Politica | Analyse

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Nach dem Superwahljahr 2018 wartet “Politika” mit detaillierten, zum Teil neuen Analysen der Landtags- und Parlamentswahlen in Tirol, Südtirol, Trentino und Bayern auf.
Schaufeln
Foto: Pixabay

Alles schon gesagt, alles schon geschrieben? Das möchte man meinen, wenn man sich die Berichterstattung, Kommentare und Analysen rund um Wahlen anschaut. Doch es gibt jene, die genauer hinschauen, tiefer gehen – und dabei bislang Unbekanntes hervorangeln. Das ist den Autoren der neuen Ausgabe von “Politika” gelungen. Am Donnerstag wurde das aktuelle Südtiroler Jahrbuch für Politik präsentiert. Es beschäftigt sich mit den Landtagswahlen 2018 in Tirol, Südtirol, Trentino und Bayern sowie mit den Parlamentswahlen, die im selben Jahr in Italien stattgefunden haben und den deutschen Bundestagswahlen 2017.

 

Es ist ein Werk, das eine vergleichende Analyse der verschiedenen Wahlgänge und Ergebnisse liefert. Da ist der klare Wahlsieg der ÖVP in Tirol – ohne den Wechsel hin zu Sebastian Kurz’ türkiser “Neuer Volkspartei” zu vollziehen und dank Landeshauptmann-Bonus. Da ist der “Strukturbruch” bei den Gemeinderatswahlen in Innsbruck, als mit Georg Willi erstmals ein Grüner Bürgermeister in das Rathaus einer österreichischen Landeshauptstadt einzieht – ein “bürgerlich-liberaler Grüner” wohlgemerkt, betont Alice Engl von der EURAC. Da ist die Lega, der im Trentino das zerstrittene Mitte-Links-Lager in die Hände spielt, die bei den Parlamentswahlen ihre Stimmen vervierfacht und im Herbst bei den Landtagswahlen ihren Siegeszug fortsetzt. “Nicht etwa deswegen, weil die Provinz Trient schlecht regiert und verwaltet worden wäre – im Gegenteil”, erklärt EURAC-Mitarbeiterin Elisabeth Alber. “Sondern unter anderem, weil im Trentino der Wunsch nach Veränderung da war.”

Und dann ist da Südtirol, das immer ein bisschen anders war und sein wird als das restliche Italien. Und doch, die Salurner Klause hat die Lega nicht aufgehalten. Neben dem massiven Wählerzuspruch der Salvini-Partei war 2018 das Jahr des “Newcomer-Phänomens Paul Köllensperger”, wie Maurzio Ferrandi das quasi aus dem Nichts entstandene und erfolgreiche Team Köllensperger in seinem Eingangsbeitrag für “Politika” bezeichnet. Als interethnische Bewegung präsentiert, muss sich das Team K nun mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es im Oktober 2018 von 19 Prozent der deutsch- und ladinischsprachigen Wähler gewählt wurde, aber nur von einem Prozent der italienischen Wähler, wie die Politologen Günther Pallaver und Hermann Atz aufzeigen.

Zwei Aspekte, die im neuen Südtiroler Jahrbuch für Politik aufgegriffen werden, sind Teil weltweiter, aber für Südtirol bislang wenig beleuchteter Entwicklungen. Zum einen die steigende Bedeutung “neuer” Medien – Facebook, Twitter, Youtube, Instagram & Co. wurden im Landtagswahlkampf beinahe zwei Mal so viel genutzt wie 2013, wobei die stärkste digitale Partei die Südtiroler Freiheit ist, wie Martin Pircher im “Politika”-Kapitel “Online-Wahlkampf der Südtiroler Parteien” aufzeigt –, zum anderen die zunehmende Personalisierung der Politik.

 

One Man Shows

 

Die größte Personalisierung bei den Südtiroler Landtagswahlen 2018 war in der Bürgerunion zu beobachten. Fast zwei Drittel (74,6%) der Bürgerunion-Wähler, gaben auch Spitzenkandidat Andreas Pöder ihre Stimme. Paul Köllensperger erhielt Vorzugsstimmen von 67,5% der Team-K-Wähler, Arno Kompatscher bekam Vorzugsstimmen von 57,3% der SVP-Wähler und 53,9% der Südtiroler-Freiheit-Wähler gaben Sven Knoll eine Vorzugsstimme.

Italienischsprachige Wähler vergeben traditionell weniger Vorzugsstimmen. Und doch gibt es große Unterschiede bei den italienischen Parteien. Andrea Bonazza erhielt als Spitzenkandidat eine Vorzugsstimme von 46,1% der CasaPound-Wähler, Alessandro Urzì von 44,8% der Alto-Adige-nel-Cuore-Wähler. Massimo Bessone hingegen gaben nur 14% der Lega-Wähler eine Vorzuggstimme, Diego Nicolini gar nur 7,7 Prozent der Movimento-5-Stelle-Wähler.

“Die Bedeutung politischer Persönlichkeiten lässt sich somit auch in Südtirol nachweisen, wobei sie je nach Partei oder Liste recht unterschiedlich zu gewichten ist. (…) Es dürfte kaum Zufall sein, dass gerade die beiden großen Wahlsieger, Team Köllensperger und Lega, starke und bei der jeweiligen Anhängerschaft unumstrittene Führungspersönlichkeiten an ihrer Spitze haben, während auf der Verliererseite der Wahl zum Teil schmerzliche Abgänge (Pius Leitner, Eva Klotz, Hans Heiss) bzw. Führungskrisen und interne Konflikte (Freiheitliche, PD, ansatzweise auch SVP) vorangegangen sind”, schlussfolgern Atz und Pallaver.