Società | Teil 1

Zehn Monate Zeit zum Ankommen

Junge Menschen migrieren mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Südtirol. Ein Orientierungskurs in Bozen gibt ihnen die nötigen Hilfsmittel an die Hand.
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Foto: Seehauserfoto
Vor zwei Jahren startete die Deutsche Bildungsdirektion gemeinsam mit den Sprachenzentren der Pädagogischen Abteilung des Landes ein Pilotprojekt für Jugendliche mit Migrationshintergrund ab 16 Jahren. „Unsere langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass die Anforderungen in der Oberstufe für erst neu angekommene Schüler*innen ohne Deutsch- oder Italienischkenntnisse häufig zu hoch sind“, erklärt die Leiterin der Sprachenzentren Inge Niederfriniger.
Ohne Ausbildung finden sie nur Arbeitsstellen im Niedriglohnsektor oder schlittern in die Kriminalität.
Wer im besten Fall Englisch spricht, genügend Unterstützung von Familie und Lehrkräften erfährt und es außerdem schafft, sich in der oft völlig neuen Umgebung zurechtzufinden und in der Schulklasse Kontakte zu knüpfen, könne dem Unterricht in der Oberstufe nach einer ersten Eingewöhnungszeit ohne größere Schwierigkeiten folgen. Da diese idealen Bedingungen leider selten gegeben sind, initiierte die Pädagogische Abteilung der Provinz einen einjährigen Orientierungslehrgang für Jugendliche mit Migrationshintergrund.
 
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Das Schulgebäude der P. Anich in der Fagenstraße von Bozen: Hier findet der einjährige Orientierungslehrgang statt. (Foto: Schule P. Anich)
 
„Während in der Grund- und Mittelschule die Inklusionsarbeit und der Erwerb der Sprache leichter in den Unterricht integriert werden können, ist das in der Oberstufe durch die hohe Spezialisierung der Schulfächer nur noch schwer möglich“, sagt Bildungsexpertin Niederfriniger. Die Folge sei, dass viele Jugendliche, die erst kürzlich ihr Herkunftsland verlassen haben und mit der Vollendung ihres 16. Lebensjahres nicht mehr schulpflichtig sind, durch das System fallen.  
 
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Inge Niederfriniger: „Im ‚neuen‘ Land Anschluss an Gleichaltrige zu finden, wird durch Sprachbarrieren, weltanschauliche und kulturelle Unterschiede erschwert.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
Die jungen Menschen migrieren häufig aus Osteuropa oder Asien. Ein Teil der Jugendlichen sind als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Europa eingereist, die in Italien Anrecht auf humanitären Schutz haben, das gilt auch für Familien mit minderjährigen Kindern. Werden die Geflüchteten nicht über das Innenministerium der Provinz Bozen zugeteilt, sondern kommen sie als sogenannte nicht kontingentierte Flüchtlinge ins Land, werden sie von den Sozialsprengeln begleitet.
Da ihnen die Kenntnisse in den Landessprachen fehlen, finden sie auch keine Lehrstelle und ohne Lehrstelle werden sie von der Berufsschule nicht aufgenommen. Ohne Ausbildung finden sie nur Arbeitsstellen im Niedriglohnsektor oder schlittern in die Kriminalität.

Der Lehrgang

 
Dass es auch anders geht, zeigt der Orientierungslehrgang an dem Realgymnasium und der Fachoberschule für Bauwesen „Peter Anich“ in Bozen. Er läuft von September bis Juni und umfasst rund 30 Wochenstunden. Gemeinsam mit der Koordinierungsstelle für Integration, JugendCoachingGiovani und der Landesberufsschule für Handwerk und Industrie wurde er so aufgebaut, dass sowohl Sprach- Fach- und Praxisunterricht als auch Coaching Platz finden. „Das Gruppencoaching ist in den Unterricht integriert, aber die Jugendlichen werden von dem Coach auch individuell begleitet. Beispielsweise unterstützt die Coachin beim Erstellen des Lebenslaufes für die Bewerbung auf Praktika oder Lehrstellen und kommt bei Bedarf bei einem Vorstellungsgespräch mit“, sagt Niederfriniger.
Es ist mir ein besonderes Anliegen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren und ihre Fähigkeiten zu fördern.
Ein Schwerpunkt beim Lehrgang wird auch auf die Gemeinschaft gelegt: „Gerade in diesem Alter ist die Gruppe der Gleichaltrigen für die Jugendlichen zunehmend wichtiger“, betont Niederfriniger. „In einer Migrationssituation werden sie aus der Gruppe im Herkunftsland herausgerissen. Im ‚neuen‘ Land Anschluss an Gleichaltrige zu finden, wird durch Sprachbarrieren, weltanschauliche und kulturelle Unterschiede erschwert.“
 
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Ingrid Keim: „Die Idee kam mir, als immer wieder 17 oder 18jährige Menschen im Frühling an unsere Schule kamen.“ (Foto: Schule P. Anich)
 
Im Projekt sei es deshalb wichtig, innerhalb der Klasse ein Miteinander entstehen zu lassen, in dem alle ihren Platz finden. Außerdem sollen die Schüler*innen auch die Möglichkeit erhalten, Kontakte zu autochthonen Gleichaltrigen aufzubauen. „Im heurigen Schuljahr gibt es die Möglichkeit gemeinsamer Sportstunden, in den nächsten Jahren sollen mehr Begegnungsmöglichkeiten geschaffen werden“, sagt Niederfriniger.
Die Arbeit mit den jungen Neuankömmlingen bedeutet auch manchmal, die eigenen Grenzen anzuerkennen: Bei persönlichen Notsituationen oder familiären Schwierigkeiten haben Institutionen wie die Schule oder die Sprachenzentren nur beschränkt Handlungsspielraum. „Hier ist es wichtig, im Netzwerk mit Anlaufstellen und Vereinen zu agieren“, sagt die Leiterin der Sprachenzentren. Außerdem bringen die Schüler*innen im Orientierungslehrgang teilweise sehr unterschiedliche Bildungsbiographien mit. Deshalb sei es für die Lehrkräfte eine Herausforderung, auf die Bedürfnisse aller Klassenmitglieder einzugehen.
Trotz der Herausforderungen weist das von der öffentlichen Hand finanzierte Projekt, das seit zwei Jahren an der „P. Anich“ läuft, gute Ergebnisse vor: Alle Teilnehmer*innen des einjährigen Lehrgangs konnten anschließend ihren Bildungsweg weiterverfolgen. Sie absolvieren Praktika, beginnen eine Lehre oder entscheiden sich für den Besuch einer Oberschule.
Die Direktorin der Schule, Ingrid Keim, war dabei eine der treibenden Kräfte. „Die Idee kam mir, als immer wieder 17 oder 18jährige Menschen im Frühling an unsere Schule kamen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren und ihre Fähigkeiten zu fördern“, sagt Keim.
Der Lehrgang mit dem Titel „Projekt Orientierung 16+“ findet großen Anklang bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Das Angebot soll daher auch in den nächsten Schuljahren fortgeführt werden. „Der Erfolg spricht für sich“, so die Direktorin der „P. Anich“ in Bozen. 
 
Lesen Sie nächste Woche in Teil 2: Was die Lehrkräfte und Schüler*innen über den Lehrgang zu sagen haben. Und: Wie Inklusion gelingen kann.
 
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Simonetta Lucchi Dom, 05/21/2023 - 14:33

I minorenni non accompagnati che arrivano in Provincia ricevono il sostegno linguistico praticamente solo in italiano. Mi risulta che l'insegnamento all'interno delle case di accoglienza venga impartito solo in italiano. È rarissimo che qualcuno di loro impari il tedesco, considerando i tempi brevi che trascorrono nel territorio. Questo ha conseguenze anche in un loro inserimento scolastico oltreché lavorativo.

Dom, 05/21/2023 - 14:33 Collegamento permanente