Ambiente | Interview

“Nehmt Klopapier im Rucksack mit”

Freiwillige sammeln im Naturpark Schlern-Rosengarten und auf der Seiser Alm den Müll anderer auf. Koordinator Egon Trocker über eine (noch) einzigartige Initiative.
Müll vor Lang- und Plattkofel
Foto: Privat

Bestens präparierte Wege, Markierungen, die sicher ans Ziel führen, Schwierigkeitsgrade für alle: Auf seine Wanderwege kann Südtirol stolz sein. Nur die unberührte Natur, die viele beim Wandern suchen, ist das meistens nicht mehr. Achtlos oder bewusst weggeworfen liegt vielerorts Müll herum. Er stört nicht nur das Landschaftsbild, sondern zuallererst das Ökosystem. Im Schlerngebiet sind seit Kurzem freiwillige Müllsammler unterwegs. Ausgerüstet mit Greifzange, Handschuhen und Müllsack befreien die Pensionisten in den warmen Monaten die Wanderwege von Unrat. Zu ihrer “Beute” zählen neben zahllosen Taschentüchern, Zigarettenstummeln und Hundekotbeuteln auch volle Windeln, gebrauchte Damenhygieneprodukte und Schuhsohlen. Die Idee für die Freiwilligen-Initiative hatte Egon Trocker. Er ist als Schutzgebietsbetreuer für den Naturpark Schlern-Rosengarten, die Seiser Alm und den Grödner Teil des Naturparks Puez-Geisler zuständig.

Die Bilanz der abgelaufenen Saison fällt für Trocker äußerst positiv aus. Dank motivierter Sammler, tatkräftiger Unterstützung der lokalen Touristiker – und viel Lob von Gästen und Einheimischen.

salto.bz: Herr Trocker, wie ist die Idee der freiwilligen Müllsammler geboren worden?

Egon Trocker: Als Schutzgebietsbetreuer habe ich zwölf saisonale Forstarbeiter, die sich in den Sommermonaten um die Instandhaltung der Wandersteige im Naturpark kümmern. Dabei haben sie oft auch Müll aufgesammelt. Das hat nie recht gut funktioniert, weil sie ja das Werkzeug mittragen müssen und die Zeit gefehlt hat. Vor einigen Jahren hatte ich die Idee, Pensionisten für das Müllsammeln zu gewinnen. Es hat einen Versuch in Tiers gegeben, mit zwei, drei Leuten vom Alpenverein. Eine Person habe ich auch in Völs gefunden und eine in Kastelruth. Das Ganze ist dann aber versandet. Voriges Jahr habe ich mir schließlich gesagt, ich probiere es noch einmal. Der Tourismusverein Seis hat mich unterstützt. Wir haben aktiv nach Pensionisten gesucht. Und waren erfolgreich. Es haben sich zehn Personen gemeldet.

Ist die Initiative besser angelaufen als die vorherigen?

Unsere Gruppe ist ganz fleißig, ja. Ich hatte ihnen vorgeschlagen, ein Mal in der Woche oder zwei Mal im Monat zu gehen. Mittlerweile sind sie fast süchtig (lacht).

 

Auf wie vielen Kilometern Wanderwegen sind die Freiwilligen unterwegs?

Das Gebiet, das sie abgehen, umfasst den Naturpark Schlern-Rosengarten und das Landschaftsschutzgebiet Seiser Alm mit knapp 400 Kilometern Wanderwegen.

Was liegt da alles herum?

Viele Bonbonpapiere und Zigarettenstummel. Plastikflaschen oder Dosen werden im Gegensatz zu früher nur mehr selten hinten gelassen. Aber 95 Prozent von dem, was sie finden, sind Papiertaschentücher. Davon sind wiederum 95 Prozent solche, die beim Toilettengang in der Natur verwendet werden. Die liegen bergeweise vor allem dort, wo Massen von Leuten entlang spazieren oder wandern. Es gibt Steige, auf denen am Tag Tausende unterwegs sind – auf dem Puflatsch, in Saltria –, da könntest du jeden Tag zum Müllsammeln ausrücken. Wenn, so wie früher, den ganzen Sommer über niemand geht, schaut es furchtbar aus. Heuer hat man kaum ein Taschentuch liegen sehen, und wenn, dann höchstens für ein bis zwei Tage.

Das Tolle ist, dass ältere Leute ihre Freizeit hernehmen, um den Müll anderer aufzusammeln

Nun könnte man meinen, Papiertaschentücher richten ja keinen großen Schaden in der Natur an. Oder?

Doch. Und sie werden auch bleiben. Man kann ja nicht in der Natur Toiletten aufstellen. Die würde wohl auch niemand benützen. Und wenn keine Hütte in der Nähe ist, muss das Geschäft trotzdem erledigt werden. Da kann man nicht einmal böse sein. Natürlich wäre es ideal, wenn die Leute anstatt der Papiertaschentücher Klopapier im Rucksack mitnehmen würden. Das verrottet bedeutend schneller. Taschentücher brauchen in der Natur drei bis vier Jahre bis sie abgebaut sind. Klopapier ist im Grunde beim ersten Regen schon verschwunden. Darauf, eine Klopapierrolle mitzunehmen, kommen die allermeisten aber nicht von selbst. Das nächste große Problem sind die Hundekotbeutel. 

Die werden auch liegen gelassen?

Man findet sie vor allem in den Niederungen – rund um den Völser Weiher, auf der Seiser Alm –, weniger in der Höhe. Die Leute haben zwar die Beutel dabei und sammeln den Kot ihrer Hunde auf. Aber wenn sie sie danach gleich wegwerfen, nützt das auch nichts. Da wäre es besser, sie würden die Hundehäufchen liegen lassen. Viele werfen die Beutel auch gar nicht einfach weg, sondern platzieren sie auf Bänken oder hängen sie an Baumäste. In der Meinung – ich denke, dass vor allem Touristen das oft denken –, dass das dann schon jemand aufräumt. Im Grunde ist das ein Nonsens. Bei uns wird die Natur jetzt schon regelmäßig gesäubert. Aber in vielen Gebieten ist das nicht so.

 

Wissen Sie, wie viel an Müll heuer zusammengekommen ist?

Dazu habe ich nur eine Schätzung, basierend auf den Berichten der freiwilligen Helfer. Sie haben eine Whatsapp-Gruppe, in der sie mitteilen, wo sie unterwegs sind. Von Mai bis Mitte November war im Schnitt jeden Tag jemand unterwegs. Geschätzt sind dabei etwa 70 Müllsäcke zusammengekommen. À rund 30 Liter. Das ist eine riesige Menge.

Was passiert mit dem Müll?

Den Müll können die Freiwilligen, wenn sie gerade in der Nähe sind, in zwei Magazinen in Völs und Kastelruth abliefern. Das ist oft umständlich. Deshalb dürfen sie die Säcke bei den Hütten lassen, an denen sie vorbeikommen und von wo aus der Abtransport leicht ist. Die Hüttenwirte entsorgen ihn dann.

 

Wer unterstützt die Initiative und die Freiwilligen?

Als ich den Entschluss gefasst hatte, es nochmals zu probieren, war es mir fast peinlich, Leute zu fragen, ob sie nicht in ihrer Freizeit Müll sammeln würden. Denn mehr als ein Danke konnte ich ihnen nicht anbieten. Also habe ich mich an den Tourismusverein Seis gewandt und die Idee kam auf, die Tourismusvereine der Gegend einzubeziehen. Die Idee wurde intern besprochen und beschlossen, dass jedes Jahr einer der Tourismusvereine – Kastelruth, Seis, Seiser Alm, Tiers, Völs – den Freiwilligen etwas zur Verfügung stellt.

Und zwar?

Sie können sich in einem Sportgeschäft Bekleidung oder Ausrüstung aussuchen. Die Tourismusvereine zahlen abwechselnd dafür. Darüber hinaus stellt die Umlaufbahn Seis-Seiser Alm den Freiwilligen eine Bahnkarte für die Sommersaison zur Verfügung. Und nicht zuletzt können die Freiwilligen bei vielen Hütten, an denen sie auf ihrer Runde vorbeikommen, etwas essen und trinken.

 

Wie reagieren Wanderer, Spaziergänger und Bergsportler auf die freiwilligen Müllsammler?

Viele Leute wissen nichts von diesem Engagement oder sehen es nicht. Vielen Wanderern fällt nicht auf, dass alles sauber ist – weil sie das für selbstverständlich halten. Sie bemerken es erst, wenn sie den Freiwilligen zufällig begegnen. Insbesondere Touristen rechnen nicht damit, dass das jemand freiwillig macht. Viele meinen, die Müllsammler werden dafür bezahlt. Entsprechend viele sind erstaunt, wenn sie erfahren, dass dem nicht so ist. Sie staunen, dass jemand im Gebirge den Müll der anderen zusammenträgt. Persönlich freut mich besonders, dass viele Einheimische den Einsatz der Freiwilligen sehr zu schätzen wissen.

Glauben Sie, dass die Müllsammler zur Sensibilisierung beitragen?

Auf jeden Fall. Ich bin überzeugt, dass, wenn die Freiwilligen beim Müllsammeln von anderen gesehen werden, vielen erst auffällt, dass sie vielleicht selbst gerade etwas weggeworfen haben. Da entsteht ein Bewusstsein – und vielleicht auch ein Nach- oder Umdenken. Das sollte ja auch eines der Ziele sein.

Wenn ich das Zuckerle als Ganzes im Papier auf den Berg mittrage, werde ich das leere Papier auch wieder zurücktragen können

Gibt es solche Initiativen auch anderswo in Südtirol?

Meines Wissens sind wir einzigartig. Es gibt seit Jahrzehnten vielerorts, auch bei uns, Müllsammeltage. Da wird meist ein Mal im Frühling in den Dörfern und Städten Müll gesammelt. Das ist eine tolle Sache und es kommen auch immer Unmengen zusammen. Früher lag viel alter Müll herum. Heute ist es mehr der alltägliche Müll. Ihn an einem Tag im Jahr wegzuräumen ist zwar besser als nichts. Aber natürlich löst sich das Problem dadurch nicht.

Wären Mülleimer entlang der Wanderwege keine Lösung?

Nein. Das haben wir noch vor 15, 20 Jahren gemacht: überall hölzerne Müllkübel aufgestellt. Das Problem ist einerseits, dass wir nicht imstande sind, die regelmäßig zu leeren. Andererseits haben wir die Erfahrung gemacht, dass dann noch mehr Müll gedankenlos produziert und abgeladen wird. Denn die Eimer signalisieren: Es räumt ja jemand auf. Die Kübel sind besonders zur Hochsaison übergequollen.

 

Werden die Freiwilligen auch kommendes Jahr wieder unterwegs sein?

Heuer hat es bei Weitem besser funktioniert als ich mir erwartet hatte. Solange wir so fleißige und motivierte Leute haben, werden wir das so weitermachen. Mit der Unterstützung derer, die bisher geholfen haben, können wir auf jeden Fall weiterhin rechnen. Das ist schon eine tolle Geschichte.

 

Bild
Profile picture for user pérvasion
pérvasion Ven, 12/02/2022 - 12:41

Der Kot wird aufgesammelt, wenn andere zusehen — und später samt Plastiksackl irgendwo weggeworfen oder liegen gelassen, wenn sich der/die respektlose Hundebesitzer/in unbeobachtet fühlt. Jedenfalls habe ich dieses Verhalten schon einige Male beobachtet.

Ven, 12/02/2022 - 12:41 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Maria Hennadige
Maria Hennadige Ven, 12/02/2022 - 16:58

In risposta a di pérvasion

Kompliment dass man diese Initiative ins Leben gerufen hat. Und sicher ist das auch eine Sensibilisierung der "Konsumenten" unserer Natur. ( Nebenbei habe ich das vor 20 Jahren auch in Sri Lanka im Naturpark rainwood forest erlebt. Freiwillige haben den Dreck nach den Touristen aufgesammelt. Ohne Lohn, stillschweigend leise nach jeder Touristentour. "Damit unsere Natur sauber bleibt", wie sie mir sagten. )
Ich bin nur etwas überrascht dass der Autor meint man sollte den Hundekot besser liegen lassen als ihn in ein Sackerl zu geben, dass man dann einfach ablegt und anderen die Entsorgung überlässt. Könnte es nicht sein dass dieser in meinen Augen unsozial eingestellte Hundebesitzer-Wanderer schon mal davon gehört hat dass Hundekot nicht auf Kuhweiden darf? Also lieber ein gefülltes Sackerl in der Natur ablegt? Hier eine Aussage von "faktenfuchs" aus dem internet: " Der Parasit "Neospora caninum" kann dazu führen, dass Kälber tot geboren werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hund aus privater, nicht bäuerlicher Haltung, über seinen Kot diesen Parasiten überträgt, ist sehr gering, aber nicht auszuschließen. In Hundekot können auch andere Erreger - zum Beispiel Salmonellen - enthalten sein. Auch schwere Salmonellen-Infektionen können zu Totgeburten von Kälbern führen. Verunreinigtes Futter wie Gras, Heu und Silage kann Kühe krank machen.
Auch bei geringer Wahrscheinlichkeit für einzelne Krankheiten: Hundekot sollte grundsätzlich nicht in Futter für Tiere gelangen, insbesondere wenn sie der Lebensmittelerzeugung dienen. Landwirtschaftlich genutzte Flächen dürfen nicht verunreinigt werden."

Ven, 12/02/2022 - 16:58 Collegamento permanente