Ambiente | Landschaft

Bauernschläue und Flächenfraß

Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz klagt an: Im Schatten des Bettenstopps ist im Omnibusgesetz auch eine Aufweichung des Landschaftsschutzes enthalten.
08_winterlandschaft_bei_signat.jpg
Foto: Oswald Stimpfl
Madeleine Rohrer und Josef Oberhofer erinnern bewusst an einen Satz, den die Landesregierung 2002 ins Vorwort des Landschaftsleitbild geschrieben hat. Dort heißt es: „Wenn wir immer nur den unmittelbaren Nutzen unserer Wirtschaftsaktivitäten im Auge behalten und dabei Natur und Landschaft unwiederbringlich zerstören, handeln wir kurzsichtig und berauben uns unserer eigenen Ressourcen. Voraussetzung ist deshalb, dass wir die Schönheit unseres Landes bewahren“.
Die Geschäftsführerin und der Vorsitzende des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz wollen damit dem Südtiroler Landtag in Gewissen reden. In der kommenden Woche steht dort das sogenannte Omnibus-Gesetz auf der Tagesordnung. Seit Monaten wird öffentlich, kontrovers über die im Gesetz enhaltene praktische Umsetzung der Obergrenze für Gästebetten, den sogenannte Bettenstopp gestritten.
Im Schatten dieser Kontroverse aber sind in diesem Gesetz aber auch einige Bestimmungen enthalten, die nach Ansicht des Dachverbandes einer Aufweichung des Schutzes der für Südtirol so besonderen Landschaft gleichkommen. „Landtag, schütze unsere Landschaft!“, appelliert das Duo Rohrer/Oberhofer deshalb.
 

Der Artikel 17

 
Stein des Anstoßes ist eine stille Neuregelung der Landschaftspläne der Gemeinden. Die Führung des Dachverbandes weist darauf hin, dass das Omnibus-Gesetz darauf abzielt, im Artikel 17 (Absatz 4) des neuen Landesgesetzes für Raum und Landschaft zwei fast identische Wörter auszutauschen. Ersetzt wird „im Landschaftsplan“ durch die Formulierung „in der Landschaftsplanung“. Die Begründung im Begleittext lautet, dass die Landesregierung das Südtirol weite Landschaftsleitbild stärken wolle und darin auch Aussagen zum Bodenverbrauch treffen will. „Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail“, warnt jetzt der Dachverband.
 
 
Artikel 17 regelt das Bauen in den Natur- und Agrarflächen, also außerhalb der Dörfer und Städte auf Wiesen oder Almen. De facto und de jure besteht dort ein Bauverbot – außer anderslautender Bestimmungen im Gesetz selbst oder in den Landschaftsplänen. Da die Abänderung aller Landschaftspläne unter Einbeziehung der jeweils betroffenen Gemeinden sehr aufwändig ist, greift die Landesregierung über das Landschaftsleitbild nun zum Plan B. „Das im Jahr 2002 genehmigte Landschaftsleitbild lässt sich mit einem einfachen Beschluss der Landesregierung abändern, ohne dabei in Dialog mit den betroffenen Gemeinden treten zu müssen. Auf der Strecke drohen die Landschaft und die gemeindeeigenen Pläne zu bleiben sowie das Engagement vor Ort für den Schutz der Landschaft und der von der Landespolitik geprägte Grundsatz innen flexibel, außen penibel“, so Madeleine Rohrer.
 

Großzügigkeit für Bauern

 
Das neue Landesgesetz hatte das Bauen im landwirtschaftlichen Grün äußerst großzügig geregelt und – entgegen den ursprünglich gesteckten Zielen – und im Vergleich zur vorherigen Regelung noch weiter ausgebaut. Wohngebäude im Landwirtschaftsgebiet, die mindestens 300 Kubikmeter groß sind, können auf 1.000 Kubikmeter aufgestockt werden. Wohngebäude an Hofstellen dürfen auf 1.500 Kubikmeter Wohnvolumen (früher 1.000 m³) vergrößern, was in etwa dem Volumen von drei Einfamilienhäusern im geförderten Wohnbau entspricht. Zwar hatte die Landespolitik immer wieder betont, dass diese großzügigen Baurechte im Landwirtschaftsgebiet ein „all inclusive“ sein würden.
 
 
Schließlich wolle man die Zersiedelung stoppen, den Flächenfraß und die Ausgaben für die öffentliche Hand für die Erschließung. Weitere Baurechte aber folgten. Zudem wird aktuell über einen neuen Kubaturbonus diskutiert. Die Landesregierung hatte sich noch im Herbst 2021 darauf geeinigt, diese zusätzlichen Baurechte nur mehr in Wohnbauzonen gewährleisten zu wollen. Jetzt sollen über die Landschaftsplanung weitere Baurechte auf Natur- und Agrarflächen geschaffen werden, zum Beispiel die Möglichkeit gastgewerbliche Betriebe auch im Grünen quantitativ zu erweitern oder unterirdische Räume unter Almhütten zu bauen.
 

Warum ein Landschaftsplan?

 
Südtirols Gemeinden müssen mit dem Gemeindeentwicklungsprogramm erstmals eine ganzheitliche Planung erarbeiten. Das erfordert viel Zeit und Ressourcen, politisches Rückgrat und Weitblick. Es ist eine mühsame, große und außerordentlich wichtige Aufgabe. Sind die Gemeindeentwicklungsprogramm gut gemacht, bieten sie Antworten auf leistbares Wohnen, sozialverträgliche Mobilität und Anpassung an die Folgen des Klimawandels wie Naturgefahren. Im Zuge der Ausarbeitung des Gemeindeentwicklungsprogramms müssten auch die Landschaftspläne überarbeitet werden.
 
 
 
Das heißt: Die Gemeinden müssen über jene Wiesen, Hügel und Bäume diskutieren, die landschaftlich besonders wertvoll sind und damit für die Kindeskinder erhalten werden müssen. Oftmals ein heißes Eisen, geht es um Grundbesitz und Privateigentum. „Werden Baurechte für die Natur- und Agrarflächen bereits im Landschaftsleitbild vergeben, besteht bei den meisten Gemeinden wohl kaum ein Interesse das Schutzinstrument Landschaftsplan anzugehen“, sagt Josef Oberhofer, Vorsitzender Südtirols größter Umweltorganisation.
Der Ball liege jetzt beim Landtag.

 

Bild
Profile picture for user Dietmar Nußbaumer
Dietmar Nußbaumer Ven, 06/24/2022 - 13:41

Sogenannter Kulturgrund ist ohne Zweifel mehr als wertvoll. Wenn ein Betrieb aber nicht mehr rentabel ist, wird er unter Umständen auch verkauft, so kaufen derzeit Made in Germany gerne Bauernhöfe in Österreich. Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, es geht wie bei jedem Betrieb um die Finanzen (zweiter Teil des Begriffes!). Landwirte erzeugen Lebensmittel und dürfen nicht mit öffentlich angestellten Landschaftspflegern verwechselt werden. Die Politik hat es in der Hand, den Landwirten ein brauchbares Einkommen zu sichern und sie zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu animieren (wenn auch der Handel mitspielt).

Ven, 06/24/2022 - 13:41 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Christoph Bartholomäus
Christoph Bart… Mar, 06/28/2022 - 16:54

Die Kräfte, die ein Weiterso forcieren, im In- und Ausland (Bauherren, Kapitalgeber, Investoren, Spekulanten), werden, solange die Nachfrage nach „Südtirol“ hoch bleibt und Rendite verspricht, Wege (und Verkäufer von zusätzlichem Bauland, Kubatur) finden, egal ob es von irgendeiner persönlichen Seite Kritik und Widerstand gibt, ob Boden, Heimat, Werte, Traditionen realiter verloren gehen, der Verkehr weiter zunimmt, bis zur Stagnation. Das ist das System aus Marktwirtschaft, Wachstum und Rente, zehrender Arbeit und verdientem Urlaub, das nur von Krisen vorübergehend gestoppt wird. Sie mag man kommen sehen. Aber weil das Leben doch so schön ist in der ersten Reihe an den Fressnäpfen, die Zahlen (wohl noch) stimmen (werden), wird an Lösungen (Abmilderung) einer Krise nicht seriös gearbeitet.

Mar, 06/28/2022 - 16:54 Collegamento permanente