Cronaca | Verfassung

Schulterschluss für das Nein

Die Süd-Tiroler Freiheit warnt, gemeinsam mit Minderheiten-Vertretern aus ganz Italien (und Oskar Peterlini), vor den Folgen der Verfassungsreform für die Autonomien.

Es geht hektisch zu im Foyer des Südtiroler Landtags. Einige altbekannte und viele weniger vertraute Gesichter sind am Freitag Vormittag dort zu erspähen. Gemeinsam ist allen eines: ihre ablehnende Haltung gegen die Verfassungsreform, über die im Herbst italienweit in einem Referendum abgestimmt wird. Aus dem Aostatal, dem Veneto, der Lombardei, dem Friaul, Sardinien und gar aus Österreich sind die Gäste der Süd-Tiroler Freiheit (STF) nach Bozen angereist. Mehr noch als Gäste der STF sind die politischen Volksgruppen-Vertreter “Verbündete”, so Bernhard Zimmerhofer, der die Anwesenden begrüßt. Vereint mit dem Paritu Sardu (Sardinien), der Autonomie-Liberté-Participation-Écologie (ALPE, Aosta), der Liga Veneta Repubblica (Veneto), Pro Lombardia Indipendenza (Lombardei), L’Altro Sud (Sizilien), Slovenska Skupnost (Friaul) und Trieste Libera (Friaul und Österreich) warnt die STF “eindringlich davor, dass die Verfassungsreform aus Italien einen zentralistischen Staat machen wird”. Mit verheerenden Folgen. “Daher rufen wir die Bevölkerung auf, mit Nein zu stimmen”, wird Sven Knoll am Ende der Pressekonferenz sagen.

Si tratta di una riforma ‘italiana’, decisa unilateralmente dallo Stato senza coinvolgere le Regioni, le Province e le minoranze presenti sul Territorio.
(Chantal Certan, ALPE)


Der Anfang vom Ende?

Das erste Opfer der Verfassungsreform, sind sich die Anwesenden sicher, werden die Autonomen Provinzen und Regionen und damit die dort lebenden Minderheiten sein. Die Befürchtungen der Minderheiten-Vertreter: Kompetenzen würden verloren gehen, der Staat, sofern er ein nationales Interesse feststellt, in die Gesetzgebung der Regionen eingreifen können, die politische Einflussnahme der Minderheiten im Parlament geschwächt werden. “Die nicht-italienischen Volksgruppen und Regionen mit Sonderstatut wären die größten Leidtragenden dieser Entwicklung”, lautet die Schlussfolgerung, zu der die STF mit ihren Alliierten kommt, denn: “Alle Macht ginge damit nach Rom”.

Non possiamo non sottolineare quanto la riforma costituzionale proposta da Renzi porti ad un riaccentramento e ad una diminuzione della rappresentatività della popolazione nel governo centrale.
(Juri Orsi, Pro Lombardia Indipendenza)

Die Pressekonferenz am Freitag sollte nur den Auftakt der Kampagne darstellen, die die STF in den nächsten Wochen geplant hat: “Broschüren, Infostände, Hausbesuche und weitere Pressekonferenzen, bei der die Überraschungen nicht ausbleiben werden”, verrät Myriam Atz Tammerle. Begleitet – ausschließlich in Form wissenschaftlicher Beratungen, wie am Freitag betont wird – wird die STF dabei von Ex-Senator Oskar Peterlini. “Herr Peterlini legt Wert darauf, klarzustellen, dass er nicht von einer Partei vereinnahmt werden will”, unterstreicht Christian Kollmann nachdem es seit Bekanntwerden des Engagements des Altsenators bereits zu Missverständnissen gekommen sei. Peterlini selbst nutzt die Gelegenheit ein weiteres Mal, um zu erklären, warum die Verfassungsreform verhindert werden müsse: “Ich glaube Matteo Renzi, wenn er sagt, er will die Autonomien und insbesondere Südtirol schützen. Aber: Politiker kommen und gehen, die Verfassung bleibt. Und schließlich und endlich zählen nicht die politischen Meinungen sondern jene des Verfassungsgerichtshofs. In ethnischen Fragen hat er uns immer geschützt, in Kompetenz-Fragen hingegen nie.”

Se vinceranno i Sì, la Camera sarà eletta con l’Italicum, una legge in cui i capilista saranno blindati e, grazie a uno sproporzionato premio di maggioranza, il Parlamento finirà per essere ostaggio a vita del leader vincente.
(Andrea Cocco, Partidu Sardu)

Dieser Interpretation schließt sich nicht nur die STF an. Auch eine andere Oppositionspartei meldet sich am Freitag Vormittag in einer Aussendung an die Medien zu Wort: die Freiheitlichen, mit denen Oskar Peterlini übrigens auch in Kontakt steht (neben Bürgerunion und dem Südtiroler Comitato per il NO, dem unter anderem Lidia Menapace und weitere Nicht-Politiker, darunter etwa Gewerkschafter, angehören). Die “Schutzklausel”, die für Landeshauptmann Arno Kompatscher “die beste ist, die wir je hatten” und “de facto einem Vetorecht gleichkommt” könne die Südtiroler Minderheitenrechte nicht wahren, schreibt der Parteiobmann der Freiheitlichen Walter Blaas. Die Schutzklausel, die laut Oskar Peterlini eine reine Übergangsbestimmung für alle autonomen Regionen sei, “wird in ihrer Tragweite überschätzt”, so Blaas. Denn: “Mit der neuen Verfassung wird der Staat seine Forderungen gegenüber den untergeordneten Gliedern effektiver durchsetzen können. Gegen Eingriffe in die Autonomie an sich – auch durch den Verfassungsgerichtshof – kann die Klausel im Endeffekt nicht schützen.” Gegner und Befürworter der Verfassungsreform scheinen sich eben erst warm zu laufen – es zeichnet sich ein heißer politischer Herbst ab. In dem, um Myriam Atz Tammerle zu zitieren, die eine oder andere Überraschung nicht ausbleiben dürfte.