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“Dann kann die SVP aufhören...”

Der neue Gesetzentwurf zur Direkten Demokratie würde der politischen Kultur Südtirols gut tun, meint Paul Köllensperger. Doch die SVP könnte den Vorschlag kippen.
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Foto: Salto.bz

Noch findet sich weit und breit keine Spur vom Gesetzentwurf, den die Arbeitsgruppe Direkte Demokratie im Landtag ausgearbeitet hat. Doch das Dokument ist soweit fertig, bestätigt Brigitte Foppa. Gemeinsam mit Magdalena Amhof und Josef Noggler (beide SVP) hat die Grüne zwei Jahre lang an dem Entwurf gefeilt. Im Oktober 2014 war ein breiter Beteiligungsprozess ins Leben gerufen und die Bürger landesweit aufgerufen worden, am neuen Regelwerk für die Direkte Demokratie mitzuarbeiten. Im April dieses Jahres dann der erste Vorschlag da, der dann weiter diskutiert, angepasst und ausgearbeitet wurde. “Es ist ein Kompromiss, bei dem teilweise diametral entgegengesetzte Interessen von verschiedenen Akteuren zusammengeführt wurden”, sagt Foppa über den Gesetzentwurf, der nun in die Endphase geht. Ende Oktober wird er zum ersten Mal dem zuständigen Gesetzgebungsausschuss vorgelegt, im Dezember oder Jänner soll er dann dort behandelt werden und – falls er gutgeheißen wird – Anfang 2017 im Landtag genehmigt.

Eckpunkte des Gesetzentwurfes:

  • Senkung der Unterschriftenzahl für die Einleitung von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Referenden von 13.000 auf 8.000
  • Senkung des Beteiligungsquorums von 40 auf 25 Prozent
  • Möglichkeit, auch über Beschlüsse der Landesregierung abzustimmen, aber nur in Form einer beratenden Volksbefragung
  • 13 Landtagsabgeordnete können bestätigendes Referendum über Landesgesetze beantragen, die mit weniger als 2/3 der Stimmen im Landtag verabschiedet wurden
  • Informationsbroschüren für alle Haushalte im Vorfeld von Abstimmungen
  • Bürgerräte die zwei Tage lang über brennende aktuelle Themen diskutieren und Lösungsvorschläge ausarbeiten
  • Büro für politische Bildung und Bürgerbeteiligung
     

Doch die Zeichen stehen schlecht. Sowohl von Teilen der Opposition als auch aus der Mehrheit selbst kommt bereits Kritik. “Ich kann mich mit diesem Entwurf nicht identifizieren”, meint etwa Landeshauptmann Arno Kompatscher im Gespräch mit den Dolomiten. “Unser Auftrag war, einen Entwurf vorzulegen, der die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses berücksichtigt und nicht einen, der dem Landeshauptmann gefällt”, kontert Foppa. Jemand, der dem Gesetzentwurf zur Direkten Demokratie sehr wohl etwas abgewinnen kann, ist hingegen Paul Köllensperger. Er warnt die SVP davor, den Entwurf im Landtag oder bereits vorher in der Gesetzgebungskommission, abzusägen.

salto.bz: Herr Köllensperger, was halten Sie vom Gesetzentwurf der AG Direkte Demokratie?
Paul Köllensperger: Ich finde den Vorschlag, der aus dieser Arbeitsgruppe herausgekommen ist, positiv. Das ist ein Riesenschritt nach vorne im Vergleich zu dem, was wir heute haben. In mehrerer Hinsicht. Es sollen ja nicht nur Quorum und Unterschriftenzahl gesenkt werden, sondern die Bürger über Bürgerräte und das Büro für politische Bildung etwas mehr eingebunden. Ich denke, dass der Vorschlag sehr viele gute Ansätze enthält und es absolut ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Es gibt nichts auszusetzen?
Klar, es ist eine Kompromisslösung und als solche natürlich nicht perfekt. Aber es ist vielleicht gar nicht ungesund, wenn man schrittweise in Richtung mehr Direkte Demokratie geht. Mehr Demokratie einzubauen kann man nicht von heute auf morgen machen. Wir schauen zwar gerne in die Schweiz, aber auch dort ist die demokratische Kultur im Laufe der Zeit entstanden.

Landeshauptmann Arno Kompatscher und auch Teile der Opposition können dem Gesetzentwurf nicht viel abgewinnen. Kompatscher warnt vor Stillstand und davor, dass die parlamentarische Demokratie blockiert und am Arbeiten gehindert werde. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ich finde es problematisch, wenn man davon ausgeht; solche Aussagen kann nur jemand treffen, der sich wahrscheinlich bewusst ist, dass er Entscheidungen trifft, die nicht im Sinne der Bürger sind. Ich sehe nicht ein, warum die Bürger wenn es um Landtags- oder Parlamentswahlen geht, als mündig genug empfunden werden und ihnen nachgelaufen wird – aber wenn es darum geht, eine direktdemokratische Entscheidung zu treffen, dann sollten sich die Bürger auf einmal am besten gar nicht einmischen. Wenn man an Demokratie glaubt, ist diese Unterscheidung unseriös. Man sollte den Leuten auch zugestehen, dass sie sich auch zu anderen Themen äußern können.

Ein sinnvolles Gesetz wird nicht gekippt werden. Da haben die Leute Besseres zu tun.

Brigitte Foppa berichtet, dass viele Bürger im Rahmen des Beteiligungsprozesses immer wieder der Wunsch äußerten, auch über Großprojekte abstimmen zu können. Daher ist die Möglichkeit, über Beschlüsse der Landesregierung abstimmen zu können, im Gesetzentwurf enthalten. Das war bisher nicht möglich und sorgt für Zündstoff. Ihre Meinung dazu?
Zu diesem Punkt hat es in der Arbeitsgruppe sicher viel Diskussion gegeben. Und ich denke, dass auch dies ein Kompromissvorschlag ist. Denn erstens geht es hier nur um eine beratende Volksbefragung, die für die Landesregierung nicht bindend ist. Und zweitens soll eine solche Befragung nur bei Projekten möglich sein, die eine gewisse finanzielle Relevanz haben. Man redet von Vorhaben, die Kosten von 25 Millionen Euro überschreiten. Die Landesregierung muss sich wie gesagt an diese Befragungen auch nicht halten. Wenn sie die Courage hat, kann sie einen zweiten Beschluss fassen, der entgegen des Ergebnisses geht. Es ist also vielmehr eine Möglichkeit, dass die Bürger noch einmal ihre Meinung dazu äußern und die Regierung unter Druck setzen können. Aber die Landesregierung ist nicht weiter eingeschränkt, sondern hat weiter freie Hand.

Skeptiker der Direkten Demokratie prophezeien, dass es mit den neuen Bedingungen sozusagen “eine Abstimmung am Tag” geben könnte, sprich, dass die Bürger wirklich überall mitbestimmen wollen und werden. Sind die Südtiroler tatsächlich derart demokratiewütig?
Also diese immense Nachfrage bei den Menschen, sich auf jedes Thema einzulassen und sich bei jeder Frage einzumischen, sehe ich nicht. Ich denke, es gibt Themen – und das zeigt die Flughafenbefragung –, wozu sich die Leute äußern wollen. Und es wäre ja noch schöner, wenn ihnen dieses Recht nicht zugestanden werden würde. Im Übrigen würde etwa bei Gesetzen, die der Landtag mit 2/3-Mehrheit verabschiedet, die Möglichkeit eines bestätigenden Referendums entfallen und damit die Option, dass die Leute darüber noch einmal abstimmen können.

Falls im Landtag keine 2/3-Mehrheit zustande kommt, reichen anstatt der 8.000 Unterschriften auch “nur” 13 Abgeordnete, um eine bestätigende Volksabstimmung über das jeweilige Gesetz zu beantragen. Würde die Opposition im Landtag damit nicht ein sehr starkes Instrument in die Hände bekommen, um Druck auszuüben?
Nun ja, die Mehrheit wäre dazu angehalten, sich andere Mehrheiten im Landtag zu suchen. Was für Südtirol auch nicht ganz ungünstig wäre. Mit unserer Einheitspartei sind wir ja seit 60 Jahren gewohnt, dass alles per Mehrheitsbeschluss durchgedrückt wird. Auf gegenteilige Meinungen geht man im Grunde überhaupt nicht ein. Daher glaube ich, dass diese Neuerung für die politische Kultur des Landes gar nicht schlecht wäre.

Ich glaube, dass die Flughafenbefragung das Interesse der Bevölkerung an Beteiligung ein bisschen geweckt hat.

Aber weniger gut für die SVP? Es kommt schließlich sehr selten vor, dass der Landtag einen Beschluss mit 2/3-Mehrheit trifft.
Das ist heute so, weil sich die SVP nicht im Geringsten darum kümmert, einen breiteren Konsens zu erzielen. Der SVP ist ihre Hälfte genug und der Rest ist ihnen vollkommen egal. Wenn sie sich darum kümmern müssten, eine etwas breitere Mehrheit im Landtag zu finden, schadet ihnen das nicht.

Allerdings rechnen sogar die beiden SVPler, die daran mitgeschrieben haben mit wenig Aussicht auf Erfolg, dass der Gesetzentwurf angenommen wird – zumindest nicht in dieser Form, sondern gegebenenfalls in einer “abgespeckten Version”. Ist der Widerstand innerhalb der Volkspartei zu groß?
Ich finde es ziemlich bezeichnend, dass die SVP solche Angst vor Referenden hat. Sie geht offensichtlich davon aus, dass sie die Referenden verliert. Aber wer sagt das? Wenn ein Gesetzentwurf, der sinnvoll ist, einem Referendum unterzogen wird, dann muss man wohl nicht davon ausgehen, dass man es verliert, oder? Wenn der Vorschlag wirklich sinnvoll ist, dann wird man den Leuten wohl ohne weiters überzeugen können, ihm zuzustimmen. Wenn es hingegen um sinnlose Sachen geht – wie im Falle des Flughafens –, dann steht man natürlich auf verlorenem Posten. Aber dann nimmt die Direkte Demokratie wieder ihre korrigierende Funktion ein. Auf die ich bekanntlich großen Wert lege, nämlich, dass Entscheidungen, die Lobby-getragen oder nicht im Sinne der Allgemeinheit sind, von den Bürgern blockiert werden können. Das bringt der demokratischen Kultur nur Vorteile.

Führt man die Bürger nicht an der Nase herum wenn nach einem groß angelegten Beteiligungsprozess die ganze Arbeit sozusagen umsonst war?
Wenn die SVP diesen Vorschlag im Landtag versenkt, dann zeigt sie halt auch ihr wahres Gesicht. Nämlich, dass ihnen die Meinung der Leute längst schon völlig wurscht ist und das “V” in ihrem Namen längst schon begraben hat. Und falls der Gesetzentwurf tatsächlich versenkt wird, ist es für die Bürger sicher auch ein Wink für die kommenden Landtagswahlen.

Würde die SVP damit den Menschen nicht auch die Lust nehmen, sich überhaupt zu beteiligen?
Wenn dieser Gesetzesvorschlag, der mehr Partizipation ermöglichen sollte, versenkt wird, kann die SVP aufhören, über Partizipation zu reden. Dann können sie auch den Konvent schließen. Aber immerhin wäre es ein nützlicher Hinweis für die Wähler, die dann zumindest wissen, wie die SVP denkt und dass sie kein Interesse an Partizipation hat.

Ihre Unterstützung hat der Vorschlag?
Auf jeden Fall.

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Thomas Benedikter Mar, 10/11/2016 - 21:45

Der jetzt von der AG Direkte Demokratie fertiggestellte Gesetzentwurf ist ein Schritt nach vorne, da hat Paul Köllensperger ganz recht, doch dieser Schritt ist zu kurz, wenn das echte bestätigende Referendum fehlt, auch auf die gewichtigen Beschlüsse der Landesregierung. Um ein Referendum geht es bei 80% der Volksabstimmungen in der Schweiz, es ist die Notbremse in der Hand der Bürger. Eine Volksbefragung kann das nicht ersetzen. Dies ist übrigens in der heutigen DOLOMITEN falsch dargestellt, wenn gesagt wird, 200 Bürger könnten laut Entwurf künftig dieses Referendum erwirken. 200 Bürger können es beantragen, dann aber müssen sie immer die Mindestunterschriftenzahl (angeblich 8.000) in extrem kurzer Zeit sammeln.
Der Bürgerrat wird übrigens in seiner Wirkung überschätzt: in jener Region, wo er in den letzten Jahren am stärksten angewandt wurde, nämlich Vorarlberg, kommt man jetzt immer mehr davon ab, weil sich kaum mehr Bürgerinnen finden, die mitmachen. Die haben nämlich gemerkt, dass nur 2 Tage geredet wird und kein echter Einfluss auf die Politik ausgeübt wird. Das lassen mündige Bürger auf die Dauer nicht mit sich machen.

Mar, 10/11/2016 - 21:45 Collegamento permanente
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Alessandro Stenico Mer, 10/12/2016 - 07:49

Nicht immer ist Direkte Demokratie das Beste für die Umwelt, zwei Beispiele:
Der Volksentscheid über dem E-Werk in der Achenreinschlucht in Ratschings
https://issuu.com/dererker/docs/www.dererker.it/14
http://www.unsertirol24.com/2016/09/09/wipptal-umweltverbaende-kippen-v…
und vor kurzen die Bürgerbefragung für eine Skischaukel am Riedberger Horn.;
http://www.heller-partner.de/news/article/direkte-demokratie-mal-dafuer…
Der Alpenplan ist in Gefahr: 0,001 Prozent der bayerischen Bevölkerung - die betroffenen Orte Balderschwang und Obermaiselstein - stimmten gestern bei einer Bürgerbefragung für eine Skischaukel am Riedberger Horn.
Das Problem: Das Projekt liegt in der „Ruhezone“ C des Alpenplans - einer Zone, in der keine technischen Erschließungen erlaubt sind. Der Alpenplan bewahrt die bayerischen Alpen seit 44 Jahren vor Übererschließungen. Denn: Wird die Landschaft reinen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet, entstehen fatale Folgen für die Natur. Eine Entscheidung für die Skischaukel am Riedberger Horn wäre folglich eine Entscheidung gegen den Alpenplan!
Wir appellieren daher dringend an die Bayerische Staatsregierung: Opfern Sie nicht den Alpenplan!
http://www.alpenverein.de/presse/volksbefragung-riedberger-horn_aid_283…

Mer, 10/12/2016 - 07:49 Collegamento permanente
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pérvasion Mer, 10/12/2016 - 09:29

Klar, und wenn ich anschaue wie gewählte RepräsentantInnen in Ungarn oder Polen entscheiden, habe ich auch Bedenken… und wünsche mir sofort… einen illuminierten Diktator!?!?!?!? Die Unfähigkeit, zwischen Demokratie (direkte oder repräsentative ist einerlei) und den inhaltlichen Entscheidungen zu »unterscheiden« verwundert immer wieder. In der Demokratie geht es nicht um »richtig« oder »falsch« (obwohl es richtig und falsch in manchen Fällen durchaus gibt), sondern um »gewollt« oder »ungewollt«.

Mer, 10/12/2016 - 09:29 Collegamento permanente
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gorgias Mer, 10/12/2016 - 13:30

In risposta a di pérvasion

Wo liegt dann aber der Mehrwert der direkten Demokratie? Der Schlüssel ist doch eine aufgeklärte und interessierte Bürgerschaft. Diese wird durch direkte Demokratie aber nicht erreicht, auch wenn sie gerne von Befürwortern verheißen wird. Die direkte Demokratie schafft mehr Probleme als sie Vorteile hat. Sie bietet dem Populismus einen Königsweg und den regierenden die Möglichkeit sich aus der Verantwortung zu entziehen. Und wenn man von derartig niedrigen Beteiligungen wie in Balderschwang und Obermaiselstein hört, dann ist für mich die Sache ganz entzaubert.
Die direkte Demokratie fordert eine stärkere engagierte Bürgerschaft als die repräsentative. Für viele Sachverhalte braucht es eine Auseinandersetzung im Detail und wird oft nicht durch die gegebenen Fragestellungen gerecht. (Siehe Seilbahn Brixen) Die Idee das über Sachfragen zu entscheiden einfacher ist als Repräsentanten zu wählen ist somit auch trügerisch. Die direkte Demokratie untergräbt auch deliberative Prozesse stärker als die Repräsentative, weil ist einmal die Fragestellung formal fixiert ist es nur noch eine Entscheidung über ein eindimensionales JA/NEIN.

Das große Problem heute ist, dass die Demokratie und die direkte Demokratie noch mehr als Ersatzreligion und Heilslehre verklärt wird. Und nebenbei sind wir keine Demokratie sondern eine Republik (mit demokratisch legitimierten Repräsentanten). Kann man sogar im Artikel eins der Verfassung nachlesen. Wer gegen die direkte Demokratie starke Bedenken ausspricht, ist nicht automatisch für ein autoritäres System. Diese Argumentation führt im Grunde nur zu unsachlicher Polemik.

Mer, 10/12/2016 - 13:30 Collegamento permanente
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Thomas Benedikter Mer, 10/12/2016 - 15:14

Wie pérvasion zu Recht anmerkt, es ist immer derselbe Reflex, der bei DD-Gegnern und DD-Skeptikern wie Gorgias und Peter Lustig abläuft. Sie klauben sich ein Beispiel von Volksabstimmung heraus, bei welchem das Volk (oft weit weg) nicht nach ihrem Geschmack abgestimmt hat. Schneller Schluss: das Volk liegt einfach falsch, es hat keine Ahnung, informiert sich nur über Facebook und dürfte auf keinen Fall über wichtige Fragen abstimmen. Wenn schon über ein Friedensabkommen abgestimmt wird, dann nur aufgeklärte Ausländer, die den vollen Durchblick haben. Man wundert sich, warum Gorgias, Lustig u.a. diesen Menschen überhaupt das Stimmrecht zutrauen.....
Mir passt weder die Brexit-Entscheidung, noch die Ablehnung des Friedensabkommens durch die Kolumbianer. Doch was wisst ihr eigentlich von den Hintergründen dieser Volksentscheide? Was wisst ihr, wieviel an Debatten und Informationen wie land und breit in Kolumbien gelaufen sind? Was genau so vielen Kolumbianern am Abkommen mit der FARC nicht gepasst hat? Warum nur 37,2% überhaupt zu den Urnen gegangen sind? Glaubt ihr wirklich, dass Millionen Briten nur dumpfe Fanatiker sind, die man auf keinen Fall zu irgendeiner politischen Frage außer der Bepflanzung des Stadtparks befragen sollte?
"Nicht immer ist Direkte Demokratie das Beste für die Umwelt" schreibt Sandro Bx, aus dem simplen Grund, dass diese Mitbestimmungsverfahren nicht als Umweltschutzverfahren, sondern als demokratische Rechte eingeführt worden sind. Die Menschen haben eben manchmal andere Prioritäten als den Umweltschutz, haben wir in Südtirol auch schon erlebt, und zwar bei vollem Bewusstsein. Wenn man den Mitbürgern nicht Mündigkeit, ein Grundverständnis der zur Abstimmung stehenden Sachfrage und das Recht auf Mitentscheidung als Souverän zugesteht, dann muss man freilich direkte Demokratie abschaffen. Woher nehmen Sie, Sandro Bx, dann die Sicherheit, dass diese Mitbürger bei der Wahl die "richtige" Entscheidung treffen?

Mer, 10/12/2016 - 15:14 Collegamento permanente
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gorgias Mer, 10/12/2016 - 16:25

In risposta a di Thomas Benedikter

> Mir passt weder die Brexit-Entscheidung, noch die Ablehnung des Friedensabkommens durch die Kolumbianer. Doch was wisst ihr eigentlich von den Hintergründen dieser Volksentscheide? <
Ich habe die Idee des Ausstiegs des Vereinigten Königreiches über Jahre verfolgt und finde das Ergebnis für die EU nur positiv. 1. Weil ein so großes Land wie das Vereinigte Königreich, das im Grunde nie wirklich dabei sein wollte zuerst versucht hat die EWG/EG mit der Freihandelszone EFTA Konkurrenz zu machen und dann der große Bremsblock der europäischen Integration wurde als es beigetreten ist, besser nicht dabei ist. Wenn mehr oder weniger die Hälfte der Bevölkerung eh dagegen ist das ist es besser 52% sind für den Austieg und 48% dagegen als Umgekehrt.
2. Weil die EU nun aufwacht. Hofer spricht nicht mehr vom EU-Ausstieg und nun verhandelt die EU taffer mit der Schweiz, weil diese ja die Personenfreizügigkeit einschränken wollen. 3. Weil man endlich der Sache ins Gesicht sehen muss und entweder man schaut dass es weiter geht oder zulässt dass die Union auseinanderbröckelt.
Und weiter habe ich mit großer Spannung die Debatte in Großbritannien verfolgt. Und man konnte sehen dass die Mehrheit aus einer Mischung aus Desiformation und Resentiment enschieden haben. Am Ende wenn Großbritannien am gemeinsamen Markt teilnehmen will, kann sie wie die dumme Urschel den Entscheidungen der EU hinternachlaufen ohne selbst etwas zu sagen haben. Ich empfehle allen sich den Film "Brexit - The Movie" anzusehen. Dann sieht man was für Blösinnigkeiten das echt blöde britische Volk geglaubt hat.
FARC? Habe ich etwas über FARC gesagt?

Was dem Ergebnissen der Volksabstimmungen angeht, habe ich nichts gesagt, sondern nur über die Wahlbeteiligung. So eine geringe Beteiligung kann man nicht einmal erhalten wenn man es mit Absicht erreichen wolle.

>Wenn man den Mitbürgern nicht Mündigkeit, ein Grundverständnis der zur Abstimmung stehenden Sachfrage und das Recht auf Mitentscheidung als Souverän zugesteht, dann muss man freilich direkte Demokratie abschaffen.<

2/3 der wahlberechtigten Bevölkerung interessiert sich für Politik nur am Rande. Diese ist im Grunde nicht qualifiziert solche Entscheidungen zu treffen. Bei der repräsentativen Demokratie müssen sich die Gewählten ja verantworten in der Öffentlichkeit und es werden ja keine Volksentscheidungen umgesetzt. Nebenbei gibt es auch eine Oposition die für Ausgleich sorgt. Bei der direkten Demokratie braucht es viel mehr Aufwand sinnvoll sich an der Wahlurne zu beteiligen. Das ist nicht der Fall, sonst würde die repräsentative Demokratie eben besser funktionieren und nicht nur als suboptimal bezeichnet werden können. Hier noch direktdemokratische Elemente einzuführen führt zu einer Verschlimmbesserung.

Mer, 10/12/2016 - 16:25 Collegamento permanente
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Alessandro Stenico Mer, 10/12/2016 - 18:27

In risposta a di Thomas Benedikter

Ich kann mich nicht mehr gut erinnern aber zwischen 2012 und 2013 fand in Mals und Taufers in Münstertal eine Bürgerbefragung für oder gegen die hydroelektrische Nutzung des Rambachs und die Befürworter hatten gewonnen.
Zum Glück hatten unsere ehemaligen Landesregierungen in die 70 und 80 Jahre Naturparks in mehrere Teile Südtirols errichtet.
Wenn wir heute zum Beispiel eine Befragung in der Gemeinde Santal zu den Naturparks Sarntaler Alpen organisieren würden, zweifle ich an ein positives Ergebnis.
Siehe negative und positive Beispiele Deutschland:
http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.schwarzwald-buergerbefragung-n…

http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/hunsrueck/aktuell/News-Nat…

Mer, 10/12/2016 - 18:27 Collegamento permanente
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Albert Hofer Mer, 10/12/2016 - 19:56

Was in Thomas Benedikters Beiträgen hier durchschummert ist ein edles Motiv, ein klassischer Gedanke der europäischen Aufklärung. Der Bürger ist der Souverän, er ist gewillt und befähigt selbst über sein Schicksal zu entscheiden. Die früher durch technische Restriktionen nötige repräsentative Demokratie kann nun in diesem glanzvollen neuen Zeitalter des aufgeklärten Bürgers zurückgefahren werden. Partizipative Demokratie an allen Orten ist nun gefragt. So der Tenor...

Ich halte das in vielen Punkten für grundfalsch und stellenweise auch gefährlich. Ich kann das alles nur anschneiden, der grundlegendste Punkt an der Sache ist eine völlige Unterschätzung der Vorteile eines typischen "Parteienstaats", in dem sehr ausgeprägte Ausgleichsbemühungen diverser Strömungen auf ihrer Mehrheitsbeschaffungssuche dafür sorgen können, dass differenzierte und auf Konsens bedachte Positionen letztendlich meist die Oberhand behalten. Eine 51-%-Mehrheit, die per Ja-Nein-Frage eine 49-%-Minderheit niederstimmen kann, ist das Gegenteil des Bemühens um Ausgleich zwischen diversen Interessengruppen.

Auch diese Illusion des aufgeklärten Bürgers, der das beste für die gesamte Gesellschaft will, ist natürlich allzu leicht als Irrlicht zu enttarnen. Nein, es ist viel zu einfach, das am Beispiel Schweiz runterzubrechen, wo die Milliardärspartei SVP mit ihren populistischen Ablenkungsmanövern seit vielen Jahren mit dem Rest des politischen Spektrums Schlitten fährt.

Am Ende des Tages kann es bei der Auseinandersetzung repräsentative vs. direkte Demokratie nur um eines gehen: um die Qualität der Entscheidungen. Besonders gut ablesbar sind etwaige Defizite diesbezüglich bei Fragen, wo es um persönliche ökonomische Interessen im Gegensatz zu abstrakteren Gütern ohne direkte Nutznießer geht. Ein klassisches Themenfeld ist der Naturschutz. Hatten wir doch alles schon in Südtirol... Gemeinden, die durch das Versprechen billigeren Stroms die Vernichtung eines Naturdenkmals oder die Verbauung eines naturbelassenen Bachs in Kauf genommen haben. Waren die Bürger etwa schlecht informiert oder unmündig? Nein, sie haben bloß mutwillig ihre in Euroscheinen messbaren Privatinteressen in der Vordergrund gestellt. Etwas anderes stand nicht zu erwarten.

Mer, 10/12/2016 - 19:56 Collegamento permanente
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Georg Mair Gio, 10/13/2016 - 23:17

In risposta a di Albert Hofer

"Nein, sie haben bloß mutwillig ihre in Euroscheinen messbaren Privatinteressen in der Vordergrund gestellt. Etwas anderes stand nicht zu erwarten." nur um diesen Punkt etwas entgegen zu setzen: Das Schweizer Stimmvolk hat für den Gotthardbasistunnel gestimmt, obwohl klar war, dass die Steuern dafür erhöht werden müssen, dass er sich nie komplett refinanzieren wird und dass es deswegen nicht weniger Verkehr Gotthard-Strassentunnel geben wird.
Es wird immer Entscheidungsergebnisse geben, die jemanden nicht passen. Einmal zahlt die Umwelt drauf und einmal die Wirtschaft und einmal noch jemand anders. Es wird aber immer auch Gewinner geben.
Stellen wir uns mal vor, die Deutschen dürften über ihre Kohlesubventionen abstimmen? oder noch schlimmer - die Ökostromsubventionen? Das finde ich hochspannend. Und falsche Entscheidungen gibt es auch auf höchster Politischer Ebene.
Und übrigens: die Schweizer (Miliardärspartei) SVP hat die letzten Abstimmugen zum grossen Teil verloren. So unmündig scheint der Bürger also doch nicht zu sein, als dass er sich von Populisten blenden lässt.

Gio, 10/13/2016 - 23:17 Collegamento permanente