Cronaca | Carabinieri

Die Pediküre des Oberstleutnants

Der Kommandant Carabinieri-Kompanie Sterzing, Vincenzo Gardin, wurde wegen erschwerten Betruges vom Landesgericht für 10 Monate suspendiert.
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Foto: upi
Die Liste umfasst insgesamt über 140 konkrete Episoden.
Darunter finden sich so absurde Vorgänge wie Tennisstunden, Tanken in Nordtirol, mit dem Privatauto zum Karosserie-Spengler, ins Fitness-Studio, Skifahren oder in voller Uniform zur Pediküre. Aber auch Fahrten nach Bozen, Bruneck, ins Fassatal oder nach Padua im Dienstwagen und meistens mit dem eigenen Fahrer.
Und das alles in der offiziellen Arbeitszeit. Vermerkt ist das in einem Strafdekret, erlassen vom Voruntersuchungsrichter am Bozner Landesgericht Emilio Schönsberg, mit dem ein seit Jahren in Südtirol tätiger hoher Carabinierioffizier für 10 Monate von Amt suspendiert wird.
Es handelt sich um den langjährigen Kommandanten der Carabinieri-Kompanie Sterzing, Vincenzo Gardin. Dem 58-jährigen Tenente Colonnello aus Padua wird erschwerter Betrug (Art. 640, comma 2), Amtsunterschlagung (Art. 314 comma 2) und Falschbekundung eines öffentlichen Amtsträgers (Art. 479) vorgeworfen. Die Suspendierung vom Amt ist dabei nur eine Vorbeugemaßnahme, da die Gefahr bestehe, dass Spuren und Beweise vernichtet werden. Gardin war bereits unmittelbar nach der Anklageerhebung durch die Bozner Staatsanwaltschaft von Sterzing in den Innendienst nach Padua versetzt worden. Der eigentliche Prozess steht dem hohen Carabinieroffizier am Bozner Landesgericht noch bevor.
Der Fall Gardin ist dabei nur ein Teil einer größeren Ermittlung, die Südtirols Carabinieri seit längerem erschüttert und die deutlich macht, dass auch die Welt der Ordnungshüter vor schwarzen Schafen nicht gefeit ist.
 

Der Maresciallo

 
Ausgangspunkt der Ermittlung ist der Kommandant der Carabinieristation Brenner Fabio Caccamo. Der heute 53-jährige gebürtige Römer hat unter anderem die Carabinieri-Station in Niederdorf geleitet. Weil er es dort aber mit seiner Dienstauffassung nicht allzu genau nahm, leitete die Carabinieri-Verwaltung ein Verfahren ein, das ihn vor ein Militärgericht brachte.
Die Folge: Caccamo wurde auf den Brenner versetzt. Dort war er zuerst als Vizekommandant und dann als Leiter der Carabinieristation am Brenner tätig.
Anscheinend legte Caccamo aber seine besonderen Verhaltensweisen keineswegs ab. Das führte dazu, dass die Bozner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr eine Ermittlung gegen den Stationskommandanten einleitet. Der schwerwiegende Vorwurf: Caccamo würde sich immer wieder als diensttuend eintragen, obwohl er in Wirklichkeit zu Hause verbleibt. Zudem soll er während der bezahlten Arbeitszeit mehrmals in der Woche ein Fitness-Center in Sterzing besucht haben, wo er über eine Stunde lang trainierte.
 
 
 
Es beginnt eine diskrete Beschattungsaktion, bei der der Maresciallo bei seiner Ausflügen zum Fitness-Center während der Arbeitszeit verfolgt und fotografiert wird. Über ein Jahr lang. Erschwerend dazu kommt, dass der Carabinierikommandant selbst während des Lockdowns seinen Gewohnheiten ungehindert nachgegangen ist. Dabei durfte man die eigene Gemeinde nicht verlassen. Zudem war die Turnhalle offiziell gesperrt. Doch der Carabiniere ließ sich kurzerhand vom Betreiber die Schlüssel aushändigen, sodass er die geschlossene Turnhalle am Abend ungehindert betreten konnte. Salto.bz hat bereits vor acht Monaten den Fall detailliert geschildert. 
 

Die Verurteilung

 
Der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti konnte Fabio Caccamo am Ende über 80 dokumentierte Verfehlungen und Falschangaben vorwerfen. Der Kommandant gab in seinen Dienstberichten an, in der Kaserne „Akten bearbeitet zu haben“ oder auf Streife gewesen zu sein, in Wirklichkeit war er aber in der Turnhalle. Oder privat im Pustertal oder in Sterzing. Durch die Handydaten Caccamos konnten diese „Dienstausflüge“ zusätzlich dokumentiert werden.
Da die Beweislast erdrückend ist, suspendierte der Voruntersuchungsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Kommandanten bereits im vergangenen Herbst für 10 Monate vom Dienst. Im Mai 2022 hat Fabio Caccamo schließlich vor dem Landesgericht einer einvernehmlichen Strafbemessung (patteggiamento) zugestimmt. Der Carabiniere wurde wegen Betruges (Art 640 Stgb - Truffa) und Falscherklärung im Amt (Art 479 Stgb - Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in atti pubblici) zu einem Jahr und sechs Monaten bedingter Haft verdonnert.
 

Der Kommandant

 
Im Fall Caccamo ermittelte die Bozner Staatsanwaltschaft aber auch gegen dessen Vorgesetzten Vincenzo Gardin. Denn mehrere Untergebene Caccamos haben das getan, was ihre Pflicht als Militärs ist. Sie haben zeitgerecht den hierarchischen Vorgesetzten von den Verfehlungen ihres Kommandanten informiert. So haben sich drei am Brenner stationierte Carabinieri mehrmals an den Kommandanten der Carabinieri-Kompanie Sterzing gewandt und diesen detaillierte über Vorgänge unterrichtet. Lange bevor sie sich bei der Staatsanwaltschaft gemeldet haben.
 
 
 
Gardin hätte als Amtsträger unmittelbar einschreiten und diese möglichen Straftaten der Gerichtsbehörde melden müssen. Doch Vincenzo Gardin hat nichts getan. Dieses Verhalten hat ihm jetzt einen Strafprozess eingebracht Staatsanwalt Andrea Sacchetti hat inzwischen die Eröffnung des Haupverfahrens gegen Gardin beantragt. Vom Voruntersuchungsrichter genehmigt, muss sich der hohe Carabinieri-Offizier werden Unterlassung der Anzeige einer strafbaren Handlung durch eine Amtsperson (Art 361 Stgb- Omessa denuncia di reato da parte del pubblico ufficiale) Verweigerung von Amtshandlung, Unterlassung. (Art 328 Stgb - Rifiuto di atti d'ufficio. Omissione) bereits vor dem Bozner Landesgericht verantworten.
 

Eine Strafaktion?

 
Der Mann, der beide Verfahren aber maßgeblich losgetreten hat, ist ein Sterzinger Carabiniere. Der 56-jährige Oberstabsfeldwebel (Luogotenente) leitet seit über zehn Jahren die Fahndungsabteilung der Sterzinger Carabinieri (Nucleo Operativo e Radiomobile di Vipiteno - NORM). Er hat dabei die Verfehlungen von Fabio Caccamo nicht nur mitbekommen, sondern auch dokumentiert. Ebenso die Tatsache, dass Vincenzo Gardin augenscheinlich den Carabinieri-Maresciallo nicht nur deckt, sondern eine ähnliche Dienstauffassung an den Tag legt.
Er wendet sich deshalb als eine Art Whistleblower an die Bozner Staatsanwaltschaft und tritt damit die Ermittlungen gegen Caccamo und Gardin los. Diese Entscheidung hat für den Mann aber direkte Folgen. Am 28. März 2022 wird dem Sterzinger Oberstabsfeldwebel vom Landeskommando der Südtiroler Carabinieri völlig überraschend die Einleitung eines Verfahrens zu seiner Versetzung mitgeteilt. Er soll von Sterzing auf den Brenner versetzt werden. Sozusagen als Nachfolger des verurteilten Fabio Caccamo.
 
 
 
Dass das Ganze eine Strafaktion ist, bei der man den Aufdecker bewusst auch karrieremäßig zurückstuft, wird an einem einfachen Vergleich deutlich. Als Leiter des Sterzinger NORM ist er für sieben Carabinieristationen und insgesamt 25 Beamte zuständig. Als Stationskommandant am Brenner für eine Gemeinde und drei Carabinieri.
Der Oberstabsfeldwebel will sich das nicht gefallen lassen. Er legt sowohl beim regionalen Legionskommando als auch beim Landeskommando der Carabinieri Einspruch gegen die angekündigte Versetzung ein. Der Einspruch wird abgewiesen und am 19. Mai 2022 wird seiner Versetzung auf den Brenner von Amtswegen verfügt.
Deshalb zieht er gegen die Versetzung vor das Bozner Verwaltungsgericht, das ihm im Dezember 2022 Recht gibt. Das Gericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass „“die Versetzung in Wirklichkeit eine Vergeltungsaktion nach der Anzeige gegen zwei Kollegen ist". Das Gericht hob deshalb die Versetzung auf.
 

Wochen verwechselt

 
Die Verfehlungen des Kommandanten sind in diesem Verfahren unzweifelhaft dokumentiert. Die Ermittler haben die Eintragungen in das Dienstbuch mit den Geodaten des Telefons von Vincenzo Gardin, den POS-Daten sowie der Autobahnmaut abgeglichen. Zudem wurden rund ein Dutzend Zeugen befragt. Dabei kamen in zwei Jahren rund 140 dokumentierte Vorfälle zu Tage, in denen der Oberstleutnant offiziell im Dienst war, in Wirklichkeit aber privaten Besorgungen nachgegangen ist. Mehrmals hat er sich dabei im Dienstwagen von seinem Fahrer begleiten lassen.
Vincenzo Gardin wurde im Strafverfahren auch angehört. Der Oberstleutnant brachte dabei eine ebenso einfache wie absurde Erklärung für die Beanstandungen der Staatsanwaltschaft vor. Im Computerprogramm, mit dem die Dienstzeiten und Arbeiten eingetragen werden, gibt es die Funktion, das Datenblatt der Vorwoche zu kopieren. Das sei ihm mehrmals passiert, deshalb würden die Daten nicht übereinstimmen.
 
 
 
Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg kommt aber zum Schluss, „dass diese hierbei um einer nicht glaubbare Erklärung handle“. Zudem habe Gardin zugegeben, dass er für die Versetzung jene Carabinieri mitverantwortlich sei, die diesen Missbrauch aufgedeckt haben.
Vor diesem Hintergrund und der Gefahr, dass Beweise vernichtet werden und Zeugen eingeschüchtert werden könnten, kommt Richter Schönsberg zum Schluss, dass Gardins Versetzung nach Padua nicht ausreichend ist.
So suspendiert der Untersuchungsrichter den hohen Carabinierioffizier vorläufig zehn Monate lang von seinem Amt. In Erwartung des Gerichtsverfahrens in Bozen.
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Josef Fulterer Ven, 02/03/2023 - 23:13

Warum hat in diesem konkreten Fall, die für solche Abweichungen gebotene Zurechtweisung anscheinend ganz versagt?
Für sein langes Sündenregister "darf sich Vincenzo Gardin bei seinem Schutzpatron bedanken," der für den Voruntersuchungs-Richter auch zur Rechenschaft gezogen werden sollte.

Ven, 02/03/2023 - 23:13 Collegamento permanente