Economia | Aus in Neumarkt

Vom Markt in die Knie gezwungen

Das Sortierzentrum für Gebrauchtkleider Revitatex schließt. Keine einfache Entscheidung, zu der sich die Sozialgenossenschaft Renovas aber gezwungen gesehen hat.
Revitatex
Foto: Renovas

Für ihn gibt es “keine schwierigere Entscheidung als diese”, gesteht Joachim Kerer.
Kerer ist Präsident der Sozialgenossenschaft Renovas und muss sich schweren Herzens von einem seiner Vorzeigeprojekte verabschieden. Nicht, weil es nicht laufen würde – im Gegenteil. In die Knie gezwungen hat Revitatex die unerbittliche Logik des Marktes.

 

Gebraucht(es)-Zentrum

Mit großer Begeisterung und großen Ambitionen wird das Sortierzentrum Revitatex im Frühjahr 2017 in Betrieb genommen. Im Werk in der Industriezone von Neumarkt werden Gebrauchtkleider verwertet. 500 Tonnen gebrauchte Kleider, Schuhe, Haushaltswäsche und Taschen, die in Südtirol über die Caritas gesammelt werden, landeten 2017 bei Revitax. Und wurden professionell sortiert, für den Weiterverkauf vorbereitet bzw. zu Putzlappen und Dämmmaterial weiterverarbeitet. Nur was nicht mehr weiterverarbeitet werden kann, wird entsorgt.
Es ist eine Neuheit in Südtirol – erstmals erfolgt die Weiterverarbeitung der im Land gesammelten Texitilien direkt vor Ort. 50 bis 60 Prozent der Gebrauchtkleider in Südtirol sollen wieder in lokale Kreisläufe zurückfließen, so der Anspruch von Revitatex.

Doch der ökologische Aspekt ist nicht er einzige, der das Sortierzentrum für viele zum Vorbildunternehmen macht. Denn der Betreiber von Revitatex, Renovas, ist eine Sozialgenossenschaft des Typs B, die ausschließlich die Schaffung von Arbeitsplätzen von benachteiligten Personen zum Ziel haben. Seit neun Jahren begleitet man Menschen mit Behinderungen und in schwierigen Lebenssituationen, betreibt unter anderem die Landhausbar in Bozen und die Gastronomie im Fortbildungszentrum Schloss Rechenthal in Tramin.
35 der 50 künftigen Arbeitsplätze bei Revitatex sollen Menschen mit Beeinträchtigung vorbehalten sein, wird im Juni 2017 angekündigt. Man blickt optimistisch in die Zukunft.
Doch dann kommt alles anders.

 

Optimismus kracht auf knallharte Realität

Drei Jahre lang hat die Vorbereitungsphase für Revitatex gedauert, doch allen Kalkulationen und Szenarien zum Trotz, hat eine Entwicklung kalt überrascht. “Es war nicht absehbar, dass sich die Marktsituation derart schwierig entwickeln würde”, sagt Renovas-Präsident Joachim Kerer. Die Marktpreise für Gebrauchtkleider hätten sich unerwarteter Weise großen Schwankungen ausgesetzt gesehen. “Ab November 2017 war absehbar, dass es aufgrund des wackligen Marktes schwierig wird, das Sortierzentrum weiterzuführen”, erklärt Kerer. Man habe versucht, “alle Hebel in Bewegung zu versetzen”, um das Zentrum weiterzuführen. Doch da auch in Zukunft mit keiner positiven Entwicklung der Preise am Markt zu rechnen sei, habe man am Ende keine Perspektive mehr gesehen: Revitatex wird schließen.

 

Zum Rückzug gezwungen

“An politischem Willen mangelt es nicht”, betont Kerer auf Nachfrage von salto.bz. Aber bei allem guten Willen, allen Partnern und aller Netzwerkarbeit – “aufgrund der drastischen Änderungen am Markt ist es unmöglich, die Arbeit weiterzuführen”, seufzt der Renovas-Präsident. Das habe er auch auf der jüngsten Betriebsversammlung schweren Herzens eingestehen müssen. “Mit heute (Freitag, 31. August) endet die Produktion”, bestätigt Kerer.
Und was passiert mit den Mitarbeitern? “Bis auf drei sind alle Verträge befristet”, erklärt Joachim Kerer. “Die meisten laufen in wenigen Monaten aus bzw. sind schon ausgelaufen.” Doch im Regen stehen lassen will man niemand, betont der Renovas-Präsident nachdrücklich: “Wir werden alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um für alle eine gute Lösung zu finden.”

Der “kontrollierte Rückzug”, den man bei Revitatex nun anstrebt, sei auch notwendig, um die anderen Tätigkeiten der Sozialgenossenschaft zu schützen, erklärt Kerer. Renovas stehe gut da, könne auf eine stabile Struktur zählen, meint der Präsident. Und den Auftrag, Menschen, die es im Leben nicht einfach haben, beim Einstieg ins Arbeitsleben zu begleiten, “werden wir auch weiterhin erfüllen”.
Was die Sammlung von gebrauchten Kleidern anbelangt, so ändert sich durch die Schließung von Revitatex nichts. Diese können auch weiterhin in die verschiedenen Kleidercontainer eingeworfen bzw. bei der großen landesweiten Gebrauchtkleidersammlung im November an die Caritas abgegeben werden.

Doch vorerst bleibt Joachim Kerer nichts anderes übrig, als sich bei allen zu bedanken, die das Projekt Revitatex unterstützt haben – und ernüchtert festzustellen: “Dass wir schließen müssen, ist weder einem Fehlverhalten noch einer Fehlentscheidung noch fehlender Partizipation zu verschulden. Sondern einzig und allein der Marktsituation.”

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Michael Bockhorni Sab, 09/01/2018 - 14:53

im Mai 2017 war diese Entwicklung in der Fachpresse zu lesen: https://www.recyclingmagazin.de/2017/05/03/keine-erholung-auf-dem-altte… Es ist auch eine Folge der qualitativ immer schlechteren Billig Textilien, die sozial und ökologisch fragwürdig produziert werden, nicht lange halten und somit den Altextilmarkt aufblähen ohne, dass sich diese Produkte dann sinnvoll verwerten und ökonomisch rentabel absetzen lassen. Ein weiterer Grund beim Kleiderkauf aufzupassen.

Sab, 09/01/2018 - 14:53 Collegamento permanente