Ambiente | Raumplanung

Die leise Kritik der Landesrätin

Maria Hochgruber Kuenzer stellt die schon ausgebuchte Fachtagung zur Zukunft der Landschaft in Bozen vor. Sie warnt, Naturschutzgebiete als Allheilmittel zu sehen.
maria_hochgruber_kuenzer.jpg
Foto: LPA/Fabio Brucculeri
Am Freitag, den 24. März, findet im NOI Techpark in Bozen die internationale Fachtagung „Destination Landschaft – Sichern wir unsere Lebensgrundlage“ statt. Das Interesse an der Veranstaltung, die vom Ressort Raumentwicklung, Landschaft und Landesdenkmalamt organisiert wird, ist groß.
Unter den Referent*innen sind neben lokalen Persönlichkeiten wie Heiner Oberrauch vom Unternehmerverband oder Universitätsprofessor Matthias Gauly auch Expert*innen aus dem Ausland vertreten, etwa Martin Herrmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) oder Trend- und Zukunftsforscherin Christiane Varga. Die maximale Teilnehmer*innenzahl wurde bereits erreicht.
Die Landschaft als Verbündete gegen den Klimawandel erfordert mehr als reine Regulierung.
 

Das Thema der Tagung

 
„Wie können wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen, um biologische Vielfalt und Ernährungssicherheit zu gewährleisten? Seit vier Jahren habe ich die politische Verantwortung für die Landschaft in Südtirol, die mit ihrer einzigartigen Natur als unser größtes Kapital in die Zukunft gebracht werden muss.“ Mit diesen Worten leitet die zuständige Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer die Vorstellung der Fachtagung gegenüber den Medien des Landes ein.  
 
 
„Meine Lebenserfahrung und persönliche Überzeugung ist es, dass die Natur und Landschaft den Menschen nicht zum Überleben braucht, sondern, dass das Leben des Menschen auf die Natur und Landschaft angewiesen ist“, sagt Hochgruber Kuenzer. Diese Tatsache verlange neue Sichtweisen und Demut in den Diskussionen darüber.
Landschaft dient den Menschen nicht nur als landwirtschaftliche Fläche, sondern auch als Raum für Erholung und Auszeit. „Sich mit der Sicherung der Landschaft als Lebensgrundlage auseinanderzusetzen, erfordert aus meiner Sicht einen neuen Dialog und, sich auf neue Wege einzulassen“, so die Landesrätin.
 

Lebensgrundlage sichern

 
Der erste Schritt dazu sei im Dreier Landtag vor zwei Jahren getan worden, als die Landtage von Trentino, Südtirol und Tirol in Alpbach beschlossen haben, im Rahmen des Green Deal der EU neue Methoden zur Sicherung von Landschaft als Lebensgrundlage zu entwickeln. Im Beschluss wird die verstärkte Zusammenarbeit der drei Landesverwaltungen, aber auch der Mitglieder der Europaregion (Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention, Plattform LAND, Eurac Research) angeregt, um die Landschaft „nachhaltig produktiv“ zu gestalten.
Was heißt das konkret? „Südtirol hat 24 Prozent ausgewiesene Schutzgebiete. Die EU gibt vor, bis 2030 30 Prozent der Landfläche unter Schutz zu stellen. Diese Forderung reicht aber nicht aus, um die Multifunktionalität des Bodens und der Ökosystemleistungen zu gewährleisten. Das Bewusstsein, dass wir mit den Schutzkategorien unsere Landschaften erhalten, trügt. Denn vor allem der Verbrauch der Landschaft vermindert unsere Biodiversität, unsere Lebensgrundlage, unsere autonome Ernährungssicherheit. Die Landschaft als Verbündete gegen den Klimawandel erfordert mehr als reine Regulierung“, sagt Hochgruber Kuenzer bei der Ankündigung der internationalen Fachtagung.
„Ich stelle mir die Frage, was sich wesentlich zum Besseren gewendet hat, nachdem wir Schutzgebiete und Zonen aufgrund von Landes-, Staats- und EU-Bestimmungen ausgewiesen haben. Haben wir uns hinter geschützten Landschaften versteckt“, fragt sie ungewöhnlich provokant.
 
 

Der Blick aufs Ganze

 
Die Herausforderungen seien vielfältig: Vom Borkenbefall der Südtiroler Wälder bis hin zur Bodenversiegelung und der zukünftigen Landwirtschaft – es brauche den Dialog von unterschiedlichen Akteur*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. „Die Tagung sollte die Kraft haben, Veränderungen einzuleiten, neue Formen und Wege zu suchen, Verantwortung zu übernehmen für Menschen, die schwächer sind als wir, aber das Recht auf eine gesunde Landschaft und auf das Gemeinwohl haben. Das Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP) und der Landesstrategieplan sind die Werkzeuge, die dem Umbruch zum Aufbruch verhelfen“, sagt Landesrätin Hochgruber Kuenzer.
Ihre Kritik an der Ausweisung von Naturschutzgebieten spiegelt sich auch in ihrer Haltung zur geplanten Zufahrtsstraße der Lahner Alm in dem Natura-2000-Gebiet Rieserferner-Ahrn wider: „Wir müssen unsere Landschaft bewirtschaften, bearbeiten, kultivieren. Die Alm bräuchte eine 800 Meter lange Zufahrtsstraße, um diese Tätigkeit ausüben zu können.“ Die heutige Almbewirtschaftung erstrecke sich nicht mehr nur im Zeitraum von Frühling bis Herbst, sondern über das ganze Jahr.
 
 
„Diese Menschen sollen die Landschaft bewirtschaften, sie sollen es gut und schön machen. Mit welchem Recht wird ihnen dieser Forstweg verwehrt? Sie verbrauchen weniger Ressourcen als eine Tourismus- oder Produktionszone“, betont Hochgruber Kuenzer. „Ich will niemanden gegeneinander ausspielen, aber diesen Eingriff zu verwehren, betrachte ich als Anmaßung.“
In der Debatte fehlt ihr der Blick auf den gesamten Kontext. „Der Besitzer hat auf eigene Kosten ein Konzept zur Almbewirtschaftung in Auftrag gegeben und vorgelegt, da es neben der Alm Feuchtgebiete gibt. Nun ist er am Ende des Lateins und resigniert. Ich finde das nicht gut.“
 

Partizipation

 
Auch wenn sie mit den Südtiroler Umweltschutzvereinen hart ins Gericht geht, hält sie an ihrer Linie der Partizipation fest. In dem von ihr benannten „Aufbruch“ in Richtung Sicherung der Landschaft als Lebensgrundlage wäre es auch wenig zielführend, die Bevölkerung und ihre Interessensvertretungen in diesem Prozess auszuschließen. Die Sensibilisierungskampagne „Gestalte Zukunft mit“, die im vergangenen November und Dezember über sämtliche Kommunikationskanäle verbreitet wurde, beurteilt sie als Erfolg. „Ich sehe diese Kampagne sehr positiv, weil sie nicht an die Gemeinde gerichtet ist, sondern wir wollen damit alle Bürger*innen informieren. Natürlich sind die Gemeinden auf ihrem Weg auf einem unterschiedlichen Punkt und das ist auch gut so“, sagt Hochgruber Kuenzer.
Auf der rechtlichen Seite seien nun alle Fragen geklärt, um als Gemeinde das GEP ausarbeiten zu können. Wenn drei Gemeinden zusammenarbeiten, werden 80 Prozent der Ausgaben zur Erstellung des GEP vom Land getragen. „Da fällt auch die Partizipation mit hinein. Es gibt in Südtirol einige Anbieter, die diesen partizipativen Prozess in den Gemeinden umsetzen.“ Mehrere Gemeinden seien bereits in der Ausarbeitung des GEP. „Es ist eine riesige Chance für die Südtiroler Gemeinden, um sich nicht nur darüber Gedanken zu machen, wo gebaut wird, sondern wie die eigene Gemeinde in Zukunft gestaltet wird.“
 

Digitale Ausstellung

 
„Die Landschaft ist nicht nur unsere Heimat, sondern der Begegnungsort, in dem wir arbeiten und leben. Deshalb sind alle Expert*innen der Landschaft, alle haben ein Recht und eine Pflicht dabei mitzusprechen, wie wir diese Landschaft gestalten“, erklärt Evelyn Oberleiter von der Nachhaltigkeitsberatung Terra Institute. Das Beratungsunternehmen unterstützt das Ressort für Raumplanung bei der digitalen Ausstellung zur Fachtagung.
Die Ausstellung präsentiert Vorzeigebeispiele aus Südtirol und darüber hinaus, sie gliedert sich in die fünf Themenbereiche: das neue europäische Bauhaus, das neue europäische Bauhaus of the Mountains, der Landesstrategieplan, die „produktive Landschaft“ und die Partizipation; Sie ist vom 22. bis 24. März im NOI Techpark von 9 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen.
 
Bild
Salto User
Günther Alois … Gio, 03/23/2023 - 07:13

Zuerst jahrzehntelang alles zubetonieren ohne Rücksicht auf die Natur und jetzt " scheinheilig" daherkommen.Frau Kuenzer???? Bauskandale von der Svp genehmigt gibt es genug,sie hier aufzuzählen würde den Rahmen sprengen.

Gio, 03/23/2023 - 07:13 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Walter Kircher
Walter Kircher Gio, 03/23/2023 - 16:01

... und das Fach LANDESKUNDE nicht vergessen! - Als Reiz sich über Land und Leute, unserer Alltags- u. Festtagskultur kundig machen zu wollen! Für uns selbst wie für unsere interessierten Gäste.
- Sich in UNESCO-Welterbe-Befindlichkeit zu wiegen ist ein Irrweg!
Ein DANK den Organisatorinnen der Tagung, ich bin dabei!

Gio, 03/23/2023 - 16:01 Collegamento permanente
Bild
Salto User
Manfred Gasser Gio, 03/23/2023 - 19:37

Was wird denn in diesen Schutzgebieten geschützt? Seilbahnen, Skilifte, Skipisten, und wenn möglich alle paar Jahre mehr und grösser? Ja, dann haben Sie recht, Schutzgebiete braucht kein Mensch.

Gio, 03/23/2023 - 19:37 Collegamento permanente