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„Das Kapitel ist noch nicht geschlossen“

Anders und vor allem weniger konfliktreich soll die Caritas zukünftig geführt werden. Das erklärt die neue Direktorin Beatrix Mairhofer im Gespräch mit Salto.bz.
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Foto: Salto.bz
Salto.bz: Frau Mairhofer, Sie haben Ihren Dienst am 1. August angetreten. Nach rund einem Monat Einarbeitungszeit wie lautete Ihr erstes Fazit?
 
Sehr vielfältig und sehr interessant. Es ist eine Herausforderung, bei der ich allerdings bereits jetzt gemerkt habe, dass sie mich zufrieden stellt.
 
Definitiv die richtige Entscheidung?
 
Ja.
 
In einer Presseaussendung wurden Sie folgendermaßen zitiert: „Als ich die Stellenausschreibung gesehen habe, hat mich diese gleich angesprochen, weil es in der Caritas vor allem darum geht, Menschen in schwierigen Lagen zu unterstützen.“ Haben Sie diesen Wunsch, den Menschen zu helfen, immer schon gespürt?
 
Bei jeder Berufsentscheidung, die ich getroffen habe, sei es nun als Rechtsanwältin, Bürgermeisterin der Gemeinde Ulten oder nun als Caritas-Direktorin, war dieser Wunsch präsent, in dem Sinne, dass es mir ein Bedürfnis ist, mit den Menschen und für die Menschen zu arbeiten. Es ging mir immer darum, Problemsituationen zum Besseren hin zu verändern. Als Rechtsanwältin habe ich vor allem schöne und befriedigende Momente erlebt, wenn ich für Familien mit Kindern, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befunden haben, sprich Trennung oder Scheidung, eine gute Lösung gefunden habe bzw. es mir gelungen ist, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die vor allem im Interesse der Kinder oder der Partner lag.
 
Die Tatsache, dass ich Rechtsanwältin von Beruf bin plus eine Frau, hat dazu geführt, dass meine Sprechstunden immer voll waren.
 
Auch als Bürgermeisterin einer Landgemeinde, in der praktisch jeder jeden kennt, wird man mit sehr vielen Themen und Herausforderungen konfrontiert. Die Tatsache, dass ich Rechtsanwältin von Beruf bin plus eine Frau, hat dazu geführt, dass meine Sprechstunden immer voll waren. Dabei wurde ich nicht nur mit gemeindespezifischen Anliegen konfrontiert, sondern von Arbeitssuche hin bis zu persönlichen Problemen – die Leute kamen mit allen Sorgen und haben sich von mir Hilfe erwartet oder wollten sich zumindest einen Rat holen. In meinen Tätigkeiten hat sich sozusagen immer sehr viel menschliches Geschehen im Guten wie im Schlechten zugetragen. Das ist es auch, was mir seit jeher gut gefallen hat.
 
 
 
 
 
Ihren Schilderungen von Ihren Sprechstunden als Bürgermeisterin nach zu urteilen, gibt es auch in den ländlichen Gemeinden ein großes Bedürfnis nach einem Ansprechpartner für die täglichen Sorgen.
 
Auf alle Fälle. Allerdings, wäre ich ein Mann gewesen, hätte es diesen Zulauf vermutlich nicht gegeben. Zumindest habe ich es so empfunden. Einmal spielte natürlich mein Beruf eine Rolle, weil vielleicht auch die Erwartungen an eine Rechtsanwältin etwas höher sind, in dem Sinne, dass Hilfe und Rat auch bei nicht gemeindespezifischen Angelegenheiten gegeben werden können. Und natürlich kam der Faktor Frau zum Tragen, der mit sozialen Kompetenzen und dem sozialen Bereich in Verbindung gebracht wird.
 
Auffallend beim Betreten der Caritas-Zentrale ist ein ständiges Kommen und Gehen, es geht beinahe zu wie in einem Bienenstock.
 
Es ist ein sehr belebtes Haus, in dem verschiedene Dienste angesiedelt sind wie beispielsweise Sozialberatung, Wohnungshilfe und Schuldnerberatung. Aus diesem Grund kommen natürlich auch viele aus anderen Gemeinden zu uns nach Bozen. Die Caritas ist nichts Statisches, sondern ständig in Bewegung, aufgrund der Tatsache, dass natürlich auch die Problematiken, die wir mit unseren Diensten versuchen zu lösen, sich ständig in Entwicklung befinden. Dieser ständige Fluss gefällt mir sehr.
 
Wie gehen Sie an die Lösung von Problemen heran bzw. haben Sie eine besondere Strategie?
 
Es gibt sicher kein Einheitsrezept oder keine Einheitsstrategie. Aufgrund meiner Erfahrung sowohl als Bürgermeisterin als auch als Rechtsanwältin verfüge ich sicher über eine gute Basis bzw. das nötige Rüstzeug, um Lösungen für die Probleme, mit denen die Caritas konfrontiert ist, zu finden. Das Wichtigste ist zu verstehen, worin das Problem besteht, und dann zu schauen, was machbar ist. Natürlich gibt es auch Probleme, für die es keine Lösung gibt bzw. für die es keine ideale Lösung gibt. Man muss aber trotzdem immer versuchen, nach Lösungen zu suchen, mit denen Problemsituationen verbessert werden können.
 
Das Wichtigste ist zu verstehen, worin das Problem besteht, und dann zu schauen, was machbar ist.
 
Nach der Entpflichtung von Paolo Valente hat Bischof Muser Sie zur Caritas-Direktorin ernannt. Sind die Turbulenzen zu den Akten gelegt oder besteht noch Bedarf nach Aufarbeitung?
 
Das Kapitel ist sicher nicht geschlossen. Für manche mag es vielleicht abgeschlossen sein, für andere jedoch nicht. In der Vergangenheit wurden Entscheidungen getroffen, die natürlich immer noch nachwirken. Es ist mein Bestreben, mir die Problematiken von jenen, die betroffen waren, anzuhören. Von den Turbulenzen war allerdings nicht die gesamte Organisation der Caritas betroffen, sondern es ist in einigen Bereichen zu Problemen gekommen, wo Entscheidungen getroffen worden sind, die für einige Mitarbeiter problematisch waren. Einige wirklich sehr gute Mitarbeiter haben aufgrund dessen die Caritas sogar verlassen. Jene, die geblieben sind, sind aber gewillt, nach vorne zu schauen.
 
Wie möchten Sie die Führung gestalten?
 
Anders und vor allem weniger konfliktreich. Ich möchten den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Sorgen, Nöte oder vielleicht auch Enttäuschungen klar zu äußern. Anhand dessen kann man erkennen, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist und was man besser machen kann.
 
Unabhängig davon, ob es sich um eine Organisation, eine politische Partei oder ein Unternehmen handelt, in Krisenzeiten sollen es offenbar die Frauen richten …
 
(Lacht) Es hat den Anschein. Mein Eindruck ist, dass für diese Position eine außenstehende Person gesucht wurde, die weder in die Konflikte noch anderweitig in die Caritas involviert war und somit eine unvoreingenommene Sicht auf die Dinge hat, sozusagen vorbehaltlos an die Sache herangeht. Weiters sollte der Bewerber aus einem anderen Erfahrungsbereich kommen und damit weitere Voraussetzungen und Qualitäten mitbringt. Die Tatsache, dass nun erstmals eine Frau an der Spitze der Caritas steht, ist das berühmte i-Tüpfelchen.
 
Die Tatsache, dass nun erstmals eine Frau an der Spitze der Caritas steht, ist das berühmte i-Tüpfelchen.
 
Eine Frau führt anders?
 
Wir agieren nicht vollkommen anders als Männer, verfügen jedoch über andere Qualitäten und eine andere Sichtweise auf die Dinge. Wir haben mitunter auch andere Ansätze und eine andere Herangehensweise an die Probleme als Männer. Davon bin ich überzeugt. Ich bin jemand, der die Dinge klar benennt, wobei natürlich immer ein gewisses Feingefühl gefragt ist. Auch wenn man der Vorgesetzte ist, so muss man sich dennoch immer auf Augenhöhe als Mensch begegnen und sein Gegenüber auch dementsprechend behandeln.
 
Ist es Ihnen bereits gelungen, mit dieser positiven Ausstrahlung eine Art Aufbruchstimmung zu verbreiten?
 
Der Start war aus meiner Sicht sehr gut und auch die Rückmeldungen sind positiv.  Wir haben vor Kurzem ein sehr schönes Mitarbeiterfest veranstaltet, die Stimmung war sehr gut. Auch im täglichen Umgang und in der täglichen Arbeit, nehme ich die Stimmung als sehr positiv war.
 
Die Caritas erfüllt sehr viele Aufgaben, eine davon, die Sie bereits genannt haben, ist die Schuldnerberatung.
 
Die Schuldnerberatung, so ist zumindest die Rückmeldung der Dienste, ist in den vergangenen Monaten umfangreicher und aufwändiger geworden. Wir bieten dabei Beratungen auf zwei Ebenen an: zum einen die Sozialberatung, bei der es sich um eine sehr niederschwellige Beratung und sozialen Beistand handelt. Teilweise geht es nur darum, den Menschen zuzuhören, in anderen Fällen aber auch um die Begleichung von Rechnungen, welche die betreffende Person nicht mehr in der Lage ist zu bezahlen. Zusätzlich bieten wir eine qualifizierte Schuldnerberatung an, bei welcher die Probleme in ihrer Komplexität betrachtet werden. Beispielsweise erhalten die Betroffenen Hilfe beim Händeln von Tilgungsraten sowie Ratschläge, wie man Schuldenfallen vermeiden kann. Aber auch Verhandlungen mit Gläubigern gehören zu unseren Aufgaben. Unser Schwerpunkt liegt jedoch auf der Hilfe zur Selbsthilfe.
 
 
 
Ein weiteres Tätigkeitsfeld der Caritas betrifft die Flüchtlingsproblematik.
 
Die Zahlen der ankommenden Flüchtlinge liegt unterhalb der Schwelle, die noch vor einigen Jahren erreicht wurde – insofern ist keine unmittelbare Dringlichkeit gegeben. Die große Herausforderung besteht allerdings darin, für jene Menschen, die hier bleiben möchten, das richtige Umfeld zu schaffen sowie die Gesellschaft auf diese Menschen vorzubereiten. Wir haben viele Projekte initiiert, um den Menschen, die aus den verschiedensten Kulturkreisen stammen und mit völlig anderen Lebensgewohnheiten aufgewachsen sind, unsere Kultur und Lebensgewohnheiten nahe zu bringen bzw. ihnen zu vermitteln, wie sie sich bei uns integrieren können. Das fängt beispielsweise damit an, an welche Regeln sich ein Kondominiumsbewohner halten muss – für viele ist das absolut neu. Dinge, die für uns vollkommen selbstverständlich sind, erscheinen den Flüchtlingen fremd. Was hier an Aufklärungsarbeit zu leisten ist, ist harte Arbeit und je besser wir diese Arbeit machen, umso eher kann es gelingen, dass auch die Akzeptanz der Einheimischen den neuen Mitbürgern gegenüber wächst bzw. auch erhalten bleibt. Wenn keine Aufklärung bzw. in diesem Fall Sozialarbeit erfolgt, dann kommt es mit Sicherheit zu Situationen und negativen Erfahrungen in der Bevölkerung, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das kann unter anderem dazu führen, dass keine Bereitschaft mehr vorhanden ist, eine Wohnung an Zuwanderer zu vermieten – auch wenn sie die Miete bezahlen könnten, weil sie einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Solche Probleme und Herausforderungen versuchen wir mit unseren Mitarbeitern zu lösen, nicht nur für die betroffene Person, sondern auch für unsere Gesellschaft. Wenn der Integrationsprozess funktionieren soll, muss er begleitet werden.
 
Dinge, die für uns vollkommen selbstverständlich sind, erscheinen den Flüchtlingen fremd.
 
Unsere Gesellschaft teilt die Zuwanderer gerne in gute Ausländer, die Fachkräfte von morgen, und in schlechten Ausländer, die Drogen verkaufen und Gewaltdelikte begehen, ein. Wie geht die Caritas mit diesem Schwarz-Weiß-Denken um?
 
Es ist tatsächlich so, dass die Mehrheit der Gesellschaft die Zuwanderer in diese zwei Kategorien von Böse und Gut unterteilt. Natürlich fehlt auch mir das Verständnis für Drogen-Dealer, aber dieses Schwarz und Weiß gibt es nicht, sondern es gibt unzählig viele Realitäten und Geschichten, die hinter diesen Personen stehen. Während die ukrainischen Kriegsflüchtlinge sehr wohlwollend aufgenommen worden sind und sehr viele Spenden für sie eingegangen sind, weil sie vom europäischen Kontinent stammen, müssen wir beobachten, dass bei anderen Kriegsflüchtlingen, die beispielsweise aus Syrien oder aus afrikanischen Ländern stammen und eben anders aussehen als wir, dieses Wohlwollen nicht vorhanden ist oder zumindest nicht im gleichen Ausmaß. Nichtsdestotrotz handelt es sich immer um Kriegsflüchtlinge, die genauso schlimme Erfahrungen machen mussten. Hier ist sicher noch mehr Akzeptanz nötig. Zudem nehme ich einen Unterschied zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung wahr. Während das städtische Umfeld sehr viel offener ist, habe ich beim ländlichen manchmal den Eindruck, dass es in die vollkommen entgegengesetzte Richtung geht und dass man sich in den Tälern wieder mehr verschließt.
 
Die Caritas ist mit über 300 hauptamtlichen sowie 850 ehrenamtlichen Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber im Land. Welche Bedeutung kommt insbesondere dem Ehrenamt zu?
 
Viele Bereiche, nicht nur in der Caritas, sondern im ganzen Land würden ohne das Ehrenamt überhaupt nicht funktionieren. In unserem Bereich ist die ehrenamtliche Tätigkeit natürlich eine wesentliche Ressource, weil einige Dienste darauf basieren. Wir haben hauptamtliche Koordinatoren oder Dienste und alle übrigen Tätigkeiten, wo eine Begegnung mit dem Menschen stattfindet, werden von ehrenamtlichen Mitarbeitern ausgeführt, sei es nun in der Telefonseelsorge oder in der Hospizbewegung, um nur zwei Bereiche zu nennen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind Menschen, die sich in den Dienst am Nächsten stellen. Diese riesige Ressource ist nicht nur für uns, sondern auch für die Gesellschaft unverzichtbar. Im Geist der Caritas ist die ehrenamtliche Tätigkeit das absolut Wesentliche: Man setzt und bringt sich für den Nächsten ein.