ergo werden die Bauern an die Front abkommandiert - ohne den Zusatz „Heimat“.
Irgendwann werden sie ihren Kopf irgendwo hinhalten müssen. Desertieren (um in meiner Kriegsrethorik zu bleiben) vor der Finanzierung des Gemeinwohls, bluten mit ihrer Beitragskultur den Volkskörper aus und kultivieren neben Gala und Golden vor allem ihre Pfründe und Privilegien. Irgendwann ist Zahltag. Zudem macht das waffentechnisch Sinn. Welches Loch macht so ein Kugelschreiber, wenn ein Landhäusler im Nahkampf auf so einen Söldner der Wagner-Truppe einsticht? Skilehrer, die sich mit ihren Skistöcken durchs Niemandsland fechten. Dann schon lieber einen Sternekoch mit Tranchiermesser oder der Apfelbauer - statt seiner Spritzbundl, den Kanister für den Flammenwerfer auf dem Rücken. Und haben die Ukrainer nicht gezeigt, dass so ein Traktor viel wirkungsvoller als ein russischer T-72-Panzer ist?  
Jetzt weiß ich, wie wir die Bauern ködern. Der ausgelutschteste Slogan aus der Zentrale des Südtiroler Bauernbundes lautet: Der Bauer der „Hüter von Grund und Boden“ - außer natürlich seine Wies wird in eine Wohnbauzone mit 60:40 Konventionierung umgewandelt. Jetzt schlüpfe ich perfiderweise in die Rolle vom guten alten Adolf und ersetze den „Grund“ mit „Blut“ und packe den Geschlossenen Hof und die weichenden Erben - das Erbe der Väter, wollte ich sagen - dazu. Eine Prise Eigenjagd, Tradition und Heimat, und dann habe ich sie: Mandr 's isch Zeit!

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Christoph Bart… Gio, 05/26/2022 - 07:22

„Heute zaubert es mir ein Schmunzeln über die Lippen, wenn die Amelie, die Tochter meiner Nachbarin, zusammen mit den drei anderen Marketenderinnen, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit der Musi durchs Dorf marschiert.“

Wie das Schröpfen von Konsumenten/Käufern alias Tourismus Land und Sitten ruiniert. Dafür soll Andreas Hofer seinen Kopf hingehalten haben? Dass der Bauer Hüter von Grund und Boden sein soll, führt ein Blick in die Landschaft ad absurdum.

Gio, 05/26/2022 - 07:22 Collegamento permanente