Ambiente | Interview

„Erbarmungslos gejagt“

Greifvogelexperte Egon Comploi über das Schicksal der Aasgeier in den Alpen und die Erfolge zur Wiederansiedelung. Der Überlebenskampf der Vögel ist noch nicht zu Ende.
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Foto: Egon Comploi
salto.bz: Herr Comploi, wie hoch ist der Aasgeierbestand in den Südtiroler Alpen im Vergleich zu anderen Alpenregionen?
 
Egon Comploi: Um das kurz zu klären, sie sind zwar Aasfresser, der Begriff ‚Aasgeier‘ ist aber nur eine umgangssprachliche Bezeichnung für Geier und kein wissenschaftlicher Begriff. Geier oder genauer gesagt Altweltgeier sind eine Unterfamilie der Greifvögel Accipitriformes, genauso wie die der Adler oder der Bussarde. Um zur wirklichen Frage zurückzukehren, es ist nicht leicht bei den Geiernpopulationen Vergleiche mit anderen Alpenregionen zu machen, da z.B. in einer Region eine Art sehr gut vertreten sein kann, eine andere Art dort aber wiederum fehlt. Man kann sagen, dass zumindest der Vinschger Raum beim Bartgeier, dem einzigen in Südtirol brütenden Geier, eine interessante Populationsdichte mit mindestens drei Brutpaaren aufweist. Im Rest von Südtirol konnte noch keine Brut nachgewiesen werden, im Passeiertal, im Ultental und in einigen Seitentälern des Pustertales und Wipptales werden aber immer wieder welche gesichtet. In den Schweizer und französischen Alpen konnte sich der Bartgeier auch in mehreren Regionen sehr gut etablieren, in den österreichischen Hohe Tauern, wo dieses Projekt 1986 mit den ersten Ansiedelungen begann, sind auch einige Paare. Auch in den deutschen Alpen gibt Anstrengungen, sie wieder anzusiedeln, so werden seit 2021 dort wieder Bartgeier eingebürgert.
 
 
Wie sieht es mit anderen Geierarten in den Alpen aus?
 
In den letzten Jahren kann man eine sehr interessante Entwicklung bei einer zweiten Geierart, und zwar dem Gänsegeier, beobachten. Auch diese Art konnte durch Ansiedlungsprojekte im Friaul und den französischen Alpen als Brutvogel Fuß fassen. Diese Populationen kommen aber auch immer wieder durch größere Einflüge aus der Iberischen Halbinsel und den Zentralmassiv. Letzteres Phänomen kann man immer öfters, wenn auch im kleineren Maße, hierzulande beobachten. Man kann annehmen, dass heuer ein Dutzend sogar auf Südtiroler Boden übersommert hat. Möglicherweise würde sich diese Art mit ein bisschen Hilfe, wie Futterstellen, auch bei uns ansiedeln. Als Novum kann seit einigen Jahren, wenn auch viel seltener, der Mönchsgeier bei uns in Südtirol auftauchen. Dies sicher auch dank einiger Ansiedlungsprojekte im Balkan und in Frankreich.
Der Mensch hatte sie durch gnadenlose Verfolgung als Brutvögel ausgerottet.
Gibt es dazu einen Datenbestand?
 
In Südtirol wie im restlichen Alpenraum werden durch Zählungen jährlich Bestandsaufnahmen gemacht.  
 
Wie hat sich der Aasgeierbestand in den Alpen in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
 
Eigentlich waren die Geier schon aus unseren Alpen verschwunden. Der Mensch hatte sie durch gnadenlose Verfolgung als Brutvögel ausgerottet. Gestützt durch gute Bestände an wildlebenden Huftieren in einigen Schutzgebieten reifte seitens einiger Naturschutzorganisationen in den 70er Jahren die Idee, den Bartgeier wieder anzusiedeln. In den 80er Jahren wurden dann die ersten der seitdem über 200 von Aufzuchtstationen stammenden Bartgeier wieder angesiedelt. Nach und nach setzte man auch welche in Frankreich, Schweiz und Italien aus, so auch im Südtiroler Martelltal. Im Jahre 1997 gab es die erste erfolgreiche Brut in Hochsavoyen in Frankreich. Heutzutage werden in den Alpen bis zu über 300 frei-fliegende Individuen geschätzt. Im Friaul und in den französischen Alpen konnten auch Gänsegeier erfolgreich angesiedelt werden. Von dieser Art gibt es eine andere interessante Geschichte von den österreichischen Alpen zu erzählen! Im Jahre 1878 passierte dort ein größeres Viehtriebunglück, von dem dort herumirrende Gänsegeier Wind bekamen und die als Auslöser der jährlichen Übersommerung vieler Jungvögel aus dem Balkan angesehen wird. Bei Gänsegeierzählungen in Sommer werden inzwischen im Alpenraum auch mehrere Hundert Individuen erfasst.
 
 
Wieso wurden die Bartgeier in den Alpen ausgerottet?
 
Der Bartgeier hat einen Zweitnamen, der früher viel mehr in Gebrauch war, und zwar ‚Lämmergeier‘, was auf einen Irrglauben beruht. Früher wurde geglaubt, dass sie die Lämmer von Schafen davontragen und reißen würden. Es gab noch keine wissenschaftlichen Informationen, die diesen Irrglauben widerlegen konnten und diesen Greifvogel ins rechte Licht setzten. Dem Bartgeier ereilte das gleiche Schicksal wie einigen anderen sogenannten Raubvögeln und Raubtieren. So wurde früher alles, was vom Menschen als Nahrungskonkurrent angesehen oder ihm und seinen Haustieren gefährlich werden konnte, erbarmungslos gejagt.
Umweltschutzorganisationen kämpfen schon seit Jahren um einen Bleimunitionsverbot.
Töten Aasgeier auch lebende Tiere?
 
Eigentlich nicht. Der hier heimische Bartgeier, der auf Knochen spezialisiert ist, hätte gar nicht das richtige Werkzeug, um ein erfolgreicher Jäger zu sein. Seine Krallen sind nicht so gefährliche Waffen wie z.B. die des Steinadlers. Es gibt Berichte, z.B. aus Spanien, wo Gänsegeier manchmal aus äußerster Hungersnot auch lebende Beute zu erlegen versuchten. Seriöse wissenschaftliche Berichte dazu scheinen aber nicht im Umlauf zu sein.
 
Finden die Aasgeier genügend Nahrung hierzulande?
 
Wenn Bartgeier hier im Vinschgauer Raum brüten, ist das ein Beweis, dass es dort genügend Nahrung gibt. Vor allem im Stilfser Joch Nationalpark, wo es einen größeren Wildreichtum gibt, scheinen sie sich wohlzufühlen. Auch das eine oder andere verendete Schaf oder eine Ziege tragen im alpinen Bereich dazu bei, dass sie genug Nahrung vorfinden. Als Aasfresser können sie beim Verzehren von totem Fleisch aber auch zwei sehr großen und tödlichen Gefahren ausgeliefert sein. So kann es passieren, dass sie sich von den zurückgelassenen Eingeweiden eines von Jäger geschossenen Tieres ernähren, wo sie aus Versehen Bleimunitionssplitter vertilgen und an einer Bleivergiftung sterben können. Seit kurzem scheint sich hierzulande für sie eine neue Gefahr anzubahnen, man hört immer wieder, dass Giftköder für Wölfe ausgelegt werden. Falls ein Geier solch einen findet und verzehrt, würde das für ihn den sicheren Tod bedeuten. Dies ist auch ein Grund, wieso die Geierpopulationen auf dem Balkan und in Kleinasien sehr geschrumpft sind. Dort werden solche Giftköder auch gegen den Bären und streunende Hunde ausgelegt.
 
Wie reagieren Vogelschutzorganisationen darauf?
 
Umweltschutzorganisationen kämpfen schon seit Jahren um einen Bleimunitionsverbot! Trotz Beteuerungen von Politik und der Jagdorgane ist dies aber immer noch ein zäher Weg dorthin. Zum Thema Giftköder: Um die Geier vor diesen, die manchmal auch ihnen gelten, zu schützen, wurden z.B. in den Pyrenäen Futterplätze eingerichtet, um zu verhindern, dass die Geier nicht irgendwo anders ihr Futter suchen, wo sie eventuell auf solche Giftköder stoßen könnten. Neuerdings werden auch Spürhunde ausgebildet, um solche Giftköder aufzuspüren.
 
 
In welcher Rangordnung befinden sich Aasgeier, wenn in der Natur ein Kadaver aufgefressen werden kann?
 
Der Bartgeier ernährt sich eigentlich nur von Knochen und nimmt nur gelegentlich Fleisch zu sich, und dies vor allem nur, wenn er seinen Nachwuchs füttert. Da kein anderes Tier ihm die Knochen streitig macht, schafft er es auch sehr geduldig zu bleiben und auch sehr viel kleineren Aasfressern, wie z.B. den Kolkraben, den Vorrang zu geben. Mönchs- und Gänsegeier sind da schon zähere Typen und lassen nur den größeren Raubtieren, wie Bär und Wolf, den Vortritt. Mönchsgeier sind aber gegenüber den Gänsegeiern dominant!
Da die meisten Geierarten eher wärmehungrig sind, könnte der Klimawandel sich für sie auch positiv auswirken.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf den Bestand der Aasgeier?
 
Da die meisten Geierarten eher wärmehungrig sind, könnte der Klimawandel sich für sie auch positiv auswirken. Für den Bartgeier wiederum, der in den Alpen seine Jungenaufzucht auf das Fallwild von Lawinenabgängen in Frühjahr abgestimmt hat, wirken sich warme und schneearme Winter nicht so positiv aus. Heuer konnten wir in Südtirol aber durch den Klimawandel ein sehr interessantes Phänomen beobachten. Durch den warmen Sommer schmolz der wenige Schnee, der im Winter gefallen war, sehr schnell. Die Schafe, die mit ihrem dicken Fell bei warmen Temperaturen normalerweise sehr gerne Schneefeldern zum Abkühlen aufsuchen, wurden so nicht recht fündig und stiegen immer höher ins Hochgebirge hinauf. Da sie oft in der Gruppe waren und auch im steilen Gelände unvorsichtig einander drängten, passierte es auch immer wieder, dass das eine oder andere Schaf abstürzte. Dadurch lagen scheinbar heuer im Raum des Passeiertals mehr Kadaver herum, was dem normalerweise nur vorbeiziehenden Gänsegeier prompt auffiel und zu einer Übersommerung in diesem Gebiet bewog. So was konnten wir uns vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen.
 
 
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Martin Streitberger Mar, 11/15/2022 - 18:48

Interessant wieder Positives über den Geierbestand zu lesen. Die Bleimunition gehörte verboten schon nur zu kaufen, manchmal frage ich mich wirklich wieso es eine Jägerprüfung gibt, die Heger und Schützer so nennen sie sich doch, oder sind es nur die üblichen schwarzen Schafe? Auch die Steinadler sind massiv davon bedroht.

Mar, 11/15/2022 - 18:48 Collegamento permanente