Politica | Interview

“Ich schicke keine Briefchen”

Briefe nach Wien? In Fragen wie dem Doppelpass ist das nicht der Südtiroler Weg, sagt Landeshauptmann Arno Kompatscher. Nimmt er die jüngste Initiative persönlich?
Arno Kompatscher
Foto: Screenshot/G.News Società Cooperativa Sociale

Auch wenn es seine Miene nicht verrät und der Tonfall wohl gewählt ist: Arno Kompatscher hat den Vorstoß einiger seiner Parteikollegen in Landesregierung und Landtag nicht goutiert. Elf der 15 SVP-Abgeordneten tragen die Initiative “Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler” und einen Brief an das österreichische Innen- und Außenministerium mit, in dem um das Voranbringen des Doppelpasses ersucht wird – und das ausdrücklich in Vertretung der Südtiroler Bevölkerung.

Die “Initiative”, bei der Namen von 51 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Vereinen und Kirche aufscheinen, ist vom Südtiroler Schützenbund ausgegangen. Die amtierenden SVP-Landtagsabgeordneten und -Landesräte haben ohne die Parteigremien zu informieren oder zu Rate zu ziehen ihre Unterschrift gesetzt. Deshalb betont Arno Kompatscher: “Das ist die Initiative Einzelner und keine institutionelle oder von der Partei abgesegnete Initiative.” Doch so einfach ist es nicht. Die drei Landesräte Maria Hochgruber Kuenzer, Thomas Widmann und mit Philipp Achammer auch der SVP-Parteiobmann unterstützen das Schreiben. Daniel Alfreider, Waltraud Deeg, Arnold Schuler und Kompatscher selbst haben sich davor gehütet, ihre Unterschrift darunter zu setzen. Ergo: In der Sitzung der Landesregierung am Dienstag bestand dringender Klärungsbedarf.

“Der Landeshauptmann schickt nicht irgendwelche Briefe oder Briefchen nach Wien – schon gar nicht unabgesprochen”, sagt Kompatscher und betont, dass die jüngste Initiative vom erfolgreichen Südtiroler Weg abweiche und nicht als offizielle Aktion missverstanden werden dürfe.  Das Gespräch mit salto.bz verlässt der Landeshauptmann mit dem Spruch: “Glückliches Land, wenn es keine anderen Probleme hat.”


salto.bz: Herr Landeshauptmann, was halten Sie von dem Brief nach Wien?

Arno Kompatscher: Das ist keine institutionelle Initiative, weder der Landesregierung noch des Landeshauptmannes und wird auch von keinem Parteibeschluss getragen. Das ist eine Initiative einzelner Personen.

Im Herbst 2017 hat es in Sachen Doppelpass schon einmal ein Schreiben von Landtagsabgeordneten nach Wien gegeben.

Wenn es um relevante Fragen der Südtirol-Autonomie geht, war das Vorgehen nie, Briefe oder Briefchen an die österreichische Regierung oder Vertreter der österreichischen Regierung zu schicken. Offizielle Initiativen sind immer erst nach einem Austausch, zunächst zwischen institutionellen und Vertretern der Regierungsparteien in Bozen und Wien und dann unter Einbeziehung von Rom, gestartet.
Dieser Brief weicht, wie der vorherige, von dieser Regel ab. Ich glaube nicht, dass das das Vorgehen ist, um diese Thematiken voranzubringen. In der Tat war es auch dieses Mal keine Initiative der Institutionen, sondern von Personen.

Da jetzt eine persönliche Geschichte draus zu machen, würde man als Beobachter vielleicht gerne haben.

Warum haben Sie dieses Schreiben nicht unterzeichnet?

Ich habe auch den letzten Brief schon nicht unterschrieben. Der Landeshauptmann schickt nicht irgendwelche Briefchen nach Wien – noch dazu in unabgesprochener Weise. Sondern er interagiert mit dem Bundeskanzler, mit dem Außenminister, mit dem Bundespräsidenten und gegebenenfalls dann auch gemeinsam mit den Vertretern der Regierungsparteien. Diese Dinge werden auf diplomatischer und Parteienebene besprochen und auf jeden Fall, um erfolgreich zu sein und unabhängig, wie man dazu steht, im Trilog zwischen Wien-Bozen-Rom weiterentwickelt. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, mit irgendwelchen Schreiben Forderungen zu stellen oder Druck auszuüben, wenn es vorher nicht abgesprochen wird. Meines Wissens handelt es sich nicht um eine abgesprochene Initiative, das ist eben kein institutionelles Schreiben.

Wie sehr irritiert es Sie also, dass drei von sieben SVP-Landesräten und damit Inhaber einer institutionellen Funktion den Brief unterschrieben haben?

Wir haben das inzwischen geklärt. Ich habe darauf hingewiesen, dass es besser ist, die Fragen, die die Südtirol-Autonomie betreffen, auf den üblichen Kanälen abzuhandeln – unbenommen jeder persönlicher Initiative. Das hat nichts mit der inhaltlichen Einschätzung zu tun, sondern bei Fragen der Autonomie hat man sich grundsätzlich immer zuerst abgesprochen und dann allfällige, auch öffentlich wirksame Schritte gesetzt. Und ein solcher Brief ist natürlich öffentlich wirksam – denn das wurde ja nicht vorab mit den Wiener Stellen vereinbart.

Es ist überhaupt kein Thema, dass man über alle Dinge reden darf. Es gibt kein Tabu.

Das heißt, Sie sind besonders über die Unterschriften der Landesräte verärgert?

Ich würde das jetzt nicht überbewerten. Ich habe darauf hingewiesen, dass das nicht die Art ist, wie es üblicherweise gemacht wird. Und noch einmal: Ich sage das unabhängig von jeglicher Bewertung. Es gibt eine Umfrage, die darstellt, wie es die Südtiroler Bevölkerung sieht: Die überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger aller drei Sprachgruppen stehen dem Vorhaben Doppelpass skeptisch bis ablehnend gegenüber – so zumindest interpretiere ich das Ergebnis.

Das Thema Doppelpass sollte vom Tisch?

Ganz abgesehen vom Inhalt muss vor allem eines klar sein – und ich wiederhole es ständig: Unsere Autonomie basiert auf dem hochheiligen Prinzip des gegenseitigen Einvernehmens, das auch unsere Autonomie garantiert. Es ist unsere wesentliche Erwartung an Rom, dass man das Einvernehmen mit Wien sucht und nicht einseitig vorgeht. Dasselbe gilt auch für Österreich. Und deshalb: Falls man das Thema in diesem Sinne angehen will, wenn es eine Debatte geben soll, dann im europäischen Geiste und auf der Suche nach Konsens. Danach ist es überhaupt kein Thema, dass man über alle Dinge reden darf. Es gibt kein Tabu. Ich sage nur: Als Regierung und als Landeshauptmann werde ich es weiterhin wie meine Vorgänger pflegen: mit den zuständigen Stellen in Wien die Gespräche führen und dann entsprechend vereinbart Maßnahmen setzen, auch öffentlich wirksame.

Meines Wissens handelt es sich nicht um eine abgesprochene Initiative, das ist eben kein institutionelles Schreiben.

Empfinden Sie es als persönlichen Affront, dass drei Ihrer Landesräte – darunter auch SVP-Obmann Philipp Achammer – von dieser Linie abgewichen sind?

Nein, überhaupt nicht.

Der Machtkampf in der SVP ist also nicht “offen ausgebrochen”, wie es unter anderem die Leseart der Tiroler Tageszeitung ist?

Da jetzt eine persönliche Geschichte draus zu machen, würde man als Beobachter vielleicht gerne haben. Ich bewerte es aber absolut nicht so, nein. Ich bin überzeugt, dass nicht die Absicht dahintersteht, dass irgendjemand irgendjemandem anderen eins auswischen wollte. Nein, das sehe ich nicht so. Absolut nicht. Da bin ich ganz relaxed.

Dieser Brief weicht, wie der vorherige, von dieser Regel ab. Ich glaube nicht, dass das das Vorgehen ist, um diese Thematiken voranzubringen.

Außenminister Luigi Di Maio hat sich bislang nicht zum Thema Doppelpass geäußert. Sie haben Ende vergangener Woche Innenministerin Luciana Lamorgese getroffen. Ist der Doppelpass ein Thema in Rom?

Meine Position ist ja bekannt. Ich poche darauf, dass wir den erfolgreichen Weg des Dialogs bzw. Trilogs zwischen Wien-Bozen-Rom weitergehen und gerade solche Fragen bezüglich der Südtirol-Autonomie nicht einseitig zu klären sind – unabhängig davon, ob Staaten das Recht hätten, einseitig vorzugehen. Diese Position beziehe ich im Interesse von Südtirols Autonomie. Und das wird mir jeder Völkerrechtler bestätigen.

Haben Sie Signale erhalten, wie die neue italienische Regierung zum Doppelpass steht?

Ich glaube, die Auffassung war bisher eher die, dass das Thema jetzt einmal nicht auf der Tagesordnung ganz oben steht. Deshalb, so glaube ich, war es bisher auch nicht Gesprächsthema.

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Peter Gasser Mer, 10/30/2019 - 07:16

„Ich bewerte es aber absolut nicht so, nein. Ich bin überzeugt, dass nicht die Absicht dahintersteht, dass irgendjemand irgendjemandem anderen eins auswischen wollte. Nein, das sehe ich nicht so. Absolut nicht...“.

... was für eine starke non verbale Aussage!

Mer, 10/30/2019 - 07:16 Collegamento permanente
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△rtim post Mer, 10/30/2019 - 07:29

Bisher hat LH Arno Kompatscher anstatt Österreich zu danken mehr als undiplomatisch reagiert.
Arno Kompatscher hat aber völlig recht, wenn er nun als Reaktion auf diesen neuen Brief an Österreich sagt, es gilt den mehrheitlichen Willen der Landtagsabgeordneten diesbezüglich institutionell umzusetzen. Genau. Darauf kommt es an.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang dann stellt, ist doch: Was hat der LH in all den Jahren seit dem Brief vom 15.11.2017 an Österreich und seit dem angenommenen Beschlussantrag 338/11 des Landtags diesbezüglich zielführend bereits erreicht?

Mer, 10/30/2019 - 07:29 Collegamento permanente
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G. P. Mer, 10/30/2019 - 08:44

Kompatschers Spruch “Glückliches Land, wenn es keine anderen Probleme hat” ist Kindergarten-Niveau und eines Landeshauptmanns unwürdig.
Es wird immer andere und auch wichtigere Probleme geben. Und für jedes wichtige Problem gibt es ein noch wichtigeres ...

Mer, 10/30/2019 - 08:44 Collegamento permanente
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19 amet Gio, 10/31/2019 - 09:24

In risposta a di Hartmuth Staffler

Ja, da haben sie recht. Das ganze unnütze Manöver, gerichtet an eine Regierung die in wenigen Wochen nicht mehr im Amt sein wird, hat wahrscheinlich nur ein Ziel. Dem Kompatscher, der nicht nach der Pfeife gewisser Strategen tanzen will, zu zeigen, wieviele da sind die ihn verräumen wollen. Dem Anführer geht dabei anscheinend jede noch so seltsame Mischung recht.

Gio, 10/31/2019 - 09:24 Collegamento permanente
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Gregor Beikircher Sab, 11/02/2019 - 23:43

Wie undiplomatisch, ja geradezu linkisch agieren doch bestimmte vermeintlich hochpolitsch versierte Südtiroler Vertreter! Gerade jetzt bei der Agenda "Doppelpass" nachzuhaken, ist doch völlig verkehrt, wo doch in Wien momentan nur eine Ersatzregierung die notwendigsten Verwaltungsaufgaben abhandelt und in Rom eine völlig neue Regierungskoalition sich mit der Haushaltsgebarung abmühen muss und sonst auch keine Zeit findet sich mit solch unwichtigen Dingen, wie Zweitpässen herumzuschlagen. Glauben diese Leute wirklich zu solchen Zeiten mit einem "Briefchen" in Regierungskreisen Gehör zu finden bzw. Druck ausüben zu können, oder ist es nur dazu gedacht uns von der eingeschlafenen Weiterentwicklung der Autonomie abzulenken? Dass man mit einem solch unwürdigen Manöver der Autonomie schadet und nicht nur den Landeshauptmann verärgert, sondern das ganze Vorhaben und zig-Menschen im Lande in Misskredit bringt, mindestens daran hätten sie denken müssen.

Sab, 11/02/2019 - 23:43 Collegamento permanente