Cultura | Reisebericht

Ísland

Vielleicht eine Art verwirrter Reisebericht - aber eher eine Liebeserklärung. Von Gerda Klotz.
La sagra della tristezza
Foto: DRIN

Wie bereite ich mich auf zwei Monate Island vor? Trotz der guten Vorsätze - gar nicht. Mein Isländisch ist erbärmlich und der Kleiderstapel beinhaltet Sommerkleider trotz der Warnung meines (isländischen) Freundes, vor allem wetterfeste Kleidung einzupacken. Die Vorgeschichte: Wir wurden für ein "Artist in Residence" Programm in Seyðisfjörður, ein 600 Einwohner Dorf in den Ostfjorden Islands, ausgewählt. Wir haben uns mit einem Projekt für einen Stop Motion Kurzfilm beworben, nun dürfen wir zwei Monate lang in Seydisfjrdur wohnen und an unserer Idee arbeiten.

Von den Elementen, und ein bisschen vom Tourismus

Ich versuche also das nötige Werkzeug einzupacken, packe Sommerkleider wieder aus und warme Kleidung ein, aber ich werde - wie schon die letzten Male in Island - erkennen, dass ich trotz meiner eingebildeten Naturerfahrenheit (ich bin doch eine Südtirolerin, oder was?) und drei Aufenthalten auf der Insel immer noch das isländische Wetter unter- und das Attribut "wasserabweisend" überschätze. Wasserabweisende Kleidung in Island ist genauso nutzlos wie ein Regenschirm. Der Sprühregen kommt von der Seite, wasserabweisende Kleidung ist nach anderthalb Minuten durchnässt und der Wind wird den Schirm in eine flatternde Skulptur verwandeln, bevor er überhaupt ganz geöffnet ist. Es verblüfft mich immer wieder. 

Die Erde bebt und brodelt und sie ist bewegungsbereit, jeden Moment. Und sie bezaubert mich mit ihren Farben. Immer noch und immer wieder. Irgendwer in Island hat mir erzählt, dass ein anderer Irgendjemand einen 16 mm Film in die Staaten geschickt hat, zum Entwickeln, und die hätten ihm gesagt, dass irgendwas mit dem Film verkehrt ist, weil die Farben nicht stimmen. Das ist Island. Die Farben sind unfassbar und die Menschen sind Geschichtenerzähler.

Das Wasser ist gewaltig, das Salzwasser ist eisig, das Süßwasser kocht, die Wasserfälle rauben einem Atem und Gehör, und wenn ich im 40 Grad heißen Wasser liege während mir der Wind den Schneeregen um die Ohren peitscht, dann kann ich nicht mehr aufhören zu grinsen, ich strahle, vor Verblüffung, vor Vergnügen, vor Glück. Wer hier war, weiß es, wer nicht, der ahnt es, diese Insel bezaubert. Deshalb explodieren auch die Touristenzahlen. Das freut die Wirtschaft, das belastet das Land, das überfordert die Infrastrukturen. Immer öfter lese ich jetzt Reiseberichte über Island, in denen steht, dass die Isländer ihr Land verschandeln mit Hotels, dass die Souvenirläden explodieren, dass die Touristen alles überschwemmen, ich lese Prophezeiungen, dass sich die Isländer von kreativen, bunten, belesenen, eigentümlichen, liebenswerten, elfennahen Wesen in kapitalistische Anzugträger verwandeln werden. Ich muss mich wundern, dass so viele Reisende sich anmaßen, das Alleinrecht auf "Islandtourist" zu haben. 

Keine Touristin mehr, sondern zur Hälfte Isländerin

Die Isländer sind wirklich kreativ. Bunt. Belesen. Eigentümlich. Liebenswert. Ich muss das sagen weil ich vorbelastet bin. Aber ich würde es auch sonst behaupten. Mir wurde ja der Touristenstatus aberkannt, weil, sobald mit einem Isländer liiert, wird Frau zur Hälfte Isländerin. Da fühle ich mich ein bisschen geehrt und gleich ein bisschen dem durchschnittlichen Islandtouristen überlegen. Aber dann ertappe ich mich doch immer wieder bei meinem fassungslosen Touristenblick und meiner verklärten Islandromantik und mit einer Schicht zu wenig Kleidung, und dann werde ich wieder bescheiden.

Es gibt einunddreißig Vulkansysteme in Island. Das ist eine ganze Menge und momentan ist eines dieser einunddreißig überfällig. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es diese ständige Auseinandersetzung mit der Natur ist, dieses Bewusstsein, dass die Natur stärker ist als wir, das die Isländer so gelassen macht. Pünktlichkeit ist relativ. Etwas zu planen ist schwierig. "Schauen wir mal morgen, was uns Mutter Natur erlaubt zu tun". Daran muss ich mich gewöhnen. Und daran, dass mir die Sonne um drei Uhr früh ins Gesicht scheint. Auch das nächtliche Vogelgezwitscher verwirrt mich.

Wenn mich die Helligkeit schlafen lässt, dann bläst der Wind derart ums Haus, dass ich Angst habe, er könnte das Haus wegblasen. Die Wände zittern ein bisschen. Ich auch. Währenddessen streunt mein Isländer mit Kopfhörern und Mikrophon im Sturm herum und nimmt die Geräusche auf. Am nächsten Tag teilt mir der Besitzer des Hauses, in dem wir wohnen, grinsend mit, dass bis jetzt noch nie ein Haus weggepustet worden ist. Ab und zu mal eine kleine Holzhütte für das Vieh, aber ein Wohnhaus, nein, bis jetzt noch nicht.

Später erzählt er mir noch, dass es für das Gebäude in dem wir wohnen keine ganzjährige Wohngenehmigung gibt, weil im Winter die Lawinengefahr zu hoch ist. Das Gebäude befindet sich im Fjord, mit eigenem Steg, und dahinter ragt die Bergkette hoch. Ganz oben, das sind wohl gerade knapp über 500 Meter, liegt noch der Schnee. Es ist Juli.

Von der Kunst, und von den Zusammenhängen

Nun hat Island aber nicht nur die Elemente, Island hat ja auch die Kunst. Jeder Isländer, jede Isländerin, die ich bisher kennengelernt habe, ist auf die eine oder andere Art der Kunst verbunden. Elvar baut Fenster im alten isländischen Stil, er fällt die Bäume vor dem Altersheim, er verputzt das Haus des Nachbarn, und er ist - unter dem Namen Auxpan- einer der interessantesten Musiker der elektronischen experimentellen Musikszene Islands. Pétur ist Behindertenbetreuer und liebt deutsche elektronische Musik und davon inspiriert sind auch seine Alben, die er unter dem Namen DJ Musician veröffentlicht. Er ist außerdem Fotograf und verantwortlich für das Albumcover des melodramatischen Folk-Duos Hank and Tank, dessen Sänger wiederum auch der neo-psychedelischen Band Singapore Sling seine wunderbare tiefe Stimme leiht, und in der Helgi, derzeit Übersetzer, ab und zu Gitarrist ist. Außerdem ist Pétur noch im Elektronik-Duo Vindva Mei zusammen mit meinem Isländer, Rúnar Magnússon.  Der wiederum hat ein paar schöne dröhnende Musikstücke gemeinsam mit dem Komponisten Jóhann Jóhannsson aufgenommen,  welcher unter anderem auch Teil der Formation Evil Madness ist, gemeinsam mit Sigtryggur Berg Sigmarsson, der ein begnadeter Künstler ist, sei es Aktions- sowie bildende Kunst. Dies lässt sich endlos weiterführen. Ragga, Lehrerin und Videokünstlerin. Gunnhildur, Museumsdirektorin, Musikerin und Videokünstlerin. Atli, Seemann und Maler.

Auch die Poesie ist tief verwurzelt. Jeder liebt Gedichte. Jede liebt Musik. Und alle lieben die Kunst. Vielleicht fühlen sich deshalb Künstler aus aller Welt so wohl in Island. Besonders Seyðisfjörður ist eine Hochburg der Kunst. Der Schweizer Aktionskünstler Roman Signer ist hier mehrmals im Jahr, sein Landsmann Dieter Roth hat hier gelebt und in seiner Erinnerung wurde das Kunst-und Kulturzentrum Skaftfell hier gegründet, welches neben den bildenden und ausstellenden Tätigkeiten jedes Jahr "Artist in Residence" Plätze an Künstler vergibt. Hier gibt es auch die Dieter Roth Academy, sowie das jährliche Kunstfestival für die Jugend "Lunga" (isl. für Lunge), im Rahmen dessen Workshops und Konzerte, Lesungen und Kunstaktionen stattfinden. Bald wird auch die Lunga-School ins Rollen kommen, eine Kunstschule, die ebenfalls in Seyðisfjörður angesiedelt sein wird.

Island sprüht vor Energie, und ich lasse mich anstecken. Ich lerne, dass sich nicht alles planen lässt. Ich lerne, dass alles spannend ist, was authentisch ist. Dass die besten Dinge passieren, wenn man sie denn passieren lässt. Und ich lerne auch ein bisschen besser Isländisch.

Und ich weiß, dass die Isländer auch Anzugträger sein können, und die Anzüge sind Pink, und auf den Krawatten sind Mumins.