Politica | Interview

“Meran ist ein Übungshang”

Halbzeit für Paul Rösch. Die Erfolge, die Visionen, die Gegner und die Lehren des Meraner Bürgermeisters, der seine Stadt wieder zu einer “liberalen Insel” machen möchte.
Paul Rösch
Foto: Stadtgemeinde Meran

Sein Zebra-Kostüm hängt inzwischen im Kleiderschrank. Als Zebra verkleidet, so hat Paul Rösch 2015 erstmals die politische Bühne betreten. Und wurde, für viele überraschend, zum Bürgermeister von Meran gewählt. Mit 60,7 Prozent konnte sich der damals 61-Jährige am 24. Mai 2015 in der Stichwahl gegen den SVP-Kandidaten Gerhard Gruber durchsetzen. Als ehemalige Hochburg der Volkspartei fiel die zweitgrößte Stadt des Landes in die Hände eines absoluten Polit-Neulings.
Am heutigen Montag ist Paul Rösch mit Vizebürgermeister Andrea Rossi, der ebenso wie der Bürgermeister der Liste Rösch angehört, in Rom. Meran kandidiert für die Kulturhauptstadt Italiens 2020 – und hat es unter die letzten zehn Bewerber geschafft. Bis 2020 dauert auch Röschs Mandat als Bürgermeister. Anlass, Halbzeitbilanz zu ziehen.

salto.bz: Herr Rösch, haben Sie sich erwartet, nach zweieinhalb Jahren noch im Amt zu sein?

Paul Rösch: Ja. Ich bin immerhin angetreten, um fünf Jahre Bürgermeister zu sein.

So selbstverständlich schien das anfangs nciht. 2016 haben Sie selbst vom SVP-internen Ultimatum berichtet, dass dem Rösch bis zur 700-Jahr-Feier 2017 der Garaus gemacht werden soll.

Ist eh gut gegangen (lacht).

Die Jubiläumsfeier ist vorbei, Sie sind immer noch da. Hatten Sie nie das Gefühl, das packe ich nicht, jemand wird mir in den Rücken fallen?

(überlegt) Nein, eigentlich nicht. Im Christentum heißt es: Nach jeder Kreuzigung kommt die Auferstehung. Das klingt komisch, was ich jedoch meine: Man kriegt auf die Löffel, aber das macht stark, bringt dich weiter. Ich verstehe vollkommen, dass ein Bürgermeister Paul Rösch der SVP nicht ins Konzept gepasst hat und ich weiß, dass man sich tatsächlich überlegt hat, wie man mich absägen könnte. Aber ich habe nie daran gezweifelt, weiter zu machen. Wenn man ehrlich und guten Willens arbeitet, können die Leute einem auch einen Ausrutscher verzeihen.

Ich bin zu sehr Ausdauersportler um umzufallen. Der Marathonläufer weiß: Der Marathon fängt bei Kilometer 37 an.

Wenn Sie Ihre bisherige Amtszeit in einem Wort zusammenfassen müssten, welches wäre das?

(überlegt) Bewusstsein. Das Bewusstsein, für eine Stadt und ihre Entwicklung verantwortlich zu sein, ist etwas Schönes. Aber ich war mir nicht bewusst, dass das Spektrum an Verantwortung, die ein Bürgermeister hat, so breit ist. Ich war mir auch nicht bewusst, wie kompliziert das Schiff “Gemeindeverwaltung” ist. Es ist zwar langsam, aber arbeitet gut. Von außen betrachtet realisiert man nicht, wie durchdacht jede Entscheidung ist. Eine Gemeinde wird immer als Bürokratiehaufen wahrgenommen. Hier arbeiten aber Menschen, die auch in der Privatwirtschaft eine gute Figur machen würden. Diese Effizienz und Kompetenz haben mich sehr überrascht.

Das eine ist die Verwaltung, das andere die Politik.

Die Politik hat die Aufgabe, die Menschen zu vertreten und vorzudenken – nicht nur Löcher zu stopfen, wie es häufig passiert, sondern weitsichtig zu sein. Mein Auftrag und der der Politik ist es, sich Gedanken zu machen: Wie steht Meran in 30 Jahren da? Meine Tochter ist jetzt 16 Jahre alt – wie findet sie Meran vor, wenn sie einmal 40 ist? Wohin entwickelt sich die Stadt? Sind die Menschen, sind die Betriebe vorbereitet auf die Zukunft? Zentrale Themen sind zum Beispiel Digitalisierung, die Frage nach einem zukunftsfähigen Konzept für den Tourismus, vom Verkehr ganz zu schweigen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen und klare Ideen haben beziehungsweise entwickeln.

Wir, das sind in erster Linie Sie und Ihre Regierungspartner: Liste Rösch, Grüne, SVP, PD, Alleanza per Merano. An der Spitze steht eine siebenköpfige Stadtregierung, deren Zusammensetzung 2015 nicht reibungslos vonstatten gegangen ist. Es war ein Kräftemessen mit der SVP, die nun zwei Assessoren stellt. Wie erleben Sie die gemeinsame Regierungsarbeit?

Schauen Sie, am Anfang war ganz klar: Es war ein Schock für die, dass da plötzlich einer als Bürgermeister daher kommt, der neu war, der keine Ahnung hatte. Das kann ich nachvollziehen, aber vielleicht hatten sie sich einen Schock verdient.
Am Anfang war es entsprechend schwer für mich als jemand, der nie in einer Partei war. Was nicht unbedingt schlecht war, denn plötzlich mussten die umdenken.

Wen meinen Sie mit “die”?

Die Parteien, ob das nun die SVP ist oder der PD. Es hat ein völlig neues Denken Einzug gehalten. Klar, wir streiten im Stadtrat, aber: Wir finden eigentlich immer eine Lösung, die nicht für die Parteien gut geht, sondern für Meran. Es ist klar, dass eine SVP in vielen Sachen anders denkt, zum Beispiel beim Verkehr. Als Massenveranstaltung, die sie als Partei sind, haben sie die Bauern, die Arbeitnehmer, die Wirtschaftstreibenden – und die streiten ja untereinander auch!

Kriegen Sie das im Stadtrat mit?

Die beiden Stadträte der SVP werden von ihrem jeweiligen Flügel geimpft, hinter denen alle möglichen und ganz unterschiedliche Interessen stecken. (Gabi Strohmer kommt aus der SVP-Wirtschaft; Stefan Frötscher von den SVP-Arbeitnehmern, Anm.d.Red.)
Da ist es verständlich, dass man manchmal aufeinander prallt. Aber ich muss sagen, dass die Arbeit im Stadtrat doch ganz gut läuft – die beiden setzen sich ja auch sehr durch. Und es ist noch nie passiert, dass wir etwas nicht durchbekommen hätten, was vorher nicht gemeinsam vereinbart war. Natürlich hat jeder andere Prioritäten, aber alles, was im Regierungsprogramm drinsteht, läuft.

Ich bin auch gegen die Art, mit Ellbogen und von oben herab, Politik zu machen angetreten.

Den ein oder anderen Stolperstein hat man Ihnen schon in den Weg gelegt. Da war die Tiefgarage am Theaterplatz. Einige SVP-Heckenschützen wollten das Projekt gegen den Willen Ihrer Unterstützer durchbringen.

Das war ganz klar eine Aktion, mich abzusägen. Ganz eindeutig. Das war ein Versuch, mich wegzubekommen. Zugeben will man es nicht, aber für mich besteht kein Zweifel.

Gerettet, wenn man so sagen will, hat Sie die Opposition. Ist das etwas, was den Bürgermeister Paul Rösch auszeichnet? Dass er es schafft, über Partei-, Koalitions- und ideologische Grenzen hinweg Konsens zu schaffen?

Das wäre das Ziel. Mit Parteispielchen tue ich mich unheimlich schwer. Ich kann sie zwar nachvollziehen, aber schon beim Wählen hatte ich immer Schwierigkeiten, weil ich mich für eine Partei entscheiden muss und nicht für Personen, die mir gefallen würden. Ich schätze einzelne Menschen, die sich bemühen und denen ich vertrauen kann. Auch in der SVP gibt es Leute, die nicht anders denken als ich. Genauso wie es unter den Italienern Personen gibt, die engagiert sind und mit denen ich manches Mal gerne zusammenarbeiten möchte. Aber nein, die sitzen ja in der Opposition! Es ist wie gegen eine Wattewand rennen.

Dennoch spielt die Opposition inzwischen eine besondere Rolle in Meran. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass immer wieder oppositionelle Anträge angenommen werden.

Eine der klügsten Sachen, die wir im Gemeinderat gemacht haben, war Francesca Schir vom Movimento 5 Stelle als Gemeinderatspräsidentin einzusetzen. Es herrscht ein ganz anderes Diskussionsniveau, es wird nicht herumgeschrien. Früher verließen viele den Gemeinderatssaal sobald jemand aus der Opposition das Wort ergriff. Heute ist niemand mehr in der Bar, der Saal leert sich nicht mehr. Und erst gestern (Mittwoch, Anm.d.Red.) haben wir erneut mehrere Anträge der Opposition angenommen.

 

 

Politik sollte vom Parteidenken abkehren und die Personen in den Mittelpunkt stellen, sagen Sie. Nun werden Sie, vor allem von den Medien, gern als “Grüner Bürgermeister” bezeichnet. Sehen Sie sich selbst als solcher?

Nein, das bin ich nicht. Ich habe kein Parteikartl, gehe zu ihren Sitzungen nicht hin. Für mich sind die Grünen die, die mir am nächsten sind. Auch mit der SVP hätte ich kein Problem, da sind nur zwei Sachen: Sie sind für die Minderheiten zuständig, die deutsch- und ladinischsprachige. Ich fühle mich hingegen für alle Meraner Bürger zuständig. Und es gibt in der SVP für meinen Geschmack zu viele Strömungen, die einen zerreiben würden.
Die Grünen sprechen eine ähnliche Sprache wie ich, ich teile den Grünen Gedanken, aber ich bin der Paul Rösch, der in Meran aufgewachsen ist, der die Stadt gern hat, all ihre Vorteile genossen hat und Meran nun etwas zurück gibt.

Aus reiner Selbstlosigkeit machen Sie das nicht.

Ich weiß, es klingt pathetisch, wenn man das als Bürgermeister sagt. Schließlich verdiene ich 5.000 Euro netto. Das ist viel für mich. Als Touriseum-Direktor habe ich halb so viel bekommen. Aber ich sage Ihnen, man hat sich dieses Gehalt als Bürgermeister verdient (lacht). Es ist ein bein-, beinharter Job. Man muss einiges aushalten und die Familie ist auch nicht wahnsinnig glücklich damit.

Aushalten müssen Sie auch die regelmäßigen Attacken der Civica. Die Liste um die beiden ehemaligen Vizebürgermeister Diego Cavagna und Giorgio Balzarini war Ihr Wunschpartner in der Koalition. Auf Druck der SVP hin haben Sie davon abgelassen und mit Alleanza per Merano eine italienische Rechtspartei ins Bündnis geholt. Wie schmerzhaft war das?

Am Anfang hat es mir weh getan, weil mir die Civica näher ist als ein Nerio Zaccaria (Stadtrat von Alleanza per Merano, Anm.d.Red.). Aber heute kann ich sagen, Zaccaria ist jemand, der sehr sehr viel arbeitet – für alle, egal ob deutsch oder italienisch. Ich bin sehr beeindruckt von ihm. Nichtsdestotrotz ist es mir schwer gefallen, die Civica für die Rechten zu opfern. Aber die Regierungskoalition stand auf Messers Schneide und die SVP wollte ihren alten Regierungspartner partout nicht mehr haben. Kaum war klar, dass die Civica draußen bleibt, haben die Attacken begonnen.

Haben Sie die überrascht?

Da habe ich als Unbedarfter beinhart lernen müssen. Nach einem Jahr hat die Civica sogar ein Heft zusammengestellt: “le cose che il sindaco ha fatto, purtroppo, e quelle che non ha fatto, purtroppo”. Das war schon happig, nach dem Motto “Willkommen im Club”. Spätestens da habe ich gemerkt, denen geht es nicht um Meran, sondern um ihre Partei. Ich hatte mir erwartet, dass man trotzdem die Zusammenarbeit mit mir sucht. Aber das ist nie passiert, es wurde immer signalisiert: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und das ist es, was mir an den Parteien absolut missfällt. Wenn ich gewählt werde, egal ob ich an die Regierung oder nicht: Ich bin für Meran verantwortlich. Kontrolle durch die Opposition ist wichtig und gut, aber ich würde mir wünschen, dass sich die Leute, die gewählt werden, für die Stadt einsetzen.

Kultur ist nicht nur die tolle Oper, sondern auch, wie wir beide gerade miteinander reden

Wie wünschen Sie sich, dass Meran in 30 Jahren aussieht?

Ich möchte aus Meran das machen, was es schon einmal war: eine liberale Stadt, die weit über sprachlichen Geschichten steht. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Meran fünf verschiedene Kirchen, wir waren eine liberale Insel. Das würde ich gern weiterführen. Die Meraner waren immer offene Leute, sind hinaus in die Welt gegangen
Das mag pathetisch klingen, aber mir schwebt das Bild der Gehstadt vor, die Meran bereits war: die Kurstadt, ein Ort, an dem Touristen wie Einheimische durch Parks, über Weganlagen und die Promenaden schlendern. Heute sind wir dabei, ein eigenes Konzept dafür zu entwickeln, um diese Tradition wieder zu beleben.

Um noch mehr Touristen anzuziehen?

Meran soll keine Eventstadt werden. Meine Vorstellung ist die einer gesunden Stadt, in die Leute von außen kommen, aber zugleich sollen unsere Leute hier bleiben. Ich sehe Meran als Ort, an dem man reflektiert, tüftelt und schafft, sich entwickelt. Wir müssen die Offenheit haben, kluge Leute anzuziehen, auch junge.
Bozen ist Handelsstadt, wir müssen Kulturstadt werden. Die sind wir zum Teil schon, aber um es mit Joseph Beuys zu sagen: ein Ort der permanenten Konferenz. Sie werden glauben, ich bin ein Träumer. Aber es geht viel weiter.

Das Wort “Macht” ist mir ganz, ganz, ganz fremd.

Nun sind Sie nicht nur wegen Ihrer Träume und Visionen gewählt worden. Politik muss sich um konkrete, alltägliche Probleme im Heute kümmern. Dafür haben Sie ein hart ausgehandeltes Regierungsprogramm. Sind Sie zufrieden, was bisher geschafft wurde?

Im Stadtrat haben wir uns gemeinsam angeschaut, was wir in den zweieinhalb Jahren umgesetzt haben. Wir haben alle Punkte mit Smileys versehen: Grün für Punkte, wo wir die Ziele vollständig erreicht haben, Gelb für solche, die teilweise umgesetzt wurden und Rot für jene, die noch umzusetzen sind.

Wie ist das Programm zweieinhalb Jahre später eingefärbt?

Es gibt 47 grüne Punkte, die abgeschlossen sind, die wir also umgesetzt haben. 95 sind gelb, an denen wird gerade gearbeitet. 12 sind rot, die fehlen uns noch. Zum Beispiel die Tiefgarage am Bahnhof. Sie haben mich vorhin gefragt, wo ich hin will: Es braucht Träume dazu. Und dann sind die realistischen Geschichten.

Die viele Menschen dringender interessieren dürften. Und um die Sie sich als Bürgermeister auch kümmern müssen.

Natürlich. Wir haben in Meran etwa einen Mangel an Plätzen für Senioren. Es ist eine Schande für eine Stadt, dass sie ihre betagten Bewohner in den umliegenden Dörfern unterbringen muss. Nun ist es uns gelungen, dass uns der Deutsche Orden innerhalb der kommenden zwei Jahre eine Struktur mit 150 zusätzlichen Plätzen schafft, mitten in der Stadt. Vielleicht denke ich da auch ein bisschen an mich selbst: Ich bin jetzt 63 Jahre alt (lacht).
Ein weiterer Punkt sind die Schulen. Die Städte, Meran, aber auch Bozen, hinken weit hinterher. Nicht umsonst stecken wir einen Großteil der Haushaltsgelder in die Schulen. Wir bauen zum Beispiel ein neues Schulzentrum in Untermais, weil wir 2023 das Schulgebäude der Englischen Fräulein am Sandplatz verlassen müssen.

Stichwort Schule – ein immer wieder aktuelles Thema und heißes Eisen. Ist die Zeit Ihrer Meinung nach reif für ein mehrsprachiges Bildungssystem? In Meran wird ja bereits ein Konzept umgesetzt, das sich revolutionär für Südtirol anhört: ein gemeinsames Gebäude für die deutsch- und italienischsprachige Schule.

Inwieweit wir uns als Gemeinde in die Schulpolitik einmischen dürfen, weiß ich nicht. Aber im neuen Schulzentrum in Untermais werden wir zumindest räumliche Möglichkeiten schaffen. Vor Kurzem war ich in einem deutschsprachigen Kindergarten, wo es nur ein einziges deutschsprachiges Kind gibt. Die anderen sind alle neue Meraner. Damit will ich sagen: Für die Verantwortlichen ist es sicherlich schwer, damit umzugehen. Aber die Situation ist eh schon absurd, vor allem die Realität in den Städten.

Die Reaktion ist dennoch häufig, trennen, sich “schützen” zu wollen. Anstatt gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen. Hat Meran das Zeug dazu, eine Vorreiterrolle einzunehmen?

Ich glaube, dass ein System, das überflüssig ist, irgendwann kippt wenn man unten ganz viel Arbeit leistet. Es ist ein vermutlich unpassendes Beispiel, aber: Boxer boxen nicht immer gleich auf das Gesicht, sondern auf andere Körperstellen, die tiefer liegen – bis der andere zu Boden geht. Ich glaube daran, dass wir eine Modellstadt sind, aber es liegt noch ganz viel Arbeit vor uns, um uns weiterzuentwickeln und wirklich ein Vorbild zu sein.

Nicht nur für Südtirol, sondern auch darüber hinaus? Meran bewirbt sich als “kleines Europa in Italien” für die Kulturhauptstadt Italiens 2020.

Meran ist einer der wenigen Orte in Europa, in der zwei Sprachgruppen gleichermaßen stark vertreten sind: 50-50. Wir sind ein Übungsfeld in Sachen Zusammenleben und an einem guten Punkt. Als Flüchtlinge nach Meran kamen, gab es kein großes Aufsehen, viele Vereine und Menschen sind hin, um zu helfen. Genau in diese Richtung müssen wir weitergehen. Für mich ist es bereits toll, dass wir es unter die letzten zehn Städte geschafft haben. Wir können als Modell für die die convivenza, das Zusammenleben fungieren – das ist die Zukunft Europas. Kann sein, dass wir mit diesem Konzept überzeugen.

Wie genau wollen Sie in Rom überzeugen?

Neben der Abordnung aus Meran wird in Rom der junge Meraner Filmemacher anwesend sein, der das Bewerbungsvideo gedreht hat. Und wir haben zwei Testimonials gewinnen können: Reinhold Messner und Arno Kompatscher.
Südtirol kennt Italien, aber Italien kennt Südtirol nicht. Deshalb ist es mir auch wichtig zu zeigen: Was wir hier haben, haben wir nicht, weil wir von Rom viel Geld bekommen, sondern weil wir es uns selbst erarbeiten – auch wenn das Zusammenleben nicht immer einfach ist, sondern eine tägliche Herausforderung. Das ist eine Botschaft, die wir mit unserer Bewerbung vermitteln wollen. Und ist bekanntlich auch dem Landeshauptmann ein großes Anliegen, daher finde ich es toll, dass er hinter der Sache steht.

So selbstkritisch bin ich schon, dass ich weiß, dass ich die Wahrheit nicht gepachtet habe.

Sie wurden als Polit-Newcomer ins Bürgermeisteramt gewählt. Haben Sie diese zweieinhalb Jahre verändert?

Eigentlich nicht. Ich fühle mich inzwischen sehr sicher, weiß, wem ich vertrauen kann und wem nicht. Auch das habe ich auf die ganz harte Tour lernen müssen. Ich selbst bin zu alt als dass ich mich verändern würde. Meine Werte sind dieselben geblieben. Aber eine ganz dicke Haut habe ich mir zugelegt. Wobei man aufpassen muss, dass eine dicke Haut nicht das Rückgrat ersetzt. Das Rückgrat muss immer gerade sein.
Ein dickes Fell brauche ich etwa wenn ich auf Facebook so manche Kommentare lese. Die muss ich einfach wegstecken. Es gibt auch Personen, die mir einmal sehr nahe waren und die mich nicht mehr grüßen – vielleicht weil ihnen ein Parkplatz genommen wurde. Tja, das ist Teil dieses Jobs. Dafür darf – ich betone darf – man mitentscheiden. Dieser Job ist eine Ehre, den ich mit sehr viel Demut mache.

Sie sagen, die Politik hat Sie nicht maßgeblich verändert. Haben Sie umgekehrt die Politik und Meran verändert?

Das traue ich mich nicht zu behaupten. Was ich sicherlich verändert habe, ist das Umfeld, den Umgang miteinander. Im Stadtrat, aber auch im Gemeinderat und in den Kommissionen wird auf höchstem Niveau diskutiert, man nimmt sich ernst. Auch wenn es im Stadtrat mitunter sehr humorvoll zugeht. Ich bin absolut überzeugt, dass Humor der Schwimmgürtel des Lebens ist. Humor bremst vieles ab, er zieht nicht alles ins Lächerliche – im Gegenteil. Intelligente Menschen lachen.
Und im Rahmen der 700-Jahr-Feier wurde viel gesät, was die Stadt und ihre Menschen zusammenwachsen, ein Wir-Gefühl entstehen lassen kann. Ich glaube, dank der vielen Initiativen öffnet sich etwas.

À propos “Wir-Gefühl”, Klammer auf: Was halten Sie vom Doppelpass?

Ich hätte gern den isländischen Pass und den norwegischen! Fünf Pässe hätte ich gern (lacht laut)! Scherz beiseite, ich glaube, wir haben andere Probleme.

 

 

Klammer zu. Werden Sie 2020 wieder für das Bürgermeisteramt kandidieren?

Wenn ich’s nicht weiß… Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wie ich das meine: Ich habe mich erstmal für fünf Jahre zur Verfügung gestellt. Und für mich als neugierigen Menschen ist es eine wirklich eine beeindruckend tolle und vielfältige Arbeit. So schön sie ist, so aufreibend ist sie. Es ist ein ganz anderes Leben. Viele Dinge, die ich vorher gemacht habe, bleiben auf der Strecke. Ich lese zum Beispiel unheimlich gerne, früher jede Woche ein Buch. Jetzt stapeln sie sich zuhause.
Mir gefällt meine Arbeit und ich möchte wirklich gerne weitermachen. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass sich die Dinge ganz schnell ändern können. Es sind noch zweieinhalb Jahre, in denen kann ganz viel passieren. Und ich bin sehr selbstkritisch und weiß auch, dass viele Menschen wahnsinnig verärgert sind über gewisse Dinge, gerade wenn ich an den Verkehr denke. Zum Beispiel die Einführung von Tempo 30 in der Stadt. Ich finde das richtig – aber wieviele Leute sind verärgert? Und werden sie das aushalten? Ich kann mir vorstellen, dass jemand in zweieinhalb Jahren immer noch der Meinung sein wird, dass das ein Blödsinn ist. Und es gibt andere solche Sachen, wo ich mich frage, ob meine Werte, meine Vorstellungen, wirklich das sind, was Meran braucht. Die kommenden zweieinhalb Jahre werde ich meine Werte, für die ich ja gewählt wurde, durchsetzen. Und dann wird man schauen müssen.

Kurzum, Sie befürchten, Sie könnten sich derart unbeliebt machen, dass Ihnen die Wähler davonlaufen?

Nein, so ist das nicht. Nichts von dem, was ich mache, tue ich, um wiedergewählt zu werden. Sondern weil ich es für wichtig und richtig halte. Zweieinhalb Jahre sind lang, die bisherigen waren es und die kommenden auch.

Ohne Kirchturmpolitik betreiben zu wollen: Die Stadt ist heute schon schön und lebenswert. Aber es steckt noch viel Potential in ihr.

Weniger lange dauert es bis zu den nächsten Landtagswahlen. Höhere politische Ambitionen haben Sie nicht?

Nein, absolut nicht. Dafür bin ich nicht gemacht. Ich bin jemand, der zu den Leuten hingeht, mit ihnen redet und sich um ihre Anliegen kümmert. Der Landtag wäre mir zu weit weg, ich bin auch kein Gesetzesreiter – ich kann das nicht und das interessiert mich auch nicht.

Haben Sie schon entschieden, wem Sie bei den Parlamentswahlen am 4. März Ihre Stimme geben?

Soll ich Ihnen das sagen? (lacht) Jetzt muss ich überlegen, ob ich das verraten soll. Besser nicht (schmunzelt).

Ist es so offensichtlich, dass Sie Grün wählen?

Natürlich habe ich meine Verbündeten, zu denen ich auch stehe. Und ich würde mich freuen, wenn es Norbert Lantschner nach Rom schaffen würde. Aber wie gesagt, ich tue mich bei Wahlen grundsätzlich ganz, ganz schwer.

Mit der 700-Jahr-Feier haben Sie Ihre ersten zweieinhalb Jahre als Meraner Bürgermeister überstanden. Ihre persönliche Bilanz der Feier?

Ich war überrascht, dass so viele Menschen und Vereine mitgemacht haben. Klar, am Anfang gab es Kritik, vor allem von der Civica, das sei alles zu teuer. Aber die 500.000 Euro wurden nachhaltig investiert. Ich glaube, dass die Menschen die Feier positiv wahrgenommen haben und ein Zusammenwachsen spürbar war. Ein Jahr lang hat sich die Stadt geöffnet und die Menschen haben sich mit der Geschichte, aber auch der Gegenwart und der Zukunft von Meran auseinandergesetzt. Es war ein gemeinsames Zurückblicken und Bewusstwerden, dass wir für die nächste Entwicklung verantwortlich sind. Heute sind wir fifty-fifty, plus die acht, neun Prozent neue Meraner, die eine ganz andere Sprache als Deutsch oder Italienisch sprechen. Vor dem Ersten Weltkrieg hörte man in bestimmten Straßen mehr Russisch oder Englisch als Deutsch. Da müssen wir wieder hin.

Ein Schmelztiegel für verschiedene Sprachen und Kulturen?

Diese Rolle müsste Südtirol selbst im Grunde einnehmen. Wir sind ein Übungshang.