Cultura | Eiertreter*in

Der Orig. Echte Luschtige City-Roller

Dioxin im Meer verklappen. Schulkindern Drogen verkaufen. Auf dem Spatzenfest playbacken. – Eine moralische Bestandsaufnahme.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Foto: Facebook/Goggel Totsch

Ich stand an der Haltestelle und wartete auf den Überetsch-Express. Sie wissen schon, die Bushäuschen der athesianischen Firstavenue, wo die Werbung nachts so schön hintergrundbeleuchtet ist, aber der Kasten mit den Fahrplänen dunkel bleibt. Am liebsten ist es mir ja, wenn die Ebner dort Eigenwerbung betrieben müssen und Plakate für sentres.com, kultur.bz.it oder ihre Totgeburt cippy.it (schon mal die Website-Rankings verglichen) aufhängen, weil sich mal wieder kein Dödel gefunden hat, der ihnen sein Geld überlässt. Gern genommen auch ein Gewinnspiel des Kasblattes der Südtiroler. Ich war ja schwer beeindruckt, dass die „christlichen Brüder“ vom Weinbergweg (Zitat Reinhold Messner) in einer auto-reflexiven Assoziation den Begriff „Kasblatt“ sofort auf ihr Printerzeugnis übertragen haben, sich angesprochen (und beleidigt) fühlten. Die scheinen keine gute Meinung ihres Produkts zu haben: „Kasblatt – kann nur meines gemeint sein; die Konkurrenz ist ja seriös“. Ob es den krah auch auf den Baum ... Pardon ... Palme treibt, wenn man „Journaille“, „Schmierenpostille“, „Revolverblatt“, „Tscheggl-Bild“ oder ganz neu „Lügenpresse“ schreibt? Ich schweife ab.

Overtüre

Diesmal hatten die Brothers jemanden gefunden, der nicht wusste, ob er sein Geld im Klingelbeutel oder einer Werbeschalte vernichten sollte. Besser, deren zwei: Vincent & Fernando. Aha, dachte ich mir: Ein Franzose und ein Spanier! Bänklsänger der seichten Unterhaltung … wollen irgendwo bei den Herrgottkindern singen ... so zumindest suggerierte es das Plakat. Mehr habe ich nicht erfahren, denn dann kam der Bus.

I. Satz: Andante

Das Internetz wusste mehr: Keine Ausländer, sondern gestandene Mandsbilder aus Südtirol/Andrian. Gewinner des Grand Prix der Volksmusik von 2009. Es sagt schon einiges über die Lebenshaltungskosten in diesem Land aus, wenn sich ein Technischer Zeichner und ein Bürohengst im Amt für Sozialen Wohnungsbau im Nebenjob nächtens, als Hochkönige des Edelkitsch, über eine Bühne tollen müssen, um über die Runden zu kommen.
Ich wollte gerade durch ihre Bio scrollen, als ich mitleidige Blicke der U18 aus dem hinteren Teil des Busses auf mir spürte. Etwas mit der Bluetooth-Verbindung der Kopfhörer war in die Binsen gegangen und nun beschallte mein Youtube die Generation Greta mit dem Siegertitel „Der Engel von Marienberg“. Der Rest ist schnell erzählt: Ein Rudel Halbwüchsiger verprügelte mich mit ihren Handys, aus denen Kollegah rappte; der zufällig anwesende Fahrkartenkontrolleur verpasste mir eine Strafanzeige wegen akustischer Umweltverschmutzung und meine Schuhe drücken nach wie vor: In all dem Wahnsinn schob sich noch die Liedzeile „Sie wuchs heran als Waisenkind / Am Klostertor da fand man sie“ ins Ohr ... worauf sich augenblicklich meine Zehnnägel aufrollten.

Grand Prix der Volxmusix. Siegertitel. Moooment. War da nicht ein Geplänkel über die Oberhoheit des Terminus „Volksmusik“? Genau, das Gedudel nennt sich seither „Volkstümliche Musik“. „Sie zeichnet sich durch die Konzentration auf rührselige, fröhliche und heimatbezogene Themen aus“, weis Wikipedia. Ist schon mal jemanden aufgefallen, wie nahe „volkstümlich“ und „volksdümmlich“ beieinander liegen? Nur die ganz Dummen geben für dieses Gewinsel Geld aus. Und das nicht zu knapp. Im gesamten deutschsprachigen Raum generieren die Volksdümmlichen - in Komplizenschaft mit den Schlagerfuzzies - „jährlich über eine halbe Milliarde Euro Umsatz“, wusste Die Zeit für 2014. Als Universal Music Group den europäischen Ast der Koch Musik International mit ihrem Mega-Seller „Kastelruther Spatzen“ schluckte, kauften sie sich „80 bis 100 Mill. Euro“ Umsatz ein, schrieb 2002 das Handesblatt.

2. Satz: Allegro con brio

Womit wir beim Thema wären: Kastelruther Spatzen + Oktober = Spatzenfest. Um es gleich vorweg zu sagen - der Rier, riert mich zu Tode. Nein, wirklich! Als ich zum ersten mal „Das Mädchen mit den erloschenen Augen“ hörte, wünschte ich ein Junge mit erloschenen Ohren zu sein. Das ist Körperverletzung! Auf die CDs der Spatzen müsste man, wie auf Zigarettenschachteln, eine Warnung drucken: Volkstümliche Musik gefährdet ihre Gesundheit – und das Spatzenfest ist das Karzinom in den der Missbrauch dieser Droge dann kulminiert.
Schon mal dagewesen? Mich wundert, dass sich auf dem glitschigen Boden noch nie jemand den Hals gebrochen hat. Bei dem ganzen Schmalz, das da Hektoliter-weise von der Bühne rinnt, wenn der Norbert mit dem Sohnemann ein Duett trällert und die Fans*innen - von Groupies kann man bei 50+ pietätshalber nicht mehr sprechen – den Security-Gorilla an den Bühnenrand drücken, um ein Foto zu knipsen. Eigentlich müsste der Seiser Dorfputz das ganze Zelt per atti osceni in luogo pubblico hops nehmen. Ich versteh das nicht?! Der Rier scheint sonst ein rarer Tuttn zu sein. Was hört der im Auto - die Konkurrenz? „Der Schäfer Vom Schnalstal“ von Sauguat beispielsweise? Na, dieser Schmachtfetzen ist die Antithese des Bandnamens: Saulink. Vermutlich hört der Rier sich selbst, sonst wären die Kastelruther Spatzen mit „Feuervogel flieg“ nicht auf Platz 2 der Volkstümlichen Hitparade von SWR4.
Ich – zwangsverpflichtet – suchte beim Schmalzfest verzweifelt nach Oropax, Bleistiften, rostigen Nägeln um meine Trommelfelle zu piercen. Mit einem Codice rosso und einer 24stündigen Ohrenspülung mit harten Technobeats jenseits von 180 bpm, hat mir die Ersten Hilfe Brixen zumindest den Hörsinn gerettet. Zurückgeblieben ist ein leichter Tinnitus, in dem es in Dauerschleife „Tränen passen nicht zu dir“ leiert - die ersten Worte der Krankenschwester, als ich aus dem Koma erwachte. Dafür bekommt mein Gehörgang sicher eine Goldene Schallplatte.

3. Satz: Vivace con fuoco

Apropos Golden Record. 1977 startete die NASA die Raumsonden Voyager 1 und 2 zur Erforschung des äußeren Planetensystems und des interstellaren Raums. Mit an Bord eine mit Gold überzogene 12-Inch mit Bild- und Audio-Informationen über die Menschheit. Und was haben die Amis raufgepackt? Gesänge von Australischen Aborigines, „Johnny B. Goode“ von Chuck Berry und die Arie der Königin der Nacht aus der Zauberflöte vom Amadeus! Ich meine, da muss man sich nicht wundern, wenn uns die Aliens wie in Emmerichs „Independence Day” in die Steinzeit zurückbomben, sollten sie den Satelliten bergen. Bach und Beethoven mit der Fünften ist auch noch dabei. Kurz, eine Einladungskarte romantischer Pazifisten.
Gott! Press die Greates Hits der Vaiolets auf die Golden Record und du machst dem gesamten Kosmos klar: Hier lebt die grausamste Spezies des Universums. Hier gibt’s Saures! Hier gibt‘s Audiofolter!! Gegen uns sind die Klingonen Chorknaben, kommt bloß nicht her!!!
Dafür gibt es Präzedenzfälle. Im Dezember 1989 floh Diktator Manuel Noriega in die Botschaft des Vatikans in Panama-Stadt, worauf ihn die CIA tagelang mit einem Horror-Mix aus Pop- und Rock-Songs der Achtziger mit 120 Dezibel beschallte … alles Fake-News … es war nicht Rick Astleys „Never Gonna Give You Up“ oder Kenny Loggins Top-Gun-Heuler „Danger Zone“ die Noriega nach eineinhalb Wochen ausgelaugt aus seinem Versteck trieben. Es waren die Orig. Burggräfler Buam in einem Duett mit Die Pustertaler feat. Oswald Sattler & Jantje Smit!

Tagelang? Zwanzig Minuten von „Klingendes Südtirol“ auf dem „Boazner“ hätten die gleiche Wirkung erzielt. Das ist die Sendung von Anneliese. Das ist die, die es bei den Landtagswahlen 2003 auf dem letzten Platz der Edelwaisen mit lediglich 1.242 Likes auf dem Wahlzettel pulverisiert hat. Wenn ich mich recht erinnere, hatte es die Eitelkeit geboten, auf das Wahlplaket ein zwanzig Jahre jüngeres Jugendbild zu pappen. Futsch der Wiedererkennungswert zwischen der Jodelkönigin und Pircher Breitenberger Anna Elisabeth. Böse Zunge behaupten ja, Papst Benedikt XVI sei nur deshalb emeritiert, um nicht Gefahr zu laufen noch einmal von Anneliese - wie bei der Audienz 2011 - bejodelt zu werden. Die Hater fügen hinzu, die Erfinderin des Grand Prix hätte Gemeinsamkeiten mit Donald Dumb. POTUS hat ein totes Eichhörnchen auf dem Kopf und Annelieses Haarpracht erinnert auch an ein Tier: Ein Uhu nach dem Waldbrand. Kein Wunder, verbrannte Erde bleibt zurück, wenn, wie letzten Sonntag, die „lieben Hörerinnen und Hörer“ und im Studio Marco Diana begrüßt werden: Der „Singer and songwriter“, der nicht nur „Salve Regina“ für Rudy Giovannini mit Belsy und Coro Monti Pallidi, sondern auch das oben erwähnte „Der Engel von Marienberg“ verbrochen hat. Die „lieben Hörerinnen und Hörer“ waren genau drei. Der arme Tontechniker, den der MP64 dafür abgestellt hat, der Regisseur und ich, der für die Recherche eingeschaltet hatte – nach zwanzig Minuten erlitt ich einen Hörsturz. Die Zulage, die der Tonmensch am Sonntag bekommt, nennt man dann wohl Schmerzensgeld.

Finale: Grave

Aber es besteht Hoffnung: Laut dem Jahrbuch 2018 des Bundesverbands Musikindustrie sind nur 36% der Schlager/Volksmusik-Konsumenten BiFüs, also Bis Fünfzig. Kurz, wie dem Boazner stirbt der Branche langsam die Klientel weg. Beschleunigen könnte das eine Manipulation der Musikwahl-Algorithmen von Spotify und iTunes, womit das streamende Jungvolk von den 5,1% Schlager/Volksmusik-Abhängigen, hin zu anderen Repertoirebereichen gehirnwäscht wird. Bevor es soweit ist, will ich auch abcashen. Als „Der Orig. Echte Luschtige City-Roller“ habe ich bereits meinen ersten Tränendrücker angetextet (was wesentlich leichter war, als gegen die Real-Satire der Volksjauler anzuschreiben):

Dort wo der Wolf die Pamper frisst
Und der Bär neben Rosskadaver pisst
Dort wo der Bauer seine Almen surt
Und im Winter die Loipen spurt
Da blüht das Edelweiß
Auf das die Turbo-Kuh an Toaschtn scheißt

Die ganzen goldenen Schallplatten, die ich dafür bekomme, verhökere ich dann bei „Compro Oro Pago in Contanti“. Und mit der Penunze kaufe ich mir die Firstavenue und beleuchte die Fahrplankästen.

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Sepp.Bacher Ven, 10/11/2019 - 18:19

Sehr schön komponierte Satire. Ich erwarte mir jetzt eine Bühnenaufführung! Dann könnte ich richtig lachen! Carambolage könnte dich nehmen; für den Niederstätter surPrize wird es schon zu spät sein?! Aber irgendwo könnten sie dich noch einschieben. Müsstest eben noch weitere Themen bühnenmäßig aufbereiten. Satire-Sendungen gibt es in Südtirol leider keine!

Ven, 10/11/2019 - 18:19 Collegamento permanente