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„Abschuss ist kein Tabu“

Der Wildbiologe Paolo Molinari über die Gefahr der Wölfe, den Abschuss als letztes Mittel und die Chancen eines Südtiroler Sonderweges.
Paolo Molinari
Foto: Paolo Molinari

Salto.bz: Herr Molinari, die Debatte um Wolf und Bär erhitzt die Gemüter in Südtirol. Panikmacherei oder ist Südtirol wirklich ernsthaft bedroht?

Paolo Molinari: Ein bisschen was von beiden. Sicher gibt es viele Personen, die aus Unwissen oder Unkenntnis diese Diskussionen hochspielen. Dennoch haben wir es mit einem ernsthaften Problem zu tun. Von der Rückkehr der Wölfe in Südtirols Wälder wusste man schon länger. Der Wolf ist eine autochthone Tierart, die zu unserer Fauna gehört, auch dann wenn der Wolf bei uns fast 100 Jahre ausgestorben war. Die Rückkehr des Wolfes stellt die Bevölkerung jetzt vor neue Herausforderungen. Obwohl die aktuellen Probleme hauptsächlich Jäger und Landwirte betreffen, lassen sie letztlich kaum jemand kalt. Die Sorgen der Menschen sind legitim und man muss sie ernst nehmen. Es gibt aber Lösungen, wenn auch nicht einfache.

Sie sagen, der Wolf ist nach langer Abwesenheit wieder „nach Hause“ gekommen?

Die Rückkehr der Großraubtiere ist sicher ein Erfolg, auch für den Umgang des Menschen mit der Natur. Wie viele Tiere in einer Region tragbar sind, hängt von der Besiedelung und der  landwirtschaftlichen Nutzung der Gebiete ab. Der Fachbegriff dafür ist: die biologische Kapazität. Diese gibt an, wie viele Wölfe und Bären in einer Region beherbergt werden können. Eine Rolle spielt auch die soziale Akzeptanz. Hier gilt Südtirol als Paradebeispiel. Auch wenn dutzende Wölfe in Südtirol „Platz“ hätten, so ist diese Zahl nicht eins zu eins übertragbar. Um zu ermitteln, wie viele Wölfe ein Gebiet wie Südtirol verträgt, muss auch die Land- und Almwirtschaft in Betracht gezogen werden. 

 

Wie gefährlich ist der Wolf für den Mensch?

Potentiell geht von Wölfen zwar eine gewisse Gefahr aus, sie jagen aber keine Menschen oder greifen Kinder an, wie oft befürchtet wird. Für ein Kind ist ein Wolf genau so gefährlich wie ein Haushund. Unfälle mit Weidevieh und Hunden fordern oft Todesopfer, da gibt es auch keine Panikmacherei. Das sind Dinge die einfach passieren, die kann man nicht als Maß aller Dinge nehmen.

Sehr viele Menschen, die in Städten weitab von betroffenen Regionen leben, sind strikt gegen einen Abschuss. Ausschließen sollte man einen Abschuss aber von vorn herein nicht.

Was können die Bauern zum Schutz ihrer Tiere tun?

Pauschal kann ich gar nichts sagen. Die Landwirtschaft in Südtirol ist vielfältig. Deshalb kann man nicht von einer einheitlichen Schutzmaßnahme sprechen, die für alle gleich ist. Es kommt darauf an, ob Kühe, Pferde oder Schafe gehalten werden und ob diese auf der Alm oder im Tal weiden. Alm ist auch nicht gleich Alm. Auf flachen, leicht erreichbaren Almen könnten Hirtenhunde oder Zäune helfen. Aber nicht überall sind diese präventiven Maßnahmen möglich. De facto gilt, dass es Gebiete gibt, in denen Prävention möglich ist und diese sollten dementsprechend ausgewiesen werden. Es muss aber akzeptiert werden, dass diese Schutzmaßnahmen nicht überall umsetzbar sind. Für manche Gegenden muss man andere Lösungen finden.

In Südtirol redet man vom Abschuss?

Für die Bauern stellen Bären und Wölfe eine Bedrohung dar. Beim Bär ist dies nicht so akut. In näherer Zukunft wird es auch in Südtirol unvermeidbar sein, den Wolfbestand zu regulieren. Ich meine damit, dass man bei großen Problemen Wölfe auch tötet. Das Ziel ist die Erhaltung einer Tierart in den Alpen. Es geht dabei um die Wolfspopulation per se und nicht um Einzeltiere. Der Wolf ist in seiner Art nicht bedroht und einige Verluste kann die Wolfspopulation ohne größere Probleme auf sich nehmen. Deshalb soll ein Abschuss nicht tabuisiert werden.

Jetzt werden die Tierschützer aufjaulen. Kann man einen Wolf nicht betäuben, einfangen und wieder aussetzen?

Ich persönlich finde das, erlauben Sie mir den Ausdruck, totalen Unsinn. Das ist ein sozialer und politischer Kompromiss, um die Bauern und Jäger auf der einen Seite und die radikalen Umweltschützer auf der anderen Seite, zu befriedigen. Das funktioniert nicht. Einen Wolf zu fangen bedeutet viel Aufwand, Professionalität und Kosten. Was macht man dann mit den Wölfen? Wer will diese Wölfe? Wo steckt man sie hin? Wir regulieren Rotwildpopulationen, warum sollten wir nicht auch Wölfe, wenn die Populationsdynamik auf einen guten Stand ist, ab und zu anhand von kontrollierten Abschüssen regulieren dürfen? Als Experte finde ich das nicht problematisch.

Stehen Sie mit dieser Meinung alleine da?

Nein. Dieses Konzept ist auch Teil des neuen Managementplans in Italien. Es scheitert jedoch an der legalen Verabschiedung des Planes. Das Thema Wolf ist emotional sehr aufgeladen und stößt deswegen häufig auf politische und soziale Sensibilitäten. Dazu entscheidet in einer Demokratie die Mehrheit und sehr viele Menschen, die in Städten weitab von betroffenen Regionen leben, sind strikt gegen einen Abschuss. Ausschließen sollte man einen Abschuss aber von vornherein nicht. Es ist ja nicht so, als würden Wölfe wahllos abgeschossen werden. Der Abschuss wird als letztes Mittel in Betracht gezogen. Ein Teil des Problems wäre damit gelöst.

Südtirol steht mit der Forderung jedoch nicht allein da. Auch andere Regionen haben sich bereits überlegt die Richtlinie in der Form zu überdenken.

Das Problem dabei sind aber die europäischen Richtlinien. Die Frage ist deshalb, kann Südtirol hier einen eigenen Weg gehen?

Ich bin Wildbiologe und Großraubtierexperte und kein Jurist. Die Lockerung der Richtlinie auf europäischer Ebene ist für die vergleichsmäßig kleine Region Südtirol kein Honigschlecken. Südtirol steht mit der Forderung jedoch nicht allein da. Auch andere Regionen haben sich bereits überlegt die Richtlinie in der Form zu überdenken. Wie bereits erwähnt, geht es dem Wolf in seiner momentanen Populationsdynamik recht gut, der Schutzstatus könnte also zurückgestellt werden. Man kann aber sicher nicht pauschal „nein“ zum Wolf sagen. Wichtig ist, dass jede Region Europas einen Beitrag zur Artenerhaltung in den Alpen leisten muss. Die Taktik „Rosinen rauspicken“ wird politisch nicht durchsetzbar sein.

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Sepp.Bacher Ven, 09/01/2017 - 18:09

Auch Paolo Molinari scheint so langsam zur Vernunft zu kommen. Vor wenigen Tagen hat er in einem Radiointerview noch eine radikalere Meinung vertreten!
Ich verstehe nicht ganz, warum man nicht einen Plan für den Stilfserjoch-Nationalpark erarbeitet und dort den Großraubtieren einen Lebensraum schafft. Nationalparks wurden auch zu diesem Zweck gegründet. Sicher sind die Täler im Nationalpark auch stark besiedelt und bewirtschaftet, aber man könnte dort einige geforderte Programme ausprobieren. Außerdem gibt es dort eh schon eine große Zahl an Beutewild, das sonst abgeschossen werden muss, damit es den Wald nicht schädigt. Bei Wildtieren haußen die Großraubtieren auch nicht so wild und hinterlassen kein blutiges, grausiges "Schlachtfeld".
Ob es auf den Bergweiden gelingt, Ziegen, Schafe und Kälber zu schützen, bezweifle ich. Erst vor wenigen Tagen hat ein Schafhirte aus den Südbalkan in einem TV-Doku berichtet, dass ihm der Wolf trotz seiner Anwesenheit und trotz der Hunde sieben Schafe gerissen habe.

Ven, 09/01/2017 - 18:09 Collegamento permanente