Società | Deutschland

Der Freispruch

Wenn es nach der Dresdener "Pegida" geht, sollten die Deutschen jetzt ihre Vergangenheit "loslassen". Die Sprache ist zweideutig, wie die Wirklichkeit.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Die Stimme der Vernunft ist kaum noch hörbar. In Paris sterben Hunderte von Menschen, weil der IS den Krieg auch in unsere Städte tragen will, in Syrien und im Irak Hunderttausende. Nachdem der Westen den Nahen Osten jahrhundertelang zum Spielball seiner Interessen und Interventionen machte, hat er ihn jetzt weitgehend sich selbst überlassen. Millionen von Menschen sind auf der Flucht, ein Teil von ihnen Richtung Europa. Einige europäische Länder haben ihre Grenzen ganz dicht gemacht, in anderen (so auch in Deutschland) wächst das Bestreben, sich die Flüchtlinge so weit wie möglich vom Halse zu halten. Lampedusa, Melilla und Lesbos sind zu Symbolen eines zynischen Experiments geworden: Nur wer es schafft, europäischen Boden zu betreten, nachdem er die Hölle der „Illegalität“ überlebte, bekommt eine Chance. Vorausgesetzt, es werden nicht zu viele.

Bei uns wächst die Sehnsucht nach einer Idylle, in der wir wieder „unter uns“ sind. Diese Idylle gab es wohl nie, und wenn wir wirklich „unter uns“ waren, war es eher ein Alptraum. Aber die Sehnsucht nach ihr trennt die Welt in Freund von Feind, rechtfertigt „Widerstand“, identifiziert Auszumerzende. Im Schatten dieser reaktionären Sehnsucht kann sich der Hass ausbreiten, gefräßig nach Vorwänden, die ihn weiter nähren. Schuldig sind immer die anderen, wir die Opfer.

Losgelassene Vergangenheit

Allerdings gibt es immer noch viele Deutsche, die dabei nicht mitspielen wollen. Einer ihrer Gründe heißt „deutsche Vergangenheit“. Als unsere Eltern, Groß- und Urgroßeltern sich einreden ließen, sie seien das Opfer einer „Rasse“, die für unsere „Volksgemeinschaft“ ein „Fremdkörper“ sei, und anderer „Untermenschen“, die uns den „Lebensraum“ nähmen. Und die deshalb schweigend zuschauten, als man ihre Nachbarn mit dem Stern aus den Häusern holte. Es ist wahr, diese Erinnerung ist uns noch heute gegenwärtig.

Eine Pegida-Demonstration

                 Pegida-Demonstration

Am 9. November, während der Abschlusskundgebung der Pegida auf dem Dresdener Theaterplätz, sollte Historisches geschehen. Da sprach die Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling uns Deutsche in aller Form von dieser Nazi-Schuld frei:

„Also können wir beruhigt loslassen, um das Neue zu beginnen. Seid ihr bereit, loszulassen? (Rufe: Jaaa!) Dann erklären wir hier und heute – am 9. November 2015, 70 Jahre nach dem Kriegsende – den deutschen Schuldkomplex der 12-jährigen Naziherrschaft offiziell für beendet! (Jubel). Denn ja: Auch wenn es um unsere Geschichte geht, um Furchtbares, das bis heute traumatische Spuren in Familien, in Völkern hinterlässt, auch dann gilt die Psychologie der Ratgeberbranche: Wir lassen die Vergangenheit jetzt los! (…)

Und bitte, liebe Freunde, denkt daran, nach dem Loslassen nicht mehr zurückblicken. Sonst geht es euch wie der Frau von Lot, der mit seiner Familie aus Sodom floh. Sie konnte es sich nicht verkneifen, trotz Verbot zurückzuschauen und erstarrte zur Salzsäure, äh Säule. Aber wir brauchen jeden Mann und jede Frau im Widerstand, in unserem Freiheitskampf. Wir brauchen kluge, kräftige, mutige und verantwortungsbewusste Menschen, deren Denken frei und nicht komplexbehaftet ist. Und ihr alle kennt das Ziel: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“

Fort mit dem Schuldkomplex

Tatjana Festerling ist, wie sie sagt, kein Nazi. Da habe es „Furchtbares“ gegeben, mit traumatischen Spuren „bis heute“. Bei ihrer Gefolgschaft auf dem Dresdener Theaterplatz ist das nicht selbstverständlich. Aber sie sagte es, um sich auch von diesem Ufer abzustoßen. Sie will uns therapieren, und ersetzt deshalb geschehene „Schuld“, die für die nachfolgenden Generationen Mitverantwortung bedeutet, durch den „Schuldkomplex“. Der ist etwas Subjektives, den können wir „loslassen“.

Das therapeutische Konzept ist schlicht, und sie scheint ihm selbst nicht ganz zu trauen. So ergänzt sie das verordnete „Loslassen“ durch ein Tabu: auf keinen Fall „zurückschauen“! Um uns vom Schuldkomplex zu befreien, dürfen wir keinen Gedanken mehr an die deutsche Geschichte verschwenden. Dann erst sind wir „frei“ fürs „deutsche Vaterland“ – ein auch von seiner Geschichte befreites Vaterland. Was dies heißt, zeigte Festerling Mitte September durch eine Pilgerreise nach Ungarn, um Orban den Dank aller „guten Deutschen“ zu überbringen. Orban ist ein besonders brutaler Vertreter der „Festung Europa“, dem es gleichgültig ist, welche Menschenopfer diese Politik kostet und warum die Menschen fliehen, denen er mit seinen Polizeiknüppeln und Stacheldrahtverhauen entgegentritt. Wie auch der „komplexfreien“ Festerling, die in den Flüchtlingen nur „angreifende Horden“ sieht.

Jagdszenen

Was sie von den Deutschen fordert, sind „kluge, kräftige, mutige Menschen“, die „frei und verantwortungsbewusst und nicht komplexbehaftet“ fürs „Vaterland“ handeln. Ich kann mir nicht helfen, aber bei der „Klugheit“ denke ich an die Gestalten, die nachts geplante Flüchtlingsunterkünfte anzünden oder, wenn sie schon bewohnt sind, Brandsätze in die Flure werfen. Und bei dem „Mut“ an Schlägerbanden, die einzelnen Flüchtlingen auflauern und schwangere Frauen krankenhausreif schlagen.

Festerlings „Loslassen der Vergangenheit“ hat einen doppelten Sinn: Uns erstens dadurch zu therapieren, dass wir unsere Vergangenheit vergessen. Und zweitens den Kampfhunden, die seit 70 Jahren an ihren Ketten zerren, wieder die Käfige zu öffnen. Loslassen ist beides.

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Paul Stubenruss Mer, 11/18/2015 - 20:29

Hallo Herr Heine,
was kostenlos ist soll man nicht kritisieren. Wenn ich mich nicht täusche, bekommt salto öffentliche Gelder und das sind auch meine Gelder. Und jeder Klick auf Salto, auch meiner, wertet die Seiten für Werbeeinkünfte auf. Ich gehe davon aus, nicht der Einzige zu sein, der vorgekaute Meinungen nicht braucht, ich habe selbst meine Meinungen, und versuche diese auf Grund von Fakten zusammenzustellen. Zum Glück gibt es die Leserzuschriften, denn ließt man nur diese, dann weiß man was im Artikel steht und man spart sich eine Menge Zeit, denn die Meinungsartikel sind nach meiner Ansicht viel zu breit getreten, denn über Fakten kann man genau so gut diskutieren und Meinungen vertreten, wenn nicht besser. Also Fakten sollen Meinungen provozieren. Gutes Beispiel sind die Berichte von Franceschini. Aus der Wortwahl der Meinungsschreiber lässt sich höhere Schulbildung erkennen, Und dann auch der Kommentarschreiber, im Grunde eine sehr Beschränkte Anzahl und immer die Gleichen. Werbung rechnet sich da sicherlich nicht.
Da Sie sich mit den Zuwandererproblemen befassen und sich anscheinend gut auskennen, stelle ich an Sie eine konkrete Frage die Fakt ist. Aus sicherer Quelle habe ich gerade heute erfahren, das orientalische Mädchen auch in Südtirol für mehrere Wochen in der Schule fehlen um als Minderjährige im Herkunftsland verheiratet zu werden. Offizielle Angabe der Eltern ist Urlaub. Sex mit Minderjährigen ist in Italien verboten, im Orient Kultur. Nehmen wir an, das durch Familienzuführung der Bräutigam mit dem Mädchen zurück nach Südtirol kommt. Was dann? Wird dann Sex mit Minderjährige salonfähig? Wird dann ein Traum einiger Altklerikaler und Altgrünen in Deutschland wahr?
So lade ich Sie ein über Fakten zu diskutieren.

Mer, 11/18/2015 - 20:29 Collegamento permanente
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Sepp Bacher Mer, 11/18/2015 - 22:18

In risposta a di Paul Stubenruss

Meines Wissens ist nur bezahlter Sex (Prostitution) mit Minderjährigen verboten. Der Sex mit Kindern ist verboten. In Italien gilt mW jemand offiziell bis 15 als Kind. Weiters gibt es ein Schutzalter für Jugendliche, ab wann eine volljährige Person mit einer/einem Jugendlichen ungestraft einvernehmlichen Sex haben kann. In den Medien wird ja dauernd ganz undifferenziert von pädophilen Vergehen gesprochen, dabei bezeichnet die Wissenschaft Sex von Erwachsenen mit Kindern bis zur Pubertät als pädophil. Minderjährige können auch in Italien mit Zustimmung der Eltern heiraten.

Mer, 11/18/2015 - 22:18 Collegamento permanente
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Benno Kusstatscher Gio, 11/19/2015 - 08:37

In risposta a di Paul Stubenruss

"Fakten sollen also Meinungen provozieren". Paul Stubenruss, Sie Glücklicher! Ich gehe davon aus, nicht der Einzige zu sein, der selten in der Lage ist, sich aus Fakten "aus sicherer Quelle" eine fertige Meinung abzuleiten. Als unvollkommender Homo "Sapiens" brauch ich dazu sozialen Austausch, auch Diskussion genannt. Noch schlimmer: Selbst nach Lektüre eines Franceschini-Artikels springt die Meinung nicht automatisch vom Autor zu mir über, quälen mich offene Fragen und Widersprüche, ringe ich innerlich mit verschiedenen Sichtweisen. Gut, dass es dann oft diverse Kommentare gibt. Das Tolle an Kommentaren ist, dass sie durch Debatte meinungsbildend sind. Es geht also nicht um unidirektionale, missionarische Meinungsweitergabe, sondern um gegenseitiges Weiterhelfen beim Schliff der eigene Sichtweise, denn schließlich kann hier jeder kommentieren und jedem steht frei, die Kommentare anderer zu lesen und darüber zu sinnieren - und schließlich selbst zu bestimmen, wie sich persönlich Meinung bildet.

Sie haben schon Recht: Gefühlterweise sind es immer die Selben, die hier Beiträge verfassen, die sich einbringen. Wenn hier eine Beschwerde zu formulieren ist, dann nicht an die wenigen Autoren, nicht an die Plattform Salto, sondern an die schweigende Masse. Und so nebenbei, wenn den Autoren eine Bringschuld angedichtet wird, wenn das Publikum glaubt, das Recht zu haben, von den Autoren Antworten im harschen Ton einfordern zu dürfen, dann werden es noch weniger werden. Dann bleibt uns irgendwann nichts mehr anderes übrig, als unsere vorgefertigte Meinung widerspruchlos von Fakten "aus gesicherten Quellen" bestätigen zu lassen. Die Unterlegenheit des Homo Dubitus wird der Evolution preisgegeben. Die Clicks der Werbekunden wird das aber auch nicht freuen.

Gio, 11/19/2015 - 08:37 Collegamento permanente