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Zwei Jahre Nacht

Während des Bosnienkrieges findet sich ein junger Mann auf der falschen Seite Sarajevos wieder. Zwei Jahre Krieg erlebt er im feindlichen Gebiet. Eine Buchbesprechung.
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Foto: upi

Am Ende scheint der Krieg vorbei zu sein. Er kann wieder auf die Straße hinaus und dank Bart und antrainierten Muskeln werden ihn seine Peiniger nicht erkennen. Zurück nach Hause. Zwei lange Jahre wusste er nicht um das Schicksal des Vaters, plötzlich getrennt und eingeschlossen im feindlichen Gebiet einer bis dahin so vielfältigen Stadt.

Überleben, Lieben, Essen und Vertrauen, dass es irgendwann vorbei sein wird, sofern nicht zuvor der Tod kommt.

Am Ende von Zwei Jahre Nacht gibt es ein Aufatmen auch für den Leser. Mitgerissen, mitdurchlitten hat er 750 Seiten lang die Zeit der Belagerung Sarajevos aus dem Blick eines namenlosen jungen Erzählers. Drei Bücher sind es. Zunächst das plötzliche Zerreissen der Stadt und der Erzähler findet sich unerwartet auf der falschen Seite wieder: Als bosnischer Moslem im von den bosnischen Serben kontrollierten Stadtteil Grbavica. Dann die Zeit in der Arbeitsbrigade. Tagtäglich hilft er Ermordete aus ihren Häusern zu schaffen, auf dem Berg über der Stadt zu vergraben, damit keine blutigen Spuren bleiben. Sein Kommandant, ein Mann aus Titos Vielvölker-Tradition, schützt ihn wiederholt vor den Drohungen seiner serbischer „Brüder" und bittet ihn sogar um ein letztes Gebet für die Toten. Schließlich, einem von mehreren Mordversuchen entflohen, die langen Jahre in einem häuslichen Versteck eingeschlossen. Einzig die Flüchte aufs Hausdach erlauben gelegentlich den Blick in die Sonne. Der Himmel jedoch ist granatenverseucht. Die junge Nachbarin, ebenfalls laut neuer Diktion den Gegnern zugehörig, kümmert sich mit Brot und Liebe um ihn. Denn auch im Krieg gibt es noch Menschen. Und gelegentlich auch Menschlichkeit.

 

Damir Ovcinas beeindruckende Sprache, kongenial von Mascha Dabic ins Deutsche übertragen, vermag es den Leser nahezu direkt in das Erleben des Protagonisten zu versetzen. Verblose Kurzsätze angespannter Aufmerksamkeit während der Zeit in der feindlichen Welt. Straßen, Gebäude und Geschäfte werden mit ihren Namen memoriert und zu einem punktuellen Plan des engen Bewegungsraums geflochten, der jedoch voller weißer Flecken bleibt. Keine Emotion wird in den Jahren beschrieben, der Vater ist „Er", die Geliebte „Sie", der Freund „der Pianist". Auch die Liebe muss der Leser sich selbst gedanklich um die kurzen Dialoge der Liebenden zeichnen. Doch der Schrecken des Kriegsalltages ist eindeutig. Rohe Gewalt, unerträgliche Demütigungen und Misshandlungen, zerschossene Leiber: nicht nur „der Bulgare" zieht als Schlächter durch die rechtlose Stadt. Wer ein wenig die Geschichte der Belagerung Sarajevos kennt, weiß, dass hier reale Vorkommnisse verarbeitet wurden. Ovcina war selbst als junger Mann im falschen Teil der Stadt eingeschlossen. „Der Pianist" erinnert den jungen Mann tagtäglich daran alles aufzuschreiben, damit alle erfahren, was hier geschehen ist. Neben dem Körper trainiert der Erzähler also auch seine Schreibfähigkeit. Heraus gekommen ist ein Roman voller Kraft, der den Leser mitnimmt in eine Welt, die so eng und aussichtslos ist, dass sie sich auf Wesentliches reduziert. Überleben, Lieben, Essen und Vertrauen, dass es irgendwann vorbei sein wird, sofern nicht zuvor der Tod kommt.

 

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Peter Gasser Sab, 09/07/2019 - 08:39

750 Seiten: ich brauche Urlaub.
Vielleicht sollte dies jeder lesen (müssen), damit niemand mehr die Trumps, Putins, Le Pens, Orbans, Erdogans, Bolsonaros, Dutertes, Gaulands, Straches und Salvinis dieser Welt wählt.

Sab, 09/07/2019 - 08:39 Collegamento permanente