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„Ihr seid Nationalisten“

Julia Unterberger hat am Mittwoch im Senat eine Rede gehalten, die weit über Südtirol hinaus Anerkennung und Zustimmung gefunden hat. Der Wortlaut der Rede.
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Foto: senato.it
Präsidentin Meloni,
 
Ich spreche hier als Südtirolerin zu Ihnen, als fortschrittliche und feministische Frau und damit aus einer Position, die das genaue Gegenteil von dem ist, was Sie vertreten.
Ich muss Ihnen aber gestehen, dass mir Ihre Rede nicht missfallen hat.
Sicher, es war eine Rede der konservativen Rechten, aber in Ton und Form akzeptabel. Ich hoffe, dass die Meloni beim Kongress von Vox der Vergangenheit angehört.
Trotz dieser Einschätzungen erlaube ich mir aber, Sie auf einige Widersprüche in Ihrer Rede hinzuweisen.
Sie haben gestern ganze 15 mal auf den Begriff der Freiheit verwiesen. „Seid frei“, haben Sie den jungen Menschen geraten, „denn im freien Willen liegt die Größe des Menschen“.
Das ist richtig. Aber um freie Entscheidungen treffen zu können, bedarf es einer Politik, die individuellen Entscheidungen respektiert. Etwa wenn es darum geht, eine Schwangerschaft zu beenden oder dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Eine Politik, die hinter allen Familien steht und nicht nur jenen, die aus Mann und Frau bestehen.
Freiheit bedeutet, auch anders sein zu können und so akzeptiert zu werden, wie man ist. Wenn Sie weiterhin von einer italienischen Nation sprechen und sich dabei auf eine Bluts- und Kulturverwandtschaft beziehen, dann schließen Sie alle aus, die in diesem Land ohne diesen Bezug leben.
Wir Südtiroler sind italienische Staatsbürger, die der deutschen Kultur angehören. Und wir wollen in unserer Andersartigkeit respektiert und akzeptiert werden.
Ich spreche hier als Südtirolerin zu Ihnen, als fortschrittliche und feministische Frau und damit aus einer Position, die das genaue Gegenteil von dem ist, was Sie vertreten.
 
Sie haben gut daran getan, den vielen Frauen zu huldigen, die Ihnen ein Vorbild waren.
Ich hätte hinzugefügt, dass Sie, wenn Sie heute Ministerpräsidentin sind, es vor allem den Kämpfen der Feministinnen für die Anerkennung selbst der elementarsten Rechte zu verdanken haben.
Feministinnen, die bekämpft und lächerlich gemacht wurden, genauso wie Sie gestern den Einsatz für eine Sprache lächerlich gemacht haben, die das Weibliche nicht nur für niedrige Funktionen kennt.
 
 
 
Glauben Sie wirklich, dass Sprache nicht die Realität bestimmt, dass sie nicht in der Lage ist, Stereotype zu verstärken oder zu ändern?
Ich habe nie die Abneigung von Euch rechten Frauen verstanden, Euer Frausein auch in der Sprache auszudrücken. Glauben Ihr wirklich, dass die Frau zweitklassig ist, wie ich von einem Kollegen aus der Rechten gehört habe?
In meiner Kultur wäre es für eine Frau undenkbar, sich über die männliche Form zu definieren. Habt Ihr schon einmal von einem Bundeskanzler Merkel gehört? Machen Sie sich nichts daraus, aber ich werde mir erlauben, Sie „die Präsidentin“ zu nennen.
Es stimmt, Sie haben die gläserne Decke durchbrochen, aber ich befürchte, auch nur, weil Sie nie die Spielregeln des männlichen Systems in Frage gestellt haben.
Und wenn ich mir die geringe Anzahl der Ministerinnen anschauen, dann wird aus diesem Zweifel Gewissheit.
Glauben Ihr wirklich, dass die Frau zweitklassig ist, wie ich von einem Kollegen aus der Rechten gehört habe?
Auch ich bin sicher, dass mit Ihnen die Rechte der Frauen nichts zu befürchten haben. Aber das ist nicht genug. Von einer Frau als Premier würde ich mir das größtmögliche Engagement für andere Frauen erwarten.
 
Präsidentin Meloni,
Als überzeugte Europäer gefiel uns die Deutlichkeit, mit der Sie die Verankerung Italiens im atlantischen Bündnis und in der Europäischen Union bekräftigt haben.
Und wir schätzten auch Ihre Standhaftigkeit bei der Unterstützung der Ukraine, Ausdruck echter Kohärenz; wir hoffen aber, dass es Ihnen gelingen wird, die Pro-Putin-Meinungen ihrer Verbündeten zu bändigen.
Gut ist auch Ihre klare Botschaft gegen Faschismus und totalitäre Regimes. Leider war das in der Vergangenheit nicht der Fall. Erst kürzlich haben Sie mit Orban gegen den Rest Europas gestimmt.
Zudem werden Sie Ihre Parteigenossen über die neue Linie informieren müssen; vor allem jene aus Südtirol, die die schlechte Angewohnheit haben, faschistische Denkmäler zu feiern und mit Sätzen zu provozieren wie „Geht nach Österreich“ oder „Hängt die italienische Flagge in jedem Hof aus“. Das sind Verhaltensweisen, die für eine Bevölkerung nicht leicht zu verdauen sind, die während des faschistischen "Ventennio" viel gelitten hat.
Gut ist auch Ihre klare Botschaft gegen Faschismus und totalitäre Regimes. Leider war das in der Vergangenheit nicht der Fall. Erst kürzlich haben Sie mit Orban gegen den Rest Europas gestimmt.
Wir blicken auf eine lange Geschichte der Auseinandersetzungen mit Ihrer Partei zurück. Mit Alleanza Nazionale, ganz zu schweigen vom MSI. Ihr seid Nationalisten, wir sind eine sprachliche Minderheit, die nur dank der Autonomie überleben kann. Aus diesen Gründen war die ursprüngliche Ausrichtung der SVP, in dieser Vertrauensabstimmung gegen die Regierung zu stimmen.
 
 
La dichiarazione di Unterberger / Die Originalrede auf Italienisch
 
 
Sie haben gestern in Ihrer Rede aber ein Zeichen gesetzt, das wir nicht ignorieren können.
Sie haben erklärt, dass Sie den Zustand der Autonomie von 1992 wiederherstellen wollen, als Österreich die Streitbeilegungserklärung unterzeichnet hat und damit der internationale Streitfall vor der UNO beendet werden konnte.
Mit dieser Aussage haben Sie endlich eine Reihe von Dingen anerkannt, die die nationalistische Rechte in der Vergangenheit immer geleugnet hat: dass die Autonomie nicht nur eine interne Angelegenheit Italiens ist, sondern dass es ein internationales Abkommen gibt, das eingehalten werden muss; dass die Gegenpartei in dieser Vereinbarung Österreich ist; und dass die österreichische Regierung eine Schutzfunktion und ein Verhandlungsrecht mit Italien hat, wenn es um den Schutz der Autonomie und der deutschsprachigen Minderheit geht.
Es war eine schmerzliche Entscheidung, aber unsere Partei hat entschieden, sich der Stimme zu enthalten und damit mit einem starken Signal auf ein ebenso starkes Signal zu antworten.
Das gilt nicht für alle Mitglieder unserer Fraktion, die seit Beginn an verschiedene politische Kräfte und Befindlichkeiten rund um die lokalen Autonomien bündelt.
Es war eine schmerzliche Entscheidung, aber unsere Partei hat entschieden, sich der Stimme zu enthalten und damit mit einem starken Signal auf ein ebenso starkes Signal zu antworten.
Einige werden sich der Stimme enthalten, andere werden gegen das Vertrauen stimmen; aber wir alle hoffen, dass Sie die Voraussagen auch in Bezug auf die Sonderautonomien und sprachlichen Minderheiten widerlegen werden.
Gute Arbeit, Frau Präsidentin.
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Ceterum Censeo Sab, 10/29/2022 - 00:23

ganz Italien lacht ja auch, über einen anderen Senator, der SVP
oder über die SVP, die sich von einem Satz hat kaufen lassen, so billig !!
oder über die Anbiederungsversuche von Medien über der Wahrnehmungsschwelle.

Sab, 10/29/2022 - 00:23 Collegamento permanente
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Stefan S Dom, 10/30/2022 - 10:58

In risposta a di Ceterum Censeo

Bei näherer Betrachtung ist auch diese Rede keine gute, kommt einer Offenbarung gleich und ist das gleiche Zeichen von Schwäche bzw. Schema wie so manche in Europa Friedensverhandlungen mit Putin bei gleichzeitiger Schwächung der Ukraine durch weniger bzw. keine Waffenlieferungen. Jedes entgegen Kommen werden die Postfaschisten als Schwäche werten und was die Verharmlosung "Nationalisten" soll erschließt sich mir nicht.
Die nächste Aktion wird diese sein
"Mattarella könnte im Übrigen der letzte seiner Art sein. Denn Meloni will die Direktwahl des Staatspräsidenten. Dazu braucht es eine Verfassungsänderung. Käme es dazu, wäre es vorbei mit der traditionellen Überparteilichkeit dieser Institution, dann befände sie sich mitten im Kampf der politischen Parteien."
Manche haben immer noch nicht den Knall gehört.

Dom, 10/30/2022 - 10:58 Collegamento permanente