Politica | Interview

“Österreich bleibt unser Partner”

Landeshauptmann Kompatscher über die Regierungskrise in Österreich, deren Bedeutung für Südtirol, seine Abneigung gegen die FPÖ – und die Frage über Parallelen zur Lega.
Arno Kompatscher
Foto: Othmar Seehauser

salto.bz: Herr Landeshauptmann Kompatscher, mit seiner Antipathie gegen Sie hat Heinz-Christian Strache auch als er schon Vizekanzler war, nicht hinterm Berg gehalten. Sind Sie erleichtert über seinen Rücktritt?

Arno Kompatscher: Als Regierungsverantwortlicher stellt man die persönlichen Befindlichkeiten zur Seite. Daher ist das kein Kriterium. Tatsache ist, dass die Vorgangsweise der Freiheitlichen in der Südtirolpolitik mehrfach nicht den Gepflogenheiten entsprochen hat. Ich habe ihr Vorpreschen einmal als “Elefant im Porzellanladen” bezeichnet. Denn die Südtirol-Autonomie baut zum einen auf dem Pariser Vertrag auf, zum anderen aber auch auf das gegenseitige Einvernehmen mit Italien. Das hat uns ermöglicht, die Autonomie so zu entwickeln. Wir verlangen von Italien aus gutem Recht immer ein Einvernehmen mit Österreich. Dann sollte man umgekehrt aber auch nicht unabgesprochen und einseitig agieren.

Wie fällt Ihre Reaktion auf das angekündigte Ausscheiden der FPÖ aus der österreichischen Bundesregierung also aus?

Nach dem Video war mir sofort klar, dass es keine Alternative zu Neuwahlen gibt. Für mich war klar, dass man es nicht bei einer Regierungsumbildung belassen wird. Jetzt wird man schauen, ob es zu einer rein technischen Regierung oder einer Weiterführung der Regierung Kurz unter der Beteiligung von Experten kommt. Derzeit (früher Dienstag Nachmittag, Anm.d.Red.) laufen die Gespräche. Für Südtirol ist klar: Unsere Ansprechpartner waren immer die staatstragenden Parteien, die maßgeblich die Südtirol-Autonomie mit ausgebaut und das richtige diplomatische Geschick bewiesen haben: ÖVP und SPÖ.

Man weiß, dass ich die Position der Freiheitlichen absolut nie geteilt habe und deren Ideologie für absolut fehlgeleitet halte

Sebastian Kurz droht nun ein Misstrauensvotum im Nationalrat. Politische Gegner und Beobachter sehen den Bundeskanzler als gescheitert. Denn er bzw. die ÖVP habe die FPÖ in die Regierung geholt und damit in Kauf genommen, dass Politiker, deren – Zitat Bundespräsident Alexander Van der Bellen – “verstörendes Sittenbild” wohl nicht erst seit dem Auftauchen des Ibiza-Videos bekannt war, die Geschicke der Republik Österreich mit in die Hände nehmen – und ihr damit schaden. Sehen Sie eine Mit-Verantwortung für die Regierungskrise bei Sebastian Kurz?

Bei aller persönlichen Abneigung gegen bestimmte Ideologien und auch grundsätzliche politische Positionen, die die Freiheitlichen in der Vergangenheit und in der Gegenwart eingenommen haben – ein solches Verhalten war, glaube ich, für niemanden absehbar. Ex post Bewertungen vorzunehmen, damit macht man es sich glaube ich zu einfach. Zunächst muss man feststellen, dass es nach den Nationalratswahlen im Oktober 2017 in Österreich ein Wahlergebnis gegeben hat, aus dem sich diese Regierungszusammenarbeit ergeben hat.

Das eine ist die Bewertung der politischen Grundausrichtung einer Partei – und da weiß man, dass ich die Position der Freiheitlichen absolut nie geteilt habe und deren Ideologie für absolut fehlgeleitet halte. Zum anderen ist aber Tatsache, dass jetzt ein Skandal von ungewohntem Ausmaß eingetreten ist, der natürlich die Folgen gehabt hat, die er haben musste.

Wegen des gravierenden Inhalts von staatspolitischer Tragweite haben die Medien die Pflicht, darüber zu berichten.

Allerdings haben Sie bereits am Wochenende im RAI-Interview gesagt, ein Skandal bei den Rechtspopulisten, dass gerade jene, die sich selbst als Patrioten geben, bereit wären, die Interessen ihres Landes zu verkaufen, habe Sie nicht überrascht.

Über das Ausmaß, über die moralische Untiefe der Situation war ich sehr wohl überrascht. Andererseits gibt es gewisse Erfahrungswerte. Die FPÖ war die Partei Jörg Haiders, mit allen Nebenerscheinungen und auch Skandalen, die sie begleitet haben. Der Punkt ist, glaube ich, folgender: Sehr oft sind solche Bewegungen, die nicht auf einem klaren Wertefundament aufgebaut sind, einer größeren Gefahr ausgesetzt, dem Machtstreben alles unterzuordnen und somit auch, alle Regeln zu brechen. Fairerweise muss man sagen, dass es individuelles Fehlverhalten überall geben kann. Aber die Gefahr ist bei solchen Parteien mit einer Ideologie, die teilweise völlig wertfrei ist, natürlich wesentlich größer.

Gilt das auch für die Lega, mit der sich die FPÖ nicht erst seit dem Europawahlkampf verbrüdert hat?

Es gilt grundsätzlich für alle spontanen politischen Bewegungen, die sich jetzt als große Alternative zu gewachsenen Parteien darstellen. Man kann das Parteiensystem in Italien kritisieren, aber bei aller Kritik und allen Mängeln ist es so, dass gewachsene demokratische Parteien mit demokratischen Strukturen auch interne Mechanismen haben, die schon eine gewisse Garantie auch für die Rechtsstaatlichkeit geben. Während solche Protestbewegungen mit starker Konzentration auf einzelne Führungspersonen für Missbrauch von Macht natürlich anfälliger sind.

Österreich wird in Fragen der Autonomie für uns der verlässliche Ansprechpartner bleiben.

In Österreich wirkt sich die Krise auf nationaler Ebene auch auf lokaler Ebene aus. Im Burgenland hat Landeshauptmann Hans Peter Doskozil die Zusammenarbeit zwischen seiner SPÖ und der FPÖ im Burgenland auf- und Neuwahlen angekündigt. Würden Sie, sollte es um die Lega in Italien zu einem vergleichbaren Skandal wie nun um die FPÖ in Österreich kommen, auch Konsequenzen in Ihrer Zusammenarbeit mit der Lega in der Landesregierung ziehen? Wann würde es für Sie heißen “genug ist genug”?

Unabhängig von dem, was derzeit in Österreich passiert: Wir haben eine Regierungsvereinbarung, die Ziele, aber ganz klar auch Werte und Grundhaltungen definiert, für die diese Landesregierung stehen soll. Deshalb ist klar, dass wir, und vor allem ich persönlich dafür Sorge tragen werde, dass diese Grundhaltungen und Werte auch entsprechend respektiert und gewahrt werden. Wenn dem nicht so wäre, wäre die Basis für die Zusammenarbeit weg. Genau darum ging ja die Diskussion um unsere Regierungsvereinbarung – ganz unabhängig davon, was sonst irgendwo passiert.

So etwas liegt nicht einmal international an der Tagesordnung – und schon gar nicht in Südtirol.

Die österreichische Innenpolitik kann nicht losgelöst von Südtirol betrachtet werden. Was bedeutet die Krise dort für unser Land?

Österreich ist eine gefestigte Demokratie. Den Beweis dazu hat auch die Tatsache geliefert, dass die Mechanismen, die letztendlich auch zu einer Neuwahl geführt haben – die Mechanismen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schützen – funktioniert haben. Deshalb ist klar, dass Österreich in Fragen der Autonomie für uns der verlässliche Ansprechpartner bleiben wird, und ich betone noch einmal, vor allem jene Parteien, die bisher die Autonomie begleitet und erfolgreich mit entwickelt haben. In erster Linie ÖVP und SPÖ. Und ich gehe davon aus, dass es auch künftig so sein wird und dass auch künftig wieder klar die freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehung zu Italien im Vordergrund steht, im Interesse Südtirols und unter Wahrung und zum Schutz der Südtiroler Autonomie.

Mit dem Ende von Türkis-Blau verfällt das Koalitionsprogramm – und damit auch das Vorhaben Doppelpass?

Die diesbezüglichen Entscheidungen, ob man an dem Projekt festhalten will, werden zunächst in Österreich getroffen. Dann ist klar, dass das Einvernehmen mit uns gesucht werden muss. Und ich füge hinzu – das ist mir ganz wichtig: Wir pochen ständig darauf, dass Italien in Bezug auf die Südtirol-Fragen das Einvernehmen mit Österreich sucht – Südtirol ist keine alleinige Angelegenheit Italiens. Genauso ist es auf jeden Fall wichtig, dass man sich umgekehrt ins Einvernehmen setzt, egal um welche Projekte es sich handelt. Einfach gemäß dem Prinzip der Reziprozität.

Wenn die Grundhaltungen und Werte in unserer Regierungsvereinbarung nicht respektiert und gewahrt würden, wäre die Basis für die Zusammenarbeit weg.

Um auf das Ibiza-Video zurückzukommen: Gewisse politische Kreise, auch in Südtirol, sehen die Journalisten, die die Ausschnitte veröffentlicht haben, als Teil einer wie auch immer gearteten Verschwörung gegen Strache bzw. die FPÖ. Sehen Sie die Rolle der Journalisten in diesem Fall ebenso kritisch?

Das eine ist, wie dieses Video zustande gekommen ist. Da besteht sicher Aufklärungsbedarf, denn es war eindeutig eine absichtlich gestellte Falle, wie, glaube ich, jedem klar ist. Das andere ist das Fehlverhalten der in dem Video vorkommenden Personen. Das ist auch dadurch nicht zu entschuldigen, dass man ihnen eine Falle gestellt hat. Denn es hätte tatsächlich die Bereitschaft gegeben, Staatsinteressen zu verkaufen, um die Macht zu erhalten. Abgesehen davon glaube ich schon, dass das ein sehr grenzwertiger Fall ist. So etwas liegt nicht einmal international an der Tagesordnung – und schon gar nicht in Südtirol. So etwas kann ich mir bei uns nicht vorstellen.

Finden Sie es bedenklich, dass der Fall als Anlass dient, um freie Medien und Journalisten zu attackieren?

Die Entstehungsgeschichte des Videos ist mehr als bedenklich. Wegen des gravierenden Inhalts von staatspolitischer Tragweite haben die Medien aber die Pflicht, darüber zu berichten. Und zwar stets im Versuch, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Ich halte es mit dem berühmten Hajo Friedrichs: “Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.” Das heißt, eines ist natürlich die persönliche Intention und Meinung, die ein jeder hat. Das andere ist der Versuch, trotzdem möglichst sauber und korrekt zu berichten. Das ist, so glaube ich, der Auftrag eines jeden Journalisten. Und ich glaube auch, dass die allermeisten täglich in diesem Bemühen sind. Und das ist ein schwieriger Job.

Bild
Profile picture for user Peter Gasser
Peter Gasser Mer, 05/22/2019 - 07:34

Zitat LH Kompatscher:
„Wir haben eine Regierungsvereinbarung, die Ziele, aber ganz klar auch Werte und Grundhaltungen definiert, für die diese Landesregierung stehen soll. Deshalb ist klar, dass wir, und vor allem ich persönlich dafür Sorge tragen werde, dass diese Grundhaltungen und Werte auch entsprechend respektiert und gewahrt werden. Wenn dem nicht so wäre, wäre die Basis für die Zusammenarbeit weg“:
.
Wie war das mit SVP-Durnwalder und der Lega-Politikerin in Sachen Korruptionsverdacht?
https://www.salto.bz/de/article/10032019/aktion-reinwaschung

Mer, 05/22/2019 - 07:34 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Herta Abram
Herta Abram Mer, 05/22/2019 - 08:07

Dass Südtirol eine Persönlichkeit wie Arno Kompatscher zum LH hat, darüber bin ich persönlich sehr froh! Doch gilt es insgesamt vielmehr darüber nachzudenken, wie eine Politik - jenseits von autoritären, Macho-Man- maskulinen Denk- und Verhaltensmustern, - ausschauen kann/soll. Ich bin überzeugt eine (allgemeine) klare Absage zu unhaltbaren, patriarchalen Geisteshaltungen, kann zu einer Überwindung der gegenwärtigen Krisen in der Demokratie und in der Ökologie, beitragen.

Mer, 05/22/2019 - 08:07 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Emil George Ciuffo
Emil George Ciuffo Sab, 05/25/2019 - 12:41

"Österreich ist eine gefestigte Demokratie. Den Beweis dazu hat auch die Tatsache geliefert, dass die Mechanismen, die letztendlich auch zu einer Neuwahl geführt haben – die Mechanismen, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schützen – funktioniert haben."
Naja, man hätte wahrscheinlich gesehen, was unter einem Bundespräsidenten Norbert Hofer alles für diese "gefestigte Demokratie" möglich gewesen wäre ...

Sab, 05/25/2019 - 12:41 Collegamento permanente