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Vernichtende Diagnose

Die Generaldirektorin des Gesundheitsministeriums in Rom Rossana Ugenti erklärt, dass die österreichische Facharztausbildung so wie gehandhabt nicht rechtens sei.
Ugenti Brief
Foto: Salto.bz
Arno Kompatscher war sich sicher. Am 11. März 2019 erklärte der Landeshauptmann in der aktuellen Fragestunde im Landtag auf eine Anfrage von Sven Knoll (Südtiroler Freiheit) kategorisch: „Die Facharztausbildung, Kollege Knoll, ist an und für sich vom Ministerium nicht, vom Minister nicht, von der Regierung nicht in Frage gestellt.“ Es sei ausschließlich eine Gewerkschaft, gemeint war die ANAO, die hier Zwietracht und Zweifel säe.
Vier Monate später sind diese Worte des Landeshauptmannes Schall und Rauch. Denn es präsentiert sich plötzlich eine völlig andere Situation.
Am Freitag vergangener Woche trudelte in der Landesabteilung Gesundheit ein Schreiben der Generaldirektorin des Gesundheitsministeriums Rossana Ugenti ein. Die höchste Beamtin im Gesundheitsministerium in Rom tut in dem zweiseitigen Schreiben genau das, was Arno Kompatscher im Landtag vor 17 Wochen verneint hatte. Sie erklärt im Namen des Gesundheitsministeriums die Handhabung der österreichischen Facharztausbildung an Südtirols Krankenhäusern für nicht rechtens.
Das alles vorausgeschickt, bekräftigen wir hiermit noch einmal die Unrechmäßigkeit möglicher Anstellungen, auch mit befristetet Vertrag, vonseiten des Südtiroler Sanitätsbetriebes von Ärzten, die im selben Sanitätsbetrieb die oben erwähnte Facharztausbildung nach österreichischem Modell absolvieren“, schreibt Ugenti am Ende ihres Briefes.
Es ist für Südtirols Politik und Gesundheitswesen ein unerwarteter und vernichtender Schlag. „Das ist eine Kriegserklärung aus Rom“, schlägt Gesundheitslandesrat Thomas Widmann gleich martialische Töne an.
 

Die Vorgeschichte

 
Weil traditionell die meisten Südtiroler Medizinstudentinnen und –studenten in Österreich ihr Studium absolvieren, hat Südtirol auch das österreichische Ausbildungsmodell für Fachärzte übernommen. Jungärzte absolvierten jahrelang ihre Facharztausbildung in den Krankenhäusern des Südtiroler Sanitätsbetriebes nach der österreichischen Ausbildungsordnung und sie legten ihre Facharztprüfung in Österreich ab. Der österreichische Facharzttitel wurde danach vom italienischen Gesundheitsministerium anerkannt.
Doch 2013 erklärte Rom diesen Umweg über Wien als nicht gültig. Die Ausbildung musste ausgesetzt werden und es begannen Verhandlungen zwischen Bozen, Rom und Wien. Trotz heftigen Widerstandes, etwa von der Spitalsärztegewerkschaft ANAO, schaffte man nach vier Jahren den Durchbruch.
Im Frühjahr 2017 wurde mit einem Notwechsel zwischen dem österreichischen und dem italienischen Außenministerium die Facharztausbildung in Südtirols Spitälern nach österreichischem Modell auf neue solide Füße gestellt. So wurden über 80 Abteilungen und Strukturen im Südtiroler Sanitätsbetrieb vom römischen Gesundheitsministerium für die Fachausbildung akkreditiert. Zudem regelte man diese Facharztausbildung mit einem eigenen Landesgesetz neu. 
 
 
 
Anfang März 2019 wurden an den Südtiroler Krankenhäusern die Facharztausbildungen nach österreichischem Modell wieder aufgenommen. Junge Südtiroler Ärzte, die in Österreich studieren, können ihren Facharzt somit wieder an Südtiroler Krankenhäusern machen.
Insgesamt 40 Ärzte sollen in den kommenden drei Jahren ihre Facharztausbildung in den Bereichen Chirurgie, Innere Medizin und Orthopädie an einem Südtiroler Krankenhaus machen, weitere Bereiche wie Urologie, Pädiatrie und Psychiatrie sollen folgen.
Doch damit könnte es jetzt vorbei sein.
 

Das Anstellungsverhältnis

 
Es ist vor allem die Gewerkschaft ANAO, die von Anfang an gegen dieses Ausbildungsmodell mobil macht. Nachdem die Regierung das entsprechende Landesgesetz nicht vor dem Verfassungsgericht angefochten hat, war man in Südtirol der Meinung, dass das Problem ein für allemal gelöst sei. Doch die ANAO hat den Kampf jetzt auf eine neue Ebene gehoben. Sie hat vor Gericht Anzeige gegen zwei junge Ärzte eingereicht, die derzeit in Südtirol die Facharztausbildung nach österreichischem Modell absolvieren. Dieses Vorgehen wird in Südtirol von fast allen Parteien scharf verurteilt.
Doch dieser Kampf gegen das österreichische Ausbildungsmodell wird jetzt durch das Schreiben von Rossana Ugenti geadelt. Die höchste Beamtin des Gesundheitsministeriums übernimmt in ihrem Schreiben genau jene Interpretation, die auch der ANAO-Anzeige zugrunde liegt.
Dabei geht es vordergründig aber nicht um das österreichische Ausbildungsmodell, sondern um die arbeitrechtliche Einstufung der auszubildenden Jungärzte.
Einer der grundlegenden Unterschiede zwischen der staatliche und der österreichischen Facharztausbildung ist das Einstellungsverhältnis. Laut staatlichem Modell erhalten die Jungärzte während ihrer Facharztausbildung ein Studienstipendium von rund 1700 Euro. Sie treten während ihrer Ausbildung aber in kein Angestelltenverhältnis mit dem Sanitätsbetrieb ein.
 
 
Völlig anders ist das nach dem österreichischen Ausbildungsmodell: Dort werden die Jungärzte während ihrer Facharztausbildung vom Sanitätsbetrieb mit befristeten Arbeitsvertrag angestellt und verdienen mit Zweisprachigkeitszulage so rund 3000 Euro im Monat.
Diese Vorgaben stehen auch im entsprechenden Südtiroler Landesgesetz und sie werden seit Monaten so auch praktiziert. Es ist eine bewusste Maßnahme gegen die Abwanderung Südtiroler Jungärzte ins Ausland und den Ärztemangel in Südtirol.
 

Römische Wende

 
Die Gewerkschaft ANAO spricht aber von einer Ungleichbehandlung und von einem „unlauterer Wettbewerb“. Die Argumentation: Jene, die die Facharztausbildung nach österreichischem Modell wählen, werden bevorzugt gegenüber jenen, die die italienische Facharztausbildung machen, weil es zu einem bezahlten Arbeitsverhältnis kommt. 
Das Gegenargument des Landes und des Sanitätsbetriebes: Es besteht durchaus die Möglichkeit, auch für die Bewerber, die eine Universität in Italien besucht haben, in dieses österreichische Ausbildungsmodell einzusteigen. Demnach gebe es weder Ungleichbehandlung noch Diskriminierung. Laut der Auskunft des Landeshauptmannes im März im Landtag teilt auch das Gesundheitsministerium diese Ansicht. 
„Wir sind überzeugt, dass wir mit dem Notenwechsel, mit den Abstimmungen auf Ministerialebene auch mit den staatlichen Bestimmungen, mit den Landesbestimmungen wirklich alles sauber aufgestellt haben, so dass keine Gefahr besteht und wir das Programm gänzlich durchziehen können“, sagte Arno Kompatscher noch vor vier Monaten.
Jetzt erfolgt aber die Ernüchterung. Denn in Ugentis-Brief kommt mehr als deutlich zum Ausdruck, dass man im Gesundheitsministerium anderer Ansicht ist.
 
 
Laut der Generalsekretärin im Gesundheitsministerium sei die Ausbildung in Südtirols Krankenhäuser ausschließlich für die Erlangung des österreichischen Facharzttitels gültig, der dann in Italien anerkannt werden kann. Doch das italienische Rechtssystem erlaube keine Anstellung während der Ausbildungszeit. „Die Ausbildung hat keinerlei Rechtsgültigkeit in Italien und deshalb können die Auszubildenden auch nicht vom Sanitätsbetrieb befristet angestellt werden“, schreibt Ugenti unmissverständlich. Erst nach der Annerkennung des Facharzttitels durch das italienischen Gesundheitsministeriums könne es zu einer Anstellung kommen.
„Das entbehrt jeder Logik“, ärgert sich jetzt Thomas Widmann. Der Gesundheitslandesrat erinnert daran, dass Ugenti selbst am Notenwechsel mit Wien von 2017 beteiligt war Widmanns Urteil: „Ministerien, die mitgeholfen haben, die Facharztausbildung auszuarbeiten und den Notenwechsel zu formulieren, vollziehen jetzt eine 180-Grad-Wende und behaupten das Gegenteil von dem, was sie selbst produziert haben.
Das Problem dabei: Im Notenwechsel wird zwar die Ausbildung geregelt, von einer Anstellung steht aber kein Wort.
Demnach wird es noch einige Überzeugungskraft aus Bozen brauchen um das römische Ministerium von der Unerlässlichkeit dieser Maßnahme zu überzeugen. Genau hier ist jetzt die höchste Landespolitik gefragt.
 

Das Schreiben

 

 

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Mensch Ärgerdi… Mer, 07/24/2019 - 12:53

Hut ab für die Gewerkschaft! Anstatt dafür zu kämpfen, dass ein funktionierendes Modell welches jungen Arbeitern gute Möglichkeiten und einen guten Lohn garantiert auf den ganzen Staat angewandt wird, kämpft man dafür dass die Leute NICHT eingestellt werden, weil im restlichen Staat Arbeiter so behandelt werden.
So wird das Gleichheitsprinzip ad absurdum geführt: wenn es 9 von 10 Menschen schlecht geht, dann will man die Ungerechtigkeit damit beheben den Zehnten auch schlecht zu behandeln. Und dann denkt man noch Salvini und di Maio seien nicht die hellsten Lampen am Kronleuchter, die Gewerkschaft spielt offensichtlich in einer ganz anderen Liga.
Ihr seid echte Helden!

Mer, 07/24/2019 - 12:53 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Mer, 07/24/2019 - 13:51

In risposta a di Mensch Ärgerdi…

Das Problem ist weniger die nationalistische Gewerkschaft ANAO, die alleine nichts ausrichten könnte, sondern der M5S, der aus Prinzip antiautonomistisch ist. Da sich das Gesundheitsministerium derzeit in den Händen dieser Polit-Amateure befindet, steht die Zerschlagung des (im Vergleich zum Süden) gut funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystem im hohen, durch die Autonomie "privilegierten" Norden derzeit an oberster Stelle der Wichtigkeit.

Mer, 07/24/2019 - 13:51 Collegamento permanente
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King Arthur Mer, 07/24/2019 - 18:48

Nachdem also jahrelang darüber gestritten wurde, ob die Südtiroler Krankenhausabteilungen, an denen die österreichische Ausbildung möglich sein soll, vom italienischen Ministerium akkreditiert werden müssen, und nachdem dann tatsächlich 80 von 107 Südtiroler Abteilungen über das Ministerium (und nicht mehr über die österreichische Ärztekammer) akkreditiert wurden, soll es jetzt also klar sein, dass es sich bei den beim Ministerium akkreditierten Abteilungen NICHT um jene handelt, an denen die österreichische Ausbildung absolviert wird ("É evidente pertanto he tale formazione non é svolta presso le 'strutture accreditate dal Ministero ...'") Ja, wo um Himmels Willen wird die Ausbildung nach österreichischem Modell denn nach Meinung der Generaldirektorin absolviert, wenn nicht in diesen akkreditierten Abteilungen!?!?

Mer, 07/24/2019 - 18:48 Collegamento permanente
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19 amet Gio, 07/25/2019 - 09:19

Dass im Notenwechsel kein Wort über die Anstellung steht ist wohl Schuld der
Südtiroler Verhandler. Jetzt wird wieder die alte Masche versucht und Rom die
Schuld gegeben.

Gio, 07/25/2019 - 09:19 Collegamento permanente
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pérvasion Gio, 07/25/2019 - 10:30

In risposta a di 19 amet

Dass es nicht drinsteht, ist sicher nicht die Schuld von Rom. In einem Notenwechsel wird aber ohnehin nicht jeder Furz drinstehen können. Darauf kann Rom so reagieren: »Steht zwar nicht drin, aber mal schauen, wie wir das im Interesse der Bürgerinnen lösen können.« Oder es kann sagen: »Steht nicht drin, also zerstören wir alles, was nicht niet- und nagelfest ist.« Dass sich die Zentralregierung bzw. das Gesundheitsministerium für zweiteres entschieden hat, ist sehr wohl die Schuld von Rom.

Gio, 07/25/2019 - 10:30 Collegamento permanente