Ambiente | Landwirtschaft

„Die Standards müssen hochgefahren werden“

Matthias Gauly, Professor für Agrarwissenschaften an der Uni Bozen, über Auswege aus der Krise der Massentierhaltung und die Vorteile der Südtiroler Viehwirtschaft.
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Die Nutztierhaltung gerät erneut unter Beschuss. Diesmal sind es nicht die Tierschützer, die Alarm schlagen, sondern die Humanmediziner. Immer häufiger sterben Menschen an simplen Infektionen, weil Krankheitskeime antibiotikaresistent werden. Schuld daran ist nach Meinung vieler Mediziner vor allem der hohe Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Matthias Gauly, Professor für Agrarwissenschaften an der Freien Universität Bozen, über Auswege aus der Krise und die Vorteile der Südtiroler Viehwirtschaft.

Das Interview führte Sigrid Hechensteiner

Was läuft denn gerade schief in der Massentierhaltung?
Matthias Gauly: Zunächst einmal, der Begriff Massentierhaltung ist gesetzlich und wissenschaftlich nicht wirklich klar definiert. Was ist die Masse? Sind es 1000 Kühe, 10.000 Hühner? Und die Haltung von größeren Beständen hat - wenn dem Tierwohl Rechnung getragen wird – durchaus auch Vorteile gegenüber kleinen Beständen. Aber zurück zur Frage. Fakt ist, dass der Einsatz von Antibiotika häufig mit der Größe des Bestands zunimmt. Dabei werden dieselben Wirkstoffe zum Teil auch im worst case in der Humanmedizin verschrieben. Wenn also ein antibiotikaresistenter Keim von Tier auf Mensch überspringt, sind die Behandlungsmöglichkeiten beim Menschen zunehmend beschränkt.

Wie schlimm ist es denn?
Gauly: Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen. In den Niederlanden geht man sogar so weit, dass Landwirte, die ins Krankenhaus kommen, sofort isoliert werden. Die Gefahr, dass sie einen antibiotikaresistenten Keim tragen, der sich dann im Krankenhaus breit macht, ist gegeben.

Ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung denn nicht gesetzlich geregelt?
Gauly: Natürlich. Von Gesetzes wegen darf Antibiotika in der Landwirtschaft nicht prophylaktisch eingesetzt werden, sondern nur zu Behandlungszwecken bei tatsächlich auftretenden Krankheitssymptomen. Die Gesetze werden von der Landwirtschaft aber leicht ausgehebelt. Wenn ein Landwirt etwa 40.000 Hühner hat und einige zeigen Krankheitssymptome, dann wird er alle Hühner behandeln. Das ökonomische Risiko ist viel zu groß. Und Antibiotika sind heute unglaublich billig, was mit ein Grund der Misere ist. Sie werden aber auch viel zu kurz, zu häufig oder in zu schnell aufeinanderfolgenden Abständen eingesetzt, was mit zur Entwicklung resistenter Stämme beiträgt. Viele Landwirte sind sich des Risikos ihres Handelns gar nicht bewusst. Es ist nicht nur medizinisch, sondern auch ökologisch katastrophal, wenn sich ein Landwirt einen antibiotikaresistenten Keim in seinem Tierbestand heranzüchtet.

Aufklärung tut also Not.
Gauly: Ja. Es wär schon viel erreicht, wenn man Landwirte nicht nur dazu verpflichtet, genau Buch über den Einsatz von Medikamenten zu führen, sondern dieses auch regelmäßig kontrolliert und entsprechende Maßnahmen einleitet. Das geschieht bislang nur unzureichend. So wurden Masthuhnbetriebe in Deutschland beschrieben, in denen Landwirte in gerade einmal 30 Tagen acht verschiedene Antibiotika eingesetzt haben.
Den Landwirten wird aber auch gerne der schwarze Peter zugespielt. Einen Teil der Schuld tragen auch die Veterinärmediziner. Zum einen verdienen sie am Medikamentenverkauf mit, zum anderen weist man „Kunden“ nur zaghaft auf Missstände hin. Das ist eindeutig der falsche Weg. Eine Möglichkeit ist, Tierärzte viel stärker für die Bestandsbetreuung und prophylaktische Beratung hinzuzuziehen. Langfristig wäre das billiger und für Tier und Mensch gesünder.

Wie sieht es mit den Politikern als Teil des Systems aus?
Gauly: Der politische Wille – und da kann ich nur für Deutschland sprechen – das System zu ändern, ist da. Dafür stehen alleine schon die sechs grünen Landesminister für Land- und Forstwirtschaft.

Viele Landwirte hören das jetzt nicht gerne, aber ich finde, sie müssen zu ihrem Glück gezwungen werden.

Nun kommen Antibiotika ja nicht nur bei großen Tierbeständen zum Einsatz, sondern auch im kleinen bäuerlichen Familienbetrieb in Südtirol.
Gauly: Natürlich. Dort wo Tiere erkranken, gehören sie behandelt. Schließlich geht es in der Nutztierzucht in erster Linie auch um das Tierwohl. Aber im kleinen Nebenerwerbsbetrieb ist der Einsatz von Medikamenten überschaubar und deutlich vorsichtiger. Einmal ist das ökonomische Risiko ein viel geringeres. Dann arbeiten hier Bauern und Veterinärmediziner eng zusammen. Tierärzte verschreiben in der Regel nur, was wirklich notwendig ist. Aber was noch wichtiger ist: Der Kontakt zwischen Landwirt und Endverbraucher ist in Südtirol ein direkter. Der Südtiroler Verbraucher will wissen, was bei ihm auf den Tisch kommt und ist bereit, dafür auch mehr zu bezahlen. Regionalität ist wichtig. Damit regelt der Konsument indirekt auch die lokale Landwirtschaft und bestimmt das Landschaftsbild mit. Ein Idealfall, der sicherlich auch auf die geringe Siedlungsdichte zurückzuführen ist. In großen Ballungszentren kennt der Vollerwerbsbauer mit seinen 1.000.000 Masthähnchen im Jahr eben nicht mehr den Endverbraucher.

Weg von der Massentierhaltung hin zu kleineren Betrieben, wäre das eine Lösung?
Gauly: Ganz rückgängig lässt sich die unternehmerische Größenentwicklung in der Landwirtschaft nicht machen. Wir haben sie auch in allen anderen Bereichen laufen lassen. Wir haben große Kaufhäuser, Handelsketten, Automobilhersteller. Und die Entwicklung ist ja nicht nur schlecht.  Sie hat auch ihre Vorteile. Neu überdenken kann man sie aber. Ein Ansatzpunkt könnte sein, den Bestand über die Flächenausstattung zu reglementieren. Wenn ich etwa für Kühe zwingend die Weidehaltung vorgebe, dann wird der Landwirt mit mehr als 1000 Stück das kaum mehr managen können. Dasselbe gilt für Schweine, wenn für sie ein Außenklimakontakt gefordert wird.

Wie kann so etwas umgesetzt werden?
Gauly: Viele Landwirte hören das jetzt nicht gerne, aber ich finde, sie müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Wenn gesetzliche Vorlagen etwa sagen, die Standards müssen hochgefahren werden - im Idealfall in ganz Europa - dann werden Produkte zwar teurer, aber das was sich verändert gegenüber der derzeit freiwilligen Situation ist, dass ausschließlich die direkte  Kostensteigerung der Erzeugung von bis zu 30 Prozent an den Verbraucher weitergegeben werden muss und nicht die zusätzlichen Kosten des Handels. Die Mehrkosten der Bioprodukte ergeben sich derzeit primär aus dem Handel, nicht aus der Produktion. Der Handel sagt, es ist extrem teuer, ein Bioprodukt mit einem Marktanteil von nur 15 Prozent, von der gesonderten Schlachtkette bis hin zum Verkauf an der Theke zu vermarkten und zu bewerben. Aber hier in Südtirol funktioniert es. Und ich hoffe, dass die Landwirte in Südtirol darin ihre große Chance sehen.

Wie man es dreht und wendet, der Endverbraucher muss wohl tiefer in die Tasche greifen.
Gauly: Das macht er ja schon. Er trägt mit seinen Steuergeldern die Nebenkosten der herkömmlichen Tierhaltung, also die Kosten für Antibiotikaresistenz, die Kosten, die durch die hohe Stickstoffbelastung und die Verunreinigung des Grundwassers entstehen… Würde man sie direkt auf das Produkt aufrechnen, herkömmliches Fleisch wäre in den Ländern mit intensiver Tierhaltung möglichweise gleich teuer wie biologisches.

Der einfachste Weg wäre wohl, wenn wir alle Vegetarier oder noch besser Veganer werden?
Gauly (lacht): Ich für mich könnte das nicht. Aber wenn wir als Verbraucher die Menge unseres Fleischkonsums überdenken, also weniger, dafür aber hochwertigeres Fleisch konsumieren, dann wären wir der Lösung des Problems schon einen Schritt näher. ☁


Matthias Gauly wechselte im August 2014 von der Universität Göttingen, wo er einen Lehrstuhl für Produktionssysteme der Nutztiere innehatte, an die Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der Freien Universität Bozen über. Der habilitierte Agrarwissenschaftler und Veterinärmediziner berät u.a. das  Deutsche Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. An der Universität Bozen will Gauly nicht nur lehren, sondern auch forschen. Schwerpunkt werden Verbesserungen im Stall-Management sein.

 

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Oskar Egger Dom, 04/12/2015 - 16:55

Es geht ja nicht nur um die Antibiotikaresistenzen, sondern auch, um die inzwischen fast noch schlimmeren Auswirkungen der pestizidverseuchten Futtermittel. Dazu: Tote Tiere - Kranke Menschen
Dienstag, 31. März um 21:15 Uhr
ARTE+7

Dom, 04/12/2015 - 16:55 Collegamento permanente
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Josef Auer Dom, 04/12/2015 - 19:04

Um sich ein Bild von den Zuständen z.B. in der Geflügelmast und der Eierproduktion zu machen, reicht es eigentlich, sich die Grosshandelspreise anzusehen: Jene Preise, die der Erzeuger (Bauer?) für das Ptodukt bekommt. Für dieses Geld können keine "anständiges" Futtermittel eingesetzt werden.
Wenn aber der Inhalt des Kühlschranks ebenso für alle sichtbar wäre, wie die modische Kleidung, die sich mehr über Marken und hohe Preise definiert als über Qualität, würde sich viele dieser Probleme in kürzester Zeit von alleine erledigen.

Dom, 04/12/2015 - 19:04 Collegamento permanente
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Sepp.Bacher Mar, 04/14/2015 - 11:29

Hühner werden dann als glücklich bezeichnet, wenn sie einen angemessenen Auslauf haben. Ich denke, Rinder sind auch auf der Weide glücklicher und gesünder. Vielleicht gilt Rindfleisch aus Argentinien, Australien, Neuseeland, usw. auch deshalb so bekömmlich, weil dort die Tiere meist in riesigen Farmen auf der Weide leben. Schweine-Produkte z. B. aus Korsika, oder aus bestimmten Teilen Kroatiens, wo die Schweine das halbe Jahr oder mehr frei und halbwild draußen leben, sollen besonders gut schmecken. Ich vermute, dass diese weniger Antibiotika benötigen.
Matthias Gauly ist optimistisch was die Südt. Landwirtschaft betrifft; dem kann ich mich nicht anschließen. Der Großteil der Bauern geht wohl eher in Richtung immer mehr und immer größer.

Mar, 04/14/2015 - 11:29 Collegamento permanente