Economia | Interview mit Prof. Matthias Gauly

"Es wird auch uns treffen"

Die deutsche Milchwirtschaft steckt in der Krise, Tiefstpreise machen den Bauern zu schaffen. Auch Südtirol wird nicht davon verschont bleiben.
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In einem Beitrag von Frontal 21 hat sich Matthias Gauly, Professor für Agrarwissenschaften an der Uni Bozen, bereits zum Thema gemeldet: Es geht um die tiefen Milchpreise, die in Deutschland zurzeit vielen Bauern die Existenzgrundlage zerstören. Neben der üblichen Schuldfrage steht nun vor allem die Frage im Vordergrund, ob und wie die Politik reagieren soll. Südtiroler Landwirte seien noch nicht direkt von der Krise betroffen, aber das könne sich sehr bald ändern, meint Gauly.

 

Die Milchwirtschaft produziert derzeit – vor allem in Deutschland – gewaltige Überschüsse. 15 % der Milch kann gar nicht verarbeitet werden. Wie kam es überhaupt dazu, dass sich so viele Bauern entschlossen, in dieses Geschäft einzusteigen?
Die sind nicht neu eingestiegen, es handelt sich fast ausschließlich um bereits bestehende Betriebe, die sich aber bereits vor dem Wegfall der Milchquote vergrößert haben und dadurch zu dieser Überproduktion an Milch erheblich mitbeigetragen haben. Es waren in erster Linie die Betriebe, die bereits eine gewisse Größe hatten, die nun darauf hoffen, dass sich durch eine Ausweitung der Produktion der Markt bald bereinigen würde und kleinere Betriebe mit hoher Kostenlast bald aussteigen. Teilweise verdoppelte man die Zahl an Kühen, z. B. von 700 auf 1.400. Die Rechnung ging aber nicht auf. Erst jetzt müssen erste Betriebe aufgeben, aus ökonomischen Gründen. Dazu kam, dass die Absätze ausgerechnet in Regionen zurückgingen, die sonst als sehr absatzstark galten, etwa in Russland oder China. So kam einiges zusammen, was zu den derzeitigen Tiefpreisen führte.

Sehen Sie auch Fehlentscheidungen in der Politik, die diese Entwicklung gefördert haben?
Der Politik einen Vorwurf zu machen, geht schnell. Zunächst waren es die Landwirte selbst, die sich entschieden haben, ihre Produktion auszuweiten. In einer freien Marktwirtschaft ist das nicht reguliert, und solange die Fläche verfügbar ist, ist es also auch relativ einfach, mehr zu produzieren. Was die Politik und auch die Vertreter des Bauernverbandes möglicherweise versäumt haben, war es, zu prognostizieren, was wahrscheinlich passieren wird; so aber trifft es jetzt einige Landwirte ziemlich unvermittelt. Allerdings würde man jedem anderen Unternehmer – ob er statt Milch nun Kugelschreiber oder Papier auf den Markt bringt – sagen, dass er den Markt schon selbst einschätzen muss. Wenngleich das für die einzelnen Betriebe sehr gravierend werden kann, so funktioniert nun mal eine freie Marktwirtschaft…

Manch einer führt die Tiefpreise darauf zurück, dass man versucht hat, die Milchwirtschaft am Weltmarkt auszurichten.
Das stimmt, allerdings wurde diese Entscheidung nicht alleine von der Politik getroffen. Eine Entscheidung der Politik war zwar, dass europaweit die Quote wegfällt, aber einige Länder haben von diesem Wegfallen der Quote auch sehr profitiert. Auch in Deutschland wurde diese Entscheidung von vielen Landwirten begrüßt. Was von der Politik hingegen geregelt werden muss – weil es ein Anliegen der Gesellschaft ist –, ist wohl die Frage: Wie soll unsere Landwirtschaft in der Zukunft insgesamt aussehen? Erfüllt sie ihre Funktion und wie sieht es mit Umweltschutz, Landschaftspflege oder Tierwohl aus? Anhand solcher Kriterien kann der Staat dann entscheiden, welche Art der Produktion er fördern will. Dafür muss der Staat aber ein klares Ziel, ein Ideal vor Augen haben.

Wie Sie bereits erwähnten, ist das Ganze aus ökonomischer Sicht betrachtet ziemlich einfach: Durch die niedrigen Preise lohnt sich das Geschäft für viele Anbieter nicht mehr, sie steigen aus und das Angebot wird solange zurückgehen, bis sich das Preisniveau wieder normalisiert hat. Glauben Sie, dass sich die freie Marktwirtschaft auch in diesem Fall selbst helfen wird, oder braucht es den Staat, der eingreift, beispielsweise durch Subventionen?
Teilweise greift der Staat durch Subventionen bereits ein. Ähnliche Fälle aus anderen Bereichen, auch aus der Landwirtschaft, zeigen allerdings, dass sich der Markt sehr wohl von selbst regulieren würde. Die Frage ist: Will man das zulassen? Es gibt auch außerhalb von Südtirol Regionen, deren Landschaftsbild durchaus von der Landwirtschaft geprägt ist; wenn man der Meinung ist, dass das so erhaltenswert ist, dann kann man das nicht den Kräften des freien Marktes überlassen.

Als Konsument von Milchprodukten aus Südtirol merkt man, dass sich hier bei den Preisen noch nicht so viel geändert hat. Leben die Südtiroler Milchbauern auf einer Insel der Seligen?
Wir werden sicher auch bald von dieser Krise getroffen werden, direkt und indirekt. Indirekt dadurch, dass Produkte, die nicht innerhalb von Südtirol abgesetzt werden können, sich mit dem Weltpreis messen müssen. Die Molke, die wir auf dem Weltmarkt anbieten, die kann natürlich nicht über dem Weltmarktpreis verkauft werden. Je mehr veredelte Milchprodukte verkauft werden können, desto günstiger ist das also für die Südtiroler Landwirte. Direkt werden wir aber auch irgendwann bei veredelten Produkten betroffen sein. Wenn die Preisschere zwischen unserem Jogurt und einem importierten Jogurt immer weiter auseinandergeht, dann ist auch bei Konsumenten, die mehr auf Qualität setzen, irgendwann eine Schmerzgrenze erreicht, die sie dann zum billigeren Produkt greifen lässt.  Dann müssten auch unsere Landwirte Preissenkungen hinnehmen.

Falls man nun doch durch staatliche Maßnahmen eingreifen will, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, welche würden Sie empfehlen?
Wir haben bereits eine sehr starke Förderung der Landwirte in der EU. Der größte Teil des Geldes, das die EU ausgibt, geht tatsächlich an die Landwirtschaft. Dabei kann man grob zwei Fördersäulen unterteilen. Der größte Teil des Geldes wird über die erste Säule vergeben, da diese sehr leicht zu verwalten ist: die Subventionen werden hier rein anhand der durch einen Landwirt bewirtschafteten Fläche vergeben. Mit dieser Säule kann man nur wenig steuern. Wenn ein Landwirt etwa eine Fläche von 100 Hektar, dann bekommt er dafür den Betrag x, ganz unabhängig davon, was genau er auf dieser Fläche macht oder wie er es macht. Das motiviert zum Teil auch Spekulanten, solche Flächen zu kaufen und zu pachten, weil es eine sichere Einnahme ist.

Und die zweite Säule?
Die zweite Säule ist viel komplexer und schwieriger handzuhaben, darüber wird bisher auch deutlich weniger Geld ausbezahlt. Hier ist die Subvention an gewisse Bedingungen gebunden. Zum Beispiel kann man einem Landwirt der eine Grünlandfläche erst sehr spät mäht, weil sie von Bodenbrütern bewohnt wird, einen Ausgleichsbeitrag geben. Wenn man über die Subventionen etwas steuern will, wäre es also sinnvoll, viele Gelder von der Säule 1 auf die Säule 2 zu verlagern. Dass das sinnvoll ist, sieht die Politik auch ein, die Politik hat damit aber zwei Probleme. Das erste Problem ist der höhere Verwaltungs- und Überwachungsaufwand, der damit einhergehen würde und für den ein Teil des Geldes verloren gehen würde. Das zweite Problem ist das größere Problem: Leider ist es das Ziel vieler Politiker, mindestens so viel Geld von der EU wieder zurückerhalten, wie deren Staat eingezahlt hat. Das geht einfacher, wenn der EU-Beitrag nur anhand des Flächenkriteriums ausgezahlt wird. Da jeder Staat ungefähr weiß, wie viel landwirtschaftliche Fläche er hat, weiß er deswegen auch, wie viel Geld er am Ende des Tages zurückbekommen wird. Das ist bei der zweiten Säule anders, der Staat kann nur schwer im Vorfeld wissen, wie viele seiner Landwirte die nötigen Auflagen erfüllen werden, um die EU-Gelder zu erhalten. Angesichts dieser Denkweise fragt man sich schon, warum die einzelnen Länder die Subventionen nicht direkt an ihre Landwirte auszahlen, aber so ist die EU nun mal gestrickt.

Im Bild: Matthias Gauly

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DervomBerge Tratzer Mar, 06/28/2016 - 19:14

Interessantes Interview!
Aber der Interviewer/ die Interviewerin stellt wiederholt nur ökonomische Fragen mit Bezug zur Landwirtschaft.

Der Professor spricht aber immer wieder auch andere Aspekte der Landwirtschaft an, wie etwa Landschaftspflege und Naturschutz.

Die Beziehung zwischen ökonomischer Landnutzung und Ökosystemdienstleistungen sind in Südtirol und darüber hinaus hochaktuell, daher reicht es nicht aus, sich der Landwirtschaft nur ökonomisch zu nähern, wenngleich dies auch ein sehr wichtiger Aspekt ist.

Mar, 06/28/2016 - 19:14 Collegamento permanente